Als letzte deutsche Hexe verurteilt und doch nicht hingerichtet!

Rezension von Sabine Liebig

Wolfgang Petz:

Die letzte Hexe.

Das Schicksal der Anna Maria Schwägelin.

Frankfurt am Main: Campus Verlag 2007.

204 Seiten, ISBN 978–3–593–38329–3, € 19,90

Abstract: Wolfgang Petz hat die Geschichte der „letzten Allgäuer Hexe“ Anna Maria Schwägelin anhand von verschollen geglaubten Quellen rekonstruiert. Es finden sich wenige Arbeiten zur regionalen Geschichte, die auf der Basis solch exakten Arbeitens und vor einem so breiten sozialgeschichtlichen Hintergrund verfasst wurden. Am Beispiel des Einzelschicksals von Schwägelin bietet Petz zugleich eine umfassende Darstellung der Geschichte der Hexenverfolgung.

Grundlagen der Hexenprozesse

In seinem einleitenden Kapitel stellt Wolfgang Petz die im 18. Jahrhundert gegenläufigen Strömungen von noch bestehendem Aberglauben und beginnender Aufklärung mit Blick auf die Hexenprozesse gegenüber und zeigt, wie selbst gebildete Menschen im 18. Jahrhundert in ihrer Weltsicht gefangen waren.

Neben den Klassikern der Hexenforschung wie z. B. Dillinger und Behringer, Labouvie und Blauert verarbeitet Petz regionalgeschichtliche und auch englischsprachige Publikationen. Darüber hinaus befasst er sich mit Aleida Assmanns Theorie der „Erinnerungskultur“ und Harald Welzers Begriff des „Kommunikativen Gedächtnisses“, um einen Überblick über die Hintergründe und die Geschichte der Hexenverfolgung zu geben. Dabei zitiert er immer wieder Originalquellen, die seine Aussagen und Schlussfolgerungen belegen und einen sehr guten Einblick in die Mentalität der Zeit geben. Seine multiperspektivische Darstellung zeigt die Komplexität des Themas. Die Frage, warum vorwiegend Frauen der Hexerei bezichtigt wurden, bleibt dabei allerdings offen. Ein Exkurs zum Frauenbild bei Aristoteles, Augustinus und Thomas von Aquin mit seinem Theorem der „Femina est mas occasionatus“ und dessen Rezeption durch andere Gelehrte oder Nicht-Gelehrte wäre eine sinnvolle Ergänzung der sonst sehr guten Darstellung des historischen Hintergrundes gewesen.

Leben und Leiden in Oberschwaben

Der Autor entwirft ein vielschichtiges Bild der Region Oberschwaben und weist auf den Aberglauben der Menschen hin, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Er ordnet die regionalen Ereignisse in die allgemeine Geschichte ein und zeigt die Veränderungen in der Hexenfurcht auf, weg von konkreten Personen, hin zu einem „diffusen Gefühl der Bedrohung“ (S. 33). Neben der Beschreibung des komplizierten Verhältnisses von altem und neuem Denken gibt er einen Ausblick, wie gegen Ende des 18. Jahrhunderts Aufklärer und katholische Kirche den Hexenglauben bekämpften.

Wolfgang Petz beschreibt Einzelschicksale von Frauen, ordnet sie unterschiedlichen Milieus zu und arbeitet Parallelen heraus. Die in den Verhörprotokollen dargestellten Phänomene erklärt er aus psychoanalytischer Sicht und belegt an den Prozessverfahren, dass sich viele der zuständigen Personen große Mühe gaben, ein ordentliches Verfahren durchzuführen und die Hintergründe für die Verdachtsmomente zu eruieren. Am Beispiel des Syndikus Tobias Hörmann, der alle Vorwürfe gegen eine der Hexerei verdächtigte Frau entkräftete, zeigt Petz, dass im 18. Jahrhundert immer weniger Amtspersonen an die haltlosen Beschuldigungen glaubten (vgl. S. 50).

Die zwei Leben der Anna Maria Schwägelin

Nach der Darstellung der notwendigen Informationen zur Geschichte der Hexenprozesse und der Situation im Allgäu rekonstruiert der Autor sehr detailliert die Biografie der Anna Maria Schwägelin, die bei genauer Durchsicht der Quellenlage verblüffende Details bietet. Ein Kapitel ist ihrem Leben als Dienstbotin gewidmet, während das darauf folgende Kapitel ihre „gefährliche Liebschaft“ beschreibt. Beide Lebensbereiche werden anhand von Protokollen, Akten, Kirchenbüchern und eigenen Aussagen von Schwägelin genau rekonstruiert. Das „Doppelleben“ der Dienstmagd zeigt, wie kompliziert das Leben einer einfachen Frau sein konnte. Deutlich werden bei der Rekonstruktion aber auch die Schwierigkeiten der Menschen im 18. Jahrhundert, sich genau zu erinnern, da ihnen die Hilfsmittel dafür fehlten. Aus diesem Grunde wechselt der Autor auf die Metaebene und problematisiert das Thema „Erinnerungen“ (vgl. S. 95 ff.). Anna Marias Erinnerungen seien eine „Selbstinterpretation ihres Schicksals“ (S. 97) und zeigten, welchen Stellenwert die Konfession für sie speziell, aber auch im Allgemeinen besaß. Am Fall Schwägelins arbeitet Petz außerdem exemplarisch die volkstümlichen Teufelsvorstellungen heraus (vgl. S. 108 ff.) und weist auf Aspekte des kollektiven Gedächtnisses im Hinblick auf die Teufelsbilder hin.

Darüber hinaus gibt Petz tiefe Einblicke in die Sexualität im 18. Jahrhundert mit all ihren Facetten in der bäuerlichen und dörflichen Gemeinschaft. Am Ende der Darstellung ihres Doppellebens gibt der Autor eine Erklärung für Schwägelins Situation:"Unerfüllte Sexualität, der doppelte Verrat am Glauben, der Beischlaf mit dem Satan, der zweimalige Teufelspakt: All dies waren die Trittstufen auf dem Weg hinab in eine ganz persönliche Hölle aus Einsamkeit und Angst.“ (S. 125)

Hexerei zwischen Beharrung und Aufklärung

Präzise beschreibt Wolfgang Petz die Ereignisse, die dazu führten, dass Schwägelin als Hexe angezeigt wurde, und wie sich die Situation durch ihr Zutun und das einer Kontrahentin sowie des Zuchtmeisters immer weiter zuspitzte. Es wird deutlich, wie ihre Naivität, ihre Persönlichkeit und ihr Verhalten dazu führten, dass sie sich immer tiefer in das eigene Verderben verstrickte. Durch die sehr detaillierten Ausführungen zum Prozessverlauf, die Art der Fragen und Antworten sowie die Gutachten und Hintergründe für die Verurteilung Schwägelins als Hexe wird unter anderem deutlich, dass sich vor allem Menschen gebildeter Schichten in einer Zeit des Übergangs zwischen Beharrung und Aufklärung befanden. Die Analyse der Vorgehensweise des hochfürstlichen Landrichters Johann Franz Wilhelm Treuchtlinger zeigt, dass ab Mitte des 18. Jahrhunderts in vielen Strafgerichtsordnungen der Vorwurf der Hexerei revidiert worden war, dass man also im Grunde nicht mehr an Hexerei glaubte. Dennoch wurden in dieser Übergangsphase noch Verurteilungen ausgesprochen.

Verurteilt und doch nicht hingerichtet

Am 7. April 1775 fand planmäßig die Gerichtsverhandlung statt. Anna Maria Schwägelin wurde wegen Hexerei zum Tode verurteilt. Die Zusammenfassung ihres Geständnisses und der Urteilsspruch waren bereits geschrieben und auf den 11. April, den Tag ihrer Hinrichtung vordatiert worden. Doch dann nahm die Geschichte eine unerwartete Wendung: „Generationen von Historikern galt der Fall Anna Maria Schwägelin als die letzte Exekution wegen ‚Hexerei‘ auf dem Boden des Alten Reiches“ (S. 164). Doch schon 1995 stieß Petz auf Ungereimtheiten zwischen dem Tag der angeblichen Exekution Schwägelins und ihren Sterbematrikeln. 1997 stellte die Entdeckung eines rätselhaften Gemäldes im Rahmen einer geplanten Ausstellung des Allgäu-Museums Kempten den Tod Schwägelins in Frage, da sich auf dem Bild ein Hinweis befand, dass Schwägelin zu „lebenslänglicher Einschließung“ (S. 166) begnadigt worden war. Petz ging der Sache akribisch nach und entdeckte einige Hinweise, die dafür sprechen, dass das Todesurteil nie vollstreckt wurde. Ein sicherer Beweis ist der Eintrag ihres Todestages am 7. Februar 1781 in das Kirchenbuch der Pfarrei St. Lorenz (vgl. S. 173). Wer also hatte Schwägelin gerettet? Hier sind leider nur noch Mutmaßungen möglich, denn gesicherte Quellen stehen nicht zur Verfügung. Als möglichen Ansatz wählt Petz die Affinität einflussreicher Herren zur Aufklärung, die dazu führte, dass der Hexenglaube immer stärker angezweifelt und die „Abschaffung des Teufels“ (S. 174) propagiert wurde.

Fazit

Wolfgang Petz nimmt das Schicksal der Anna Maria Schwägelin zum Anlass, ein umfassendes Buch über Hexenprozesse im 18. Jahrhundert zu verfassen, das tiefe Einblicke vor allem in die Lebensverhältnisse der unteren sozialen Schichten gewährt.

Anhand sichtbar gemachter, aktenkundig gewordener Einzelschicksale ist ein Stück Sozialgeschichte des 18. Jahrhunderts gelungen. Gerade über das Leben von Frauen gibt es wenig Quellen, und auf diese Weise öffnet sich ein neuer Blick auf die ländliche Unterschicht. Landschaftsbeschreibungen und die Erläuterungen der politischen und wirtschaftlichen Situation im Allgäu des 18. Jahrhunderts runden das Bild ab.

Petz zeigt mit seinem Buch vorbildlich, wie gewinnbringend Metaebene, Detailanalysen und Geschichtserzählung kombiniert werden können. Das sprachlich gelungene, inhaltlich und wissenschaftlich fundierte Buch ist unbedingt zu empfehlen.

URN urn:nbn:de:0114-qn091187

Prof. Dr. Sabine Liebig

Karlsruhe, Pädagogische Hochschule Karlsruhe, Institut für Sozialwissenschaften, Geschichte und ihre Didaktik

E-Mail: liebig@ph-karlsruhe.de

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