Beate Curdes, Sabine Marx, Ulrike Schleier, Heike Wiesner (Hg.):
Gender lehren – Gender lernen in der Hochschule.
Konzepte und Praxisberichte.
Oldenburg: BIS-Verlag 2007.
298 Seiten, ISBN 978–3–8142–2027–7, € 12,80 (auch als kostenfreier Download)
Abstract: Ingenieurwissenschaftliche Studiengänge sind ein „für geschlechterkritische Reflexionen resistentes Terrain“ (Fleßner, S. 7). Gerade aus diesem Grunde setzen sich die Autorinnen mit der Frage auseinander, wie Geschlecht in den Ingenieurwissenschaften kritisch reflektiert werden kann und Aspekte der Geschlechterforschung in die Lehre integriert werden können. Sie gehen dabei von einem Verständnis der Hochschule als einem Ort der Persönlichkeitsbildung aus, an dem mit und neben dem Wissen auch gesellschaftliche Normen und Werte vermittelt werden.
Der Band ist das Ergebnis des Projekts „Gender Mainstreaming in der Lehre“, das an der Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven (FH OOW) 2005 bis 2006 in Kooperation mit dem Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg durchgeführt wurde. Ermöglicht wurde das Projekt durch das Maria-Goepert-Meyer-Programm in Niedersachsen. Im Rahmen dieses Programms lehrten von März 2005 bis Februar 2006 Dr. Beate Curdes als Gastprofessorin mit der Denomination „Gender und Mathematik“ und Dr. Heike Wiesner als Gastprofessorin mit der Denomination „Gender Mainstreaming in Wirtschaftsinformatik und E-Learning“ in Wilhelmshaven. Gemeinsam mit Prof. Dr. Ulrike Schleier (Mathematik) und Dr. Sabine Marx (Kompetenzzentrum Hochschuldidaktik, TU Braunschweig) entwickelten und erprobten sie Konzepte zur Integration von Aspekten der Geschlechterforschung in technisch-naturwissenschaftliche Studiengänge. Der Band gliedert sich in drei aufeinander bezogene Teile: Ansätze, Konzepte und Praxisberichte.
Unter dem Titel „Gender Mainstreaming in der Hochschullehre“ verdeutlicht Ulrike Schleier das Selbstverständnis des Projekts: „Ziel des Gender Mainstreaming in der Hochschullehre sollte nach unserem Verständnis sein, die Qualität der Lehre für alle Studierenden zu erhöhen, indem Hochschullehre unter der Genderperspektive neu in den Blick genommen wird“ (S. 18). Lehre wird dabei verstanden als die Gesamtheit der Bedingungen, die Studierende an einer Hochschule vorfinden; dies schließt Studien- und Prüfungsordnungen ebenso ein wie die räumliche Gestaltung, die Gruppengröße und deren Geschlechterzusammensetzung, die Lehrinhalte und -methoden. Vorgestellt werden verschiedene Zugänge zur Inkludierung von Gender in die Lehre naturwissenschaftlicher und technischer Fächer sowie Konzept und Ergebnisse des Projekts „Gender Mainstreaming in der Lehre“. Als wesentlich hebt Schleier die Integration der Lehre von Gastprofessorinnen in den regulären Lehrplan hervor.
Im zweiten Teil geht Beate Curdes auf Basis der Ergebnisse des Forschungsprojekts „Zur Entwicklung von fachbezogenen Strategien, Einstellungen und Einschätzungen von MathematikstudentInnen in den Studiengängen Diplom-Mathematik und Lehramt an Gymnasien“, das von 1999 bis 2001 an der Universität Oldenburg durchgeführt wurde, auf Unterschiede in den Einstellungen zur Mathematik ein. Diese bestehen sowohl zwischen männlichen und weiblichen Studierenden als auch zwischen Lehramts- und Diplomstudierenden. Ein signifikant höherer Anteil männlicher Studierender entwickelte im Laufe des Studiums ein positives „fachbezogenes Leistungsselbstkonzept“ (S. 59). Curdes zieht daraus die Schlussfolgerung, dass Veränderungen in der Lehr- und Lernkultur der Mathematikausbildung nötig sind, um die unterschiedliche Zufriedenheit und die unterschiedlichen Einstellungen zur Mathematik auszugleichen.
Ausgehend von einer Analyse der Kommunikation im Zusammenspiel mit Organisation und Geschlecht entwickelt Sabine Marx in dem auf ihrer Dissertation basierenden Beitrag „Geschlecht kommunizieren - Genderkompetenzen entwickeln“ einen Vorschlag zur Vermittlung von Genderkompetenz in der Weiterbildung von Hochschullehrer/-innen. Die in diesem Beitrag noch abstrakt bleibenden Vorstellungen werden in ihrem sich anschließenden Beitrag „Genderbewusst lehren. Aktuelle Überlegungen zur Hochschuldidaktik“ konkretisiert.
Unter dem Titel „Genderbewusste Mathematikdidaktik“ stellt Beate Curdes gendersensible Lehr- und Lernformen in der Mathematikausbildung vor, die ein verstehensorientiertes Vorgehen in der Mathematik bei Studentinnen und Studenten fördern sollen. Sie plädiert für problemorientiertes Lernen in der Mathematikausbildung, das die Studierenden in die Lage versetzt, sich mathematische Begriffe und Verfahren selbständig zu erschließen. Dabei weist sie zu Recht darauf hin, dass für das problemorientierte Lernen mehr Zeit benötigt wird als für die klassische Vorlesung und somit eine inhaltliche Begrenzung der Veranstaltungsinhalte erforderlich ist.
Aufgrund der Erfahrungen mit kooperativer Softwareentwicklung bei der virtuellen internationalen Frauenuniversität sowie der Anforderungen an Wirtschaftsinformatiker/-innen in der partizipativen Technikgestaltung fordert Heike Wiesner in „Neue Lehr- und Lernkonzepte in der Wirtschaftsinformatik“, dass die im Studium verwendete Hard- und Software „für die Studierenden transparent sein und das Entwickeln und Ausprobieren eigener Lösungswege“ (S. 134) ermöglichen muss. Die Rolle der Hochschullehrenden verändert sich damit von einer (be)lehrenden in eine begleitende Funktion. Die Umsetzung dieser Prämissen in einem Studienprojekt, das sowohl kommunikations- als auch technikorientierte Studierende ansprach, beschreibt sie im zweiten Teil ihres Beitrags.
Im Teil Praxisberichte werden verschiedene Erfahrungen dargestellt - mit der Durchführung einer Tandem-Lehrveranstaltung in der Wirtschaftsinformatik (Wiesner, de Buhr), der Lehr-/Lernmethode „Expertenpuzzle“ in der Mathematikausbildung (Curdes), einem Workshops zu Gender und Diversity in der Hochschullehre (Marx), dem Einsatz des „Annaexperiments“ als Übung in Lehrveranstaltungen und dessen Auswertung hinsichtlich der dabei deutlich werdenden Geschlechterbilder der Studierenden (Schleier); außerdem werden die GenderTage an der FH OOW (Kosuch) sowie der Frauenstudiengang Wirtschaftsingenieurwesen und seine Auswirkungen auf die Lehre auch im koedukativen Studiengang (Schleier) vorgestellt. In den anschaulichen Beiträgen wird deutlich, dass der Blick auf die Lehr- und Lernvoraussetzungen der Studentinnen, die in den Ingenieurwissenschaften die Minderheit bilden, zu einer Hinterfragung althergebrachter Lehrmethoden führt. Die Veränderung von Lehr- und Lernmethoden, die den Bedürfnissen unterschiedlicher Lerntypen Rechung trägt, verbessert die Lernbedingungen aller Studierenden.
Die Teile und einzelnen Kapitel des Buches sind aufeinander bezogen, jedoch können insbesondere die Praxisberichte ohne Verständnisschwierigkeiten auch getrennt gelesen werden, da die auf vorherige Kapitel bezogenen Inhalte meist wiederholt werden. Dies ist einerseits lesefreundlich für Leser/-innen, die nur einzelne Kapitel lesen, andererseits durch die Wiederholungen ermüdend. Insgesamt vermittelt das Buch lebendige und spannende Einsichten und viele Anregungen zu Konzepten, Umsetzung und Nutzen gendersensibler Lehre.
URN urn:nbn:de:0114-qn091160
Dr. Michaela Kuhnhenne
Wilhelmshaven, Kooperationsnetzwerk Geschlechterforschung in der Nordwestregion
E-Mail: mkuhnhenne@web.de
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