Bernhard Burkholz:
Landesgleichstellungsgesetz Nordrhein-Westfalen.
Kommentar.
Heidelberg u.a.: R. v. Decker Verlag 2007.
438 Seiten, ISBN 978–3–7685–0546–8, € 49,80
Abstract: Im Allgemeinen werden gesetzliche Regelungen unmittelbar nach ihrem Inkrafttreten ‚kommentiert‘. Demgegenüber liegt zwischen dem „Gesetz zur Gleichstellung von Frauen und Männern für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesgleichstellungsgesetz – LGG NRW)“ von 1999 und dem nunmehr vorliegenden Kommentar ein nicht unbeachtlicher Zeitraum. Auf juristische Kommentierungen des Gleichstellungsrechts warten zu müssen, dokumentiert nur einen Moment gleichstellungspolitischer Zustände: Gleichstellungsgesetze lassen sich nicht nur schwierig umsetzen, sie können offensichtlich auch nur schlecht vermarktet werden. Es muss deshalb als um so erfreulicher angesehen werden, dass sich der Autor (Richter am Verwaltungsgericht Frankfurt am Main) mit dem historisch bedeutsamen LGG NRW auseinandergesetzt hat, dienten doch die bereits in den 1980er Jahren verabschiedeten nordrhein-westfälischen Frauenförderkonzepte nicht nur als Vorbild für das LGG NRW, sondern auch für Gleichstellungsgesetze anderer Bundesländer. Weiterhin ist erfreulich, dass der Verlag neben dem vorliegenden Kommentar bereits weitere Kommentierungen ‚in Sachen Gleichstellung‘ (Kommentar zum Bundesgleichstellungsgesetz, Kommentar zum Frauenfördergesetz Sachsen-Anhalt, Kommentar zum Hessischen Gleichberechtigungsgesetz) auf den Markt gebracht hat; und seit 2005 wird die Zeitschrift Gleichstellung in der Praxis (GiP) vom selben Verlag herausgegeben.
Der Kommentar versteht sich als praktische Auslegungshilfe für Dienststellenleitungen der Landesverwaltung, für die Verwaltung auf kommunaler Ebene sowie für die Verwaltungseinheiten der Körperschaften des öffentlichen Rechts in Nordrhein-Westfalen. Der Verfasser hat sich zum Ziel gesetzt, die Regelungsmaterie des LGG NRW anwendungstauglich darzustellen. Wissenschaftliche Vertiefung könne nicht erwartet werden (vgl. Vorwort, S. V). Die Suche nach entsprechendem Material wäre auch wenig erfolgversprechend gewesen; denn eine „wissenschaftliche Vertiefung“ im Sinne einer Auseinandersetzung der Jurisprudenz mit positivem Gleichstellungsrecht und gleichstellungsrechtlichen Grundlagenfragen steht erst ganz am Anfang einer Entwicklung, die sich bislang vor allem auf die politischen Zusammenhänge der Gleichstellungsproblematik konzentriert hat. Der Kommentar musste deshalb zwangsläufig zunächst auf die materiell-rechtlichen Regelungsgegenstände des LGG NRW abstellen. Darüber hinaus werden aber auch – und das ist beachtlich – die neuesten Entwicklungen der nordrhein-westfälischen Hochschulreform und andere Gleichstellungsgesetze, insbesondere das Bundesgleichstellungsgesetz, integriert und erläutert. Der eigentlichen Kommentierung (knapp 250 Seiten) folgt ein umfangreicher Anhang mit allen erforderlichen europäischen und sonstigen landesrechtlichen Regelungen. Schließlich findet sich ein übersichtlich strukturiertes, insofern gut brauchbares Stichwortverzeichnis, das alle wesentlichen Aspekte für ein schnelles Auffinden zur Verfügung stellt. Um im Weiteren nicht den Umfang der Rezension zu sprengen, beschränkt sich der nachfolgende Text auf wesentliche und grundlegende Passagen des Kommentars.
Innerhalb der kommentierenden Erläuterungen hebt der Verfasser immer wieder die Bedeutsamkeit des historischen Kontextes hervor, in dem sich Gleichstellungspolitik und Gleichstellungsrecht international und national entwickelt haben und aktuell bewegen. Eine Zusammenfassung dieser historischen Bezugnahmen findet man zunächst im Einleitungsteil. Bei der Kommentierung einzelner Vorschriften des LGG NRW werden dann spezielle politische Entwicklungen integriert. Insbesondere dieser Aspekt dient den Leserinnen und Lesern als bedeutsame Grundlage für die Beantwortung und Interpretation gleichstellungsrechtlicher Fragestellungen. Der Verfasser schildert außerdem Debatten zur jeweiligen Gesetzgebungsgeschichte. Insoweit stellt der Kommentar weit mehr dar als nur bloße Hilfestellung zur Rechtsanwendung; er dient durchaus auch als Grundlage und Anregung für die eigene Beurteilung gegenwärtiger Gleichstellungspolitik.
Die für die Verwaltungspraxis häufig gestellte Frage, weshalb die Umsetzung des verfassungsrechtlich abgesicherten Gleichstellungsgebots in verschiedenen Landesgesetzen, ihnen nachfolgenden Verwaltungsausführungsvorschriften und diesen wiederum nachfolgenden Umsetzungsrichtlinien und lokalen Gleichstellungsplänen auf den unteren Verwaltungsebenen geregelt sein müsse, wird vom Verfasser prägnant und zutreffend anhand der bundesdeutschen Gesetzgebungskompetenz beantwortet (vgl. Einleitung Rn. 11). Einsichtig erklärt wird darüber hinaus die gesetzgeberische Zuständigkeit des Bundes, wenn es um Frauenförderung auf Bundesverwaltungsebene geht (vgl. Einleitung Rn. 12). Ferner geht der Verfasser auf die ebenfalls aktuell drängende Frage seitens der Verwaltungsebenen ein, weshalb neben der klassischen Gleichstellung nunmehr auch noch ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zur Anwendung kommen müsse (vgl. Einleitung Rn. 13). Im Arbeits- und Wirtschaftsbereich können in der Tat Überschneidungen mit Landesgleichstellungsgesetzen auftreten, sobald Benachteiligungen wegen des Geschlechts in Betracht kommen. Dafür, dieses juristische und Verunsicherung hervorrufende Wirrwarr auseinander zuhalten, sind die genannten und zahlreiche andere Kommentarstellen bestens geeignet.
Die Gesetzgebungsgeschichte der Entwicklung zur leistungsorientierten Mittelvergabe gem. § 5 LGG NRW wird eingehend geschildert (vgl. § 5 Rn. 1 ff.). Der Verfasser vertritt den nicht unberechtigten Standpunkt, die für Hochschulen geltende Sonderregelung sei aus systematischen Gründen ein „Fremdkörper“ im LGG NRW. Einerseits trifft dieser Einwand zu. Andererseits schadet die Regelung nicht wirklich angesichts der drängenden Notwendigkeit, Unterrepräsentanz von Frauen vor allem in der Wissenschaft und in den Führungsebenen der Hochschulen abzubauen und dabei finanzielle Anreizsysteme, aber auch deren Sanktionsfolgen zur Evaluation der Fortschritte bei der Erfüllung des verfassungsrechtlichen Gleichstellungsauftrags hinreichend zu berücksichtigen.
Einem weiteren Aspekt wird der Kommentar insgesamt gerecht: Das LGG NRW als gesetzliche Konzeption des Gender Mainstreaming zu präsentieren (vgl. § 1 Rn. 52 f. und § 5 Rn. 5), ist nicht selbstverständlich – insbesondere wenn man bedenkt, dass das Gesetz selbst auf eine ausdrückliche Erwähnung dieses Leitprinzips verzichtet, und wenn man die ‚Sünden‘ der Verwaltungspraxis bei der Umsetzung des Gleichstellungsauftrags als Querschnittsaufgabe mit berücksichtigt.
Gemäß § 1 Abs. 3 LGG NRW bestehen für Führungsebenen der Verwaltung besondere Verpflichtungen zur Umsetzung des gleichstellungsrechtlichen Verfassungsauftrags. Dieser Pflicht müssen deshalb Personen in Leitungsfunktion nachkommen und nicht etwa die Gleichstellungsbeauftragten der jeweiligen Behörden oder Abteilungen, wie dies in der Verwaltungspraxis vermeintlich angenommen wird. Dass es freilich Sinn macht, sich qualifizierter Gleichstellungsbeauftragten zu bedienen und deren Genderkompetenzen in Organisation und Verwaltung für die Wahrnehmung der Umsetzungsverpflichtung einfließen zu lassen, ist berechtigte Verwaltungsübung und versteht sich insoweit von selbst. Während die Verwaltungspraxis vor allem auf den unteren Verwaltungsebenen eher dazu neigt, die Tätigkeit der Gleichstellungsbeauftragten und Gleichstellungskommissionen zu marginalisieren, unterstreicht der Verfasser die wesentliche Bedeutung dieser Beauftragung nicht nur bei der Kommentierung der einschlägigen Vorschriften der §§ 15 ff. LGG NRW. Einziger Kritikpunkt in diesem Zusammenhang ist der hier bloß am Rande erwähnte Widerspruch, dass das LGG NRW eine verwaltungsgerichtliche Klagebefugnis der Gleichstellungsbeauftragten nicht vorsieht, während den Gleichstellungsbeauftragten der Bundesbehörden (§ 22 Bundesgleichstellungsgesetz) und des Landes Berlin (§ 20 LGG Berlin) der Gang zum Verwaltungsgericht offen steht. Insofern wird die bedeutsame zentrale Stellung der Gleichstellungsbeauftragten nicht zu Ende gedacht.
Unabhängig von dieser unverständlich uneinheitlichen Regelung in der Bundesrepublik stellt die gesetzliche Verweigerung der Kontrollmöglichkeit von Gleichstellungswidrigkeit die eigentliche große Schwäche des gesamten Gleichstellungsrechts dar. Denn das Konzept fehlender Überprüfung durch die Gerichte umgeht in einem mit Verfassungsrang ausgestatteten Bereich des Besonderen Verwaltungsrechts das rechtsstaatliche Prinzip der Gewaltenteilung. Dass der Verfasser diesen zugegebenermaßen heiklen Punkt nicht hinreichend berücksichtigt hat, verwundert insbesondere deshalb, weil er die Organstellung der Gleichstellungsbeauftragten explizit benennt (§ 17 Rn. 8 und § 19 Rn. 24 ff.). Trotz Mitwirkungsrecht am Willensbildungsprozess muss der Gleichstellungsbeauftragten, deren Rechtsauffassung etwa verwaltungsintern unberücksichtigt bleibt, die Möglichkeit eingeräumt werden, Rechtsfragen durch Gerichte klären zu lassen.
Mit der Kommentierung des Landesgleichstellungsgesetzes für Nordrhein-Westfalen ist ein für die Praxis der Verwaltungen geeignetes Werk entstanden, das den neuesten Stand des Gleichstellungsrechts vermittelt und das gerade deshalb für die Anwendung des Gleichstellungsrechts anderer Bundesländer ebenfalls herangezogen werden kann. Die Komplexität der Rechtsmaterie wird systematisch gelungen präsentiert und erschließt sich auch nicht-juristischen Benutzerinnen und Benutzern. Falls der Autor im Rahmen einer Zweitauflage den Aspekt fehlender Klagebefugnis ausführlicher behandeln sollte, wäre dies zweifellos ein zusätzlicher Gewinn.
URN urn:nbn:de:0114-qn092131
Prof. Dr. Regina Harzer
Universität Bielefeld, Fakultät für Rechtswissenschaft, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie; Vorstand Interdisziplinäres Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung (IFF), Homepage: http://www.jura.uni-bielefeld.de/Lehrstuehle/Harzer/index.html
E-Mail: regina.harzer@uni-bielefeld.de
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