Steffen Baumgarten:
Die Entstehung des Unehelichenrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch.
Köln: Böhlau Verlag 2007.
311 Seiten, ISBN 978–3–412–20036–7, € 42,90
Abstract: Steffen Baumgarten legt erstmals eine umfassende Darstellung zur Kodifikation des Nichtehelichenrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der deutschen Frauenbewegung vor. Zugleich werden die sozialen und gesellschaftlichen Hintergründe im 19. Jahrhundert in die Untersuchung mit einbezogen.
1871 vereinten sich die deutschen Territorien zum Deutschen Reich. Das deutsche Recht war hingegen noch weit von einer solchen Vereinigung entfernt. Bis zu diesem Zeitpunkt war es trotz einiger Ansätze nicht gelungen, ein allgemeingültiges Gesetzbuch zu schaffen. Weiterhin bestanden verschiedene Privatrechtsordnungen nebeneinander. Zu nennen sind hier etwa das bayerische Gesetzbuch, das Preußische Allgemeine Landrecht, der französische Code Civil oder auch das österreichische ABGB. Diese verschiedenen Naturrechtskodifikationen passten allerdings nicht mehr in eine Zeit des aufkeimenden deutschen Nationalbewusstseins. Mit der Staatsgründung sollte daher endlich ein Gesetzbuch für alle Deutschen geschaffen werden. Am 1. Januar 1900 trat schließlich das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft und beendete eine lang andauernde Rechtszersplitterung.
Steffen Baumgarten betrachtet in seiner Dissertation einen ausgewählten Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, nämlich die Entstehung – oder anders formuliert: die Kodifikation – des Unehelichenrechts. Seine Arbeit ist als achter Band in der von Stephan Meder und Arne Duncker herausgegebene Reihe „Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung“ erschienen.
Die Studie ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil befasst sich mit dem rechtlichen und dem gesellschaftlichen Hintergrund. Beleuchtet werden knapp die Entstehung des BGB, die Entwicklung des Unehelichenrechts bis zum 19. Jahrhundert und das Unehelichenrecht in der Rechtslage vor Inkrafttreten des BGB. Ferner wird in groben Zügen die Frauenbewegung im 19. Jahrhundert thematisiert, woran sich ein statistischer Befund über die soziale und wirtschaftliche Situation der Unehelichen zum Ende des 19. Jahrhunderts anschließt. Baumgarten hebt in seiner Einführung hervor, dass das Unehelichenrecht gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine „große praktische Bedeutung“ aufwies (S. 16). Zu jener Zeit wurden in Deutschland annähernd 10 % aller Kinder außerhalb der Ehe geboren. Folgt man dem Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich (vgl. Nachweis S. 16, Fn. 8), so gab es jährlich über 170.000 Geburten unehelicher Kinder. Mit der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches musste sich also auch zwangsläufig der Gesetzgeber dieser gesellschaftlichen Situation stellen – eine durchaus heikle Aufgabe, bedenkt man, dass damalige Moralvorstellungen wenig von Toleranz gegenüber unehelichen Müttern geprägt waren. Der Autor bemüht sich in diesem Zusammenhang um die Auswertung statistischen Materials im Hinblick auf das Unehelichenproblem im 19. Jahrhundert (vgl. S. 62 f.). Obwohl diese Auswertung nicht Hauptanliegen der Arbeit ist, gelingt es Baumgarten dennoch, anhand einiger Daten die damaligen Lebensverhältnisse zu skizzieren. So wird ersichtlich, dass der weit überwiegende Anteil der Eltern unehelicher Kinder aus sozial schwächeren Bevölkerungsschichten stammte und mehr als die Hälfte der Väter ihren nicht ehelichen Kindern keinen Unterhalt leisteten.
Den Schwerpunkt der Arbeit bilden im zweiten Teil die Untersuchung der „Entstehung des Unehelichenrechts des BGB und die Kritik seitens der juristischen Fachliteratur und der bürgerlichen Frauenbewegung“. Eingehend werden hier – bezogen auf die Rechtsverhältnisse zwischen der Mutter und ihrem unehelichen Kind, dem Vater und seinem unehelichen Kind sowie zwischen der Mutter und dem Vater des unehelichen Kindes – das Gesetzesmaterial und die Standpunkte von Juristen und Frauenrechtlerinnen analysiert. Hieran schließt sich die Frage nach der Legitimation des unehelichen Kindes an. Abgeschlossen wird die Untersuchung mit einem „Resümee“ im dritten Teil.
Aus frauenrechtlicher Perspektive interessiert vor allem die Frage, wie die Rechte der unehelichen Mütter und deren Kinder im Bürgerlichen Gesetzbuch ausgestaltet wurden, und insbesondere, wie sich die bürgerliche Frauenbewegung in den Kodifikationsprozess eingebracht hat. Diese begriff bekanntermaßen die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches als eine große Chance, auf die Gesetze und damit auch auf die künftigen Rechte der Frauen Einfluss nehmen zu können, was – so verdeutlichen es die nahezu erschöpfenden Quellenrecherchen Baumgartens – selbstverständlich auch für die Regelungen des Unehelichenrechts galt. Mit der Untersuchung, wie sich die Frauenrechtlerinnen im Detail zu einzelnen Normen des Unehelichenrechts äußerten, leistet Baumgarten in dieser Ausführlichkeit dann auch Pionierarbeit. Insbesondere dürfte dabei das Ergebnis erstaunen, dass die bürgerliche Frauenbewegung die uneheliche Mutterschaft als solche ablehnte und die unehelichen Mütter als Personen ansah, die gegen die allgemeinen gesellschaftlichen Moralvorstellungen und Sittengesetze verstießen (vgl. hierzu S. 224).
So bleibt trotz des lobenswerten Einsatzes der Frauenbewegung schließlich ein bitterer Beigeschmack, denn auch die Frauenrechtlerinnen konnten sich nicht gänzlich von den moralischen Wertvorstellungen ihrer Zeit lösen. Baumgarten zitiert hierzu zu Beginn seiner Dissertation (S. 7) den Juristen Julius von Staudinger, Begründer des gleichnamigen Großkommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch, mit der Aussage, die rechtliche Behandlung der Unehelichen unterliege dem „Charakter der Zeit, den jeweiligen sozialen Anschauungen, dem mehr oder minder großen Einfluß humaner Tendenzen“. Den Wahrheitsgehalt dieser These konnte der Autor durch eine verdienstvolle Studie belegen und mit ihr einen weiteren wichtigen Beitrag zur Erforschung der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches sowie der Frauenrechtsbewegung leisten.
URN urn:nbn:de:0114-qn092200
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