‚Gedenke, dass Du eine deutsche Frau bist‘

Rezension von Stefan Müller

Christiane Streubel:

Radikale Nationalistinnen.

Agitation und Programmatik rechter Frauen in der Weimarer Republik.

Frankfurt am Main: Campus Verlag 2006.

444 Seiten, ISBN 978–3–593–38210–4, € 45,00

Abstract: Christiane Streubel untersucht den Einfluss radikaler Nationalistinnen in der Weimarer Republik. Feminismus und Nationalismus, weithin als unvereinbar verstanden, wird bei den völkisch-antisemitischen Agitatorinnen in der Idee der Volksgemeinschaft zusammengedacht. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht insbesondere das eigenständige Engagement dieser Frauenbewegung, die Streubel als völkisch-nationalen Feminismus (vgl. S. 402) bezeichnet.

Völkische Vordenker wie Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler oder Armin Mohler sind heute ebenso bekannt wie erforscht. Was aber ist mit den nationalistischen, völkisch-antisemitischen Vordenkerinnen in der Weimarer Republik? Wurden sie so lange von der Forschung vernachlässigt, weil sie kaum Gehör fanden oder nicht als Teil der deutschen Volksgemeinschaft angesehen wurden? Beides verneint Streubel.

‚Gedenke, dass du eine deutsche Frau bist‘ – paradigmatisch kann diese Forderung von Annagrete Lehmann (S. 281) für diejenigen, die Streubel unter der Sammelbezeichnung radikale Nationalistinnen zusammenfasst, verstanden werden. Einerseits grenzt sich dieser Kreis, vor allem geprägt durch Frauen wie Käthe Schirmacher, Ilse Hamel, Beda Prilipp, Lenore Kühn und Sophie Rogge-Börner in aller Deutlichkeit von der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung ab. Schließlich verstand man sich als spezifischer Teil der Frauenbewegung, nämlich als deutsche und das bedeutete völkisch-national, antisemitisch-rassistisch, antidemokratisch. Innerhalb der Rechten ergab sich dadurch andererseits eine eigenartige Konstellation. Angesichts der eindeutig männlichen Dominanz im völkisch-antisemitischen Lager, verblieb den radikalen Nationalistinnen die Möglichkeit, ihre eigenständige Bedeutung für die Herausbildung der deutschen Volksgemeinschaft immer und immer wieder zu betonen, hervorzuheben und darzustellen. Diese Möglichkeit wurden intensiv genutzt.

Detailliert wertet Streubel in ihrer geschichtswissenschaftlichen Untersuchung eine Vielzahl von Quellen aus, um vorrangig das Wirken in und um den Kreis Nationaler Frauen (KNF), vor allem durch sein Zentralorgan, die Illustrierte Die Deutsche Frau, darzustellen. Auch das Verbandsorgan des Alldeutschen Verbandes, die Tageszeitung Deutsche Zeitung, die im selben Verlag erschien, wird aus der Perspektive betrachtet, wie rechte Frauen ihre Belange formulieren, durchsetzen und überhaupt erst diskussionsfähig machen konnten. Streubel fasst dies unter dem Konzept der ‚Sprechräume‘ zusammen. Darüber hinaus untersucht sie die (theoretischen und praktischen) Konzepte radikaler Nationalistinnen vorrangig unter der Fragestellung, ob von einem eigenständigen, feministisch inspirierten Engagement ausgegangen werden könne. Inwiefern trugen frauenemanzipatorisch orientierte Nationalistinnen zur Bildung der Volksgemeinschaft – das war das erklärte Ziel des RNF – bei? Dieser Frage geht Streubel im dritten Kapitel nach, in dem die Programmatik anhand der umfangreichen Quellen herausgearbeitet wird. Erstaunlicherweise zeigt sich im Ergebnis, dass offen antisemitische Äußerungen kaum aufzufinden sind. Streubel vermutet hier zu Recht ein strategisches Moment (vgl. S. 397), weil die persönlichen Äußerungen dieser Vordenkerinnen nichts an Deutlichkeit übrig lassen. Auch wird die für den Nationalsozialismus entscheidende Frage des Blutes und der Rasse im Vergleich zu den vorherrschenden männlichen Äußerungen eher spärlich formuliert. Rassistische und antisemitische Vorstellungen und Forderungen finden sich bei den Vordenkerinnen eher unter den Begriffen des Volkes, des Völkischen, der deutschen Frau und des deutschen Volksstaates subsumiert, wie Streubel in Wortfeldanalysen aus programmatischen Artikeln verschiedener rechter Zeitungen herausarbeitet. Das enorme Engagement und die Eigeninitiative radikaler Nationalistinnen, u.a. aus einem explizit feministischen Verständnis heraus, wirken auf den ersten Blick nicht nur verwunderlich, sondern vor allem provokant: „Es formierte sich eine rechte, radikalnationalistische Variante des feministischen Ideensystems. […] Antidemokratisches Denken und radikaler Nationalismus in einem Atemzug genannt mit Feminismus erscheint zunächst als eine contradictio in adjecto.“ (vgl. S. 17; Hervor. im Orig.).

Feministische Nationalistinnen oder nationalistische Feministinnen?

Streubel zeichnet sowohl Übereinstimmungen als auch Unterschiede in den Konzepten der radikalen Nationalisten und der Nationalistinnen nach. Gemeinsamkeiten zeigen sich in erster Linie im Bezug auf das die Vorstellungen von einer deutschen Volksgemeinschaft. Gegensätze werden deutlich, wenn es um das Machtgefälle im Geschlechterverhältnis geht. Bezeichnend ist der Umgang mit den weiblichen Mitstreiterinnen im nationalistischen Lager: Dienten Frauen der Volksgemeinschaft, der deutschen Idee, waren sie willkommen; forderten national orientierte Frauen auf dieser Grundlage Mitbestimmung, gar gleiche Rechte ein, zeigten sich schnell die Grenzen. Die radikalen nationalen Frauen hielt dies dennoch nicht von ihrem steten und unnachgiebigen Engagement ab – im Gegenteil: Es scheint sich sogar ein spezifisch feministisches Verständnis in diesen Auseinandersetzungen überhaupt erst konstituiert zu haben. Resümierend stellt Streubel am Ende fest, dass im geschichtlichen Rückblick der Begriff des Feminismus auch „auf die anti-universalistischen und diskriminierenden Traditionen der feministischen Bewegungen“ (S. 402) angewendet werden müsse. Zugespitzt bedeutet das, dass die radikalen Nationalistinnen sich gleichzeitig als Feministinnen und Nationalistinnen verstanden hätten und für beide Belange ebenso energisch, vehement und zielstrebig eingetreten seien. Entsprechend folgert Streubel: „Die Prämisse von einem im Grundsatz humanistisch-universalen Feminismus kann demzufolge als identifikatorisches Konstrukt zurückgewiesen werden.“ (S. 56).

Überzeugend weist Streubel nach, dass die Agitation und das Bestreben radikaler Nationalistinnen eben feministisch inspiriert und wahrscheinlich in letzter Instanz dadurch auch begründet waren. Dabei sei von durchaus unterschiedlichen geschlechtertheoretischen Prämissen, nicht ausschließlich differenzfeministischen Ansätzen ausgegangen worden. Vielmehr sei ebenfalls, insbesondere bei Käthe Schirmacher, die eine zentrale Rolle spielte (vgl. S. 122 ff.), eine unbeirrbare Orientierung an Deutschlands erster Professorin Mathilde Vaerting nachzuweisen (vgl. S. 260). Die Soziologin Vaerting, recht früh nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten mit Berufsverbot belegt, verwies bereits in der Weimarer Republik auf die soziale Verfasstheit der Kategorie Geschlecht. Schirmacher habe diese Argumentation aufgenommen. Ebenso lassen sich aber bei Schirmacher eine aggressive Polenfeindlichkeit (vgl. S. 122), ihr Kampf gegen die ‚jüdisch-marxistischen Kräfte‘ (S. 123) und das Eintreten für einen radikalen Antisemitismus (ebd.) nachzeichnen.

Dieser eigentümlichen Verknüpfung feministischer und völkischer Ansätze nachzugehen bildet die Stärke der Untersuchung. Sie ist dabei von einem großen Differenzierungsanspruch geprägt, wie er für überzeugende geschichtswissenschaftliche Untersuchungen charakteristisch ist. Dieser führt kaum zu eindeutigen, dafür aber stets zu abwägenden Einschätzungen, die sich auf eine breite Quellenbasis stützen. Wenn sich beispielsweise in den zugänglichen Schriften radikaler Nationalistinnen kaum offen antisemitische Ressentiments auffinden lassen, bedeutet das nicht notwendigerweise, dass exkludierende Momente bei radikalen Nationalistinnen nicht nachweisbar sind. Dies arbeitet Streubel genau heraus. Ob allerdings das idealistische Konzept der ‚Sprechräume‘ vollständig das Nicht-Gesagte, das Latente ebenso wie die zugrunde liegenden Strukturen beschreiben kann, bleibt fraglich. Sprechräume sind nicht zuletzt auch durch strukturelle Bedingungen bestimmt, die aber kein Thema der Untersuchung bilden und auch eher auf soziologische und gesellschaftswissenschaftlichen Ansätze verweisen. Streubel zeigt am Ende eine ganze Reihe weiterer Anschlussmöglichkeiten an ihre herausgearbeiteten Forschungsergebnisse auf. Eine Erweiterungsmöglichkeit bestünde sicherlich auch in einer genaueren Betrachtung der radikalen Nationalistinnen in ihrer Rezeption der proletarischen oder gar der sozialistisch-kommunistischen Frauenbewegung, insbesondere in einem Vergleich der zugrunde liegenden Feminismuskonzepte.

URN urn:nbn:de:0114-qn091232

Stefan Müller

Frankfurt am Main

E-Mail: muellers@uni-frankfurt.de

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