Heike Anke Berger:
Deutsche Historikerinnen 1920–1970.
Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik.
Frankfurt am Main u.a.: Campus Verlag 2007.
350 Seiten, ISBN 978–3–593–38443–6, € 34,90
Abstract: In ihrer Dissertation untersucht Heike Anke Berger die bislang in der Historiographiegeschichte deutlich vernachlässigte Kategorie Geschlecht. Sie nähert sich der Frage nach deren Rolle im Zusammenspiel mit Politik und Wissenschaft durch einen biographischen Zugriff. Anhand von Fallbeispielen zeigt die Autorin auf, in welchem Maße historische Praxis von geschlechtersegregierenden und -hierarchisierenden Formen der Arbeitsteilung sowie spezifisch männlich besetzten Vorstellungen des „Historikers“ beeinflusst war.
Die Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert erlebt seit ungefähr zehn Jahren eine auffallende Konjunktur, die – nicht zuletzt generationell bedingt – dadurch motiviert ist, das äußerst ambivalente und prekäre Verhältnis von professioneller Historiographie und nationalsozialistischem Regime ausloten zu wollen. Dabei gerieten insbesondere jene Fachvertreter in den Blick, die in den Jahren der Weimarer Republik ihre geschichtswissenschaftliche Tätigkeit aufnahmen, im „Dritten Reich“ in vielfältiger Weise mit dem NS-Regime verbunden waren und schließlich in der Bundesrepublik erfolgreich an ihre Arbeit anknüpfen konnten und somit in der Lage waren, den Wiederaufbau und die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft in die Wege zu leiten. Nicht zuletzt diese personelle Kontinuität evozierte in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche kontroverse Diskussionen, die auf dem Frankfurter Historikertag von 1998 kulminierten
Entsprechend ist eine beachtliche Zahl umfassender Arbeiten zu einer Reihe wichtiger und einflussreicher Historiker wie beispielsweise Gerhard Ritter, Hans Rothfels, Hermann Aubin oder Werner Conze erschienen. Dieser Forschungsboom zeichnete sich bislang jedoch durch eine frappierend „geschlechtsblinde Perspektive“ (S. 11) aus, wie Berger in der Einleitung ihrer Monographie zu Recht urteilt. Abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen wurden Frauen von der Forschung bislang ignoriert – nicht zuletzt mit der Rechtfertigung, sie hätten in der damaligen Wissenschaftslandschaft bestenfalls eine Randerscheinung dargestellt. Doch selbst wenn diese Schlussfolgerung Plausibilität für sich in Anspruch nehmen könnte – was Berger mit guten Argumenten bestreitet –, hätte dennoch die Kategorie Männlichkeit in der bisherigen Erforschung vergangener historiographischer Praxis deutlich stärker reflektiert werden können, anstatt sie – wie es etwa in der Rede von den „Historikerbriefen“ oder den „Historikerdialogen“ deutlich wird – stets unhinterfragt vorauszusetzen.
Diese Forschungslücke zu schließen, ist das Ziel von Bergers Studie, die auf ihrer im Dezember 2005 an der Universität Bielefeld eingereichten Dissertation beruht und weitgehend wissenschaftliches Neuland betritt. Die übergreifende Fragestellung ihrer Untersuchung zielt auf eine Bestimmung des Zusammenhangs „von Geschichtswissenschaft, Geschlecht und Politik im 20. Jahrhundert“, der Virulenz „geschlechtersegregierende[r] und -hierarchisierende[r] In- und Exklusionsmechanismen in der Geschichtswissenschaft sowie […] der geschlechtlichen Codierung des Berufsbildes Historiker“ (S. 14). Dabei liegen ihrer Studie zwei Prämissen zugrunde: Zum einen geht Berger davon aus, dass die Geschichtswissenschaft als Teil der Gesellschaft in hohem Maße durch die Kategorie Geschlecht konstituiert und geregelt wird; zum anderen widerspricht sie der gängigen Annahme, wonach die Machtübergabe an die Nationalsozialisten ein tiefgreifender Einschnitt in die Laufbahn von Wissenschaftlerinnen im 20. Jahrhundert gewesen sei.
Um das Gefüge von Wissenschaft, Politik und Geschlecht empirisch zu fassen, untersucht Berger exemplarisch die Biographien von fünf Osteuropahistorikerinnen, deren jeweiliger Berufsweg sich über den gesamten Untersuchungszeitraum verfolgen lässt und die allesamt zwar ein erfolgreiches Promotions-, aber nicht zwingend ein Habilitationsverfahren abgeschlossen hatten. Die Akzentuierung der Vertreterinnen dieser Teildisziplin resultiert vor allem aus dem Umstand, dass es neben der Prähistorie dieses Themenfeld war, auf dem sich Frauen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts relativ erfolgreich positionieren konnten.
Berger untersucht entsprechend die Werdegänge folgender Historikerinnen: Hedwig Fleischhacker (1906–1978), die 1929/30 in Wien promoviert wurde und danach ihrem Betreuer Hans Uebersberger, den sie später heiratete, nach Breslau und Berlin folgte, wo sie sich 1939 habilitieren und daran anschließend eine Assistentenstelle antreten konnte; die in Petersburg geborene Irene Grüning (1900–1955), die an der Berliner Universität bei dem bekannten Osteuropahistoriker Otto Hoetzsch ihre Dissertation einreichte und 1938 eine Beschäftigung am Osteuropa-Institut in Breslau annahm; Ellinor von Puttkamer (1910–1999), die 1936 ebenfalls von Uebersberger promoviert wurde, im Juli desselben Jahres eine Anstellung am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht fand, sich 1945 habilitierte, in der Bundesrepublik jedoch kaum mehr als Historikerin in Erscheinung trat, sondern sich als Diplomatin und Völkerrechtlerin profilieren konnte; die aus Lettland stammende Herta von Ramm-Helsing (1900–1987), die ihre bereits 1931 in München eingereichte Dissertation erst ein Jahrzehnt später lediglich in Auszügen publizieren konnte und nach dem Zweiten Weltkrieg nach einem abgebrochenen Habilitationsversuch mit Hilfe diverser Auftragsarbeiten nur mühselig über die Runden kam; schließlich die in einem akademisch-protestantisch geprägten Elternhaus aufgewachsene Hildegard Schaeder (1902–1984), die 1929 in Hamburg promoviert wurde und 1934 eine Anstellung bei der zur Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft (NOFG) gehörenden und in Berlin ansässigen Publikationsstelle fand.
Bergers Arbeit gliedert sich in vier Kapitel. In den ersten beiden Kapiteln fragt sie vor allem nach den Zugängen, Wegen und Sackgassen von Historikerinnen zwischen der späten Weimarer Republik und dem Ende des „Dritten Reiches“ und kommt zu dem Ergebnis, dass die von den nationalsozialistischen Machthabern installierte Reichshabilitationsordnung, nach der Frauen die Habilitation zwar offen stand, eine Dozentur aber verwehrt blieb, durchaus einen gravierenden Einschnitt für die universitären Laufbahnen der Wissenschaftlerinnen darstellte. Durch die vom neuen Regime geförderte Expansion der außeruniversitären Osteuropaforschung ergaben sich für sie jedoch auch neue Arbeitsbereiche. Dort, jenseits der Universitäten, waren Frauen während des Nationalsozialismus überdurchschnittlich repräsentiert, was einen aber nicht zu der Annahme verleiten darf, dass der Faktor Geschlecht in diesem Kontext keine Relevanz besessen hätte: Während für Männer die außeruniversitäre Forschung ein zusätzliches Handlungsfeld darstellte, stand den Frauen nur noch allein dieser Wirkungsbereich offen. Zudem verringerten sich die Möglichkeiten von Historikerinnen mit Beginn des Zweiten Weltkrieges, als das entschieden männlich kodierte Konzept des „kämpfenden Wissenschaftlers“ die Grenzen weiblicher Partizipation markierte.
Im dritten Kapitel wendet sich Berger der Frage zu, wie die untersuchten Historikerinnen das NS-Regime, die rassistischen Verbrechen und den Vernichtungskrieg in Osteuropa sowohl vor als auch nach 1945 wahrnahmen und mental verarbeiteten. Dies demonstriert Berger vor allem am Beispiel Hildegard Schaeders, die die letzten Kriegsmonate im Frauenkonzentrationslager von Ravensbrück verbringen musste und diese Erlebnisse nach Ende des „Dritten Reiches“ autobiographisch reflektierte. Die Aufzeichnungen Schaeders zeigen, „dass widerständiges Handeln und wissenschaftliches Arbeiten in einer regimenahen Forschungsinstitution während des Nationalsozialismus im Selbstentwurf der historischen Akteurinnen durchaus sinnvoll miteinander verbunden“ werden konnte (S. 313). Die Autorin macht darüber hinaus deutlich, wie zentral für Schaeders weitere Berufslaufbahn die Fremdwahrnehmung ihrer Person als Verfolgte des NS-Regimes war. Während Hans Rothfels nach 1945 von der Zunft als transatlantischer Mittler auserkoren wurde, avancierte die Historikerin Schaeder zum „Typus einer diplomatischen, besonnenen und hochqualifizierten Vermittlerin zwischen West und Ost“ (S. 237).
Das abschließende Kapitel thematisiert das Bemühen der untersuchten Historikerinnen, in der Bundesrepublik ihre Laufbahn fortzusetzen und eine notwendige Altersvorsorge zu sichern. Besonders hier offenbart sich das heikle Zusammenspiel von Wissenschaft, Politik und Geschlecht: Um auch in der Demokratie der Nachkriegszeit an Universitäten weiterhin wissenschaftlich tätig sein zu dürfen, bedurfte es einerseits einer „hinreichende[n] Distanz zwischen vormaliger wissenschaftlicher Tätigkeit und nationalsozialistischem Herrschaftssystem“, andererseits jedoch auch eines „einheitlichen, ungebrochenen Verlauf[s] des akademischen Weges“ (S. 308). Dass ausgerechnet Hedwig Fleischhacker, die ein lückenloses akademisches Curriculum vitae vorzuweisen hatte, in der Bundesrepublik nicht der Weg zurück an die Universität gelang, wirft ein bezeichnendes Licht darauf, dass die scientific community eine „zu“ politische Haltung zwar ihren männlichen Mitgliedern verzieh, derartige „Fehltritte“ bei einer Frau dagegen nicht tolerierte.
Das große Verdienst von Heike Anke Bergers Studie ist es, auf eindringliche und äußerst überzeugende Weise aufgezeigt zu haben, wie Geschlecht zwar nicht als determinierender, aber doch stets präsenter Faktor das wissenschaftliche Terrain der historischen Osteuropaforschung strukturierte. Es grenzt an Beckmesserei, einer so wichtigen Pionierstudie vorzuhalten, sie habe gewisse Dinge vernachlässigt. Daher seien an dieser Stelle nur zwei Anmerkungen erlaubt. Zum einen verbleibt die Auseinandersetzung mit wissenschaftssoziologischen Ansätzen äußerst kursorisch; insbesondere die von Ludwik Fleck entwickelte Denkstillehre, welche von der Verfasserin durchaus zur Kenntnis genommen wird, hätte intensiver erprobt und hinsichtlich des Verhältnisses von Denkkollektiv und Geschlecht stärker diskutiert werden können. Zum anderen lässt sich Bergers Argumentation hinsichtlich des Konzepts der „wissenschaftlichen Laufbahn“ nicht gänzlich nachvollziehen. So richtig es ist, auf den Karrierebegriff aufgrund seiner negativen Färbung im Zusammenhang mit weiblicher Berufstätigkeit zu verzichten, so wenig scheint der Rekurs auf den Laufbahnbegriff ein adäquater Ausweg zu sein. Denn schließlich besitzt auch diese aus der Welt des Sports stammende Metapher eine gewisse teleologische Ausrichtung: Laufbahnen verfügen, wenngleich sie nicht geradlinig, sondern rund sind, über eine Start- und Ziellinie. Aber dies sind lediglich Randnotizen. Berger hat mit ihrer Arbeit, wie sie mit Recht betont, eine Pionierstudie vorgelegt, die sich durch ein hohes analytisches Niveau, einen äußerst stringenten Aufbau sowie einen schnörkellosen und prägnanten Sprachstil auszeichnet und der hoffentlich weitere, die Felder der Historiographie- und Geschlechtergeschichte verknüpfende Untersuchungen folgen werden.
URN urn:nbn:de:0114-qn091282
Andreas Schneider
HU Berlin, Institut für Geschichtswissenschaften
E-Mail: a.schneider.hu-berlin@web.de
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