Ingeborg Gleichauf:
Sein wie keine andere.
Simone de Beauvoir: Schriftstellerin und Philosophin.
München: dtv 2007.
298 Seiten, ISBN 978–3–423–62324–7, € 8,95
Monika Pelz:
Simone de Beauvoir.
Leben. Werk. Wirkung.
Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2007.
151 Seiten, ISBN 978–3–518–18226–0, € 7,90
Abstract: Zum 100. Geburtstag von Simone de Beauvoir sind zwei Biografien erschienen, die auf unterschiedliche Weise auf die Herausforderung antworten, die die das spektakuläre Leben und vielfältige Werk der besessenen Autobiografin, Schriftstellerin, Philosophin, Essayistin und Feministin für die Chronisten darstellt.
Das Verfassen von Biografien ist eine heikle Angelegenheit. Zwei inkompatible Systeme müssen in Übereinstimmung gebracht werden. Auf der einen Seite ein Leben, das, wenn man nicht gerade an den lieben Gott glaubt, von vielen Zufälligkeiten und Kontingenzen geprägt ist und das nicht teleologisch verläuft. Auf der anderen Seite die Form der biografischen Erzählung, die eine Handlungslogik einfordert und mit einem starken Sog ausgestattet ist, den Anfang vom Ende oder wenigstens vom Höhepunkt des Lebensplots aus zu erzählen. Da war die spätere Schriftstellerin als Kind schon immer willensstark, lesehungrig und wissbegierig, und die Feministin sah schon früh die Falle, in die die Ehe führt.
Ingeborg Gleichauf und Monika Pelz, die pünktlich zum 100. Geburtstag von Simone de Beauvoir Biografien über die französische Philosophin, Schriftstellerin und Feministin publizieren, hatten noch mit einer zusätzlichen Schwierigkeit zu kämpfen. Beauvoir selbst hat bereits eine Autobiografie von über 2000 Seiten vorgelegt. Sie berichtet dort nicht nur mit einer Detailgenauigkeit, die eine Realitätsillusion von Balzac’scher Güte erzeugt, sondern sie deutet und erklärt auch. Ihre Memoirenbände formen eine „große Erzählung“ nach allen Regeln der Kunst. Außer Beauvoir fällt mir höchstens noch George Sand ein, die es an Umfang und Anspruch mit Augustinus, Rousseau und anderen männlichen Klassikern des Genres aufnehmen könnte.
Das Hauptmotiv für Beauvoirs riesige autobiografische Unternehmung ist nicht schwer zu erraten und es ist ebenso klassisch wie die Form, die sie gewählt hat: Sie möchte die Deutungshoheit über ihr Leben behalten. So zum Beispiel im Epilog von Der Lauf der Dinge: „Ich hatte die Memoiren zum großen Teil deshalb geschrieben, weil ich die wahren Zusammenhänge darlegen wollte, und viele Leser haben mir gestanden, sie hätten sich tatsächlich vorher ganz falsche Vorstellungen von mir gemacht.“ (S. 614) Das ist nur allzu verständlich. Denn das Leben dieser Frau wurde in dem Augenblick, in dem sie eine gewisse Berühmtheit erlangte – und das war spätestens im Alter von 41 Jahren, nach Erscheinen von Das andere Geschlecht –, von einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft gnadenlos kommentiert, interpretiert, seziert und verurteilt. Um Beauvoirs Memoiren zu verstehen, muss man sich vor Augen halten, dass vor 60 Jahren eine Frau, die Ehe und Kinder ausdrücklich für sich ablehnte, die eine ménage à trois(ou quatre) nicht anstößig fand, die sich politisch auf der Linken engagierte und sich selbst mit dem pejorativ konnotierten Begriff der „Intellektuellen“ bezeichnete, ein absoluter Skandal war – ein Skandal, gegen den alle Outings heutiger VIPs lächerlich sind. Wer in den Memoiren liest, erkennt unschwer, welche Gemeinheiten und Frechheiten sich ihre Autorin gefallen lassen musste. Um die zu überleben, war es mit gelegentlichen Dementis nicht getan. Beauvoir klotzte mit einem großen Lebensentwurf dagegen, in dem Eifersucht, Kinderlosigkeit, Verletzungen, Einsamkeit und was sonst noch alles an faux frais im emanzipierten Frauenleben anfällt, keinen Platz hatten. Sie schrieb in dem Bewusstsein, dass es für eine Frau viel schwerer als für einen Mann ist, die Verfügungsgewalt über die eigene Biografie zu behalten.
Es muss schwierig sein, sich als Biografin diesem höchst verführerischen Textkorpus zu entziehen und sich dem autobiografischen Pakt zu verweigern. Das sieht man an Ingeborg Gleichaufs Biografie. Sie kann sich von Beauvoirs Selbstdeutungen nicht richtig lösen und stützt sich, neben den Memoirenbänden, vor allen Dingen auf die Biografie von Deirdre Bair (1990), die ebenfalls maßgeblich auf Beauvoirs Darstellungen am Ende ihres Lebens beruht. Aber obwohl Gleichauf den Beauvoir’schen Lebensbeschreibungen folgt, schreibt sie, so paradox das klingt, wider ihren Geist. Der Schwerpunkt dieser Biografie liegt eindeutig auf Beauvoirs Leben. Die Darstellung des Werks kommt zu kurz. Gleichaufs Erzählung schafft eine unangenehme Unmittelbarkeit und Nähe zur Porträtierten, offenbar, weil das Buch als „Neuentdeckung Simone de Beauvoirs für junge Leserinnen und Leser“, als das es auf dem Buchrücken angepriesen wird, gelten soll. Besonders ärgerlich ist das, wenn die Grenze zur Peinlichkeit überschritten wird. Sätze wie: „Wenn sie zu viel getrunken hat, kann es schon mal passieren, dass sie sich in einem fremden Bett wieder findet“ (S. 157), oder „Sartre verdient einen schönen Batzen Geld“ (S. 163), will man spätestens nach zweihundert Seiten nicht mehr lesen – aber man hat noch hundert vor sich, auf denen es zu allem Überfluss auch noch einen Blick auf Beauvoirs „verschlissenen roten Hausmantel“ (S. 275) zu werfen gilt.
Diese Emphase auf dem Privat-, wenn nicht gar Intimleben Beauvoirs, das bereits die geschwätzige 700-seitige Biografie von Deirdre Bair auszeichnet, beruht m. E. auf einem grundlegenden Missverständnis von Beauvoirs Werk und besonders ihren Lebenserinnerungen. Beauvoir hat dort nicht in epischer Breite ihr Privatleben ausgebreitet, damit ihre Biographinnen das später alles einmal nachplappern, sondern sie demonstriert damit, dass das Private politisch ist. Diese Erkenntnis, die ja auch so alt noch nicht ist und zu deren Durchsetzung Beauvoir wesentlich beigetragen hat, ist für die feministische Bewegung und Theoriebildung mindestens ebenso wichtig gewesen wie ihr Satz „Man kommt nicht als Frau zur Welt“. Wenn Gleichauf schreibt: „Zwar weiß Beauvoir natürlich [?, L.S.], dass Privates und Politisches nie [? L.S.] getrennt voneinander bestehen, aber sie beschäftigt sich stärker mit der privaten Seite der menschlichen Existenz [? L.S.], ohne das Politische aus den Augen zu verlieren“ (195), so verfehlt sie m. E. das Anliegen Beauvoirs. Es geht Beauvoir nicht einfach nur um ein ‚Mehr‘ an Privatem, sondern es ist ihr Verdienst, die Beziehung von Privatem und Politischem in Bezug auf die condition féminine philosophisch reflektiert zu haben. Hierin unterscheiden sich ihre Lebensbetrachtungen von denen ihrer männlichen Kollegen.
Anders das schmale Buch von Monika Pelz. Auf den ersten 60 Seiten gibt die Autorin zunächst einen Überblick über die für heutige Leser/-innen interessanten Etappen dieses außergewöhnlichen Lebens. Pelz ist sich bewusst, dass sie nicht nur eine Intellektuelle, sondern auch „ein Symbol“ (S. 122) porträtiert; sie versucht, das Eine vom Anderen zu trennen. Es gelingt ihr, hagiographische Töne zu vermeiden, ohne die Person zu demontieren. Letzteres war groß in Mode nach den postumen Veröffentlichungen der Kriegstagebücher, der Briefe von und an Sartre und des langjährigen und intensiven Briefwechsels mit dem amerikanischen Schriftsteller Nelson Algren. Plötzlich wunderten sich einige Leser/-innen, dass die Autobiografie eine Inszenierung war. Ja, was denn sonst?
Pelz zeigt, an welchen Stellen die feinziselierten Geschichten, die Beauvoir über ihre Beziehung zu Sartre erzählt, nicht stimmig sind. Der angebliche „Pakt“ zwischen beiden (Stichwort „bedingungslose Ehrlichkeit“) war einfach nicht realitätstauglich und wurde (zum Glück, möchte man sagen) nicht so konsequent eingehalten wie von Beauvoir suggeriert. Folgt man der unaufgeregten und angemessen distanzierten Darstellung von Pelz, so kann man die von Beauvoir in ihren Memoiren recht rational abgehandelte Beziehung zu Nelson Algren auch als tragische, zerstörerische und vielleicht sogar ein wenig sado-masochistische Liebesgeschichte lesen, statt als Entwurf eines bewusst gelebten Lebens.
In dieser Biografie nimmt eine Frau Gestalt an, die vor allem eine unglaublich hart arbeitende Intellektuelle mit einer unbändigen, geradezu manischen Schreiblust war und für die das politische Engagement zur intellektuellen Redlichkeit gehörte. Die ständig reproduzierten Fotos, auf denen Beauvoir, mit lackierten Fingernägeln, an niedlichen Tischlein hockend oder, wie auf dem Titelbild, graziös auf den Knien schreibt, vermitteln davon keinen Eindruck. Beauvoirs Entscheidungen waren zu jedem Zeitpunkt ihres erwachsenen Lebens darauf ausgerichtet, optimale Bedingungen für ihre Arbeit zu schaffen. Diesem Ziel hat sie alles andere untergeordnet, man könnte auch sagen „geopfert“ – zur Not eben auch menschliche Beziehungen. Und nur ihre Arbeit erklärt letztlich auch das Verhältnis zu Sartre. Die beiden waren sich gegenseitig ganz offensichtlich über lange Strecken die besten intellektuellen Sparringspartner. Das ist die Substanz des immer wieder neu inszenierten Mythos vom „großen Paar“ und das ist mehr als eine „bloß gesprächsorientierte Beziehung“ (Gleichauf, S. 171); es hat sicherlich auch etwas mit Erotik zu tun. Nur wenn man das in Rechnung stellt, kann man verstehen, warum Beauvoir die Beziehung zu einem Mann nie abgebrochen hat, der frigid und polygam zugleich war. Über diese Art des Lebensentwurfs kann man geteilter Meinung sein. „Typisch weiblich“, wie der Vorwurf von enttäuschten Feministinnen angesichts der Treue zu Sartre oftmals lautet, ist er jedenfalls nicht.
Deshalb spricht es für die Biografie von Pelz, dass sie dem Werk einen angemessenen Raum widmet. Wenn man die dichten und präzisen Resümees der einzelnen Essays und Romane Beauvoirs (S. 62–109) und den anschließenden kenntnisreichen Abriss der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte (S. 110–136) in einem Rutsch liest, dann werden die Stärken und Schwächen dieses Œuvre etwas deutlicher. Pelz wirft einen kritischen Blick auf die Romanautorin Beauvoir, die sich allen narratologischen Innovationen gegenüber resistent zeigte. Ihrer Zeit voraus hingegen war Beauvoir als eine hellsichtige Beobachterin und Analytikerin gesellschaftlicher Prozesse. Zu einer Zeit, als Jugendkult angesagt und noch kein Mensch von überalterten Gesellschaften sprach, schrieb sie Bücher über das Altern und über das Sterben. Als das Wort „gender“ lediglich das grammatische Genus bezeichnete, entwarf sie eine Theorie über die kulturelle Konstruktion von Geschlecht. Pelz weist darauf hin, dass „die Beauvoir’sche Variante (des Existentialismus) sich für die feministische Theoriebildung immer noch als fruchtbar erweist“ (S. 120). Überhaupt scheint über die Philosophin Beauvoir noch nicht das letzte Wort gesprochen zu sein. Ihre unkonventionelle grenzgängerische Art, philosophische Positionen narrativ und essayistisch zu vermitteln, ihre „konstante Vermengung von Abstraktem und Konkretem, von Allgemeinem und Einzelfall“ (S. 120), brachten ihr zu Lebzeiten den Ruf der Sartreuse ein, die das Werk des Meisters lediglich popularisierte und keine eigenständige Philosophie entwickelte. Unter den Prämissen der Postmoderne, die mit hybriden Diskursen anders umgeht, kann ihre Art zu denken neu gewürdigt werden. Mir gefällt die Bezeichnung „metaphorische Logik“ (S. 120) gut, mit der Toril Moi Beauvoirs Theoriebildung umschreibt.
Insgesamt ist die Biografie von Monika Pelz eine gute und effiziente Einführung in Leben, Werk und Wirkung von Simone de Beauvoir. Die drei Kapitel, die jeweils einem dieser Aspekte gewidmet sind, werden in diesem sorgfältig lektorierten Buch untereinander durch Querverweise am Seitenrand miteinander verbunden. Die teilweise kommentierte Auswahlbibliografie ist auf dem neuesten Stand der Forschung.
URN urn:nbn:de:0114-qn091322
Prof. Dr. Lieselotte Steinbrügge
Romanisches Seminar, Ruhr-Universität Bochum, Homepage: http://www.ruhr-uni-bochum.de/romsem/lehrst/steinbru/
E-Mail: lieselotte.steinbruegge@rub.de
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