Erich Lehner, Christa Schnabl (Hg.):
Gewalt und Männlichkeit.
Münster u.a.: LIT Verlag 2007.
119 Seiten, ISBN 978–3–8258–8502–1, € 9,90
Abstract: Der Sammelband Gewalt und Männlichkeit beinhaltet fünf Aufsätze, die sich aus unterschiedlicher Perspektive mit dem Thema ‚Männlichkeit und Gewalt‘ befassen. Die leitenden Fragen sind: Wie erklärt es sich, dass Männer gewalttätig werden bzw. sind? Und welche Voraussetzungen lassen sich dafür in unterschiedlichen Konstruktionen von Männlichkeit finden?
Gewalt scheint ein männliches Phänomen zu sein: Angst und Schrecken verbreitende marodierende Banden in afrikanischen Bürgerkriegen, Hooligans, rechtsextreme Schlägergruppen, jugendliche Banlieuebewohner, die sich Straßenschlachten mit der französischen Polizei liefern – sie alle eint, dass sie sich überwiegend aus (jungen) Männern zusammensetzen. Auch die aktuell geführte Diskussion über die Gewaltkriminalität jugendlicher Banden fokussiert sich – statistisch begründet und populistisch überzeichnet – auf männliche Jugendliche bzw. Männer mit Migrationshintergrund. Die Frage, die sich hier nun zwingend stellt, ist, wie dieser Zusammenhang von Gewalt und Männlichkeit erklärt werden kann.
Der vorliegende Sammelband versucht sich dieser Frage anzunehmen. Der Titel vereint fünf Aufsätze, die sich auf unterschiedlichem Wege dem Thema der ‚männlichen Gewalt‘ nähern. Die Aufsatzsammlung ist hervorgegangen aus einer wissenschaftlichen Fachtagung des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Werteforschung in Wien und beinhaltet die Vorträge dieser Veranstaltung in überarbeiteter Form. Die Herausgeber Erich Lehner und Christa Schnabl arbeiten beide am Institut in einem Projekt zur Erforschung der Geschlechterverhältnisse.
Im ersten Beitrag des Sammelbandes verfolgt Edgar J. Forster die These, dass Gewalt der „Resouveränisierung von Männlichkeit“ (S. 13) dient. Der Autor geht dabei – dem Mainstream der derzeit führenden Geschlechterforschung folgend – davon aus, dass Männlichkeit sozial geschaffen ist und es nicht die eine Form der Männlichkeit, sondern vielmehr unterschiedliche Formen von Männlichkeiten gibt. Die Ideologie von der einen Männlichkeit verfolgt das Ziel der Produktion und Repräsentation von binären Geschlechterdifferenzen und von hegemonialer Männlichkeit, zu verstehen als die gesellschaftliche Dominanz von Männern über Frauen. Forster veranschaulicht anhand einer knappen Darstellung eines Auto-Werbespots, dass die Deutung einer Handlung als gewalttätig nie geschlechtsneutral, sondern immer an das Geschlecht gebunden ist. Hierbei definiert sich Gewalt aber nicht aufgrund einer bestimmten Praktik, sondern danach, ob die Gewaltpraktik für die Geschlechtsidentität bedeutsam ist. Männliche Gewalt, die der Ideologie von Männlichkeit und der Konstruktion einer männlichen Geschlechtsidentität dienlich ist, macht Forster auf drei unterschiedlichen Ebenen fest: Sexismus, Patriarchalismus und Phallozentrismus. Alle Formen männlicher Gewalt – die sexistische Alltagspraktik, die patriarchale Struktur und das phallozentrische Weltbild – erhalten die Ideologie der einen Männlichkeit und strukturieren damit die Differenz zwischen den Geschlechtern. Forster beendet seinen Beitrag mit einem kurzen Katalog an konstruktiven Vorschlägen für die Männer- und Jungenarbeit, die der Männergewalt auf allen genannten Ebenen entgegenwirken soll.
Im zweiten Textbeitrag referiert Forster gemeinsam mit Georg Tillner Ergebnisse einer laufenden Studie über den Prozess der Bildung, Reproduktion und Repräsentation von Gruppenzugehörigkeit, wobei die Verknüpfung von Männlichkeit und Kultur/Ethnie besonders im Vordergrund steht. Präsentiert werden Analysen von Gruppendiskussionsverfahren mit Jugendlichen. Im Mittelpunkt der Analyse steht hier der situativ-kommunikative Prozess der Konstruktion von Differenzen zwischen Geschlechtern und Kulturen/Ethnien. So wird beispielsweise die Kritik am Sexismus türkischer Jungen von Seiten der Mädchen zugleich als fremdenfeindliche Aussage deutbar, da dieser in Verbindung gebracht wird mit einer unveränderbar erscheinenden kulturellen Differenz („die Türken sind so“ (S. 31)). Es wird in den Interviews ersichtlich, wie sich der Prozess der Gruppenkonstitution entlang der Differenzlinien Geschlecht und Kultur/Ethnie gestaltet. Bei den beobachtbaren Aushandlungsprozessen von Gruppenzugehörigkeiten wird getrennt zwischen den Eigenen und den Anderen. Das Eigene gilt dabei als vertraut, transparent, selbstbestimmt, individuell und verhandelbar. Das Andere wird demgegenüber als fremd, undurchschaubar, dominant, kollektiv und in einem essentialistischen Sinne als nicht verhandelbar charakterisiert. Für Forster und Tillner sind somit „Geschlecht und Ethnie, bzw. Sexismus und Rassismus […] Artikulationen in Prozessen der Gruppenkonstitution, durch die situative Einschlüsse und Ausschlüsse, als Zugehörigkeit, fixiert und reguliert werden“ (S. 32).
In einem sehr gut lesbaren, spannenden Text geht Michael Meuser der denkbaren Gefährdung männlicher Hegemonität angesichts gesellschaftlicher Prozesse der Individualisierung und Enttraditionalisierung nach und fragt nach Kontinuität und Wandel in der Lebensgestaltung von Männern in unserer Gesellschaft. Der Autor kann anschaulich herausstellen, dass bei vielen Männern – gerade aus der gesellschaftlichen Elite in Politik und Wirtschaft – trotz derartiger gesellschaftlicher Wandlungsprozesse die Kontinuität der tradierten bürgerlichen Geschlechterordnung weitgehend ungebrochen ist. Die von Meuser in Gruppendiskussionen befragten ‚neuen Männer‘ aus dem intellektuell-akademischen Milieu, die durch ihr reflektiertes Handeln versuchen, alte Geschlechterordnungen aufzubrechen, wünschen sich demgegenüber häufig die Sicherheit, die die tradierte Form von Männlichkeit zu geben imstande sei. „Die Sehnsucht nach der habituellen Sicherheit […] verleiht den abgelehnten symbolischen Ressourcen traditioneller Männlichkeit hinterrücks eine Attraktivität, die in deutlichem Widerspruch zur emanzipatorischen Programmatik steht“ (S. 54). In Anlehnung an Pierre Bourdieu beschreibt Meuser das Muster ungebrochen geltender hegemonialer Männlichkeit „als Erzeugungsprinzip des männlichen Geschlechtshabitus“ (S. 56). „Der männliche Habitus äußert sich in einer Vielzahl von Formen: als Verantwortlichkeit für Wohl und Wehe der Familie (Familienoberhaupt) ebenso wie in physischer Gewalt, in Formen prosozialen Handelns (Beschützer, Kavalier) wie in Hypermaskulinität (Rambo, Macho)“ (S. 57). Dieser geschlechtliche Habitus entfaltet seine Wirkung – auch bei den ‚neuen Männern‘ – als inkorporierte ‚zweite‘ Natur und ist deshalb so dauerhaft wirksam.
Christa Schnabl beschäftigt sich in ihrem diskursgeschichtlichen Beitrag mit den Täter-Opfer-Kategorien in der Gewaltdebatte. Die Zuschreibung wurde zu Beginn der feministischen Beschäftigung mit diesem Thema entlang der Geschlechtergrenzen vorgenommen: Männer sind die Täter, Frauen die Opfer. In jüngerer Zeit wird dieses polare Schema zunehmend überwunden. Die Autorin zeichnet den feministischen Diskurs zu den Kategorien Gewalttäter und -opfer nach und belegt anschaulich, dass nicht mehr undifferenziert vom ‚ohnmächtigen Objekt Frau‘ gesprochen wird. So referiert sie beispielsweise Christina Thürmer-Rohrs Konzept der ‚Mittäterschaft‘ der Frauen, welches die Frauen als handelnde Subjekte begreift, und untersucht, wie sie für das Funktionieren des Patriarchats mitverantwortlich sind. Das aktuelle Genderkonzept – so macht Schnabl deutlich – überwindet dieses Patriarchatskonzept, da hier weder die Geschlechter noch die ihnen zugeschriebenen Positionen als Täter oder Opfer in der Gewaltsituation „als monolithischer Block verstanden werden“ (S. 74), sondern vielmehr die „Vieldimensionalität und -relationalität von Weiblichkeit und Männlichkeit“ (S. 74) analysiert wird. Innerhalb der „Männerdiskurse“, die Schnabl nachzeichnet am Beispiel der „Männerverständigungsliteratur“, finden wir demgegenüber unterschiedliche Positionen zur Opfer-Kategorie: So findet sie z. B. eine defizitorientierte „Männerverständigungsliteratur“, in der sich Männer als die Opfer des Verlustes tradierter Selbstverständlichkeiten begreifen, oder eine maskuline, in welcher der Mann als Opfer feministischer Attacken dargestellt wird und die Rückbesinnung auf klassische Männlichkeit als das zu erreichende Ziel gilt. Die Autorin betont gegenüber diesen Opfer-Diskursen die Bedeutung einer sinnvollen, differenzierten und kritischen Verwendung der Opfer-Kategorie, denn: „Wenn nämlich alle zu Opfer werden, gibt es keine Täter mehr“ (S. 82).
Im letzten Aufsatz des Sammelbandes referiert Erich Lehner zahlreiche unterschiedliche Bemühungen seitens der Männerarbeit im deutschsprachigen Raum, die sich zum Ziel setzt, männliche Dominanz abzubauen und ein geschlechtergerechteres Zusammenleben von Frauen und Männern zu erreichen. Wichtig ist dabei: „Kritische Männerarbeit […] kann […] einen wesentlichen Beitrag zur Gewaltprävention liefern, indem sie vorherrschende Männlichkeitskonstrukte zur Sprache bringt. Dazu gilt es, die destruktiven Anteile dieser Konstrukte zu identifizieren und kritisch zu bearbeiten“ (S. 96).
Der Sammelband liefert interessante Analysen zur Thematik. Anspruch des Bandes war nicht, umfassend über das große Thema ‚männliche Gewalt‘ zu berichten. Dies wäre aufgrund der Komplexität des Themas und des demgegenüber schmalen Umfanges des Buches ein auch nicht zu leistendes Vorhaben gewesen. Die Beiträge sollten vielmehr verstanden werden als Ergänzung zum wissenschaftlichen Diskurs.
Die optimistischen Aussagen über die Möglichkeiten der Jungen- und Männerarbeit zur Überwindung männlicher Gewalt sind sowohl bedenkenswert und umsetzbar als auch ein Stück naiv, ruft man sich in Erinnerung, was Forster aus Sicht der Männer über Gewalt anschaulich formuliert: Wir „Männer [sind], ob wir wollen oder nicht, in privilegierte Positionen gesetzt […]. Ob wir sie nützen, ob sie uns lästig sind, ob wir ihrer überdrüssig sind oder uns mit ihnen identifizieren, sie markieren unser Verhältnis zum Patriarchat. Es gibt weder den unschuldigen, das heißt den geschlechtsneutralen Blick, noch ein solches Handeln. Was immer ich sage und tue, in einem patriarchalischen Kontext wird es als geschlechtliches bedeutsam: es kann als typisch männliches Handeln wahrgenommen werden oder auch als irritierendes Handeln, da es den unterstellten Normen nicht entspricht, etc. Aber es wäre eine Illusion zu glauben, dass es ein Sprechen vor jeder sexuellen Markierung gibt“ (S. 17).
Sämtliche Beiträge haben leider auch eine gravierende, nicht zu übersehende inhaltliche Schwäche: Grundlegende, aber immer wieder zu lesende Begrifflichkeiten wie ‚Identität‘, ‚Kultur‘ oder die zentrale Kategorie der ‚Gewalt‘ werden nie explizit definiert. Ferner muss gesagt sein, dass das Buch aus lektorieller Sicht schlecht überarbeitet wurde. Es finden sich in der Veröffentlichung einige schlampige und unnötige formale Fehler, die beim Lesen zum Ärgernis werden.
URN urn:nbn:de:0114-qn091314
Dr. Martin Spetsmann-Kunkel
FernUniversität Hagen, Lehrgebiet Interkulturelle Erziehungswissenschaft
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