Frauenpolitik im Dienst der Partei

Rezension von Marianne Zepp

Gisela Notz:

Mehr als bunte Tupfen im Bonner Männerclub.

Sozialdemokratinnen im Deutschen Bundestag 1957–1969. Mit 12 Biographien.

Bonn: Verlag J.H.W. Dietz Nachf. 2007.

392 Seiten, ISBN 978–3–8012–4175–9, € 29,90

Abstract: In biographischen Porträts werden die zwölf weiblichen SPD-Abgeordneten vorgestellt, die von 1957 bis 1969 neu im Bundestag saßen. Auf der Grundlage von Ego-Dokumenten werden ihre Herkunft, ihr politischer Werdegang und ihre Fachgebiete rekonstruiert. Die porträtierten weiblichen Bundestagsmitglieder repräsentieren sozialdemokratische Gleichstellungspolitik zwischen Tradition und Modernitätsanforderungen in der Zeit vor Beginn der Neuen Frauenbewegung.

Gisela Notz präsentiert zwölf Porträts von Sozialdemokratinnen, die in der Zeit von der dritten bis zur fünften Wahlperiode (1957 bis 1969) dem Deutschen Bundestag angehörten. Ihr Buch ist der zweite Band eines Publikationsprojekts, das sich der vollständigen Darstellung aller SPD-Parlamentarierinnen der Bundesrepublik widmet. Hervorgegangen ist es aus einem Forschungsprojekt des Historischen Forschungszentrums der Friedrich-Ebert-Stiftung. Es handelt sich dabei um eine parteinahe Geschichtsbearbeitung, die, wie im Vorwort festgehalten wird, auf ein Desiderat antwortet, nämlich das, der Frage nachzugehen, wie groß der Einfluss von SPD-Frauen in einzelnen Politikbereichen war. Ausgangspunkt ist ein nicht näher erläuterter Begriff von Frauenpolitik, der aus den Probandinnen, trotz unterschiedlicher Motivationen, Bedingungen und Karriereverläufe, ein Kollektivsubjekt ‚Frauenpolitikerin‘ macht. Ein zweiter wesentlicher Nachteil des Buches besteht in seiner Materialgrundlage: Es handelt sich um Zeitzeugeninterviews, und diese Selbstaussagen der Frauen, ergänzt durch Zeitungsartikel, Aussagen von Familienangehörigen und Parteidokumente, bilden die Grundlage der biographischen Porträts. Problematisch wird dies besonders dann, wenn, wie im Fall Edith Krappe, auf Interviewmaterialien zurückgegriffen wird, bei denen nicht einmal der Name der Interviewerin bekannt ist, wodurch weder eine Kontextualisierung der Befragungsintention noch der gegebenen Antworten möglich ist (vgl. Anm. 5, S. 134).

Zum geschichtlichen Kontext

Die Einleitung bietet einen ausführlichen Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung, den Arbeitsmarkt, die Rechtsverfasstheit und die Diskussion über Familienstrukturen in dem betreffenden Zeitabschnitt, bietet aber keine neuen Aspekte und ist für die vorgestellten Lebensläufe nicht weiter erhellend. Auch auf die Wuermelingsche Politik und deren Ziel einer konservativen Ideologisierung von Familie und Gesellschaft wird verwiesen. Eine wirkungsgeschichtliche Einordnung dieser Politik z. B. im Hinblick auf die Umsetzung in der Gesetzgebung fehlt jedoch. Leider findet sich auch keine kohärente Darstellung der familienpolitischen Vorstellungen der Sozialdemokratie in dieser Zeit. Auf wessen Einfluss gingen die Initiativen zur Gleichstellung der Unehelichen zurück? Wer war an der Formulierung von Initiativen wie dem 1963 eingebrachten Antrag zur Lage der Frau in der Gesellschaft beteiligt?

Ein wichtiger Einflussfaktor dieser Epoche wird nicht berücksichtigt: der Kalte Krieg. Inwieweit formierte die Blockauseinandersetzung Konformität im eigenen Lager? Welchen Zwängen waren die Frauen in der SPD ausgesetzt? Allein Helene Wessel, die nicht nur die älteste der Parlamentarierinnen war, sondern auch durch relative Unabhängigkeit auffiel – sie stimmte als einzige der hier vorgestellten Frauen gegen die Notstandsgesetze –, setzte sich gegen Ende der 1950er Jahre für eine systemübergreifende Abrüstungspolitik ein.

Gerade für die Sozialdemokratie der Nachkriegszeit gilt, dass das Verhältnis zwischen Parteiräson, Parteiinteressen, innerparteilichen Machtverhältnissen und den Versuchen, Frauenpolitik innerhalb der Sozialdemokratie zu reformulieren, alles andere als spannungsfrei war. Nachdem Kurt Schumacher 1947 den überparteilich organisierten Frauen „wenig Formbarkeit, selbstsichere Allüren und einen eigenen politischen Werbewillen“ vorgeworfen hatte, war die Linie einer rigiden Abwehr überparteilicher Frauenorganisationen vorgezeichnet. Herta Gotthelf, seit 1946 Leiterin des Frauenbüros beim Vorstand der SPD, setzte diese Politik um. Die diesen Prozess begleitenden Auseinandersetzungen sind der Autorin offensichtlich nicht bekannt.

Parteiräson, Abgrenzung gegenüber anderen politischen Lagern, ein Gleichberechtigungsduktus, der „mit den Männern“ um neue, besonders familien- und sozialpolitische Standards kämpft, sind die Kennzeichen dieser Politik. Einen Einschnitt brachte das Godesberger Programm, das, wie die Autorin schreibt, Frauen auf ihre familiären Funktionen reduzierte. Staatsbürgerlichkeit, Teilhaberechte an öffentlicher Politik, Gleichberechtigung waren von der Parteiagenda verschwunden. Gleichzeitig wurde mit dem Argument der Modernität operiert. Welche Vorstellung von Modernität, einem Schlüsselbegriff der 1960er Jahre, lag dem zugrunde? Brigitte Freyh, eine der Jüngeren der hier vorgestellten Parlamentarierinnen, galt als moderne Frau in der Organisation ihres Privatlebens, Herta Gotthelf hingegen wurde mit dem Argument“ nicht modern, nicht elegant“ zu sein, in ihrer Funktion als Leiterin des zentralen Frauenbüros 1958 abgelöst (S. 41 f.). Einige Kommentare der Frauen lassen ahnen, dass sie sich gegen diese Veräußerlichung in der Beurteilung ihrer Person zur Wehr zu setzen versuchten. In der Regel konnten sie dem jedoch wenig entgegensetzen.

Welche Generation prägte die SPD-Frauenpolitik in dieser Zeit?

Was oder wen repräsentierte diese hier vorgestellte Gruppe von Politikerinnen? Sie gehörten in der Mehrzahl zur Generation der vor dem Ersten Weltkrieg Geborenen, hatten mit wenigen Ausnahmen ihre Sozialisation in der Arbeiterbewegung oder in einem der Sozialdemokratie nahe stehenden Milieu erfahren. Sie sahen sich als gleichberechtigt, ob sie sich als Frauenpolitikerinnen, wie die Autorin dies tut, tituliert hätten, darf bezweifelt werden.

Prägend war offensichtlich, laut Selbstaussagen der Frauen, die politische Zugehörigkeit der Elternhäuser zu der Arbeiterbewegung. Eine neue Generation durchbricht dieses Muster: Mit der 1933 geborenen Ursula Krips wird eine Wirtschaftsexpertin in den Bundestag gewählt. Ihr Selbstbild war offensichtlich ein anderes: Sie lehnte dezidiert Frauenpolitik ab. Ihre von ihr selbst als modern apostrophierte Auffassung einer geschlechtsneutralen Politik wurde nicht nur habituell deutlich. Sie verließ nicht nur das Parlament, sondern auch die Partei und setzte ihre Karriere als Expertin außerhalb des Parlaments fort. Leider beschränkt sich die Autorin darauf, lediglich die Unterschiede im Umgang mit der Mode bei dieser jüngeren und der älteren Generation herauszustreichen (vgl. S.163).

Neue Chancen und Möglichkeiten

Die Autorin weist in ihrer Zusammenfassung auf die Bedeutung der Frauenbewegung seit Ende der 1960er Jahre hin. Diese veränderte nicht nur die Agenda der Parteien, sie stellte die Frage nach der Partizipation von Frauen neu, schaffte eigene institutionelle Räume – die Gründung der AsF ist darauf zurückzuführen – und forderte eine Quotenregelung. Ein neues Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlicher Entwicklung, sozialen Bewegungen und Parteipolitik entsteht. Dieses Spannungsverhältnis leuchtet das Buch leider nicht aus.

Was nach der Lektüre des Buches bleibt, sind Fragen nach den Chancen und Möglichkeiten von weiblicher Partizipation im Parlamentarismus und in Parteien.

Welche Strategien verfolgten die Frauen, die ihre politische Karriere erfolgreich absolvierten?

Welche Rolle spielen Förderer? Viele der hier vorgestellten Frauen verweisen darauf, von Männern angesprochen und ermutigt worden zu sein, einige wie Edith Krappe lebten mit bekannten SPD-Politikern zusammen. Hat dies ihre Handlungsspielräume eingeengt oder erweitert? Auf welche Netzwerke griffen sie zurück?

Der Vergleich mit Frauen in anderen Parteien hätte den Begriff von Frauenpolitik anders konturiert, die Selbstbilder von Parlamentarierinnen in dieser Phase der deutschen Nachkriegspolitik deutlicher hervortreten lassen. Offensichtlich war der generationelle Unterschied ausschlaggebender als die politische Sozialisation und die Unterschiede in politischen Einstellungen. Was zeichnete diese Generation der vor dem Ersten Weltkrieg Geborenen, die die Parlamentarierinnengruppe in dieser Periode dominierten, aus? Was bringt eine Berliner Sozialdemokratin dazu, über ihr politisches Wirken nach 1945 zu äußern, dass „die Krankheit der 20er Jahre, in denen die politisch tätigen Frauen sehr viel Maskulines annahmen“ (S. 141), überwunden sei?

All dies ist dem Buch nicht zu entnehmen. Ein aus linken Positionen (die die Autorin in ihrem Schlusswort gesellschaftskritisch formuliert) abgeleiteter Emanzipationsbegriff bricht sich an den Widersprüchen von weiblichen Partizipationsforderungen, seitdem Frauen durch die Erringung des Wahlrechts formal öffentlich Politik betreiben können. Die historische Frauen- und Genderforschung bietet zahlreiche Arbeiten, die zeigen, dass Frauen seither mit den unterschiedlichsten Begründungen und den verschiedensten politischen Lagern angehörend ihre öffentliche Sichtbarkeit und Teilhabe gefordert haben.

Noch eine Anmerkung zur Lesbarkeit: Bei der Schilderung der Lebensläufe erspart uns die Autorin keine Details, diese tragen in der Regel nicht dazu bei, die politischen Haltungen der Frauen zu erklären oder die geschilderten Personen plastischer hervortreten zu lassen. Diese Langatmigkeit des Textes verwundert umso mehr, als die Autorin eine erfahrene und ausgewiesene Publizistin ist.

Gisela Notz hat auf ihre Weise die weiblichen Abgeordneten der Sozialdemokratie in einer entscheidenden Phase ihrer Geschichte, nämlich auf dem Weg zur Regierungspartei im Nachkriegsdeutschland vorgestellt. Sie hat eindrucksvoll die Kompetenzen der Frauen in ihren Politikfeldern nachgewiesen und die porträtierten Frauen damit dem Vergessen entrissen. Ein Beitrag zur Partizipationsforschung, die dem Wissen um die Bedingungen von weiblicher Repräsentation im Parlamentarismus neue Erkenntnisse hinzufügen würde, ist der Band nicht.

URN urn:nbn:de:0114-qn091386

Dr. Marianne Zepp

Berlin, Heinrich Böll Stiftung

E-Mail: zepp@boell.de

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