Andrea Seier:
Remediatisierung.
Die performative Konstitution von Gender und Medien.
Münster u.a.: Lit 2007.
176 Seiten, ISBN 978–3–8258–0324–7, € 19,90
Abstract: In der Buchfassung ihrer Dissertation untersucht die Medienwissenschaftlerin Andrea Seier die Anschlussfähigkeit der Butlerschen Konzeption von Performativität an die Medienwissenschaft. Damit verfolgt sie ein doppeltes Anliegen: Es geht ihr zum einen darum, mit der Fokussierung auf die performative Perspektive dem Ereignischarakter von Medien Rechnung zu tragen, und zum anderen darum, das Verhältnis von Gender und Medien sowohl erkenntnistheoretisch als auch methodisch zu präzisieren. Darin liegt der große Gewinn dieser Arbeit für eine transdiziplinäre Forschung zwischen Gender Studies und Medienwissenschaft.
Die Konjunktur des Performativitätsbegriffs in den Kulturwissenschaften hat zu einer gewissen Ungenauigkeit in der Verwendung des Begriffs geführt. Nah an Butlers Konzeption orientiert, entfaltet der Begriff für Seier sein Potenzial genau an der Stelle, an der er einzelne ästhetische Phänomene wie Filme sowie Performances und Theaterstücke an den Prozess der Re-Signifikation bindet.
Bisherige performative Konzeptionen des Films haben sich vor allem mit der Aufführungssituation des Films und dem Verhältnis zwischen Film und Zuschauer auseinandergesetzt. Seiers Ansatz stellt einen Zugewinn dar, indem er zeigt, wie sehr der im Begriff des Performativen enthaltene Aspekt der Aufführung an die Wiederholung – und im Kontext technischer Medien die Präsenz an die Reproduktion – gebunden ist. Mit dem von Bolter und Grusin entlehnten Begriff der „Remediatisierung“ gelingt es der Autorin, einen unabgeschlossenen, prozessualen Medienbegriff zu etablieren, der eine Erweiterung des Repräsentationsparadigmas darstellt, insofern er die Möglichkeit der Transformation beinhaltet.
In einem Problemaufriss zeichnet Seier die Entwicklungslinien von der feministischen Filmwissenschaft hin zum Forschungsbereich „Gender und Medien“ nach. Während im Rahmen der feministischen Filmwissenschaft von einer „Vergeschlechtlichung durch Medien“ ausgegangen wurde, hat sich im Rahmen der Genderforschung der Fokus auf die Untersuchung der „Medialisierung von Geschlecht“ verschoben. Diese Arbeiten lassen sich weder den Gender Studies noch der Medienwissenschaft eindeutig zuordnen, sondern verstehen Gender und Medien als im Wechselverhältnis zueinander stehende kulturelle Technologien. Von da aus stellt Seier die ihrer Arbeit zugrunde liegende Problematik dar, dass im Rahmen der Gender Studies Medien häufig als „Belege“ für Thesen zur Performativität von Geschlecht herangezogen werden. Indem sie die in diesem Kontext viel rezipierte Auseinandersetzung Judith Butlers mit Jenny Livingstons Dokumentarfilm Paris is burning (1990) einer Betrachtung unterzieht, die die Performativität des Mediums mitdenkt, kann sie das produktive Wechselverhältnis von Gender und Medien deutlich machen: „Denn wie jedes Doing Gender eine Rezitation einer vorgängigen Kette von Geschlechterhandlungen und -bedeutungen ist, die in dem jeweiligen Akt gegenwärtig sind und ihm seine Gegenwärtigkeit zugleich entziehen, ist auch z. B. jeder einzelne Film in ein diskursives Netz von Signifikationspraktiken eingelassen, die immer schon über ihn hinausweisen.“ (S. 39 f.)
Im zweiten Kapitel wird zunächst die Genese des Performativitätsbegriffs von Austin über Derrida zu Butler nachgezeichnet. Im Anschluss daran unternimmt Seier eine Klärung der Frage, auf welche Art von Phänomenen der Begriff der Performativität bezogen werden kann. Statt zu entscheiden, ob er eher geeignet ist, ästhetische Einzelphänomene oder eine übergeordnete Ebene von Kultur zu beschreiben, schlägt sie vor, ihn als Scharnier zu etablieren, an dem Mikro- und Makroebene in Beziehung zueinander stehen, ohne ein Ableitungs- bzw. Anwendungsverhältnis zu konstruieren. Der Begriff der Performativität wird aus dieser Sicht zu einer Untersuchungsperspektive, die von einer engen Verbindung diskursiver und ästhetischer Praktiken ausgeht, welche nicht so sehr als Aktualisierung von Diskursen anzusehen ist, sondern dem „Realisierungsüberschuss“ Rechnung trägt, der in der transformierenden Wiederholungsstruktur performativer Akte enthalten ist.
Die Figur der ‚Remediatisierung‘ als Bedingung für mediale Konstitutionsprozesse wird im dritten Kapitel eingeführt. Damit ist die Annahme verbunden, dass jedes Medium auf andere Medien angewiesen ist und die Wiederholung eines anderen Mediums beinhaltet. Diese Konzeption ermöglicht es der Autorin, den Fokus von den Effekten auf die Prozesse der Remediatisierung zu verschieben. Um ihre These zur Performativität des Films zu belegen, wählt Seier das Beispiel der Kino-Bewegung DOGMA’95. In einer detaillierten Analyse kann sie zeigen, dass das Medium Film in den vielfältigen Versuchen, durch Verzicht auf filmästhetische Mittel Unmittelbarkeit zu erzielen, auf sich selbst verweist und als Medium sichtbar wird. Für diese Remediatisierungsprozesse ist „das Verhältnis von Ereignis und Wiederholung, Gegenwärtigkeit und Reproduktion konstitutiv“ (S. 107). Seier präferiert dieses Verständnis von „zeitliche[r] Begrenztheit, Wandel und Diskontinuität“ (S. 107) der Medien gegenüber einer medienevolutionären Sichtweise.
Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Fokussierung der Remediatisierungsprozesse für das Verhältnis von Medien und Gender? In ihrer interessant gewendeten Re-Lektüre Mulveys grundlegenden Aufsatzes Visual Pleasure and Narrative Cinema (1975) erhält dieser aus performativer Perspektive eine Neu-Akzentuierung. Seier kann zeigen, dass Film nicht einfach als Beleg für die Performativität des Geschlechts verstanden werden kann, sondern Vergeschlechtlichung und Mediatisierung vielmehr ein wechselseitiges funktionales Bedingungsverhältnis eingehen. „Beide, Gender und Medien, könnten so im Hinblick auf ihre produktiven Aspekte in den Blick genommen werden.“ (S. 111) Erst mit dieser theoretischen Zuspitzung kann Seier anhand von Tarantinos Film Jackie Brown darstellen, wie dort im Zusammenspiel von Genre-Zitaten in Bild und Musik sowie in der Überlagerung der Filmfigur Jackie Brown mit ihrer Darstellerin Pam Grier eine spezifische „Version“ einer Gender-Performativität entsteht, die innerhalb dieses Remediatisierungsprozesses einen Überschuss produziert. Wiederholungen von Genrekonventionen sind aus performativer Sicht nicht Endpunkt von Bedeutungskonstruktionen, sondern verweisen vielmehr auf die Umkämpftheit und Unabgeschlossenheit medialer Repräsentationen.
Seiers dicht geschriebene Studie nimmt sich eines für den Forschungsbereich ‚Gender und Medien‘ virulenten Problems an und liefert zugleich einen viel versprechenden methodischen Lösungsvorschlag zur Analyse medialer Geschlechterinszenierungen. Das Potential dieser Herangehensweise liegt darin, filmische Geschlechterinszenierungen „als Ort zu untersuchen, an dem Geschlechterdiskurse nicht nur aktualisiert, sondern auch transformiert werden“ (S. 140). In ihren Analysen aus performativer Perspektive kann sie den bereits vielfach analysierten Beispielen neue Erkenntnisse entlocken. Allerdings wiederholen ihre Ausführungen teilweise lediglich die zuvor entwickelte These. Dadurch schleichen sich in ihre Untersuchung Redundanzen ein, die der Komplexität des Gegenstands abträglich sind. An einigen Stellen wäre es daher wünschenswert gewesen, Seier hätte ihre Überlegungen etwas präziser dargestellt. Nichtsdestotrotz überzeugt die konsequente und differenzierte Auffächerung, mit der sie ihre theoretischen und methodischen Überlegungen zur performativen Konstitution von Gender und Medien in diesem Buch entfaltet.
URN urn:nbn:de:0114-qn083085
Maja Figge, M.A.
Berlin, Humboldt-Universität, Kulturwissenschaftliches Seminar
E-Mail: majafigge@web.de
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