Vom Erdrücken von Kindern durch die Eltern während des gemeinschaftlichen Schlafens im Bett

Rezension von Eric Neiseke

Simone Winkler:

„Kindserdrücken“.

Vom Kirchenrecht zum Landesrecht des Herzogtums Preußen.

Köln: Böhlau Verlag 2007.

212 Seiten, ISBN 978–3–412–15106–5, € 34,90

Abstract: Simone Winklers Dissertation widmet sich dem sogenannten „Kindserdrücken“. Die Autorin geht der Frage nach, inwieweit und wie dieser von den Eltern ungewollt verursachte Kindstod sowohl im kirchlichen als auch im weltlichen Recht vor 1800 behandelt wurde.

Forschungsgegenstand

Die Dissertation von Simone Winkler, die als siebter Band in die von Stephan Meder und Arne Duncker herausgegebene Reihe „Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung“ aufgenommen wurde, widmet sich dem so genannten Kindserdrücken (lat.: oppressio infantium). Dieses definiert die Autorin als ein „Vorkommnis, bei dem (in der Regel kleinere) Kinder durch die Eltern oder Ammen zu Tode kamen, indem sie von ihnen erdrückt oder erstickt wurden“ (S. 1). Winkler weist in ihrer Einleitung darauf hin, dass die Problematik des Kindserdrückens weit in die Vergangenheit zurückreicht. So mag vielen das berühmte Urteil des König Salomon aus dem Alten Testament (1 Kön 3, 16–28) bekannt sein. Weniger geläufig ist jedoch, dass der Hintergrund des Streits der Tod eines Kindes durch Erdrücken im Schlaf war („Damals kamen zwei Dirnen und traten vor den König. Die eine sagte: ‚Bitte, Herr, ich und diese Frau wohnen im gleichen Haus, und ich habe dort in ihrem Beisein geboren. Am dritten Tag nach meiner Niederkunft gebar auch diese Frau. Wir waren beisammen; kein Fremder war bei uns im Haus, nur wir beide waren dort. Nun starb der Sohn dieser Frau während der Nacht; denn sie hatte ihn im Schlaf erdrückt‘.“). Aber nicht nur in religiösen, sondern auch in weltlichen Quellen lässt sich die Thematik des Kindserdrückens nachweisen. So wurde es beispielsweise in der ersten weltlichen Landesordnung des Herzogtums Preußen aus dem Jahr 1526 sogar als selbständige Norm kodifiziert (vgl. S. 2 m.w.N.) und fand später Eingang in das Preußische Allgemeine Landrecht. Winkler setzt sich daher vor allem zum Ziel, den Ursprung der Rechtsvorschrift zum Kindserdrücken so weit wie möglich zurückzuverfolgen, um zu zeigen, dass es sich bei der Ahndung dieses Geschehens nicht nur um ein kurzzeitiges rechtliches Problem gehandelt hat (vgl. S. 3 f.). Ferner will die Autorin der Frage nachgehen, ob verschiedene politische Ereignisse Auswirkungen auf die Entwicklung der territorialen Regelung zum Kindserdrücken hatten (vgl. S. 6) und welche Rolle der Vorschrift zum Umgang mit dem Kindserdrücken im Rechtsleben zukam (vgl. S. 8).

Die Arbeit Winklers lässt sich in zwei größere Abschnitte aufteilen. Nach einer Einführung in das Thema wird zunächst untersucht, wie das Kindserdrücken im Kirchenrecht behandelt wurde, wobei die Verfasserin zwischen Regelungen der katholischen und der protestantischen Kirche differenziert. Hieran schließt sich unter besonderer Berücksichtigung des Landesrechts der damalig noch territorial ausgestalteten Staaten die Betrachtung des Kindserdrückens im weltlichen Recht an. Es folgen ein Exkurs über die „Medizinische Policey“ und eine Schlussbetrachtung.

Neue Erkenntnisse für die Frauenrechtsforschung?

Von Interesse speziell für die Frauenrechtsforschung dürfte vor allem die Frage sein, ob Winkler durch ihre Untersuchung neue Erkenntnisse zu Tage fördern konnte. Waren zum Beispiel Normen, die das Kindserdrücken unter Strafe stellten, explizit auf Frauen als Täterinnen zugeschnitten? Wurden Frauen häufiger als Männer bestraft? Eine pauschale Antwort, die in einem „Ja“ oder „Nein“ mündet, darf man bei der hier vorliegenden komplexen Thematik nicht erwarten.

Nach dem Recht der katholischen Kirche kamen als Täter in der Regel beide Elternteile in Betracht. Das Delikt betraf damit zumindest seinem Wortlaut nach gleichermaßen sowohl den Vater als auch die Mutter. In älteren Bußbüchern bestimmten gar einige Vorschriften nur den Kindsvater als Täter (vgl. S. 36). In späterer Zeit wurde allerdings nach Winkler die Verantwortung für den Tod des Kindes zunehmend allein der Mutter zugeschrieben (vgl. S. 100). Nachvollziehbar erscheint die Auffassung der Autorin, dass auch die katholischen Regelungen, die beide Eltern berücksichtigten, zum Nachteil der Frau ausgefallen sein dürften, denn die Betreuung der Kinder oblag ohnehin zumeist den Frauen. Die evangelischen Kirchenordnungen hingegen waren nach Winkler wegen der vergleichsweise raren Fundstellen zum Kindserdrücken weniger aussagekräftig. Winkler gelangt anhand einiger Regelungen in Sachsen und im Herzogtum Preußen zu dem Ergebnis, dass mit der Reformation der Frau verstärkt die alleinige Verantwortung für das Aufwachsen und die Erziehung der Kinder zugewiesen wurde. Hierfür spräche auch Luthers Frauenbild, nach dem sich die Frau dem Manne unterzuordnen habe (vgl. S. 83 m.w.N.).

Das Kindserdrücken im weltlichen Recht wird exemplarisch anhand Preußens untersucht. In den Landesordnungen des Herzogtums Preußen (1577 und 1640) konnten sich zunächst noch beide Elternteile wegen des Erdrückens der Kinder im Schlaf strafbar machen. Auch hier vermutet die Verfasserin allerdings, dass in der Praxis wohl zumeist die Mütter von jener Strafnorm betroffen gewesen waren (vgl. S. 157). Im Preußischen Allgemeinen Landrecht (1792 bzw. 1794) waren als Täterinnen schließlich nur noch Mütter und Hebammen benannt, das Kindserdrücken war somit nunmehr „endgültig zu einem frauenspezifischen Sonderdelikt“ geworden (S. 157). Leider finden sich in der vorliegenden Arbeit kaum Ausführungen dazu, warum man sich dazu entschied, die Väter völlig aus dem Tatbestand zu streichen. Vielleicht hätte an dieser Stelle eine Untersuchung der Gesetzesentstehung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht wertvolle Ergebnisse liefern können. Insgesamt betrachtet ist die Darstellung an dieser Stelle zu knapp ausgefallen.

Trotz dieses Kritikpunktes legt Winkler eine insgesamt gelungene Studie über das Delikt des Kindserdrückens vor, die insbesondere im Kapitel über dessen Behandlung im Kirchenrecht überzeugen kann. Die Arbeit dürfte daher vor allem interessierte Rechtshistorikerinnen und Rechtshistoriker ansprechen, aber auch durchaus neue Impulse für frauenspezifische Fragestellungen geben. Vielleicht hätte der Schwerpunkt gerade an dieser Stelle noch deutlicher gesetzt werden können. Lob gebührt Winkler dafür, dass sie das wenige Quellenmaterial weitestgehend erschlossen hat, vorbildlich ist im Übrigen der Quellenanhang, der für weitere Forschungen genutzt werden kann.

URN urn:nbn:de:0114-qn092214

Eric Neiseke

Leibniz Universität Hannover, Juristische Fakultät

E-Mail: eric.neiseke@web.de

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