Magie, Hexen und Strafverfolgung

Rezension von Arne Duncker

Johannes Dillinger:

Hexen und Magie.

Frankfurt am Main: Campus 2007.

197 Seiten, ISBN 978–3–593–38302–6, € 16,90

Abstract: In der Reihe „Historische Einführungen“ des Campus Verlags versucht Johannes Dillinger, die Entwicklung von Magie- und Hexereivorstellungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart zu beschreiben. Die Hexenverfolgungen und -prozesse der Frühen Neuzeit und ihre Voraussetzungen nehmen dabei etwas mehr als die Hälfte der Gesamtdarstellung ein. Das Buch bietet in erster Linie eine Einführung in die neuere und neueste Sekundärliteratur und die dort besprochenen aktuellen Streitpunkte. In einem Teilabschnitt wird auch auf die Hexenverfolgung als Frauenverfolgung eingegangen und nach Ursachen für den hohen Frauenanteil unter den Verfolgten geforscht.

Dillinger untersucht die Geschichte von Hexerei und Magie v. a. als kulturhistorisches Phänomen und nur zum kleineren Teil als rechtshistorischen Vorgang. Die Darstellung soll dabei über die Hexenprozesse hinausgehen und auch die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Magie beinhalten, nebst einigen unkonventionellen Exkursen in die Gegenwart.

Grundlagen

Die Abhandlung beginnt mit einem Kapitel zu Definitionen von Magie und Hexerei in Gegenwart und Vergangenheit (S. 13–24). Hier wird zunächst die Geschichte des Magiebegriffs in vorwiegend anthropologischen Theorien vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart umrissen, sodann nach kurzen Ausführungen zu Aberglauben und Volksglauben eine ausführlichere Betrachtung zu Entwicklung und Inhalt des „elaborierten Hexenbegriffs“ (S. 19) aus der Zeit der Verfolgungen angestellt. Eine Hexe, abgeleitet vom Wort hagazussa (Zaunreiterin), sei danach mit den Merkmalen Hexenflug, Hexensabbat, Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft und Schadenszauber verbunden gewesen. Leider wird hierzu nur global auf „Theologen“ (S. 21) als Quelle Bezug genommen, ein präziserer Nachweis bereits hier wäre wünschenswert.

Unter dem Titel „Magie und Geisterglauben: Inhalte und Deutungen“ (S. 25–63) folgen u. a. Erläuterungen zu Gelehrtenmagie (magia naturalis), Volksmagie, Geisterglauben, Dämonologie sowie Hexensabbat bzw. vermeintlicher Hexensekte. Im Abschnitt Dämonologie wird dabei die Hexenlehre der Verfolger zum Thema; hier sind die Erörterungen zu Leben und Werk einiger führender Autoren der Hexenverfolgung recht verdienstvoll, insbesondere die Behandlung Jean Bodins, des zu Unrecht vorwiegend aufgrund seiner Staatslehre bekannten Verfassers der démonomanie, der für den Hexenprozess ein Sonderverfahren zu Lasten der Angeklagten forderte (S. 49 f.).

Hexenprozesse und Prozesszahlen

In den folgenden Kapiteln zu den Hexenprozessen (S. 74–113) geht Dillinger auf Ursachen, Gesetze und Verfahren, Prozesszahlen, auf Inquisition und unterschiedliche weltliche Gerichte ein. Der Abschnitt über Gesetze und Verfahren umfasst nur etwa siebeneinhalb Seiten, in welchen vergleichsweise summarisch und oft ohne genug Raum zur geographischen und zeitlichen Strukturierung das europäische Hexenrecht eines halben Jahrtausends dargestellt wird. Dies erscheint selbst in einer an Nicht-Rechtshistoriker gerichteten Einführung für „Studierende, Examenskandidaten und Doktoranden“ als zu kurz. Im Überblick über „vielgestaltige Landesgesetze“, der sich auf wenige Beispiele beschränkt (S. 83), werden diese Gesetze außerdem in zumindest sehr ergänzungsbedürftiger Weise zitiert. Im ausführlichen Abschnitt über Prozesszahlen (eigentlich: Hinrichtungszahlen) weist der Autor darauf hin, dass in der Vergangenheit und in populärer Literatur oft übertrieben hohe Opferzahlen von bis zu neun Millionen verwendet worden seien; „diese absurde Zahl [wurde] im Kulturkampf, in der ‚völkischen‘ Propaganda, im Neuheidentum und schließlich auch in feministisch orientierter Publizistik unkritisch verwandt“ (S. 88). Nach Dillingers eigener Zählung (detaillierte Tabelle S. 89 f.) habe es in Europa insgesamt nur etwa 50 000 Hinrichtungen gegeben, davon mindestens die Hälfte im Alten Reich. Er räumt ein, dass die Hinrichtungen nur einen Teil der Hexereifälle ausgemacht hätten, da einige weitere Fälle nicht mit einer Hinrichtung endeten. Gleichwohl könnte seiner scheinbar exakten Zahlenermittlung eine weitere Fehlerquelle zugrunde liegen, welche nach den zu hohen Schätzungen der Vergangenheit nun eine zu niedrige Schätzung nach sich gezogen haben könnte. Dies wäre der Fall, wenn die bisher in der Forschung nachgewiesenen Hinrichtungen hier ohne weiteres mit der mutmaßlichen Gesamtzahl der tatsächlich historisch stattgefundenen Hinrichtungen gleichgesetzt worden sind. Es erscheint nicht zwingend, dass die Forschung der Gegenwart bereits vollständig sämtliche erhaltenen Kriminalakten der zurückliegenden Jahrhunderte erschlossen und ausgewertet hat. Weiterhin erscheint die Annahme fern liegend, die Archivbestände Europas hätten Kriege, Katastrophen und ordnende Eingriffe der zurückliegenden Jahrhunderte verlustfrei überstanden. Zum Dritten dürfte nicht gewährleistet sein, dass tatsächlich jede Hinrichtung einer Hexe bei den Verfolgern ordnungsgemäß in den Akten abgelegt worden ist und damals auch noch alle diese Akten überhaupt den Weg in die Archive gefunden haben.

Rolle der Inquisition

Ein kurzer, aber inhaltlich hervorragender Abschnitt folgt auf S. 92–95: Zu Recht widerlegt Dillinger das populäre Vorurteil einer Alleinschuld der katholischen Kirche oder „der Inquisition“ an den Hexenprozessen, indem er sehr schön die historischen Fakten aufarbeitet und für sich sprechen lässt. Hierbei erklärt er instruktiv sowohl die Funktion der „Inquisition“ als kirchlicher Gerichtsbehörde als auch die davon zu trennende Inquisitionsmaxime in den Prozessen vieler kirchlicher und weltlicher Gerichte. Deutlich weist er auf das frühe Ende der von der Inquisition geführten Hexenprozesse hin, bedingt dadurch, dass die Gerichtsverfahren jedenfalls in Teilaspekten fairer und objektiver wurden. Besondere und verdiente Würdigung erfährt der spanische Inquisitor Alonso de Salazar Frias (S. 95), dessen Überprüfung der Stichhaltigkeit von Hexereianklagen 1614 praktisch zum Ende der dortigen Hexenprozesse führte. In der Untersuchung weltlicher Gerichte in Deutschland (S. 96–113) wird die Abhängigkeit der Verfolgungsintensität vom jeweiligen Landesherren und von innenpolitischen Verhältnissen herausgearbeitet. Hierzu beschreibt Dillinger typische Interessenlagen der Hexenverfolger „von oben“ und derer „von unten“, also aus der Bevölkerung.

Hexenverfolgung als Frauenverfolgung?

Das folgende Kapitel „Die Opfer der Hexenverfolgungen“ (S. 114–136) soll nicht nur eine Übersicht über den Personenkreis der Opfer bieten, sondern erörtert quasi im Vorübergehen auch diverse Theorien über die Ursachen der Verfolgungen. Nach einer vorherrschenden Auffassung („Soldan-Paradigma“) habe den Beschuldigungen kein reales Handeln zugrunde gelegen; Abweichende Ansichten werden erörtert (z. B. zur prozessualen Rolle dörflicher Magieexperten), auch Auffassungen exotischer Art werden erwähnt (z. B. Fortleben heidnischer Kulte, Bekämpfung paranormal Begabter). Ausführlich wird die für die Geschlechterforschung zentrale Frage nach der Hexenverfolgung als Frauenverfolgung untersucht (S. 119–128). Nur etwa 12 % der Opfer seien männlich gewesen, freilich mit starken regionalen Unterschieden. Quintessenz aus den Überlegungen des Autors ist, dass Frauenfeindschaft in der kirchlichen Tradition dazu beigetragen habe, dass vornehmlich Frauen als Hexen verdächtigt worden seien. Da diese Frauenfeindschaft aber deutlich älter sei als die Hexenverfolgungen, gehöre sie zwar zu deren Grundlagen, nicht aber zu deren auslösenden Momenten. Im Volksglauben sei die jeweils „geschlechtstypische“ Magie unterschiedlich bewertet worden; weibliche Magie sei eher emotions- und angstbesetzt gewesen als männliche Magie. Dillinger beurteilt die nach seiner Sicht „feministisch“ orientierte Forschung als unwissenschaftlich (im Folgenden vgl. S. 120 f.): „Ohne oder mit nur geringer Kenntnis der Quellen wurde [in den 1970er Jahren, A.D.] Forschungsliteratur zielstrebig so selektiert und interpretiert, dass sich die Hexenverfolgung als drastisches Beispiel der Herrschaft des ‚Patriarchats‘ lesen ließ. Ohne Scheu vor ahistorischer Aktualisierung oder ideologischer Geschichtsnutzung wurden Kontinuitäten und Identitäten behauptet. […] Die Diskussion […] wurde oft entsprechend emotional geführt.“ Dillinger stellt fest: „Feministisch orientierte Arbeiten beleuchteten die der älteren Forschung bereits geläufige Misogynie mittelalterlicher und frühneuzeitlicher theologischer Autoren neu. Allerdings wurden naive Verknüpfungen von normativen bzw. theologischer Binnendiskussion verpflichteten Quellen und dörflichem Verfolgungsgeschehen nicht immer vermieden.“ Und zur These eines Verdrängungskampfs von Kirche und Ärzteschaft gegen Heilerinnen und Hebammen schreibt er: „Es gehörte über Jahre zum Pensum seriöser Historiker, diese These zu pulverisieren.“

Brücke in die Gegenwart?

Unter dem Stichwort „Ende der Hexenverfolgungen“ (S. 137–151) werden zunächst die Argumente einiger derjenigen zeitgenössischen Autoren dargestellt, welche maßgeblich zur Eindämmung und später zur Beendigung der Hexenprozesse beigetragen haben (Weyer, Scot, Witekind, Tanner, Spee, Bekker, Thomasius). Dillinger setzt sich kritisch mit der These auseinander, wonach die Aufklärung die Hexenprozesse beendet habe. Zwar habe sie zum Abklingen der Verfolgungen beigetragen, allerdings sei die Hauptphase der Hexenjagden schon lange vorher vorbei gewesen. Hinsichtlich weiterer Ursachen und Begleiterscheinungen werden ein Wandel in Gesetzgebung und Verwaltung – mit einem sehr treffend formulierten Satz über Friedrich II. (S. 148) – sowie soziale Veränderungen beschrieben.

Anschließend versucht Dillinger eine Brücke bis in die Gegenwart zu schlagen („Magie und Hexen nach den Hexenverfolgungen“, S. 152–169). Dieses Kapitel ist gewissermaßen ein Sammelbecken für die Kurzdarstellungen verschiedenster mehr oder weniger mit Magie verknüpfter Phänomene der letzten zwei bis drei Jahrhunderte: Marginalisierung der Hexerei, Verfolgungen in Afrika und anderen Gebieten der so genannten Dritten Welt; Hexen in „Kunst und Kommerz“, Zauberbücher, Brauchbücher, Krabat und Harry Potter; Freimaurer, Mesmerismus, Spiritismus, Neopaganismus und Wicca. Möglicherweise wäre hier eher eine exemplarische Auswahl weniger charakteristischer Beispielfelder anzuraten gewesen. Angesichts der Fülle des Materials wird die Darstellung in diesem Kapitel über weite Strecken selbst zu einem „grab-bag approach“ (vgl. S. 167), wie er beiläufig als Kennzeichen des Neopaganismus kritisiert wird. Dieser Vorwurf betrifft allerdings nicht die Ausführungen über afrikanischen Magieglauben (S. 156–159); hier wird eindrucksvoll ein in Europa wenig bekanntes Feld modernen Hexenglaubens, moderner Magie und Hexenverfolgung beschrieben, verbunden mit der Befürchtung, vielleicht habe hier ja die Große Hexenverfolgung erst begonnen.

In einer Schlussbetrachtung (S. 170 f.) versucht der Autor neue Fragestellungen und Forschungsfelder für die Zukunft zu erschließen.

Gesamteindruck und begleitendes Material

Insgesamt bietet Dillinger mit seinem Buch in erster Linie eine gute, sehr kenntnisreiche Einführung in die neuere und neueste Sekundärliteratur und die aktuellen Streitpunkte. Dabei neigt er dazu, einige der in der Literatur vertretenen Thesen temperamentvoll und scharf abzulehnen. Streckenweise hat sein Buch nicht den Charakter einer neutralen „historischen Einführung“, sondern einer lebhaften Verteidigung der eigenen Thesen, was ja mitunter durchaus legitim ist; einige Äußerungen sprechen für sich, und das Weitere sollte dem Urteil selbständiger Leserinnen und Leser überlassen sein. Klassiker (wie Soldan/Heppe), die Geschichte der Hexenforschung und viele Primärquellen treten im Übrigen etwas hinter den aktuellen Schriften zurück. Freilich trägt ein sehr aktuell gehaltenes Buch die Gefahr in sich, beim Aufkommen neuer Fragestellungen in der Forschung auch schneller zu veralten als eine auf Faktenwissen beschränkte Gesamtübersicht.

Wenngleich die neuere Literatur im Vordergrund steht, wird in der Darstellung deutlich, dass der Autor den Umgang mit historischen Primärquellen liebt und diesen auch von der aktuellen Forschung einfordert. Dillinger ist durchaus bemüht, mitunter kurze Quellenabschnitte einzustreuen (beispielhaft S. 33, S. 47). Ihm wäre im Falle einer Fortführung des Werkes der Mut zu wünschen, noch viel mehr dieser Quellenabschnitte beizufügen. Sie sind zielführend, definieren oft sehr genau den Untersuchungsgegenstand, sind gut lesbar und didaktisch wertvoll.

Im Buch wird verschiedentlich auf Quellen im Internet verwiesen. Auf der Homepage des Campus Verlags ist eine im besten Sinne weiterführende Sammlung von 13 Textquellen und vier Bildquellen, jeweils mit konkreten Bezugspunkten zur Einführung Dillingers, bereitgestellt.

Das Material ist ergänzend durch eine erfreulich ausführliche Auswahlbibliographie vorwiegend neuerer Literatur, ein kurzes Glossar sowie ein Personen- und Ortsverzeichnis erschlossen. Hilfreich wären darüber hinaus noch ein Sachregister und ein Quellenverzeichnis gewesen.

URN urn:nbn:de:0114-qn092099

Dr. Arne Duncker

Universität Hannover, Juristische Fakultät, Lehrstuhl für Zivilrecht und Rechtsgeschichte

E-Mail: arne.duncker@t-online.de

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