Karin Zimmermann, Marion Kamphans, Sigrid Metz-Göckel (Hg.):
Perspektiven der Hochschulforschung.
Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2008.
366 Seiten, ISBN 978–3–531–14955–4, € 34,90
Abstract: Sowohl einzelne Universitäten als auch die Institution Universität als gesamteuropäischer Typus können heute auf eine bis weit in das Mittelalter zurückreichende Kontinuität verweisen. Die Universitäten stellen aber nicht einen geschlechtsneutralen Forschungsgegenstand, sondern eine in vielerlei Hinsicht „gendered organization“ dar. Der Sammelband präsentiert verschiedene Blickwinkel auf diese Geschlechterdimension. Um ‚Gender‘ als Erkenntniskategorie im Verhältnis zur sozialen Organisation Hochschule und zur Geschlechterkultur untersuchen zu können, ist nicht nur eine verbesserte gegenseitige Beachtung von Hochschul- sowie Frauen- und Geschlechterforschung notwendig. Entscheidende Bedeutung kommt insbesondere der reflexiven Wahrnehmung der eigenen „Betroffenheit“ der Hochschul- und der Geschlechterforscher/-innen zu.
Hochschulforschung ist traditionell zwischen dem wissenschaftlichen und dem politischen Feld angesiedelt. Sie steht in enger Verbindung zu Alltagspraxis und Politikberatung und dient in der Hauptsache der Bereitstellung von Steuerungswissen. Darüber hinaus rückt heute das Reflexionswissen, das dieser Forschungszweig liefern kann, in den Vordergrund. Der von Karin Zimmermann, Marion Kamphans und Sigrid Metz-Göckel herausgegebene Band dokumentiert die Beiträge des Symposiums „Hochschule im Dialog der Geschlechter und Generationen“, das im Juli 2005 am Hochschuldidaktischen Zentrum der Universität Dortmund stattfand. Er gliedert sich in vier umfangreiche Teile, die sich der Entwicklung der Hochschul- sowie der Frauen- und Geschlechterforschung, theoretischen Zugängen, handelnden Akteur/-innen, dem Hochschulalltag in der Praxis sowie dem Konzept des Gender-Mainstreaming widmen.
Im einleitenden und für das Spannungsfeld des Sammelbandes programmatischen Aufsatz zeichnet Metz-Göckel ein vielschichtiges Bild der Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Forschungsbereiche: Beide gelten in der scientific community als etabliert. Aber die gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse und die Beziehung zwischen den Geschlechtern im Bereich der Wissenschaft sind weiterhin tief greifenden Veränderungen ausgesetzt. Alles in allem haben gleichwohl die letzten 50 Jahre die „wissenschaftliche Subjektwerdung der Frauen“ (S. 37) mit sich gebracht. Einen komprimierten und international vergleichenden Überblick über den State of the Art der institutionell relativ kleinen und zugleich inhaltlich heterogenen Hochschulforschung liefert Ulrich Teichler. Trotz einer in Deutschland vergleichsweise schwachen institutionellen Einbindung und einem in der Regel außeruniversitären Entstehungshintergrund wird, so betont Teichler, die Forschung zunehmend europäisiert bzw. internationalisiert.
Elke Wild und Maria E. Harde formulieren vor dem Hintergrund der sich stark wandelnden deutschen Hochschullandschaft am Beispiel der Qualitätssicherung in der Lehre und der Nachwuchsförderung Perspektiven einer interdisziplinär ausgerichteten Hochschulforschung. Im Zentrum steht auch hier das von der Hochschulforschung gelieferte spezifische Reflexions- und Steuerungswissen für zukünftige Planungen – zumal dann, wenn wie heute eine Umbruchsituation den Vergleich verschiedener nebeneinander bestehender Modelle erlaubt, dem universitären Gestaltungsspielraum eine rasant wachsende „Komplexität administrativer Abläufe und Entscheidungsprozesse“ gegenübersteht und die Lösungen über den Bereich „symbolischer Politik“ hinausgehen sollen (S. 98).
Alle Forschenden müssen, wie Zimmermann in ihrem Beitrag unter Rückgriff auf Pierre Bourdieus Konzeptionen des Habitus und der sozialen Felder skizziert, sich jeweils einer dreifachen „Einbezogenheit“ bewusst sein: Als soziale Akteur/-innen sind sie selbst in das von ihnen untersuchte Feld involviert; als Angehörige einer bestimmten Disziplin sind sie zudem Teil des wissenschaftlichen Feldes, und als ebendiese haben sie sich auch gegenüber anderen gesellschaftlichen Teilbereichen, besonders dem politischen Feld, zu verorten. Im Vergleich zu diesem Steuerungswissen versteht die Autorin unter Reflexionswissen nun die Einsicht, welche Auswirkungen hieraus für die wissenschaftlichen Erkenntnisinstrumente und den Forschungsprozess folgen. Die Notwendigkeit dieser Reflexion ergibt sich auch aus den Ausführungen von Sandra Beaufaÿs zur sozialen Praxis der Nachwuchsförderung: Die erbrachte Leistung muss nicht nur dargestellt, sondern auch anerkannt werden. Trotz anderslautender Aussagen – die Gleichbehandlung behaupten – findet im Alltag oft unter der Hand eine Herabstufung durch den Zuschreibungszusammenhang des „weiblichen Geschlechts“ statt. Diese „gendered subtexts“ – mit denen sich auch der Beitrag von Ursula Müller befasst – sind auf nahezu allen Ebenen des Hochschulsystems zu finden.
Wie wenig „handlungsfähig“ Hochschulen als institutionelle Akteure sind, zeigt Uwe Schimank. Nur in Ausnahmen gelingt es ihnen, als überzeugender korporativer Akteur aufzutreten. Hochschulen versuchen in der Praxis, sowohl als Arbeits- wie auch als Interessenorganisation zu agieren: ein Spagat, der nicht gelingen kann. Die heute zum Teil weitverästelte Aufsplitterung der realen Entscheidungsfindung vor Ort führt nach Schimank deshalb oft zu „‚ärgerlichen Tatsachen‘ zweiter Ordnung“, d. h. sowohl zu „Mülleimer-Entscheidungen“ wie auch zu „transintentionalen“ Ergebnissen, die den Alltag im Wissenschaftsbetrieb Hochschule zusätzlich erschweren (S. 159 f.).
Unter einer Reihe von Beiträgen, die sich mit den Ergebnissen empirischer Forschungen befassen, ragt die teilnehmende Beobachtung von A. Senganata Münst heraus. Sie schließt direkt an die theoretischen Überlegungen von Beaufaÿs (s. o.) an: Die Universität reproduziert ihre hierarchischen Strukturen selbst – freiwillig oder auch unfreiwillig und oft in Interaktionsprozesse eingebettet, die nicht hinterfragt werden. Münst bestätigt die Annahme völlig unterschiedlicher Lehr- und Fachkulturen und deren Auswirkung auf die Positionierung der Geschlechter in der Alltagspraxis der Wissenschaft. Diese Befunde lassen sich leicht um die Aspekte Kohorten- und/oder Generationskonflikte bzw. männlicher und weiblicher Lehrhabitus erweitern (vgl. Hildegard Schaeper, S. 207 ff.). Unterschiedliche Tätigkeiten suggerieren unterschiedlich hohe Fachkompetenz, die beobachteten Interaktionsformen zwischen Lehrenden und Studierenden reproduzieren jeweils im disziplinären Kontext die Strukturen der akademischen Felder und der zumeist traditionellen Geschlechterverhältnisse.
Carola Bauschke-Urban nimmt die Internationalisierung auf der biographischen Ebene in den Blick: Neue, „nomadische Lebensformen“ (S. 273), oft auch als gelebte Verbindung zwischen geforderter Mobilität und Migration, haben auch in der Wissenschaft Einzug gehalten. Migration ist dabei nicht mehr der klassische Wechsel zwischen zwei Orten – Hin- und Herkunft –, sondern erfährt in den Lebenspraktiken und Identitätsentwürfen hochmobiler und flexibler Wissenschaftlerinnen in transnationalen Räumen vielschichtige Ausrichtungen (S. 279). Die Analyse der Kommunikation über Lebensgeschichten zeigt eine klares Grundmuster: Aufbruch – Ankunft – Dazwischen. Die Betonung liegt in der Regel auf der/den Phase(n) des ‚Dazwischen‘.
In welche Richtung die im Sammelband präsentierten Ergebnisse in der Praxis weisen können, zeigt der letzte Teil des Bandes: Es geht nicht primär darum, die Lage der Frauen zu verändern, sondern darum, die Hochschulen unter der Verantwortlichkeit von Frauen zu reformieren. Reorganisationsprozesse sind als soziale Prozesse zu verstehen, die besonders durch die an ihnen teilnehmenden Personen und Gruppen geprägt werden. Gender-Mainstreaming ist in diesem Sinne eine aktive bzw. aktivierende Strategie. Nach Kamphans ist die praktische Umsetzung von Gender-Mainstreaming eine Strategie, die „darauf abzielt, die Geschlechterverhältnisse zu verändern“, d. h. eine Geschlechterperspektive in den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Mainstream einzubringen (S. 331). Die Notwendigkeit dieser Forderung ruft aus aktuellem Anlass nicht zuletzt der sich im August 2008 erst zum 100. Mal jährende preußische Erlass, Frauen offiziell zur Immatrikulation an den Hochschulen zuzulassen, in Erinnerung.
Insgesamt liefert der Sammelband ein breites Spektrum von praktischen Beispielen und theoretischen Anregungen, die für die notwendige Vertiefung der Zusammenarbeit von Hochschul- sowie Frauen- und Geschlechterforschung geeignet sind. Wenn man die Thematisierung des jeweiligen Partners in den Beiträgen als Maßstab zugrunde legt, ist der Bedarf auf Seiten der Hochschulforschung allerdings noch ungleich höher. So liegt es nahe, den durchweg informativen Band auch als ein Plädoyer für eine stets neu aufzunehmende sich stetig wiederholende institutionalisierte Selbstreflexion zu lesen.
URN urn:nbn:de:0114-qn092027
Dr. Cord Arendes
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Zentrum für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften (ZEGK), Historisches Seminar / Lehrstuhl für Zeitgeschichte
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