Und sie bewegen sie doch! Frauen in den Naturwissenschaften

Rezension von Helga Satzinger

Londa Schiebinger:

Frauen forschen anders.

Wie weiblich ist die Wissenschaft?.

München: C.H. Beck 2000.

325 Seiten, ISBN 3–406–46699–0, DM 39,90 / SFr 37,00 / ÖS 291,00

Abstract: Das Buch beschäftigt sich mit drei Aspekten der „gender and / gender in science studies“: 1. der Geschichte von Frauen in den Naturwissenschaften, 2. den geschlechtsspezifischen Sozialisationsbedingungen und anderen Barrieren, die heute den Zugang von Frauen zu diesem Arbeitsgebiet erschweren, und 3. den Veränderungen, die im Zuge der Frauenbewegung im Wissenskorpus naturwissenschaftlich orientierter Disziplinen durch Frauen erreicht wurden.

Es ist gerade einmal 15 Jahre her, als das Buch Wie männlich ist die Wissenschaft? herausgegeben von Karin Hausen und Helga Nowotny, die damals provozierende Frage stellte, inwieweit die äußerst spärliche Präsenz von Frauen in allen Wissenschaftsdisziplinen etwas damit zu tun habe, wie Wissenschaft betrieben und welche Art Wissen auf diese Weise produziert wird. Inzwischen entstand im Kontext der Frauen- und Geschlechterforschung eine Fülle von Arbeiten, die diese Zusammenhänge untersuchen, gleichzeitig wurden Frauenförderungsmaßnahmen initiiert und ausgebaut. Innerhalb der verschiedenen Wissenschaften und auch in den Naturwissenschaften begannen Frauen, inspiriert durch Problemstellungen der Frauenbewegung, neue Fragestellungen und Forschungsgebiete zu entwickeln.

Vor diesem Hintergrund und je nach Perspektive wirkt der deutschsprachige Titel von Schiebingers Buch etwas antiquiert-utopisch: Der durchschnittliche Frauenanteil auf der Ebene der Professuren aller Disziplinen erreicht hierzulande und in den USA derzeit ungefähr die 10%-Marke, und, was weiblich sein soll, wussten vielleicht Goethe und Schiller. Schlimmer noch, der Titel ist irreführend. Das Buch handelt von der Situation der Frauen in den naturwissenschaftlich geprägten Fächern und den im Zuge der Frauenbewegung erreichten Veränderungen des Wissenskorpus. Was den Verlag dazu bewogen hat, das englische „science“ mit „Wissenschaft“ zu übersetzen und nicht mit „Naturwissenschaft“, sei dahingestellt. Problematisch ist in jedem Fall, dass man den zwangsläufig biologistischen Unterton eines „Frauen forschen anders“ bevorzugte, anstatt die politische Positionierung des englischen Titels „has feminism changed science“ zu übernehmen. Nun denn, Beck ist eben nicht Harward.

Schiebinger gibt einen Überblick über die US-amerikanische Literatur der „science and gender studies“ der letzten 20 Jahre, berücksichtigt die wissenschafts- und geschlechtertheoretischen Arbeiten allerdings kaum. Sie gliedert das Thema in die drei Kapitel: „Frauen in den Naturwissenschaften“, „gender in the cultures of science“ und „gender in the substance of science“ – zur „science“ zählt sie Medizin, Primatologie, Archäologie und die Ursprünge der Menschheit, Biologie, Physik und Mathematik. Die deutsche Fassung bietet hier für „gender“ die „soziale Geschlechtsidentität“ und die „kulturelle Geschlechtskonzeption in den Inhalten der Naturwissenschaften“. Schiebinger versteht ihr Buch als „Übersetzungsprojekt“, um eine „in der abstrakten und manchmal esoterischen Sprache“ der Geisteswissenschaften geschriebene Literatur Menschen aus anderen Fachgebieten, insbesondere den Naturwissenschaften, nahezubringen.

Sie beginnt mit einer sehr kurzen Darstellung der Geschichte von Frauen in den Naturwissenschaften seit der wissenschaftlichen Revolution im Europa des 17. Jahrhunderts und kommt zu dem wichtigen Ergebnis, dass es keine kontinuierliche Zunahme der Beteiligung von Frauen gab, sondern ein von vielen gesellschaftlichen Faktoren bestimmtes Auf und Ab. Die aktuelle Lage der Naturwissenschaftlerinnen in den USA zeigt eine deutliche Diskriminierung gemessen an ihrer Zahl, ihrem Gehalt, ihrer Reputation, ihren Publikationsmöglichkeiten, der Häufigkeit sexueller und anderer Belästigungen. Nach wie vor ist die Anzahl von Mädchen, die Naturwissenschaften oder Mathematik studieren, kleiner als ihrem Anteil an entsprechend guten Schülerinnen entspricht. Frauen gehen in der „Pipeline“ der Ausbildung „verloren“, weil, wie die von Schiebinger herangezogenen Studien zeigen, auf allen Ebenen der Ausbildung und des Berufs eine permanente Orientierung an Männlichkeitsentwürfen stattfindet, sei es bei der Auswahl der gelehrten Beispiele, der Art des Unterrichts oder der geschlechtsspezifischen Bewertung von Leistungen. Einfache Frauenfördermodelle, die lediglich auf die Erhöhung des Frauenanteils zielen, ohne an den Inhalten und Strukturen der Ausbildung zu rühren, werden daher, so Schiebinger, ihr Ziel nicht erreichen können.

Im zweiten Kapitel geht es genauer um die geschlechtsspezifischen Gepflogenheiten und Wertvorstellungen, um jene kulturell bestimmte „Männlichkeit“, die den sozialen Umgang in den Institutionen der Naturwissenschaften dominiert. Unter dem in den USA anspielungsreichen Titel „the clash of cultures“ betont Schiebinger eine starke Dichotomie der „Welt der (Natur-)Wissenschaft“ und der „Welt der Frau“ mit unterschiedlichen und nicht in die jeweils andere Welt übertragbaren Erfolgsstrategien. Zwar distanziert sie sich nachdrücklich von Zuschreibungen natürlicher Weiblichkeit und betont die kulturelle Konstruiertheit derselben, sieht jedoch eine starre geschlechtsspezifische Aufteilung von Öffentlichkeit und Privatheit / Rationalität und Fürsorglichkeit seit dem 18. Jh., die jetzt erst aufgelöst und neu geordnet werden müsse. So klar lässt sich für die erste Hälfte des 20. Jh. die Organisation naturwissenschaftlicher Arbeit entlang der Geschlechtergrenzen m. E. jedoch nicht beschreiben, da privater und öffentlicher Bereich viel enger miteinander verzahnt waren. Auch ist die von Schiebinger erörterte Frage der Kleiderordnung, einschließlich die der Verwendung von Nagellack, Schuhabsatzgrößen und Stimmhöhen nicht unbedingt ein Gebiet, in dem heute von Frauen in den Naturwissenschaften die entscheidenden geschlechtsspezifischen Schmerzgrenzen gezogen werden. Bemerkenswert finde ich jedoch ihren Hinweis, dass die US-amerikanische naturwissenschaftliche Fachkultur der Physik stark durch Kompromisslosigkeit, barschen Umgangston, sportliche Wettkämpfe als Teil des sozialen Lebens und Metaphernfundus charakterisiert ist und im internationalen Vergleich den geringsten Anteil von Wissenschaftlerinnen aufweist. Das Problem der Integration von Familienleben und Berufstätigkeit schließt das Kapitel ab. Auch hier ist ausdrücklich festzuhalten, dass dieses Problem in den USA ebenfalls nicht gelöst ist.

Dennoch gibt es Beispiele dafür, dass durch den Einfluss der Frauenbewegung und weiterer gesellschaftlicher Entwicklungen Veränderungen im Wissenskorpus einzelner Wissenschaften stattgefunden haben bzw. die Erforschung neuer Fragestellungen auf den Weg gebracht wurden. Zu nennen sind Medizin, Primatologie, naturwissenschaftlich orientierte Archäolgie und Biologie. Der entscheidende Schritt in der medizinischen Grundlagenforschung der USA in den letzten Jahren war die Gründung und Finanzierung eines Office of Research on Women‘s Health beim National Institute of Health. Damit wurde die ausschließlich an Männern durchgeführte Erforschung von bestimmten allgemeinen Krankheiten und Pharmakawirkungen durchbrochen. In der Primatologie erreichten Wissenschaftlerinnen eine Verschiebung der Forschungsfragen auf die Rolle der weiblichen Tiere und damit eine Neubestimmung von deren Weiblichkeit. Allerdings reduziert Schiebinger hier die Komplexität der schon längere Zeit vorliegenden Studie von Donna Haraway auf ein meines Erachtens zu simples Niveau. Für die Archäologie ergaben sich Verschiebungen dadurch, dass nicht automatisch von einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ausgegangen wurde und so Werkzeugherstellung und -gebrauch nach anderen Regeln interpretierbar wurden. Die Biologie bietet ein besonders ergiebiges Feld für die kritische Durchsicht nach Geschlechterstereotypien, da die verschiedenen Geschlechter zu ihrem Untersuchungsgebiet gehören. Sowohl auf der Ebene von Zellen als auch bei der Beobachtung des Verhaltens von Säugetieren findet sich eine Fülle von Beispielen, wie die jeweiligen Geschlechterordnungen und -debatten der Zeit die vorgeblich rein naturwissenschaftlichen Aussagen strukturieren. Bei der Physik und Mathematik greift Schiebinger auf zwei andere Argumentationslinien zurück. Es gab immer, auch in der hochgradig organisierten Kriegsforschung des Manhattan Projekts, Frauen, die in diesen Wissenschaften tätig waren, also sind sie nicht genuin für Frauen ungeeignet. In der Mathematik studieren inzwischen Frauen und Männer in gleichen Anteilen, aber nur 5 % der tenure track Professuren sind mit Frauen besetzt. Schiebinger arumentiert gegen die derzeit modische Auffassung, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede in der Fähigkeit gebe, Mathematik zu betreiben, und führt eine Reihe von Studien an, die belegen, dass die Scholastic Aptitude Tests, die unterschiedliche Leistungsfähigkeiten von Mädchen und Jungen in der Mathematik nachweisen, genau so aufgebaut und verändert wurden, dass Jungen besser abschneiden. Vergleiche zwischen Kindern aus Familien mit japanischem, philipinischem, hawaiianischem, afroamerikanischem und hispanischem Hintergrund in den USA zeigen ein wesentlich besseres Abschneiden von Mädchen, was das Argument stützt, dass mathematische Fähigkeiten kulturell determiniert sind.

Abschießend plädiert Schiebinger für einen weiteren produktiven Wandel in den Naturwissenschaften und formuliert das Ziel einer „verträglichen Naturwissenschaft“ ohne diese genauer zu charakterisieren. Dabei verwehrt sie sich gegen das Aufstellen von Kriterien für eine „feministische Wissenschaft“. Dagegen sieht sie die Naturwissenschaften als „Ausdruck einer Menschheitsbestrebung, die allen dienen muss, Frauen und Feministinnen eingeschlossen“ (S. 242 f.). Dass diese Generalformel hinter die Kritik des Aufklärungsoptimismus zurückfällt und kein Problem lösen kann, scheint sie nicht zu stören. Die Frage nach einer nötigen Technologiefolgenabschätzung und -bewertung stellt sie nicht. Prinzipiell hält sie alle Forschungsfragen für legitim, das Projekt der Humangenomforschung sieht sie lediglich als Problem der Ressourcenallokation, nicht unter dem Aspekt der möglicherweise unvertretbaren sozialen und geschlechterpolitischen Folgen. Sie plädiert, und dagegen ist nichts einzuwenden, für eine weitere kritische Analyse der Naturwissenschaften hinsichtlich der in und mit ihr verwirklichten Geschlechterordnung, fordert ein eigenes staatliches Programm „Fraueninitiative Naturwissenschaften und Ingenieurwesen“, um eine Gleichstellung von Frauen und eine Neuordnung der Arbeiten zu erreichen, die bisher mittels der Geschlechterordnung auf Beruf und Privatleben verteilt waren.

Das Leid mit der Übersetzung und dem einseitigen Wissenstransfer

Auch in diesem Buch wird eine ungute Tradition deutschsprachiger Verlage im Umgang mit Arbeiten aus der Frauen- und Geschlechterforschung bzw. gender studies fortgesetzt: Die Übersetzung ist schlecht. Hinter den Sätzen schimmert die englische Fassung durch, was das Lesevergnügen deutlich schmälert. Wesentlich schwerer wiegt, dass echte Sinnentstellungen vorkommen, so dass das inhaltliche Anliegen des Buches an manchen Stellen regelrecht konterkariert wird. Wenn es um Personen geht, ist fast immer die männliche Form gewählt. So erfahren wir sensationelle, aber unzutreffende Neuigkeiten: „Historiker erforschen die Lebensläufe von Wissenschaftlerinnen […], Soziologen untersuchen den Zugang von Frauen zu […]“ (S. 9). In solchen Schlampigkeiten geht verloren, dass die Bearbeitung dieser Forschungsfragen nahezu ausschließlich eine Leistung von Frauen war und ist. Ein von Schiebinger gelobtes Beispiel der Curriculumsveränderung, wonach Ergebnisse der kritisch-feministischen Analyse der Sprache und Metaphern der Biologie Teil des Lehrplanes in der Biologie wurden, endet mit dem Satz: „Den Scharen von Studenten, die sich mit diesem Text am College Biologie aneignen – zukünftige Wissenschaftler und Ärzte oder Geisteswissenschaftler –, werden zugleich kritische Modelle an die Hand gegeben, mit denen sie Geschlechterstereotypien in der Biologie erkennen können“ (S. 247). Volltreffer: Frauen studieren nicht, werden auch nicht berufstätig. Dazu brauchen wir keine Änderung des Curriculums. Fachbegriffe kommen oft nicht so recht hin, und manche Ausdrücke gibt es im Deutschen einfach nicht. Aus den englischen „grades“ wurden „Grade“ anstatt „akademische Abschlüsse“ oder „Titel“ (S. 42), aus „division“ wurde nicht „dividieren“ sondern „Division“, was an der fraglichen Stelle (Beschreibung einer Spiel-Software zum Erlernen des Rechnens) erst einmal an eine militärische Einheit und nicht ans Teilen denken lässt. Neu waren mir z. B. die Ernterinnen (S. 193), Integrodifferenzialgleichungen (S. 224) und die Sexualwissenschaft im 18. und frühen 19. Jahrhundert (S. 152). Hierzulande beginnen die Sexualwissenschaften mit Krafft-Ebing und Magnus Hirschfeld Ende des 19. Jahrhunderts – das, wovon Schiebinger schreibt, ist als „weibliche Sonderanthropolgie“ bekannt und untersucht. Der zentrale Begriff „gender“ wäre an vielen Stellen besser nicht übersetzt, immerhin erläutert Schiebinger ihn ausführlich. Mir fiel es schwer, das Buch zu lesen, weil die hiesige Begrifflichkeit der Geschlechterforschung eine andere ist. Streckenweise wirkt der Text wie die Abarbeitung eines Zettelkastens, angereichert durch Anekdoten. Auch zweifle ich, ob es wirklich nur die Übersetzung ist, die etliche Sätze so schief macht: z. B. „Die Universitäten waren keine Einrichtungen, die es mit den Frauen gut meinten“ (S. 41). Manchmal wird es eben doch ein bisschen sehr platt.

Mein zweiter Punkt ist folgender: Das Buch ermöglicht zwar den Zugang zu einer in den USA erschienenen Literatur, die auf verschiedenste Fachgebiete verteilt ist. Etliches davon ist allerdings bekannt, für manche Teilgebiete gibt es außerdem bereits sehr gute Darstellungen in deutscher Sprache. Jedoch, über den inzwischen beachtlichen deutschsprachigen Forschungsstand erfahren wir nichts. Nichts über die Aktivitäten der Naturwissenschaftlerinnen und Ingenieurinnen, die seit über 20 Jahren eine kritische Auseinandersetzung mit ihrem Fach und Beruf pflegen, nichts über hiesige Frauenfördermaßnahmen, nichts über die Geschichte der Frauen in den Wissenschaften des 20. Jahrhunderts in Deutschland, nichts über die hiesige kritische Erforschung der Naturwissenschaften, nichts über sehr wirksame politische Debatten über die Folgen von Naturwissenschaft und Technik für Frauen und die Geschlechterordnung. Dies ist umso bedauerlicher, als Londa Schiebinger zu den wenigen Wissenschaftlerinnen aus den USA gehört, die die deutsche Sprache verstehen und genügend Kontakte haben, um den Zugang zur hiesigen Literatur und Debatte zu finden. Aus der Einleitung des Buches geht hervor, dass sie das Buch sogar vorwiegend bei einem Aufenthalt in Deutschland und mit Geldern der DFG geschrieben hat. Warum sie dann nicht die Gelegenheit nutzte, die leider übliche einseitige Rezeptionsrichtung USA – Deutschland auch einmal umzukehren, bleibt ihr Geheimnis.

URN urn:nbn:de:0114-qn022022

Dr. Helga Satzinger

Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, Technische Universität Berlin

E-Mail: Satzing@kgw.tu-berlin.de

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