Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hg.):
Wissenschaftlerinnen in der DFG.
Förderprogramme, Förderchancen und Funktionen (1991–2004).
Weinheim: WILEY-CH Verlag 2008.
171 Seiten, ISBN 978–3–527–32106–3, € 49,90
Abstract: Seit Juli 2002 ist die Förderung der „Chancengleichheit von Männern und Frauen in der Wissenschaft“ als Vereinszweck der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) festgeschrieben. Drei Jahre später begann ein von der DFG unterstütztes Forschungsprojekt, in dem die Geschlechter(un)gleichheit im Antrags- und Bewilligungswesen sowie die Repräsentanz von Wissenschaftlerinnen in den Gremien und Ausschüssen der DFG untersucht wurden; dessen Dokumentation liegt nun vor.
Thomas Hinz, Ina Findeisen und Katrin Auspurg von der Universität Konstanz stellen ihrer Dokumentation zu Wissenschaftlerinnen in der DFG die bekannte Erkenntnis voran: „Je höher die hierarchische Ebene, desto seltener sind Frauen vertreten.“ (S. 14) Doch wollen die Autor/-innen explizit keine Ursachenforschung betreiben, sondern zunächst „eine breit angelegte Dokumentation zur Repräsentanz von Wissenschaftlerinnen sowie zu möglichen Unterschieden in der geschlechtsspezifischen Chancenstruktur in den verschiedenen Programmen und Gremien der DFG“ (ebd.) vorlegen, die zu weiteren Fragestellungen und Untersuchungen anregen soll.
Während der Projektlaufzeit vom Herbst 2005 bis zum Sommer 2007 wurde umfangreiches Datenmaterial von der DFG, dem Statistischen Bundesamt, der Bund-Länder-Kommission und dem CEWS (Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung) für den Untersuchungszeitraum 1991 bis 2004 ausgewertet. So ergibt sich ein sehr guter Überblick mit einführenden Erläuterungen zu den jeweiligen Fördermaßnahmen und mit zahlreichem Datenmaterial und anschaulichen Tabellen und Graphiken zu der geschlechtsspezifischen Situation in den Bereichen Projektförderung, Nachwuchsförderung sowie Sprecherfunktionen in Koordinierten Programmen, DFG-Gremien und im Begutachtungssystem. Abgerundet wird die Dokumentation durch eine Darstellung der bestehenden Maßnahmen der DFG zur Förderung der Chancengleichheit sowie Vorschlägen der Autor/-innen für deren weitere Ausgestaltung.
Als Referenzpunkt für die Auswertung wurde das Datum gewählt, wie stark Frauen an den deutschen Hochschulen derzeit vertreten waren. Zwischen 1991 und 2004 hat sich „die Teilhabe von Frauen auf allen Stufen deutlich“ erhöht (S. 23). Trotzdem bleiben weiterhin die horizontale (nach Wissenschaftsbereichen variierende Frauenanteile) und vertikale (mit steigender Qualifikationsstufe abnehmende Frauenanteile) Segregation bestehen. Im Jahr 2004 waren 90,8 % der C4-Professuren und 84,2 % der Leitungspositionen in Hochschulen mit Männern besetzt. Das ‚Verschwinden‘ potentieller Wissenschaftlerinnen nach Abschluss des Studiums (Absolventinnenanteil seit 2000 um die 50,0 %) wird in der Wissenschaftsforschung als „leaking pipeline“ bezeichnet; dies ist in der Karrierephase zwischen Promotion und Habilitation noch stärker ausgeprägt.
Insgesamt lässt sich „keine Ungleichbehandlung im Begutachtungssystem“ (S. 104) der DFG konstatieren. Trotzdem findet sich sowohl bei der Einzelförderung („Normalverfahren“) als auch bei den „Schwerpunktprogrammen“ ein Geschlechtereffekt, der „immer in die gleiche Richtung einer (geringfügigen) Schlechterstellung von Wissenschaftlerinnen [weist, so dass] eine kumulative Wirkung nicht ausgeschlossen“ (S. 53) werden kann. Erschwert werden allgemeine Aussagen durch die hohe Varianz der Frauenanteile in den Wissenschaftsbereichen und Fachgebieten. So schwankt der Mitarbeiterinnenanteil in DFG-geförderten Projekten der Geistes- und Sozialwissenschaften zwischen 23,5 und 62,9 % und bei den Ingenieurwissenschaften zwischen 0,0 und 42,9 %. Dies macht deutlich, „dass in allen Wissenschaftsbereichen Potenziale zu einer Beschäftigung von Nachwuchswissenschaftlerinnen vorhanden sind“ (S. 67). Dabei stellt sich jedoch auch heraus, dass weiterhin Frauen eher als ihre männlichen Kollegen auf halbe Stellen gesetzt werden. Anhand von Befragungen von Stipendiat/-innen- der DFG lässt sich zeigen, dass ein „größerer Handlungsbedarf“ hinsichtlich der „längerfristigen Erwartungen und Orientierungen von Nachwuchswissenschaftlerinnen“, die „häufig in von der DFG geförderten Projekten geformt“ werden (S. 106), besteht. So fühlen sich Nachwuchswissenschaftlerinnen deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen von den jeweiligen Professor/-innen bei der Etablierung in der Scientific Community unterstützt.
Offen bleibt die Frage, ob Nachwuchswissenschaftlerinnen generell einen höheren Nachweis ihrer wissenschaftlichen Kompetenz erbringen müssen. Zu untersuchen wäre dies mittels „blind reviews“, was zugleich Erkenntnisse über den Einfluss von Gutachtenden ermöglichen würde. Als aufschlussreiches Resultat ist noch zu nennen, dass jüngere Antragstellerinnen und Antragsteller günstige Förderquoten aufweisen – womit der oft geäußerten Kritik, die DFG-Begutachtung ziele auf „bloße Erfahrung“ (S. 104), widersprochen werden kann.
Anhand der Sprecherfunktionen in koordinierten Programmen, dem Begutachtungssystem sowie den DFG-Gremien wird die Repräsentanz von Wissenschaftlerinnen in den reputationsträchtigen (Macht-)Positionen untersucht. Hier setzen sich die positiven Ergebnisse, die bei der Forschungsförderung festgestellt wurden, nicht fort. Es lässt sich allerdings wiederum eine Steigerung des Frauenanteils zwischen 1991 und 2005 sowie (in den jeweiligen Gremien) erhebliche Differenzen hinsichtlich der Herkunftsdisziplinen konstatieren. Während 2005 die Sprecherfunktion in den Geistes- und Sozialwissenschaften zu 21 % von Wissenschaftlerinnen ausgefüllt wurde, lag der Frauenanteil bei den Ingenieurwissenschaften bei 3,5 % und insgesamt für alle Bereiche bei 9,8 %. Ähnlich verhält es sich im Begutachtungssystem, das zu Beginn des Kapitels samt seiner Reform von 2004 anschaulich erklärt wird. Während der Frauenanteil bei den Sondergutachtenden sowie in den bis 2003 bestehenden Fachausschüssen unter 10 % lag, erhöhte er sich bei den neu eingerichteten Fachkollegien auf 11,4 % im Jahr 2003 – Tendenz steigend, da ab 2007 quotierte Wahllisten eingeführt wurden.
Auch in den DFG-Spitzen bleiben Männer vornehmlich unter sich. Leider sparen die Autor/-innen hinsichtlich der Repräsentanz von Wissenschaftlerinnen in den höchsten DFG-Gremien an konkretem Zahlenmaterial und an Prozentangaben. Trotzdem vermitteln die genannten Angaben einen Eindruck davon, dass die mit hoher Reputation und „Gestaltungsmöglichkeiten“ (S. 97) verbundenen Positionen männerdominiert sind. Zwischen 1991 und 2004 waren 29 Männer und lediglich vier Frauen im Präsidium, dem geschäftsführenden Organ. Während es beim Präsidium Ende der 1990er nur eine „vorübergehende Erhöhung“ (S. 99) gab, lassen sich die Entwicklungen im Senat und im Hauptausschuss als positiv kennzeichnen. So erreichte der Hauptausschuss den bis dato höchsten Frauenanteil von 20 % im Jahr 2000.
Seit Mitte der 1990er Jahre konnte sich ein Bewusstsein für die Gleichstellungsproblematik in der DFG allmählich durchsetzen, so wurde 1996 der Gruppe „Qualitätssicherung und Verfahrensentwicklung“ der Aufgabenbereich Chancengleichheit zugeordnet. Vier Jahre später folgte ein dreigliedriges Maßnahmenpaket, das die Chancengleichheit in der Wissenschaft und in der Geschäftsstelle sowie Netzwerkbildung und Mentoring zum Ziel hatte. Vor allem im Bereich der Vereinbarkeit von Familie und Forschungsaktivitäten hat die DFG zahlreiche Verbesserungen geschaffen. Ein „Meilenstein“ (S. 100) bildet die Verankerung der Chancengleichheit in der Satzung im Jahr 2002. Seitdem ist eine Internetpräsenz der DFG zur Chancengleichheit hinzugekommen, auf der sich auch die DFG-Geschäftsstelle als geschlechtergerechte Organisationseinheit präsentiert. Zusammen mit sechs weiteren deutschen Wissenschaftsorganisationen startete die DFG 2006 die „Offensive für Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern“. Einen weiteren Meilenstein stellt die Einführung quotierter Kandidat/-innenlisten für die Fachkollegienwahl dar, womit die DFG weitere begrüßenswerte Akzente in der Gleichstellungsarbeit setzt.
Die Autor/-innen konstatieren, dass es keinen Anlass zum Innehalten gibt, und halten die DFG dazu an, ihre Bestrebungen und Maßnahmen zu intensivieren und auszubauen. Hierzu werden eine Reihe von wertvollen Hinweisen gegeben, von denen ich zwei herausgreife: Erstens muss den „konkreten Arbeitsbedingungen und ihrer Wahrnehmung“ (S. 102) durch die Wissenschaftler/-innen mehr Aufmerksamkeit zuteil werden, insbesondere hinsichtlich der individuellen Förderung und Ermutigung von Nachwuchswissenschaftlerinnen. Zweitens gilt es, mittels „bewusster Rekrutierungspolitik“ (S. 102) den Frauenanteil in der DFG-Spitze wesentlich zu erhöhen, denn nicht zuletzt darf der „Signalcharakter“ (S. 102) von Wissenschaftlerinnen in Spitzenpositionen – auf die Nachwuchswissenschaftler/-innen, aber auch auf die Hochschulen – nicht unterschätzt werden.
URN urn:nbn:de:0114-qn092153
Daniela Heitzmann
Technische Universität Dresden, Institut für Soziologie
E-Mail: danielaheitzmann@web.de
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