Jana Esther Fries, Ulrike Rambuscheck, Gisela Schulte-Dornberg (Hg.):
Science oder Fiction?
Geschlechterrollen in archäologischen Lebensbildern.
Münster u.a.: Waxmann 2007.
236 Seiten, ISBN 978–3–8309–1749–6, € 19,90
Abstract: Zentrales Thema des vorliegenden Sammelbandes ist das Persistieren von traditionellen stereotypen Geschlechterrollen in archäologischen Lebensbildern. Die Autor/-innen setzen sich kritisch mit der Darstellung und Rekonstruktion von Geschlechterverhältnissen und Lebenswelten der Vergangenheit in wissenschaftlichen, populärwissenschaftlichen und populären Medien auseinander. Der Band beinhaltet die Beiträge der zweiten Sitzung der AG Geschlechterforschung, die 2005 unter dem Titel „Lebensbilder – Phantombilder“ im Rahmen des 5. Deutschen Archäologen-Kongresses in Frankfurt (Oder) abgehalten wurde.
Archäologie und Ur- und Frühgeschichte waren von jeher mit dem Problem konfrontiert, dass die materiellen Überreste vergangener Epochen nicht selbsterklärend sind; sie müssen interpretiert werden. Insbesondere Rückschlüsse auf gesellschaftliche Strukturen, Sozialverhalten und auch auf die Beziehungen der Geschlechter sind daher notwendigerweise stets spekulativ und von vorgefassten Ideen beeinflusst. Mit diesem Phänomen befassen sich die insgesamt zehn Beiträge des Bandes, die thematisch in fünf Teile gegliedert sind. Einem einführenden Teil mit zwei Beiträgen schließen sich Artikel zu Lebensbildern in wissenschaftlichen, populärwissenschaftlichen und populären Medien an. Der Begriff „Lebensbilder“ ist dabei weit gefasst: Zeichnungen, Gemälde, in Museen ausgestellte archäologische Fundstücke und Modelle sowie Romane und Filme sind Gegenstand der Untersuchungen. Der fünfte und letzte Teil enthält das „Lebensbild einer Archäologin“, die biographische Skizze der Wissenschaftlerin Margarete Bieber. Die Beiträge zeigen eindrücklich, wie sehr die Interpretationen der Geschlechterrollen in diesen Medien stereotypen Vorstellungen folgen, die mit der Realität nicht übereinstimmen und neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht entsprechen. Es soll gezeigt werden, „dass Geschlechterforschung eine kritische Sichtweise in das Kommunikationsgefüge der Archäologie einbringen kann“ (S. 10).
Im ersten Beitrag gibt Gisela Schulte-Dornberg einen kurzen historischen Abriss zur Entwicklung der theoretischen Konzepte des biologischen Geschlechts in Philosophie und Naturwissenschaften seit der Antike. Trotz sich wandelnder Erklärungsansätze wird dabei das weibliche Geschlecht fast durchgehend als minderwertig angesehen, als ein „verstümmeltes Männchen“ (nach Aristoteles, hier S. 20), vernunftlos, schwach, dem Manne unterworfen und mit der einzigen „natürlichen“ Bestimmung des Gebärens von Kindern.
Katja Allinger befasst sich im anschließenden Artikel „Fakt oder Fiktion?“ anhand der bildlichen Rekonstruktion des Lebens im Altpaläolithikum in populärwissenschaftlichen Arbeiten mit den genderspezifischen Botschaften, die dabei vermittelt werden. Das sehr begrenzte Repertoire an Szenen ist einem rigiden, längst überholten Rollenverständnis verhaftet: Während Männer in heldenhaften Posen im Vordergrund der Bilder der Jagd oder anderen „wichtigen“ Beschäftigungen nachgehen, bleiben die auch zahlenmäßig viel seltener abgebildeten Frauen im Hintergrund, bei der Ausführung von Hausarbeiten oder in Gesellschaft ihrer Kinder.
Die beiden folgenden Beiträge setzen sich kritisch mit Lebensbildern in wissenschaftlichen Publikationen auseinander. Uta Halle untersucht das Konzept der „weiblichen Migration“ in der Archäologie anhand eisenzeitlicher Grabbeigaben. In Frauengräbern werden Kleidungsbestandteile bei den Grabfunden, die als „fremd“ eingestuft werden, also nicht zur jeweiligen Region gehören, häufig als ein Indiz für die Einwanderung der betreffenden Frau angesehen, während exotische Fundstücke in Männergräbern als „Beutestücke“ interpretiert werden. Die Autorin fordert einen methodischen und quellenkritischen Umgang mit den archäologischen Funden. Jutta Leskovar befasst sich in „Bilder auf Töpfen – Bilder in Köpfen“ mit szenischen Darstellungen auf Keramiken und Situlendenkmälern der Hallstattzeit und deren Interpretation durch die historischen Wissenschaften. Obwohl die stark stilisierten Darstellungen in den meisten Fällen keine unmittelbaren Rückschlüsse auf das Geschlecht der abgebildeten Personen zulassen, werden diese dennoch anhand von als geschlechtstypisch angesehenen Tätigkeiten auf stereotype Weise identifiziert; Weben und Spinnen, langes Haar, das Tragen von Röcken und Schmuck oder dienende Tätigkeiten gelten stets als „weiblich“, ohne alternative Auslegungen in Betracht zu ziehen: „Frauen werden also durch ihre dienende Tätigkeit als Frauen identifiziert, um im Anschluss festzustellen, sie wären als Dienerinnen dargestellt“ (S. 103).
Bildliche Rekonstruktionen prähistorischer Bestattungszeremonien aus ur- und frühgeschichtlicher Zeit sind das Thema des Beitrags von Almut Mainka-Mehling. Anhand des Vergleiches dreier Bilder in populärwissenschaftlichen Werken aus dem 19. Jahrhundert und den 30er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wird aufgezeigt, wie sehr diese Illustrationen das Gedankengut und die Werte und Normen der jeweiligen Epoche widerspiegeln.
In ihrem interessanten und einsichtsvollen Artikel „Motive mit Tradition“ analysiert Miriam Sénécheau die Darstellung von Geschlechterrollen in heutigen Schulbüchern; hierfür wertete sie systematisch 233 Lebensbilder zur Ur- und Frühgeschichte in verschiedenen Geschichtsbüchern aus. Die Autorin stellt fest, dass die meistens von älteren Vorlagen immer wieder kopierten Motive, bei denen Frauen nicht nur zahlenmäßig unterrepräsentiert sind, sondern auch durchweg bei stark stereotypisierten Handlungen dargestellt werden, ein völlig unzeitgemäßes Rollenverständnis vermitteln, „das weder aktuelle Forschungsdiskussionen einbezieht […] noch den Leitgedanken der modernen Geschichtsdidaktik entspricht“ (S. 124). Sénécheau sieht dies zum einen in der mangelnden Kreativität und Sachkenntnis der Schulbuchillustrator/-innen begründet und zum anderen auch in den Lehrplänen, die das Thema „geschlechtsspezifische Arbeitsteilung“ – in den Lehrwerken auch beschrieben als „Verteilung der Arbeit nach den körperlichen Voraussetzungen“ oder „natürliche Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau“ (zit. S. 124) – vorschreiben oder vorschlagen. Hier sind Reformen dringend nötig.
Breite Bevölkerungsschichten mit unterschiedlichem Bildungsniveau können sich im 1996 eröffneten Neanderthal-Museum in Mettmann bei Düsseldorf über die Evolutionsgeschichte der Menschheit informieren. Marion Kanczok unterzieht in ihrem Beitrag die Ausstellungskonzeption des Museums, die nach Aussagen der Museumsleitung „eine neue und möglichst vorurteilsfreie Präsentation der Evolution wie auch zum Verhältnis der Geschlechter zueinander bieten“ soll (S. 166), einer kritischen Prüfung. Sie stellt fest, dass es trotz recht origineller und innovativer Präsentationsmethoden sehr schwierig ist, verinnerlichte stereotype Vorstellungen bei den Besucherinnen und Besuchern zu durchbrechen und neue Sichtweisen zu eröffnen.
Die hohe Stellung der Frau in der altägyptischen Gesellschaft hat die Schriftstellerin Silke Gyadu dazu inspiriert, das Alte Ägypten zum Schauplatz ihrer historischen Romane zu machen. In ihrem Beitrag „Altägyptische Frauenbilder“ gibt sie einen Einblick in verschiedene, für ihre Bücher relevante Aspekte des weiblichen Lebens in jener Kultur.
In „Lara Croft und Indiana Jones“ stellt Corinna Endlich den Vergleich an, wie Archäologinnen und Archäologen jeweils sowohl in populären Kinofilmen als auch in beliebten populärwissenschaftlichen Dokumentationen zu archäologischen Themen dargestellt werden. Die Autorin kommt zu dem wenig überraschenden Schluss, dass Frauen in den Kinofilmen nach wie vor auf eine überwiegend dekorative, auf erotische Assoziationen ausgerichtete Rolle reduziert bleiben. In den Dokumentationen dagegen werden sie in überproportional großer Anzahl bei aktiven Ausgrabungstätigkeiten und sonstigen Arbeiten gefilmt, „während die fachlich relevanten, spannenden und spektakulären Aspekte der Handlung ausschließlich den männlichen Akteuren überlassen bleiben.“ (S. 202)
Matthias Recke schildert im letzten Artikel des Bandes den ungewöhnlichen Lebensweg der klassischen Archäologin Margarete Bieber (1879–1978) und die enormen Schwierigkeiten und Widerstände, mit denen sie als Frau im männlich dominierten Wissenschaftsbetrieb ihrer Zeit zu kämpfen hatte. Nachdem sie 1931 als erste Frau in Deutschland zur außerordentlichen Professorin ernannt worden war, musste sie kurze Zeit später wegen ihrer jüdischen Abstammung das Land verlassen und begann eine neue Karriere in den USA.
Es ist nicht das Ziel des Bandes, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu präsentieren, sondern den Blick zu schärfen für die Allgegenwärtigkeit überkommener Rollenvorstellungen. Die Kritik an dem unzeitgemäßen Gedankengut des bürgerlichen 19. Jahrhunderts und den damit vermittelten Normen und Werten, die sich in den vorgestellten Lebensbildern finden, ist zweifellos berechtigt, denn diese Interpretationen tragen dazu bei, Rollenklischees und traditionelle Entwürfe von Männlichkeit und Weiblichkeit zu legitimieren. Die Autor/-innen rufen daher einstimmig zu größerer Sorgfalt bei der Quellenkritik und zu überlegtem und verantwortungsbewusstem Umgang mit den Materialien auf. Sie betonen die Notwendigkeit einer differenzierten Herangehensweise mit der Möglichkeit einer Vielzahl alternativer Deutungsmuster und Erklärungsansätze.
Die Artikel sind sorgfältig recherchiert, interessant und informativ und zeichnen sich durch eine klare und verständliche Sprache aus. Das Buch ist äußerst lesenswert und gewinnt durch seine sinnvolle Gliederung und den vielseitigen Umgang mit der Thematik. Die unterschiedlichen Inhalte und methodischen Herangehensweisen eröffnen aufschlussreiche Perspektiven und regen zum Nachdenken an. Dadurch ist der Band sehr gut geeignet, auch eine fachfremde Leserschaft in diese aktuelle Thematik einzuführen, und ist allen an Genderfragen interessierten Personen zu empfehlen.
URN urn:nbn:de:0114-qn091297
Dr. Friederike Schneider
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