Geschlechtertheoretische Desiderate in Theologie und Kirche. Dialogische Annäherungen

Rezension von Sven Glawion

Marie-Theres Wacker, Stefanie Rieger-Goertz (Hg.):

Mannsbilder.

Kritische Männerforschung und theologische Frauenforschung im Gespräch.

Münster u.a.: Lit 2006.

389 Seiten, ISBN 978–3–8258–9267–8, € 24,90

Abstract: Männer- und Männlichkeitsforschung gehören immer noch zu den Leerstellen deutschsprachiger theologischer Forschung. Um das zu ändern, haben Marie-Theres Wacker und Stefanie Rieger-Goertz 2005 ein Symposium zum Gespräch zwischen kritischer Männerforschung und theologischer Frauenforschung ausgerichtet. Die Veröffentlichung der Beiträge bietet einen Einblick in die interdisziplinäre Geschlechterforschung, erschließt neue Perspektiven auf Theologie, Glaube und Kirche – und vermeidet Kontroversen.

Verständigung: Von der Sozialforschung zur Bibel

Die Anfänge der kritischen Männerforschung sind nicht ohne die Zweite Frauenbewegung zu denken und auch die Initiative zu einem umfassenden Gespräch zwischen kritischer Männerforschung und theologischer Frauenforschung kam vor fast zwei Jahren aus der feministischen Theologie. Dabei ging es den Initiatorinnen Marie-Theres Wacker und Stefanie Rieger-Goertz, beide von der Katholisch-Theologischen Fakultät Münster, nicht um eine Addition verschiedener Forschungsperspektiven. Vielmehr zielte und zielt ihr Vorhaben auf eine Erweiterung und damit auch eine Veränderung theologischer Forschung zur Kategorie Geschlecht, denn, so schreiben sie, „Frauenrealitäten und Frauentraditionen […] lassen sich nicht ohne den Blick auf Geschlechterverhältnisse einholen“ (S. 11). Einem Gespräch geht jedoch eine Verständigung voraus – diese zu dokumentieren, ist in Mannsbilder gut gelungen.

Das Buch beginnt mit zwei sozialwissenschaftlichen Beiträgen, die in das Feld der Kritischen Männerforschung einführen sollen: Der Soziologe Michael Meuser stellt zentrale Konzepte des Forschungsfeldes vor und Rainer Volz präsentiert die Ergebnisse der 1998 von ihm und Paul Zulehner durchgeführten Repräsentativuntersuchung Männer im Aufbruch. Der zweite Teil ist der Theologie gewidmet; gefragt wird nach möglichen Innovationen einer bewusst eingenommenen männlichen oder geschlechtsbezogenen Perspektive für das theologische Denken und Forschen. Jürgen Ebach bietet eine gender-orientierte Exegese der alttestamentlichen Elija-Geschichte und Marie-Theres Wacker hinterfragt androzentrische und heteronormative Lesarten der biblischen Erzählungen von Schöpfung und Sündenfall. Es folgt ein Blick aus der Praktischen Theologie, in dem Martin Weiß-Flache das Konzept einer „befreienden Männerpastoral“ entwirft. Die evangelische Theologin Kerstin Söderblom und der katholische Theologe Michael Brinkschröder dokumentieren schließlich einen sehr persönlichen Dialog über ihre Situation als Lesbe bzw. Schwuler in der jeweiligen Kirche und schaffen es dabei auch, Forschungsfelder und Kontroversen einer LesBiSchwulen Theologie sowie einer Queer Theologie zu skizzieren. Während im dritten Teil kulturelle Männlichkeitskonstruktionen fokussiert werden, wird im vierten Teil nach dem Praxisbezug der Geschlechterforschung gefragt und Konzepte und Erfahrungen aus der Vorschulpädagogik, der kirchlichen Jugend- und Männerarbeit sowie aus dem Gender Mainstreaming vorgestellt. Um Aspekte von Männlichkeit in Kirchenstrukturen geht es im fünften Teil, in dem die Richtlinien der Deutschen Bischofskonferenz für die Männerseelsorge sowie Studien zu Priestern und Pfarrern als Täter sexualisierter Gewalt diskutiert werden.

Weniger zusammenfassend, dafür umso programmatischer, ist der abschließende Entwurf einer geschlechterbewussten Theologie von Christa Schnabl und Erich Lehner. Sie fragen, was Theologie beiträgt und beitragen könnte, „um Ungerechtigkeiten, die mit dem Faktor Geschlecht korrelieren, sichtbar zu machen und zu überwinden“ (S. 332). Die Notwendigkeit eines solchen Beitrags ergibt sich für sie aus dem umfassenden und in der Bibel bezeugten Heilsversprechen Gottes, das Christ/-innen und Kirche in die Verantwortung nimmt. Politisch fordern sie eine strategische Kooperation von Frauen und Männern sowie eine Kombination gleichheits- und differenzorientierter Maßnahmen mit dem Ziel einer Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit. Dafür wollen sie ein theologisches Denken etablieren, das Geschlecht nicht nur als Thema, sondern als Kategorie einer allgemeinen Forschungsperspektive begreift. Sie skizzieren zu diesem Zweck auch eine theologische Männlichkeitskritik, in der sie u. a. von einer „Distanz Gottes zu den männlichen Mustern der Gesellschaft“ (S. 341) sprechen.

Die Vielfalt der Ansätze und Problemfelder, die in Mannsbilder dargestellt werden, ist beeindruckend und zeigt beispielhaft, wie produktiv Geschlechterforschung sein kann. Innovativ ist dabei der Fokus auf Glaube, Religiosität und Kirche, mit dessen Hilfe ein bisher eher vernachlässigtes Terrain der wissenschaftlichen Männer- und Männlichkeitsforschung betreten wird. Dass fast alle Autor/-innen explizit vor dem Hintergrund ihres christlichen Glaubens argumentieren, eröffnet neue Perspektiven. Besonders die Emphase, mit der eine geschlechtergerechte Ethik aus den Verheißungen Gottes abgeleitet wird, könnte in der außertheologischen Forschung Irritationen und Kontroversen auslösen. Das ist die Stärke des Buches.

Gespräch: Offene Fragen

So belebend die Betonung von Ermutigung und Gnade und das Insistieren auf die befreienden Potentiale des christlichen Glaubens sind, so wird in vielen Beiträgen leider eine kritische Analyse des Ist-Zustandes vernachlässigt; ebenso werden Perspektiven auf Hegemonie, Hierarchie und Normativität oft ausgeblendet. Ist es z. B. nicht kritikwürdig, wenn Hans Prömper für die römisch-katholische Kirche eine Befreiungstheologie weißer, westlicher Männer fordert? Und ist es nicht mehr als verkürzt, wenn Markus Hofer behauptet, genau diese Kirche sei eigentlich gar keine Männerkirche, sondern eine „von Frauen getragene und von Männern in Frauenkleidern geleitete Institution“ (S. 245)? Letztendlich wird hier ein grundsätzliches Problem des Buches deutlich: Es fehlt die Dokumentation des im Untertitel angekündigten Gesprächs.

So macht z. B. Michael Brinkschröder eindrücklich auf die schwierige Situation schwuler Priester in der römisch-katholischen Kirche aufmerksam. In dem Beitrag davor assoziiert Martin Weiß-Flache Beziehungen unter Männern mit „Männerfreundschaften“ und Beziehungen zwischen Männern und Frauen mit „gelingender Partnerschaft und Sexualität“ (S. 124). Was wäre entstanden, wenn beide sich über die strukturelle Heteronormativität katholischer Männlichkeitsentwürfe ausgetauscht hätten? Oder über die Fragilität dieser Entwürfe? Was denkt die evangelische und am lesbischen Feminismus und der Queer Theory geschulte Theologin Kerstin Söderblom, wenn der katholische Theologe Andreas Ruffing über die von Gott gewollte Geschlechterdifferenz als Grundlage aller bischöflichen Richtlinien spricht? Und: Wer spricht von Männern, wer von Männlichkeit und wer meint was damit? Wer fordert Gleichheit und wer betont Differenz? Zu einem Gespräch zwischen kritischer Männerforschung und theologischer Frauenforschung kommt es eigentlich nur zwischen Kerstin Söderblom und Michael Brinkschröder (die Beiträge von Birgit Springer und Miguel Schütz sowie von Christa Schnabl und Erich Lehner lassen ein vorausgegangenes Gespräch vermuten). Ansonsten werden zahlreiche – ökumenische, geschlechtertheoretische und politische – Kontroversen eher vermieden als in einem solidarischen Gespräch eröffnet.

Aber die Begegnung der zwei Forschungsansätze steht schließlich erst am Anfang und zielt wahrscheinlich deshalb eher auf Verständigung gemeinsamer Grundsätze. So gelesen eröffnen Herausgeberinnen und Autor/-innen des Bandes Mannsbilder. Kritische Männerforschung und theologische Frauenforschung im Gespräch neue Forschungsfelder, präsentieren originelle Thesen, geben aufschlussreiche Einblicke in Praxisfelder und präsentieren faszinierende Bibellektüren. Sie tragen damit auch aktuelle Ansätze der Gender Studies oder der Queer Theory an die Schnittstellen von theologischer Forschung und kirchlicher Praxis und provozieren und ermutigen damit gleichermaßen. Für Geschlechterforscher/-innen, die sich mit Theologie, Religion und/oder Kirche beschäftigen, ist Mannsbilder deshalb auch uneingeschränkt zu empfehlen.

URN urn:nbn:de:0114-qn083107

Sven Glawion

Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, DFG-Graduiertenkolleg „Geschlecht als Wissenskategorie“

E-Mail: sven.glawion@rz.hu-berlin.de

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