Svenja Flaßpöhler:
Der Wille zur Lust.
Pornographie und das moderne Subjekt.
Frankfurt am Main u.a.: Campus 2007.
259 Seiten, ISBN 978–3–593–38331–6, € 24,90
Abstract: Die vorliegende Studie bietet eine überaus ambitionierte philosophische Erörterung der Problematik des modernen Subjekts und seiner Beziehung zur Pornographie. Svenja Flaßpöhler widmet sich in diesem Zusammenhang insbesondere dem Werk des Marquis de Sade und setzt dieses in Beziehung zur aufgeklärten Selbstreflexion einerseits und zum Pornofilm der Gegenwart anderseits.
Svenja Flaßpöhler bezieht in ihrer 2006 an der Universität Münster angenommenen Dissertation eine ambivalente Position. Zwar unterstreicht sie gleich zu Beginn die Bedeutung Foucaults oder Butlers für die Geschlechterforschung im Allgemeinen und vor allem für die Sexualitätsgeschichte der vergangenen zwanzig Jahre. Einzig in Hinblick auf ihr Untersuchungsthema – die Pornographie – widerspricht sie einem poststrukturalistischen bzw. konsequent historisierenden Zugriff. Pornographie gehe nicht im modernen Sexualitätsdispositiv auf – sie entziehe sich dem „Willen zum Wissen“, den Foucault diesbezüglich vor knapp dreißig Jahren in das Zentrum des Interesses rückte. Übersehen werde – landauf landab – der „entscheidende Unterschied, dass Pornographie primär erregen, der Wille zum Wissen hingegen primär wissen will“ (S. 246).
Zwar steht auch bei Flaßpöhler wie bei Foucault das moderne Subjekt im Fokus, für sie unterhält dieses aber eine „zutiefst existenzielle Verbindung zur Pornographie“ – zur Pornographie im Besonderen und nicht nur zur Sexualität im Allgemeinen (S. 13). Sie interessiert sich in diesem Zusammenhang vor allem dafür, dass „in der Pornographie die Körper im Dienste der Erregung notwendig ins Utopische kippen“ (S. 246). Dieses Interesse entfernt die vorliegende Studie jedoch von einem sexualitätsgeschichtlichen Zugang; es eröffnet stattdessen eine Auseinandersetzung um den mutmaßlichen Erkenntniswert der Pornographie und der Sexualität insgesamt, die sich – meiner Ansicht nach – aber in den altbekannten und weitgehend ausgetretenen Bahnen von Bataille bewegt.
Zum Ausgangspunkt der Arbeit wird die bereits von Bataille angestellte Überlegung, dass der „Tod Gottes“ im Zeitalter der Aufklärung den Menschen auf sich selbst und vor allem auf seinen Körper und seine Sexualität zurückgeworfen habe. Erst auf dieser Grundlage, so Flaßpöhler, konnte die – spezifisch moderne – Pornographie in der Gestalt des Marquis de Sade in Erscheinung treten (vgl. S. 17). Flaßpöhler unterzieht im Folgenden das Werk des Marquis de Sade einer ebenso interessanten wie detaillierten Analyse, die als Kronzeugen La Mettrie, Hegel, Nietzsche, Freud und schließlich insbesondere Bataille heranzieht. Der Marquis de Sade tritt dabei als derjenige hervor, der erstmals die Erregung und die Lust nicht nur zur alleinigen Aufgabe der Pornographie, sondern auch zum eigentlichen „Existenzgrund“ des modernen Subjekts erklärt habe – zügellose Übertretung und endlose Verschwendung als Antwort auf den drohenden Sinnverlust. Sein Werk erweise sich demgemäß als Ausdruck eines radikalen Materialismus. Vor eben diesem Hintergrund ist von Menschen als „Lustmaschinen“ die Rede (S. 81 ff.). Wie ehedem Horkheimer und Adorno betrachtet auch Flaßpöhler den sadistischen Zerstörungswunsch dabei als das verwandte Gegenüber der aufgeklärten Selbstreflexion – auch diese drehte sich um das moderne Subjekt und antwortete ihrerseits auf den „Tod Gottes“ (S. 184).
Im Folgenden kontrastiert Flaßpöhler das Werk des Marquis de Sade mit dem Pornofilm der Gegenwart. Im Gegensatz zum Pornofilm, so die Überlegung, beziehe die Pornoliteratur den Rezipienten in den Akt der Übertretung und Verschwendung mit ein, insofern dieser stets auf seine „Vorstellungskraft“ verwiesen werde: Der Rezipient „kämpft“ auf diese Weise, so Flaßpöhler, „gegen die Sinnlosigkeit an“ (S. 233). In diesem Zusammenhang kompromittiere der Marquis de Sade die „Logik der Repräsentation“, nicht trotz, sondern gerade vermittels seiner – direkten und ordinären – Sprache. Denn auch und selbst in diesem Fall repräsentiere die Sprache keineswegs die Wirklichkeit. Der Pornofilm hingegen gibt sich den Anschein des „Realen“, er zeigt, was er zeigt, und „verbietet aufgrund seiner absoluten Konkretion jede Sinnstiftung“ (S. 235).
Doch trotz dieser Konfrontation mit dem Pornofilm der Gegenwart bleibt Pornotopia auffallend geschichtslos. Die Sexualität, die in der Pornographie der vergangenen zweihundert Jahre beschrieben und beworben wurde, scheint keinen Kontext zu besitzen. So bleibt die unterschiedliche und veränderbare Wahrnehmung der Zeitgenossen vollkommen unberücksichtigt; die sich wandelnden Herstellungsbedingungen treten ebenso wenig in den Fokus wie Distribution und Konsumption; die einschneidenden Veränderungen, welche die Photographie und die Kinematographie zwischen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts einleiteten, werden zwar in Rechnung gestellt, aber nicht empirisch in den Blick genommen – sie werden weniger rekonstruiert als proklamiert.
Vor diesem Hintergrund bleibt vor allem die Beschäftigung mit dem Genre des Pornofilms überaus holzschnittartig. Sie wird in keinerlei Hinsicht der Historizität und Vielfältigkeit dieses Genres gerecht und vernachlässigt dabei insbesondere die 70er und 80er Jahre. Die Grenze zum Aufklärungsfilm war in diesem Zeitraum jedoch, wie Linda Williams gezeigt hat, keineswegs so eindeutig wie behauptet wird – der Pornofilm erzählte nunmehr erstmals Geschichten, Geschichten von „verklemmten“ Männern oder Frauen, die es sexuell zu „befreien“ und dadurch zu „heilen“ gelte. Er diente in diesem Sinne durchaus der aufgeklärten Selbstreflexion und stellte sehr häufig – das scheint sich erst in den 90er Jahren stark verändert zu haben – nicht „Lustmaschinen“, sondern „Problemfälle“ in das Zentrum des Interesses. Mit anderen Worten: Er gehorchte sehr wohl dem „Willen zum Wissen“. Die brüchige Unterscheidung zwischen Aufklärung und Erregung erweist sich in diesem Zusammenhang als eine historische und nicht als eine analytische Größe.
Flaßpöhler sind die Arbeiten von Williams durchaus bekannt und man mag in Hinblick auf die Frage, ob sich Pornographie angemessener im Modus der Seduktion erörtern lässt (wie in der vorliegenden Arbeit) oder aber im Modus der Produktion (wie bei Williams oder Butler) mit guten Gründen unterschiedlicher Ansicht sein. Ärgerlich ist jedoch, dass Flaßpöhler der Produktivität der Sprache, ihrer eigenen Sprache, zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Ein Beispiel: Dass der „Ex-Pornostar Gina Wild ein Dosengetränk zwischen ihre Silikonbrüste klemmt“ (S. 8) ist eine Sache – dass niemand zu wissen braucht, dass es sich dabei um „Silikonbrüste“ handelt, ist indes eine andere, eine Sache von Michaela Schaffrath. Es macht einen Unterschied, ob man von Gina Wild oder Michaela Schaffrath spricht und das „Dosengetränk“ kümmert es wenig, ob es zwischen „echten“ oder „unechten“ Brüsten „klemmt“. In eben diesem Sinne produziert und reproduziert Pornographie Wissen – unter der Hand.
Die vorliegende Studie bietet eine durchweg interessante aber – nach meinem Dafürhalten – wenig innovative philosophische Auseinandersetzung mit der möglichen Bedeutung der Pornographie für das moderne Subjekt. Der Band bietet eine kontroverse Erörterung, vernachlässigt aber mitunter die empirische Arbeit und verfehlt daher teilweise seinen Gegenstand. Die „Lustmaschinen“ der Philosophie mögen „ins Utopische kippen“, als historisch relevant erweist sich die Pornographie aber erst, insoweit sie von den Zeitgenossen auch aufgenommen oder nachgeahmt wird, unterschiedlich und veränderbar, wobei es nicht nur, aber vor allem in geschlechterspezifischer Perspektive zu differenzieren gilt. In diesem Sinne und im Anschluss an eine Formulierung Foucaults lässt sich nicht nur die Sexualität im Allgemeinen, sondern eben auch die Pornographie im Besonderen entmystifizieren und entthronen: Pornographie ist langweilig! Das heißt mitnichten, dass sie bedeutungslos wäre, es meint vielmehr, dass sie unspektakulär ist, insofern sie ihren Platz innerhalb – nicht außerhalb – des modernen Sexualitätsdispositivs findet.
URN urn:nbn:de:0114-qn083075
Pascal Eitler, M.A.
Universität Bielefeld, Fakultät für Geschichtswissenschaft
E-Mail: pascaleitler@web.de
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