Geschlechterstereotype im Einsatz.

Rezension von Erika Kegyes

Heiko Motschenbacher:

„Women and men like different things“?

Doing Gender als Strategie der Werbesprache.

Marburg: Tectum 2006.

459 Seiten, ISBN 3–8288–9073–3, 29,90 €

Abstract: Die umfangreiche Monographie gehört zum Forschungsbereich der kritischen angewandten Linguistik (Critical Applied Linguistics) und liegt sowohl theoretisch als auch praktisch im Schnittpunkt der gender- und werbesprachlichen Untersuchungen.

Thema, Struktur und zentrale Fragenstellung

Motschenbacher untersucht die Genderproblematik in der Werbesprache aus der Perspektive der deskriptiven Linguistik. Die Struktur der Arbeit ist logisch und transparent. Unter den acht größeren Kapiteln geben zwei eine detaillierte Einführung in die Genderlinguistik sowie in den aktuellen Stand werbesprachlicher Untersuchungen. Im Kapitel 3 wird die Vorgehensweise der empirischen Untersuchung an einem Korpus von 2000 Werbebotschaften dargestellt. Kapitel 4 widmet sich dem Grundkontext massenmedialer Kommunikation, indem Frauen- und Männerzeitschriften aus genderrelevantem Blick dargestellt werden. Der Schwerpunkt liegt auf der Darstellung der kommunikativen Praktiken in Cosmopolitan und Mens‘ Health. Im Kapitel 5 sind die Ergebnisse der Untersuchung zu lesen. Die komplexe und kontextbezogene Deutung der Ergebnisse erfolgt im 6. Kapitel. Schlussbetrachtungen und ein Ausblick schließen das Buch ab. Ein für weitere Recherchen nützliches Literaturverzeichnis finden die Leser/-innen auf den letzten 43 Seiten.

Das Buch, das 2006 mit dem Cornelia Goethe-Preis ausgezeichnet wurde, führt die Leser/-innen auf eine Entdeckungsreise in die Welt der Werbung und arbeitet die Frauen- bzw. Männerbilder der Werbung, die Sprachsexismen und die Genderbilder vermittelnden Kommunikationspraktiken heraus. Die praktischen Ergebnisse der Werbeanalyse, die an einem Korpus von 2000 Headlines zweier Presseprodukte (Cosmopolitan und Men’s Health) im Zeitraum 2001–2004 durchgeführt wurde, sind sowohl für die Sprachwissenschaft als auch für die Werbebranche relevant, vor allem aber natürlich für die Genderforschung. Es wird aufgezeigt, wie die Geschlechtsstereotype in der und durch die Sprache fest- und fortgeschrieben werden. Um die sprachpraktischen und zugleich genderlinguistisch akzeptablen Merkmale des sprachlichen Doing Gender in der Werbung herausarbeiten zu können, greift der Autor auf soziolinguistische bzw. werbesoziologische, teils aber auch werbepsychologische Theorien zurück. Diese werden aus dem Blickwinkel der aktuellen Gendertheorien kritisch bewertet. Dabei stellt Motschenbacher die Frage, mit welchen sprachlichen (verbalen und nonverbalen) Mitteln Weiblichkeit und Männlichkeit in der Werbung allgemein und konkret in den ausgewählten Pressemitteln konstruiert und dargestellt werden.

Theorie und Praxis

Die Ergebnisse der durchgeführten Analyse tragen dazu bei, dass ein transparenter Begriff des Geschlechts herausgearbeitet werden kann. Am Beispiel der Werbesprache wird belegt, dass die Geschlechtsidentitäten mehr Konstrukte als Gegebenheiten sind. Vor diesem Hintergrund will die Werbung in folgenden Bereichen Einfluss ausüben: 1. die Wahrnehmung geschlechtlicher Sprachstereotype, 2. die Praktizierung geschlechtlicher Sprachstereotype, 3. die Herstellung der Geschlechterstereotype. Aufgrund sprachlicher Prozesse werden Geschlechtsdifferenzen in der Werbung aktualisiert, wobei alte Stereotype in den Vordergrund gerückt werden, die allgemein bekannte Elemente der Weiblichkeit und Männlichkeit sind.

Die Werbesprache wird dabei als eine sprachliche Varietät erfasst, die bei der Herstellung der aktuellen Genderbilder eine wesentliche Rolle spielt. Davon ausgehend werden die Leser/-innen mit den Aussagen der Defizit-, Dominanz- und Differenzhypothese konfrontiert. Dies bereitet eine Auseinandersetzung mit Butlers Theorien vor. Der Verfasser plädiert für die Praktizierung des Dekonstruktivismus auch in der Werbungsanalyse, da dadurch die sprachlichen Herstellungs- und Wahrnehmungskonzepte des Gender in der Praxis überprüft werden könnten.

Untersuchungsdesign und Vorgehensweise

Das Textkorpus umfasst 2000 Werbeanzeigen. Als Quellen dienen die britischen Ausgaben der Cosmopilitan und die US-amerikanischen Ausgaben von Men’s Health aus dem Zeitraum Januar 1999 bis September 2001. Die Anzeigen sind auf weibliche bzw. männliche Zielgruppen ausgerichtet (je 1000 Beispiele). Die Anzeigenauswahl wurde auf die Konsum- bzw. Verbraucherwerbung beschränkt. Nach der konkreten Produktgruppenverteilung in den beiden Subkorpora lassen sich Themen wie Aussehen, Körperpflege, Mode und Fahrzeuge hervorheben. Verbale und nonverbale Aspekte sowie die bildliche Kommunikation wurden in die Analyse mit einbezogen. Die Kernanalysen erfolgen auf lexiko-grammatischer und lexiko-pragmatischer Ebene der Sprache. Zentrale Fragen der Analyse waren: 1. Wie wird über die Geschlechter gesprochen? (= lexiko-grammatische Ebene), 2. Wie wird zu den Geschlechtern gesprochen? (= lexiko-pragmatische Ebene). Frage 1 ist deskriptiv ausgerichtet, während Frage 2 einen eindeutigen diskursanalytischen Schwerpunkt hat.

Zu Frage 1 gehören Untersuchungen im Bereich des Pronomengebrauchs und der Personen bezeichnenden Sprachmittel. Die Ausdrücke woman, man, girl, lady, gentleman, boy werden dabei besonders beachtet. Zu Frage 2 sind Feststellungen über die sprachlichen Mittel der direkten Anrede, die Art und Weise der Fragestellungen und Antworttypen zu finden.

Ergebnisse und Interpretationen

Die analytischen Ergebnisse helfen, den Begriff Gender zu deuten sowie den Begriff Genderlekt zu präzisieren. Dazu sollen die gefundenen Sprachdaten aus mehreren Aspekten gedeutet werden: 1. Werbesprachliches Doing Gender als stereotypische Advergenz, 2. Werbesprachliches Doing Gender im Lichte der kommunikativen Höflichkeitstheorien.

Zu Deutungsmuster 1 lässt sich zusammenfassend sagen, dass die sprachlichen Genderrollen in der Werbung weitgehend stilisiert werden, womit geschlechtliche sprachliche Konversationsmuster vorgegeben werden. Diese sind eigentlich von den Sprechenden unabhängig und können eine reale Sprachwelt nicht widerspiegeln (S. 376). Die Werbung paraphrasiert die Sprechtätigkeit der Geschlechter, so dass sie sich tatsächlich so auszudrücken scheinen wie es in der Werbung vorgespielt wird.

Zu Deutungsmuster 2 ist zu bemerken, dass Gesichtbedrohung und Gesichtswahrung im Erklärungsfeld der neueren Höflichkeitskonzepte der Diskurstheorie ebenfalls geschlechtstypisch und geschlechtsabhängig konstituiert werden. Dies wird beim Wirkungseffekt der Werbung stark mit einbezogen.

Resümee und Ausblick

Motschenbachers Studie zeigt die sprachlichen Mechanismen der Werbung und ihre Wirkung auf die Sprechenden auf. Es wird aufgedeckt, wie Geschlechterstereotype bei der Rezeption der Werbetexte zum Einsatz kommen. Die Geschlechterstereotype finden Eingang in alle Sphären des Lebens. Was man dagegen tun kann, fragt auch Motschenbacher. Seine Antwort lautet: Die Dekonstruktion der Kategorie Geschlecht. Der unkonventionelle Gebrauch von Geschlechter symbolisierenden Tätigkeiten und Sprechweisen könne dies bewirken. Aber selbst die Werbung müsse die Geschlechterstereotype umkehren. In Motschenbachers Studie werden auch positive Beispiele dafür gezeigt. Die Werbung verwendet ihr Wort- und Bildmaterial größtenteils stark genderisierend, auf welchem Wege die Stereotypen „nur in traditionellen Bahnen zum Einsatz kommen müssen“ (S. 414). Aber die Techniken von Genderfairness und subversiven Symbolisierungen durch gender crossing bieten auch andere Möglichkeiten für die Werbesprache. Auch auf diese Weise könnten die Genderbilder im Einsatz sein.

URN urn:nbn:de:0114-qn083168

Erika Kegyes

Ungarn, Universität Miskolc, Lehrstuhl für Deutsche Sprache und Literatur

E-Mail: kegyera@gmail.com

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