Witwenverbrennung, Vergewaltigung, Hausfrauenehe – Stützen der Kultur?

Rezension von Maike Bußmann und Daniela Heitzmann

Michiko Mae, Britta Saal (Hg.):

Transkulturelle Genderforschung.

Ein Studienbuch zum Verhältnis von Kultur und Geschlecht.

Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2007.

340 Seiten, ISBN 978–3–531–15168–7, € 26,90

Abstract: Das Studienbuch zur Transkulturellen Genderforschung hat das Anliegen, die sozialen und kulturellen Bedingungen der Geschlechterverhältnisse in verschiedenen Kulturregionen zu untersuchen und gleichzeitig zur Sensibilisierung der kulturellen Perspektive beizutragen. Hierfür schlagen die Autorinnen den Begriff der Transkulturalität vor, der auf die gegenseitige Durchdringung der Kulturen und auf die interne Heterogenität einer jeden Kultur und ihrer Geschlechterordnung verweist.

Spätestens seitdem die Menschenrechte in Folge der französischen Aufklärung postuliert worden sind, kämpfen Frauen um deren Universalisierung. Dieses alteuropäische Phänomen erweist sich bei genauerer Betrachtung als global: Der mit den Kolonialisierungen einhergehende „westliche Export“ von Menschenrechten und Genderordnungen in andere Kulturen und ihre Deutungssysteme führt(e) zu Abgrenzungs-, Aneignungs- und Verschmelzungsprozessen. Die dem Düsseldorfer Sammelband zugrunde liegende Annahme ist entsprechend, dass sich das (moderne) Verständnis von Gender in einem jeweils „engen Wechselbezug zu den Kategorien Nation und Kultur entwickelt hat“ (S. 37). Es ist das Ziel der Einzelbeiträge, die These der zentralen Bedeutung von Genderordnungen in kulturellen Identitätsdiskursen als ein „kulturübergreifendes, transkulturelles Phänomen“ (S. 9) zu prüfen. Hierfür wird der Bereich der Genderforschung um das Paradigma der Transkulturalität erweitert. Dieses Konzept veranschaulicht den Nexus von Kultur und Gender als globales Prinzip und stellt Begrifflichkeiten zur wissenschaftlichen Erfassung zur Verfügung.

Im ersten Teil werden die theoretischen Grundlagen entwickelt. Im zweiten werden in acht Aufsätzen zu unterschiedlichen Kulturräumen, die in Anlehnung an das Huntington’sche Modell ausgewählt worden sind – allerdings in der Absicht, dessen These vom „Kampf der Kulturen“ zu widerlegen (S. 10) –, jeweils spezifische Genderproblematiken in den Mittelpunkt gestellt.

Wozu transkulturelle Genderforschung?

Der konzeptionelle Teil des Sammelbandes beginnt mit einem Beitrag von Britta Saal zur Begrifflichkeit der Transkulturalität. Saal regt an, die „Wirkungsmacht“ (S. 34) von Kultur zu entschärfen. „Transkulturalität“ dient dazu, die (schon immer bestehenden) Verflechtungen heutiger Kulturen zum Ausdruck zu bringen. Mit dem Begriff „Hybridität“ soll es in Anlehnung an Homi Bhabha ermöglicht werden, gegen die herrschaftslegitimierenden Diskurse von kultureller Überlegenheit einen „Ort der Differenz ohne Hierarchie“ (S. 29) zu kennzeichnen. Der „Transdifferenzansatz“ erkennt Differenz als notwendige Ordnungskategorie an, sieht sie jedoch als konstruierte Setzung, die nicht (mehr) auf Binaritäten reduziert werden soll. Gleichzeitig soll damit ermöglicht werden, Veränderungen von Bedeutungen und Zuweisungen von Differenzen zu erklären.

Daran anschließend erläutert Michiko Mae den „Weg zu einer transkulturellen Genderforschung“ und was diese leisten kann. Einen Beitrag zu dem Ziel der Frauenbewegung und der Geschlechterforschung, die Geschlechterdifferenz dauerhaft zu verändern, sieht Mae in der Überwindung kultureller Schranken. Eine erhöhte Durchlässigkeit und Offenheit hätte sowohl eine abnehmende ‚kulturelle Definitionsmacht‘ hinsichtlich der Geschlechter als auch eine zunehmende „Solidarität“ zur Folge.

Die Entstehung des Sammelbandes aus dem virtuellen Seminar „Interkulturelle Kompetenz und Gender in der Globalisierung“, das im Wintersemester 2003/04 unter der Leitung von Michiko Mae an der Universität Düsseldorf stattfand, nimmt Susanne Kreitz-Sandberg zum Anlass, Verfahren und Chancen der virtuellen Lehre zu erörtern. Insbesondere die Ergebnisse der Evaluierung des Seminars erlauben eine kritische Reflexion über Vor- und Nachteile.

Kultur und Geschlecht – ‚glokal‘: acht Perspektiven

Vittoria Borsó und Vera Elisabeth Gerling beschreiben die „doppelte Fremdheit“ der indianischen Frauen in Mexiko – „als Frauen und als Teil der indigenen Bevölkerung“ (S. 79) – exemplarisch an der Malinche und an Frida Kahlo. So waren die Dekonstruktion der Dichotomien und die Aufgabe des zuvor übernommenen europäisch-kolonialen Blicks auf sich selbst notwendig, um eine postkoloniale Sicht zu finden. Zudem zeigen die Autorinnen, dass die Emanzipation der Frau in Mexiko gleichsam „ein Teil des Prozesses [war], durch den sich die Minoritäten von der anonymen Masse zu einem selbstbewussten transkulturellen Subjekt emanzipiert haben“ (S. 99).

In ihrem Beitrag zu „Gender – Race – Kultur in den U.S.A.“ zeichnen Elisabeth Schäfer-Wünsche und Nicole Schröder am Beispiel rassistischer Stereotype nach, dass schwarze Frauen die Geschlechternormen des 19. Jahrhunderts – „Cult of True Womanhood“ und „Cult of Domesticity“ – nicht nur permanent widerlegten, sondern dass diese für schwarze Frauen suspendiert waren. Der Begriff „woman ist […] an whiteness und soziale Privilegien gebunden“ (S. 122). Gender bildet somit „ein komplexes Schnittfeld wirkungsmächtiger Differenzen“ (S. 113), wobei sich die Geschlechterkonstellationen immer wieder verschoben und die rassistischen Repräsentationen schwarzer Frauen sich als „außerordentlich flexibel in ihrer Anpassungsfähigkeit an historischen Wandel und zugleich als höchst resistent in ihrem Weiterbestehen“ (S. 117) erwiesen haben.

Susanne Kröhnert-Othman befasst sich mit der symbolischen Ordnung der globalen Moderne als „ungleiches Machtgefüge“. Ausgehend von der gegenseitigen – vornehmlich abgrenzenden und exkludierenden – Wahrnehmung und Darstellung von „Orient“ und „Okzident“ untersucht sie die – weiblichen und männlichen – Geschlechterkonstruktionen sowie die (westliche) politische Instrumentalisierung von Kultur und Geschlecht im arabisch-islamischen Raum. Anhand verschiedener Internetquellen stellt sie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen arabisch-islamischen und ‚westlichen‘ Geschlechterordnungen im 20. Jahrhundert dar.

Dorothea E. Schulz beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit der zunehmenden öffentlichen Präsenz von Frauen als Wortführerinnen in islamischen Erneuerungsbewegungen im muslimischen Teil Afrikas. Dabei versucht sie, die Paradoxie, dass Frauen, die einerseits öffentlich agieren, andererseits propagieren, der „angemessene Platz einer Frau [sei] vor allem in der Familie“ (S. 178), jenseits konventioneller Interpretationen als Bestandteil neuer gesellschaftspolitischer Entwicklungen zu deuten.

Anhand einer empirischen Untersuchung junger Muslime in deutschen Stadtteilen und französischen Vororten beschreibt Nikola Tietze in ihrem Aufsatz die „Transkulturalität der muslimischen Religiositätsformen“ (S. 235). Sie zeigt, dass die verschiedenen gesellschaftlichen Differenzsetzungen und Zuschreibungen bezüglich des islamischen Glaubens zu unterschiedlichen Strategien im muslimischen Identitätsbildungsprozess führen.

Für das postsowjetische Russland konstatiert Martina Ritter die „Entstehung transkultureller Deutungsräume im Privaten“ (S. 239). Die empirisch-soziologische Betrachtung des Verständnisses von Privatheit und Öffentlichkeit verdeutlicht den starken Zusammenhang von Nation und Gender(ordnung). Die hierarchischen Geschlechterverhältnisse in der Sowjetunion – bei propagierter Gleichheit der Geschlechter –, erlaubten einen fast nahtlosen Anschluss an kapitalistische Geschlechtermodelle. Ritter zeichnet die Problematik der individuellen Geschlechtsidentitätsbildung nach, die aus dem Aufeinandertreffen sowjetisch-russischer und westlich-globaler Deutungsmuster resultieren.

Der Beitrag von Joanna Pfaff-Czarnecka behandelt die Problematik der Menschenrechte mit einem besonderen Augenmerk auf asiatische Frauenrechtlerinnen. Mit Hilfe der öffentlichen Debatten über Menschenrechte, die zunehmend weltweit „diffundieren“, machen Frauen auf die Geschlechterungleichheiten aufmerksam. Asiatische Frauennetzwerke sehen sich insbesondere dem Dilemma ausgesetzt, die islamischen Traditionen bzw. die „Asian Values“ mit der Forderung nach Frauenrechten zu vereinbaren und zu legitimieren.

Michiko Mae analysiert die komplexen Wechselwirkungen zwischen Nation, Kultur und Gender(ordnung) in Japan. Am Beispiel der Kriegsverbrechen an koreanischen Frauen während des Zweiten Weltkrieges und ihrer Aufarbeitung im „Internationalen BürgerInnentribunal“ in Tokyo zeichnet sie den Prozess nach, in dessen Verlauf koreanische Frauenrechtlerinnen ihre japanischen Mitstreiterinnen für das Thema sensibilisierten und an dessen Ende Frauen nun als „Subjekte der Geschichte“ (S. 320) stehen.

Gender, Geschlechterverhältnis und die (notwendige) Offenheit der Kulturen

Der Titel Transkulturelle Genderforschung. Ein Studienbuch zum Verhältnis von Kultur und Geschlecht ist Programm. Mit der Theoretisierung struktureller und kulturübergreifender Phänomene leisten die Autorinnen einen bedeutenden Beitrag für die Frauen- und Geschlechterforschung. Dabei gelingt es ihnen, durch die Dekonstruktion der eurozentrischen Perspektive und der kritischen Reflexion der Kolonialgeschichte wissenschaftlich über den nationalen bzw. „westlichen“ Horizont hinauszukommen. Das theoretische Programm ist auch praktisch eingelöst worden, indem durch die virtuelle Form des Seminars das Internet – als Forum für grenzenlose, weltweite Kommunikation – genutzt wurde. Der Sammelband regt aufgrund seines einführenden Charakters zu zahlreichen weiteren Forschungsfragen an. Neben dem mikroanalytischen und historischen Zugang wäre eine Unterfütterung mit makrosoziologischen Daten – etwa zur rechtlichen Stellung, zur geschlechtsspezifischen Einkommensverteilung oder zur kulturellen Praxis – interessant gewesen. Eine Erweiterung würde das Vorhaben erfahren, wenn mehr Autor/-innen aus anderen Kulturräumen einbezogen würden, beispielsweise mit „ihrem“ Blick auf europäische Geschlechterordnungen.

URN urn:nbn:de:0114-qn083063

Maike Bußmann

Technische Universität Dresden, Institut für Soziologie

E-Mail: maike.bussmann@gmx.de

Daniela Heitzmann

Technische Universität Dresden, Institut für Soziologie

E-Mail: danielaheitzmann@web.de

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