Beate Rudolf, Matthias Mahlmann (Hg.):
Gleichbehandlungsrecht.
Handbuch.
Baden-Baden: Nomos Verlag 2007.
444 Seiten, ISBN 978–3–8329–1413–4, € 49,00
Abstract: Das Handbuch vermittelt ein durchgehendes Konzept: Gleichbehandlung ist nicht nur eine Angelegenheit praktischer Rechtsanwendung, sondern das Ergebnis konstruktiver theoretischer Bemühungen. Diese Bemühungen reichen weit zurück und sind modern wie nie zuvor. Alle Beiträge zeichnen sich insgesamt durch kritische Betrachtungsweisen aus.
Autorinnen und Autoren aus Rechtswissenschaft und Rechtspraxis beschäftigen sich in den Beiträgen zu diesem Band sowohl mit Grundlagen als auch mit konkreten Einzelfragen des Gleichbehandlungsrechts. Es handelt sich nicht um ein den neuen Rechtsgegenstand kommentierendes Handbuch, sondern es werden gut ausgewählte Zusammenhänge vertiefend vorgestellt. Deshalb kommen rechtsethische, völkerrechtliche und rechtsvergleichende Gesichtspunkte des Gleichbehandlungsrechts ebenso vor wie seine Auswirkungen auf die Gebiete des Öffentlichen Rechts, des allgemeinen Zivilrechts und speziell des Arbeitsrechts. Ferner wird in weiteren Abschnitten die Praxis der Antidiskriminierungsstelle des Bundes geschildert, außerdem wird empirisches Datenmaterial präsentiert. Diese Auswahl ist in zweierlei Hinsicht exzellent getroffen: Zum einen wird neben bekannten Problemen des positiven Rechts die eigentliche und grundlegende Problematik von „Gleichbehandlung“ vermittelt, und zum anderen erhalten Leserinnen und Leser eine wirklich geeignete Grundlage für eigenständiges Nachdenken, etwas, was kein Kommentar des positiven Rechts zu leisten in der Lage ist. Ein weiterer Vorteil: Die einzelnen Abschnitte folgen im chronologischen Aufbau zwar einer inneren Logik, können aber jeweils mit Gewinn auch isoliert gelesen werden.
Matthias Mahlmann präsentiert in § 1 des Handbuchs eine Art „allgemeinen Teil des Gleichbehandlungsrechts“. Es werden rechtshistorische Linien nachgezeichnet, rechtstheoretische und rechtssoziologische Aspekte beleuchtet, und – das ist besonders hervorzuheben – der Zusammenhang von Gleichheit und Freiheit wird als wirkliche Rechtsbegründung dargelegt und nicht etwa als bloße Reaktion auf Freiheitsverletzungen. Zusätzlich erfolgt eine Auseinandersetzung mit Gleichheit als Teil des Gerechtigkeitsphänomens. Fragen der formalen Gleichheit, Ergebnisgleichheit, Chancengleichheit, der substantiellen Gleichheit sowie der Gleichheit und Differenz werden umfassend und durchaus kritisch behandelt. Insgesamt gelangt Mahlmann zum Ergebnis, dass das Gleichbehandlungsrecht als „Teil einer liberalen Menschenrechtskultur“ (Rn. 58) zu begreifen sei, das „Vielfalt der Lebensformen“ hervorbringe, garantiere und sichere. Diesen ersten Abschnitt sollten sich die Leserinnen und Leser nicht entgehen lassen. Es handelt sich um die beste Grundlegung zum Gleichbehandlungsrecht, die im Bereich der rechtswissenschaftlichen Veröffentlichungen zu finden ist.
In den beiden nachfolgenden Abschnitten (§ 2 von Beate Rudolf und § 3 von Matthias Mahlmann) erfolgt eine umfangreiche Darstellung des internationalen und europäischen Kontextes, in dem sich das deutsche Gleichbehandlungsrecht entwickelt hat. Völkerrechtliche Diskriminierungsverbote werden präzise erläutert und Bezugnahmen zu Menschenrechten hergestellt; anschauliche Beispiele verdeutlichen die Komplexität völkerrechtlicher Vorgaben. Der Abschnitt zum Europarecht führt alle in Betracht kommenden Möglichkeiten mit Diskriminierungscharakter strukturiert und umfassend aus.
In zwei weiteren Abschnitten (§§ 4 und 5 des Handbuchs) stellen Maleiha Malik und Sophie Latraverse die rechtliche Situation der Gleichbehandlung und Antidiskriminierung in Großbritannien bzw. Frankreich vor. Auch hier zeigen sich – trotz zahlreicher, insbesondere für England historischer Differenzierungen – ganz parallele Linien: Diskriminierung ist nicht nur moralisch, sondern rechtlich verboten und markiert im weitesten Sinne Unrecht. Interessant sind die historischen Ausführungen zur Rechtslage in England insoweit, als Malik die Einflussnahme amerikanischen Antidiskriminierungsrechts für bedeutsamer erachtet als völkerrechtliche und europäische Einflüsse. Gerade weil der anglo-amerikanische Rechtsraum auf eine sehr ausgeprägte Tradition der Antidiskriminierung zurückgreifen kann, sei eine Orientierung in diese Richtung im deutschen Umsetzungsprozess durchaus naheliegend. Bei der Institutionalisierung des Gleichbehandlungsrechts konnte auf den institutionalisierten Diskriminierungsschutz Englands zurückgegriffen werden.
Beate Rudolf behandelt im sechsten Teil des Handbuchs Berührungspunkte zwischen dem AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) und Verfassungs- und Verwaltungsrecht. Einsichtig werden Gemeinsamkeiten, Differenzierungen und Überschneidungen gekennzeichnet und den jeweils entsprechenden Teilrechtsgebieten des öffentlichen Rechts zugeordnet. Vor allem aber zeichnet sich der Abschnitt durch kritische Bestandsaufnahmen aus. Die deutsche Gesetzgebung habe europäische Richtlinienvorgaben für das öffentliche Recht nur unzureichend umgesetzt; die Verfasserin beleuchtet die sich daraus ergebenden Konsequenzen.
In § 7 beschäftigt sich Christian Armbrüster mit den durch das AGG für das allgemeine Privatrecht entstandenen Umsetzungserfordernissen. Gegenüber dem Arbeitsrecht war das allgemeine Zivilrecht zunächst aufgrund europäischer Vorgaben auf zwei Benachteiligungskonstellationen beschränkt worden: Benachteiligungen aufgrund der Rasse und ethnischen Zugehörigkeit sowie Diskriminierungen wegen des Geschlechts (entsprechend der Antirassismusrichtlinie und der Gender-Richtlinie). Die deutsche Gesetzgebung ist aber im Umsetzungsprozess über diese Vorgaben hinausgegangen und hat weitere Diskriminierungstatbestände aufgenommen: Religion, Behinderung, Alter und sexuelle Identität. Der Autor belegt diese „überschießende Umsetzung“ (Rn. 7) durch ausführliche Besprechung aller in Betracht kommenden und vom AGG erfassten Merkmale (Rn. 17–32) sowie aller davon betroffenen Schuldverhältnisse (Rn. 33–91).
Im Rahmen des § 8 untersucht Claudia Voggenreiter den bedeutsamen arbeitsrechtlichen Teil des AGG besonders kritisch. Sie äußert sich zur Umsetzungsstrategie der deutschen Gesetzgebung, vor allem zu den fehlenden Bemühungen um Vereinheitlichung des bestehenden Arbeitsrechts und zu den neuen Regelungen im AGG. Insgesamt – so die Autorin – müsse festgestellt werden, dass „der Gesetzgeber den Rechtsanwendern ein gesetzliches Puzzle überlassen“ (Rn. 174) habe; von einem homogenen Gesamtrecht könne keine Rede sein. Dies habe zur Folge, dass die Akzeptanz der Förderung des Diskriminierungsschutzes so nicht erreicht werden könne und die Regelungen dem Abbau von Vorurteilen eher hinderlich seien.
Uta Hühn behandelt in ihrem Beitrag (§ 9) die Institutionalisierung des Gleichbehandlungsrechts. Sie beschreibt die Entwicklung praktischer Umsetzungsprobleme, mit denen Bemühungen um Verstetigungsprozesse konfrontiert sind. Es konnte zwar auf bereits bestehende Institutionalisierungsmodelle aufgebaut werden, dennoch bedurfte es einer eigenständigen Institution zur Vereinheitlichung des Antidiskriminierungskonzepts. Die deutsche Gesetzgebung hat sich deshalb dafür entschieden, eine zentrale Antidiskriminierungsstelle auf Bundesebene ins Leben zu rufen. Hühn beschreibt Organisationsform und Strukturen dieser Stelle, deren Aufgabenbereiche und Befugnisse sowie mögliche Kooperationen mit anderen Einrichtungen. Weiterhin hält sie den Austausch von Informationen und Erfahrungen durch Netzwerkbildung hilfreich für die Verstetigung einer effektiven Umsetzung des Antidiskriminierungsschutzes.
Im letzten Abschnitt (§ 10) stellt Alexander Klose „sozio-ökonomisches“ Datenmaterial zusammen, aus dem sich – freilich empirisch nicht gesicherte – Diskriminierungssachverhalte ergeben könnten. Das Material wird den jeweils vom AGG vorgegebenen Diskriminierungsverboten zugeordnet: Geschlecht, „Rasse“ und ethnische Herkunft, Behinderung, Alter, sexuelle Identität sowie Religion und Weltanschauung. Insbesondere für eigene Argumentationen und Interpretationen ist diese Zusammenstellung bestens geeignet. Bei Durchsicht der Zahlen etwa zur weiterhin eklatanten Unterrepräsentanz von Frauen (Rn. 2) werden einige Leser und Leserinnen möglicherweise staunen; dem Autor sei Dank!
Wer sich über die komplexe Materie des Gleichbehandlungsrechts informieren und bei Bedarf Einzelfragen vertiefen möchte, ist mit dem Handbuch gut beraten. Der rechtsethische Einleitungsteil wird sicherlich auch bei Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten auf reges Interesse stoßen. Das für alle Beiträge einheitliche Literaturverzeichnis ist sehr hilfreich bei der Suche nach Querverweisen aus anderen Rechtsgebieten. Auch im Stichwortverzeichnis finden sich alle wesentlichen Hauptschlagwörter mit übersichtlicher Unterstruktur. Summa summarum: ein theoretisch gelungenes sowie praktische Anliegen berücksichtigendes Handbuch.
URN urn:nbn:de:0114-qn092141
Prof. Dr. Regina Harzer
Universität Bielefeld, Fakultät für Rechtswissenschaft, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie; Vorstand Interdisziplinäres Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung (IFF), Homepage: http://www.jura.uni-bielefeld.de/Lehrstuehle/Harzer/index.html
E-Mail: regina.harzer@uni-bielefeld.de
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