Akteurinnen im Dienst der rassistischen Gemeinschaft. Handlungsräume und Erfahrungen

Rezension von Katharina Hoffmann

Sybille Steinbacher (Hg.):

Volksgenossinnen.

Frauen in der NS-Volksgemeinschaft.

Göttingen: Wallstein Verlag 2007.

238 Seiten, ISBN 978–3–8353–0188–7, € 20,00

Abstract: Sybille Steinbacher hat in ihrem Band Volksgenossinnen Aufsätzen versammelt, in denen die Rolle von Frauen bei der Durchsetzung des Ordnungsmodells „Volksgemeinschaft“ untersucht wird. Gegenstand der analytischen Beschreibungen sind das Selbstverständnis und die Erfahrungsgeschichten von Frauen, die als anerkannte Mitglieder der nationalsozialistischen Gesellschaft Handlungsräume in Anspruch nahmen. Insbesondere in den Kriegsjahren vergrößerten sich Tätigkeitsfelder und Aufstiegschancen für „Volksgenossinnen“. Die Beiträge des Bandes erweitern die bisher noch geringen Kenntnisse über Deutungsmuster und Handlungsweisen einer großen Zahl von so genannten arischen, nicht verfolgten Frauen im Nationalsozialismus.

Historische Frauen- und Geschlechterforschung hat sich schon seit geraumer Zeit von der Historiographie einer „herstory“, verbunden mit Identitätskonstruktionen und -politiken, verabschiedet. Diese hatte allerdings zu keiner Zeit eine breite Basis, kann aber wie viele andere Forschungsansätze als ein wichtiger Zwischenschritt zur Anerkennung neuer Perspektiven in der Historiographie angesehen werden. Frauen- und Geschlechterforschung war und ist von fruchtbaren Debatten um theoretische und methodische Verortungen gekennzeichnet. Mittlerweile basieren geschichtswissenschaftliche Forschungen in diesem Bereich zunehmend auf dekonstruktivistischen Theoriekonzepten. Nach wie vor ist allerdings zu konstatieren, dass Geschlecht nur von einer Minderheit der Historiker und Historikerinnen als eine relationale Analysekategorie gesellschaftlicher und politischer Machtverhältnisse wie auch individuell und gesellschaftlich wirksamer Identitätskonstruktionen angewendet wird.

Sybille Steinbacher gibt mit ihrem einleitenden Beitrag einen ausgezeichneten Überblick zur Frauen- und Geschlechtergeschichte des Nationalsozialismus, benennt die Kernpunkte vergangener Debatten und stellt den derzeitigen Stand der Forschung vor. Irritierend ist jedoch, dass sie betont: „Geschlecht bildet nicht nur einen biologischen Sachverhalt, sondern ein sich wandelndes sozialkulturelles Konstrukt“ (S.13). Selbst wenn man dekonstruktivistischen Ansätzen nicht konsequent folgen mag, so wäre es doch vor allem angesichts der biologistischen, rassistischen, heteronormativen wie auch körperbetonenden Diskurse im Nationalsozialismus sinnvoll, die Verschiebungen der Definition vom „biologischen Sachverhalt“ der Konstruktionen „Mann“ und „Frau“ zu untersuchen. Gab es hier Unterschiede in der Definition eines „arischen“ / eines „nicht-arischen“ Mannes oder einer „arischen“ / „nicht-arischen“ Frau? Bislang liegen hierzu offenbar noch keine Forschungsergebnisse vor. Inwieweit aber Konstruktionen von „Geschlecht“ und „Rasse“ miteinander verflochten sind, zeigt beispielsweise die wissenschaftsgeschichtliche Arbeit von Christine Hanke (Zwischen Auflösung und Fixierung. Zur Konstitution von ‚Rasse‘ und ‚Geschlecht‘ in der physischen Anthropologie um 1900, Bielefeld 2007).

Das Ordnungsmodell Volksgemeinschaft und Handlungsräume für Frauen

Abgesehen von der theoretischen Ausrichtung, der nicht unbedingt zuzustimmen ist, sind die hier vorgestellten Arbeiten äußerst anregend und bilden Desiderate der Forschung. Der Schwerpunkt der Publikation liegt auf „dezidiert gesellschaftspolitischen, auf die ‚Volksgemeinschaft‘ gerichteten Fragestellungen“ (S. 22). Im Mittelpunkt stehen Frauen, die sich für eine Realisierung der sogenannten Volksgemeinschaft eingesetzt und Handlungsräume genutzt haben. Sie werden in erster Linie aus einer erfahrungsgeschichtlichen Perspektive betrachtet. Angesichts des insbesondere durch den Einfluss populärwissenschaftlicher Publikationen hervorgerufenen Mangels an Differenzierungen ist der Anspruch dieser Aufsatzsammlung, der wissenschaftlichen Debatte wie auch der „Krise der historischen Geschlechterforschung“ (S. 22) neue Impulse zu geben, sehr zu begrüßen. Inwieweit allerdings eine Krise, die häufig beschworen wurde beziehungsweise wird, tatsächlich existiert, ist fraglich. (Vgl. Susanne Lanwerd und Irene Stoehr: Frauen- und Geschlechterforschung zum Nationalsozialismus seit den 1970er Jahren. Forschungsstand, Veränderungen Perspektiven, in: Frauen- und Geschlechtergeschichte des Nationalsozialismus. Fragestellungen, Perspektiven, neue Forschungen, hg. von Johanna Gehmacher u. Gabriella Hauch, Wien 2007, S. 22–68.)

Der erste Themenschwerpunkt umfasst Beiträge zum Thema „Idee und Praxis der ‚Volksgemeinschaft‘“. Kirsten Heinsohn rekonstruiert die politische und gesellschaftliche Debatte der Ordnungsvorstellung „Volksgemeinschaft“, die Konturen dieses Konzepts im Rahmen deutschnationaler Frauenpolitik sowie Anknüpfungspunkte wie auch Veränderungen der nationalsozialistischen Frauenpolitik. Die nationalsozialistische Variante negierte im Unterschied zur deutschnationalen „die politischen Rechte der Frau als Staatsbürgerin“ (S. 29). Daran anknüpfend konzentriert sich Jennifer E. Walcoff auf den Aushandlungsprozess um die rechtliche Stellung der Frau in den 1930er Jahren. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten erhielt der Begriff „Staatsbürgerin“ eine rassistische Aufladung. Ausschlaggebend für die soziale Praxis wurde nun der Begriff „Volksbürgerin“.

Im zweiten Themenschwerpunkt „‚Volksgenossinnen‘ im Krieg“ werden die Aktivitäten von Frauen im zivilen Luftschutz und damit deren Anteil bei der Durchsetzung einer „Kampfgemeinschaft“ untersucht. Dieses von Tausenden von Frauen geteilte Kriegserlebnis wurde und wird, so Nicole Kramer, kaum erinnert. Dies betrifft sowohl individuelle Erzählungen als auch öffentliche Erinnerungskulturen. Ein ähnlicher Befund lässt sich auch hinsichtlich der während der Kriegsjahre zunehmend expandierenden so genannten weiblichen Kriegshilfe konstatieren. Franka Maubach, die 2006 eine Dissertation zur Erfahrungsgeschichte dieser Frauen abgeschlossen hat, schlägt vor, den „Erfahrungstypus der Machterfahrung im besetzten Ausland“ vorläufig als „gesteigerte Selbstbedeutsamkeit“ zu kategorisieren und nicht als „negative Emanzipation“ wie unter anderem von Wehler vorgeschlagen wurde (vgl. S. 110 f.). Inwieweit dies notwendig ist, wäre zu diskutieren, wenn man die Rekonstruktion von Geschichte(n) nicht in erster Linie als Erzählungen von gescheiterter oder fortschreitender Emanzipation begreift, sondern nach den Veränderungen der Geschlechterverhältnisse und -ordnungen befragt. Gleichfalls stellt sich die Frage, ob nicht ein komparatistischer Ansatz die Gemeinsamkeiten und Unterschiede moderner Gesellschaften deutlicher herausarbeiten könnte, um darüber hinaus auf die besonderen nationalsozialistischen Aufladungen aufmerksam zu machen. Dies betrifft natürlich nicht allein die Einbeziehung von Frauen in den Kriegsdienst, sondern gleichfalls die anderen Themenfelder des Sammelbandes.

Im Mittelpunkt des dritten Teils des Bandes stehen verschiedene Fallbeispiele von „Protagonistinnen“. Diese Frauen haben sich auf unterschiedliche Weise mit den nationalsozialistischen Zielsetzungen verbunden gefühlt und ihre Handlungsweisen danach ausgerichtet. Annette Michel zeigt anhand einer Kollektivbiografie der Funktionärinnen der NS-Frauenschaft, dass diese nicht allein nationalsozialistische Mutterschaft und Hausfrauenarbeit im Blick hatten, sondern als Gaufrauenschaftsleiterinnen unmittelbar an der Gewaltpraxis des Regimes beteiligt waren. Diese Frauen bildeten einen festen Bestandteil des NS-Parteiapparats und hatten, so das Ergebnis der Analyse von Michel, „vielfältige Partizipations- und Aufstiegsmöglichkeiten, wie sie Frauen bis dahin – zudem in solchem Ausmaß – in keiner politischen Partei offengestanden hatten“ (S. 137). Zwei Einzelporträts von Frauen schließen den dritten Themenschwerpunkt ab. Elizabeth Harvey beschreibt den Erfolg der Propagandafotografin Liselotte Purpur, die das gesamte deutsch besetzte Europa bereiste. „Ich war überall“, so beschrieb die Akteurin stolz ihre Kriegskarriere 50 Jahre nach Kriegsende in einem Fernsehinterview.

Mit der Karriere des noch lange erinnerten und auch bei jüngeren Generationen vermutlich bekannten Filmstars Zarah Leander beschäftigt sich Heiko Luckey. Er betont, dass die reißerische Kategorisierung des Filmstars als „eine von ‚Hitlers Frauen‘“ in die Irre führe. Leander sei „vielmehr eine versierte Akteurin in einem komplexen Handlungsgeflecht mit dem nationalsozialistischen Machtapparat“ gewesen, „in dem persönliche Freiräume mit propagandistischer Verfügbarkeit erkauft werden mussten“ (S. 156). Auf eine weitere Protagonistin macht Babette Quinkert aufmerksam. Sie analysiert den abgedruckten Ausschnitt eines Reiseberichts über Spanien aus dem Jahre 1936/37 von Maria de Smeth und liefert Informationen zur Lebensgeschichte dieser Frau, der sich im Nationalsozialismus enorme Aufstiegschancen boten.

Fazit

Die Beiträge des Bandes machen noch einmal sehr deutlich, inwieweit die Mobilisierung und Selbstmobilisierung von nicht ausgegrenzten Frauen für eine rassistische Volksgemeinschaft im Nationalsozialismus gelang. Der Band knüpft damit an die Ergebnisse der Debatten gegen Ende der 1990er Jahre an, denen zufolge Strukturen und Bedingungen des Handelns sowie die Gestaltung von Handlungsräumen das Erkenntnisinteresse leiten sollten und empirisch gesättigte Rekonstruktionen unterschiedlicher Tätigkeitsfelder zu fordern seien. In diesem Rahmen wäre es zukünftig sinnvoll, die Aufmerksamkeit nicht allein auf Frauen zu richten und Geschlecht (Sex und Gender) intensiver als relationale Kategorie zu betrachten.

URN urn:nbn:de:0114-qn091132

Dr. Katharina Hoffmann

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

E-Mail: katharina.hoffmann@uni-oldenburg.de

Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.