Bekämpft, umstritten und geliebt: Clara Zetkin. Eine Würdigung zum 150. Geburtstag

Rezension von Dorothee Rempfer

Florence Hervé (Hg.):

Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist.

Berlin: Karl Dietz Verlag Berlin 2007.

147 Seiten, ISBN 978–3–320–02096–5, € 6,90

Abstract: Florence Hervé, Dozentin, freie Journalisten und Autorin, hat in diesem anlässlich des Jubiläums erschienenen Band mit Texten von und über Clara Zetkin einen thematisch gegliederten biographischen Überblick vorgelegt. Hervé ordnet die Politikerin und Frauenrechtlerin anhand der Materialien in historische Zusammenhänge ein und setzt sich kritisch mit ihren Gedanken und Theorien auseinander. Dabei vertritt sie den Anspruch, Zetkin auch von ihren bisher weniger bekannten Seiten zu zeigen. Dies gelingt ihr jedoch nur ansatzweise.

Der anhaltende Streit um die Bedeutung Clara Zetkins war für Florence Hervé Anlass, sich dieser Persönlichkeit erneut zu widmen. Nachdem Tânia Puschnerat in ihrer 2003 veröffentlichten Monographie Clara Zetkin. Bürgerlichkeit und Marxismus das Leben und Wirken Zetkinsinsbesondere von konservativen, opportunistischen und bürgerlichen Handlungsmotiven bestimmt sieht, betont Hervé die revolutionären und unzeitgemäßen Ideen Zetkins. Die Herausgeberin zeigt an Beispielen, dass die Auseinandersetzung um Zetkin – die von der westdeutschen Forschung weitgehend ignoriert und in der DDR unter Ausblendung unbequemer Aspekte zur Heldin stilisiert wurde – selten frei ist von politischen Intentionen.

Hervé will Zetkin mit der vorliegenden Würdigung in die deutsche Erinnerungskultur integrieren und zu einer objektiveren Deutung beitragen. Dafür sollen den neben bekannten auch bisher wenig beachtete Seiten Zetkins herausgestellt werden: „Dass sie auch Pädagogin, Literatur- und Kunsthistorikerin, Rednerin, Feministin und kämpferische Rebellin im privaten und politischen Leben war, wurde bisher meist ‚übersehen‘“ (S. 9).

Im ersten Teil des Buches gibt Hervé einen thematisch gegliederten biographischen Überblick: Clara Zetkin als Rebellin, als Kämpferin für das Recht der Frauen auf Erwerbstätigkeit, ihr Einsatz für das Frauenwahlrecht und die aktive Teilhabe der Frauen an der Politik, Zetkins Haltung zum Recht auf Selbstbestimmung, ihre pädagogischen Ansichten, ihre Gedanken zu einer sozialistischen Kultur, ihr Engagement für Frieden und die Analyse des Faschismus sowie ihre daraus abgeleiteten politischen Konsequenzen. Zu vielen im Text erwähnten Begriffen und Ereignissen finden sich ergänzende Informationen in den Fußnoten.

Dieser historischen Kontextualisierung Zetkins folgt in einem zweiten Teil der Abdruck ausgewählter Reden und Briefe. Zwischen den einzelnen Dokumenten sind Fotografien und Zitate unterschiedlicher Autoren und Autorinnen eingefügt. Im Anhang des Buches befinden sich neben biographischen Daten einige Informationen zu den im biographischen Überblick erwähnten Personen sowie eine kurze Stellungnahme von Manuela Dörnenburg (Sprecherin des Förderkreises der Clara Zetkin Gedenkstätte e.V.) zur wechselhaften Erinnerungskultur am Beispiel der 50jährigen Geschichte der Gedenkstätte im ostdeutschen Birkenwerder, Zetkins ehemaligem Wohnhaus.

„Kämpfen, wo das Leben ist“

Clara Zetkin wird als rebellische Person vorgestellt, die für ihre Ideale kämpfte und damit schon früh in Gegensatz zu ihrem bürgerlichen Umfeld geriet. Ihr Engagement in der Arbeiterbewegung und ihre Freundschaft zu dem russischen Emigranten Ossip Zetkin, dem sie ins Pariser Exil folgte, führten unter anderem zum Bruch mit ihrem Elternhaus.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich Zetkin für die Erwerbstätigkeit von Frauen ein. Sie kritisierte die in der Partei und in der Arbeiterbewegung vorherrschende Meinung, die Frau sei die ‚Schmutzkonkurrentin‘ des Mannes, und forderte die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen als Schlüssel für die Gleichberechtigung. Das Frauenwahlrecht allein war für Zetkin nicht ausreichend, um die Gleichberechtigung voranzutreiben. Diese Forderung unterschied sie von der bürgerlichen Frauenbewegung, die sich vor allem für das Frauenwahlrecht einsetzte. Ihre Ideen und Theorien formulierte Zetkin unter anderem im Appell Für die Befreiung der Frau (1889) und in der Schrift Der Student und das Weib (1899). Beide Dokumente wie auch die Resolution zum Internationalen Frauentag von 1910 befinden sich in der Auswahl Hervés. Ein interessantes Dokument ist auch der Brief an die Genossin Ankersmit. Dieser belegt nicht nur Zetkins Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau im Sozialismus, sondern auch ihre Forderung nach frauenspezifischen Organisationsformen und damit den Wandel in Zetkins Haltung zur Einbindung der Frauen in den Sozialismus; vertrat sie doch bis dahin die Meinung, Männer und Frauen müssten über gemeinsame Organisationsstrukturen in die sozialistische Kultur eingebunden werden.

Ihrer Zeit voraus

Vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges engagierte sich Zetkin gegen Aufrüstung und für den Frieden. Diese Haltung führte zum Konflikt mit der Sozialdemokratischen Partei, von der sie sich 1916 abwandte. Auch hier wählt die Herausgeberin mitdem sogenannten Berner Appell von 1915 (Frauen des arbeitenden Volkes!) ein Dokument, das Zetkins Engagement für die Frauenbewegung betont.

1919 trat Zetkin der KPD bei, deren politische Leitlinie sie in den 1920er und 1930er Jahren häufig kritisierte. Die Differenzen betrafen insbesondere die Deutung und Bekämpfung des Faschismus. Dieser Aspekt wird nach Hervé durch den Bericht Der Kampf gegen den Faschismus repräsentiert, mit dem Zetkin bereits 1923 eine weitsichtige Analyse des italienischen Faschismus vorlegte. Darin warnte Zetkin vor der faschistischen Gefahr und wies darauf hin, dass der Faschismus nicht allein auf militärischem Wege zu überwinden, sondern durch ideologische und politische Bekämpfung niederzuringen sei. Dazu forderte sie die Einheitsfront aller Arbeiter und trat damit in offenen Widerspruch zur politischen Linie der KPD, die sich erst 1935 von der Sozialfaschismustheorie abwandte und die Einheitsfront zur Bekämpfung des Nationalsozialismus proklamierte. Der Faschismus war für Zetkin „der Ausfluß der Zerrüttung und des Zerfalls der kapitalistischen Wirtschaft und ein Symptom der Auflösung des bürgerlichen Staates“ (S. 88). Sie verbuchte es als Niederlage der KPD, dass es „nicht gelungen [war], dem riesenhaften Anschwellen der Nazis Einhalt zu gebieten“ (S. 126). Die kritische Haltung Zetkins gegenüber der KPD belegen die beiden von Hervé ausgewählten Briefe an Nikolai Bucharin und Wilhelm Pieck. Den Abschluss der abgedruckten Reden, Briefe und Schriften bildet die Rede Zetkins als Alterspräsidentin im Reichstag 1932, in der sie erneut zur Einheitsfront im Kampf gegen den deutschen Faschismus aufrief.

Fazit

Obwohl Hervé beansprucht, bisher wenig beachtete Aspekte im Leben und Handeln von Clara Zetkin zu betonen, liegt der Schwerpunkt des Bandes auf Zetkins Bedeutung für die proletarische Frauenbewegung. Ihrem Anliegen wird die Herausgeberin folglich nur in Ansätzen gerecht. Den Lesern und Leserinnen werden zwar im biographischen Teil die unterschiedlichen Arbeitsbereiche Zetkins vorgestellt, doch betont die Auswahl der Texte, Reden und Briefe vorrangig Zetkin in der Rolle als Frauenrechtlerin. Eine Ausnahme stellen die Briefe an Nikolai Bucharin und Wilhelm Pieck dar. Sie veranschaulichen die Meinungsunterschiede zur kommunistischen Politik, die bislang weitgehend unbeachtet geblieben sind.

Um beispielsweise Zetkins pädagogische Überlegungen und ihre Haltung zur Kunst durch Originaltexte zu belegen, wäre es sinnvoll gewesen das Schulprogramm Die Schulfrage (1904) und die Broschüre Kunst und Proletariat (1911) aufzunehmen.

Noch heute sind Zetkins Thesen zur Berufstätigkeit von Frauen, zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie zum Thema Krieg und Friede hochaktuell. Auch deshalb sind dem Band trotz kleiner Schwächen viele Leserinnen und Leser zu wünschen.

Für die zukünftige Zetkin-Forschung bleibt zu hoffen, dass sich jemand der Veröffentlichung ihrer Briefe annehmen möge, um damit eine weitere Auseinandersetzung mit dieser wichtigen Persönlichkeit zu ermöglichen.

URN urn:nbn:de:0114-qn091266

Dorothee Rempfer M.A.

FernUniversität Hagen

E-Mail: dorothee.rempfer@fernuni-hagen.de

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