Monika Hinterberger, Susanne Flecken-Büttner, Annette Kuhn (Hg.):
„Da wir alle Bürgerinnen sind …“ (anno 1313).
Frauen- und Geschlechtergeschichte in historischen Museen. Erhebung und vergleichende Analyse der frauen- und geschlechtergeschichtlichen Präsentationsformen in historischen Museen.
Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich 2008.
280 Seiten, ISBN 978–3–86649–129–8, € 28,00
Abstract: Die in der Studie veröffentlichte Analyse frauen- und geschlechtergeschichtlicher Präsentationsformen in 74 historischen Museen verdeutlicht die geringe Berücksichtigung der Geschichte von Frauen und legt den ‚männlichen Blick‘ auf die historische Vergangenheit offen. Mit innovativen Ideen zur Präsentation einer geschlechtergerechten Geschichte, die matriarchale Muster in der Menschheitsgeschichte sichtbar werden lässt, unterstützt diese Publikation ein „Haus der FrauenGeschichte“.
Bereits im Jahr 2000 gründeten historisch Interessierte in Bonn den „Verein zur Förderung des geschlechterdemokratischen historischen Bewusstseins“ mit dem Ziel, ein historisches Museum zu eröffnen, das die Menschheitsgeschichte über Jahrtausende hinweg bis ins 21. Jahrhundert unter frauen- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive präsentiert – ein ambitioniertes Unternehmen, bei dem umfangreiche Vorarbeiten geleistet und viele Ideen auf ihre Eignung und Darstellbarkeit abgeklopft werden mussten und müssen. Die 2008 von der Bonner Professorin für Frauengeschichte Annette Kuhn und zwei weiteren wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen des Projekts (Monika Hinterberger und Susanne Flecken-Büttner) herausgegebene Publikation veranschaulicht die vorgenommenen Arbeitsschritte und Gedanken zu einem „Haus der FrauenGeschichte“ mit seinem angestrebten emanzipatorischen Charakter.
Die Befürworter/-innen des Hauses analysieren die bisherigen frauen- und geschlechtergeschichtlichen Präsentationsformen in historischen Museen (S. 27–158) und stellen dabei mit einem frauengeschichtlichen Blick auf das menschliche Handeln und Denken die „Versäumnisse“ fest, die die gegenwärtige Museumslandschaft bestimmen. Die auf einer Fragebogen-Erhebung und einigen Museumsbesuchen basierende Analyse der Möglichkeiten und Grenzen frauen- und geschlechtergeschichtlicher Darstellungsformen in ausgewählten 74 Museen, die in allen Bundesländern, in Südtirol und im Vorarlberg liegen, wirft für die Unterstützer/-innen eines „Hauses der FrauenGeschichte“ zahlreiche Fragen auf. Aber nicht nur Fragen nach den Ursachen der registrierten „Versäumnisse“ werden in der Publikation beantwortet. Es wird auch versucht, die Position des geplanten „Hauses der FrauenGeschichte“ in der Museumslandschaft zu bestimmen. Zugleich werden zahlreiche Überlegungen angestellt, wie die Fülle frauenhistorischer Zeugnisse und die Kontinuitäten im Handeln und Denken von Frauen an einem Ort exemplarisch sichtbar werden können.
Den (ebenfalls abgedruckten) Fragebogen beantworteten 50 von 74 angeschriebenen Museen, die nach ihrer regionalen Verteilung vor allem innerhalb des Bundesgebietes, ihrer Größe und nicht zuletzt wegen des Themenschwerpunktes ausgesucht worden waren, der eine frauengeschichtliche Darstellung nahelegte. Die Klassifizierung der Museen erfolgte in fünf Gruppen nach der Art der Berücksichtigung und Einbindung von Frauengeschichte in das jeweilige Museumskonzept und verschiedene Arbeitsbereiche.
Sowohl die Auswertung der Fragebogen-Erhebung durch Bettina Bab (S. 105–126) wie auch die vertiefende, auf Museumsbesuche sich stützende Analyse von Monika Hinterberger zu den Möglichkeiten und Grenzen frauen- und geschlechtergeschichtlicher Präsentationsformen am Beispiel einiger deutscher Museen (S. 127–158) zeigen, wie unterschiedlich Frauengeschichte wahrgenommen und präsentiert wird und wie verschiedenartig die Einbindung in die Aufgaben eines Museum erfolgt. Zum Teil finde sich eine große Diskrepanz zwischen dem Selbstverständnis der Museen im Hinblick auf die Berücksichtigung der Frauengeschichte und der tatsächlich vor Ort erfahrenen Umsetzung. Die widersprüchlichen oder eher ablehnenden Haltungen zur Frauengeschichte, die einige Museen mit der personellen und finanziellen Situation, mit fehlenden Materialien oder mangelnder öffentlicher Akzeptanz begründen, erscheinen teilweise als fraglich.
Als Ergebnis der Betrachtungen steht schließlich fest, dass Frauengeschichte kaum Eingang in die Dauerausstellungen vor allem von großen Stadtmuseen fand, kleinere Stadtmuseen jedoch zwar ein spätes, dafür aber andauerndes Interesse zeigen. Insbesondere ostdeutsche Museen räumen in Sonderausstellungen und in Publikationen der Frauengeschichte einen Platz ein, während westdeutsche Museen tendenziell die Geschichte der Frauen im Dauerausstellungsbereich und durch Führungen darbieten. Einige Museen reduzieren Frauengeschichte auf „typische Frauenthemen“ wie Mode, Haushalt und Küche, andere Museen präsentieren Frauen beispielsweise auch als politisch Aktive. Das jeweilige Verständnis von Frauengeschichte beeinflusst nicht nur die Präsentation, sondern bestimmt – sofern vorhanden – nachhaltig auch die Sammlungen der Museen. Ein „Haus der FrauenGeschichte“ erscheint den Autorinnen, angesichts der nur wenig genutzten, aber verfügbaren Museumsexponate, die als frauengeschichtliche eher selten wahrgenommen und kaum in diesen einen Kontext gerückt würden, als längst überfällig. Beispielhaft wird anhand ausgewählter Museen – das Rheinische Landesmuseum in Bonn oder das Deutsche Apothekenmuseum in München – erläutert, wie sich aus frauengeschichtlicher Perspektive Anknüpfungspunkte finden lassen, so dass – wie gefordert wird – neue Forschungsergebnisse und Themen in Sonderausstellungen nicht mehr verloren gehen, sondern ins Bewusstsein gerufen und in einer allgemeinen Geschichte verankert werden.
Obwohl zahlreiche Kritikpunkte bleiben, würdigt Annette Kuhn die positiven Veränderungen in den letzten Jahren, die mit einer deutlich stärkeren musealen Beachtung frauen- und geschlechtergeschichtlicher Themen verbunden sind, und legt die bisher vollzogenen konzeptionellen und institutionellen Folgerungen für ein „Haus der FrauenGeschichte“ (S. 159–186) dar. Mit dem Ziel, die Entstehung, die Durchsetzung und die Veränderungsformen matriarchaler Muster aufzuzeigen, die zeitgleich und innerhalb eines Patriarchalisierungsprozesses ablaufen, werden die Lebens-, Denk- und Äußerungsweisen von Frauen betrachtet und Frauen als historische Akteure präsentiert. Damit verbindet sich auch die Ansicht, Frauenpraxis verallgemeinern zu können. Sieben ausgesuchte, chronologisch angeordnete Themenkomplexe (matriarchale Kulturen (40 000–3000 v. Chr.), Frauen in der Begegnung mit Kulturen (3000 v. Chr.-1350 n. Chr.), Frauenwege in die Moderne (1350–1550), Frauenbewegungen in Europa (1550–1850), Geschlechterdemokratie in Deutschland (1850–1939), Frauenpolitik und Faschismus (1938–1958) und weibliche Visionen und Konzepte der Einen Welt) präsentieren in einer Spiralbewegung eine Kontinuitätslinie der matriarchalen Muster. Anhand eines Leitbildes, eines Symbols, eines Leitzitates und nicht zuletzt anhand der Inszenierung eines historischen Ereignisses sollen diese Muster sichtbar werden. Beispielsweise bestimmen das Bild vom Zug der Pariser Frauen nach Versailles im Jahre 1789 und ein Zitat von Olympe de Gouges, der Verfasserin der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerinnen von 1791, die (re-)konstruierte Epoche von 1550 bis 1850;beides dient u. a. dazu, den „Gedanken der gesamtgesellschaftlichen Erneuerungskraft von Frauen zu vertiefen“ (S. 176). Das Anliegen, ein geschlechterdemokratisches historisches Bewusstsein zu vermitteln, findet auch im letzten geplanten Museumsraum Eingang, der die von Frauen entwickelten politischen Konzepte und Vorstellungen präsentiert, die patriarchale und dualistische Weltanschauungen überwinden.
Die Publikation verdeutlicht die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Auseinandersetzungen mit der Frauengeschichte in historischen Museen des deutschsprachigen Raumes und weckt – trotz kritischer Stimmen – durch die virtuellen Spaziergänge, auf die sich die Leser/-innen einlassen können, auch die Neugier und die Lust auf einen Besuch des einen oder anderen Museums. Die abschließend abgedruckten Grußworte und Gutachten zu dem Projekt „Haus der FrauenGeschichte“ belegen letztendlich noch einmal als positive Resonanzen die Notwendigkeit dieses frauengeschichtlichen Museums, denen nach der Lektüre nur zugestimmt werden kann. Mit dem Verständnis von Geschichte als einen gemeinsamen historischen Lernprozess versuchen die Unterstützer/-innen des Museums, die aufeinander aufbauenden Leistungen von Frauen in zahlreichen Gebieten hervorzuheben und den Geltungs- und Deutungsanspruch des matriarchalen Musters zu verdeutlichen. Es sollte dabei jedoch nicht vergessen werden, dass die Geschichte vieler Frauen auch außerhalb der rekonstruierten matriarchalen Muster und Symboltraditionen gedacht werden kann oder/und sich Frauen als historische Akteure teilweise davon auch bewusst absetzten. Außerdem erscheint es lohnenswert, nicht nur Frauen, sondern auch Männer innerhalb matriarchaler Muster zu verorten, denn beide Geschlechter trugen und tragen zur Gestaltung und Konstruktion gesellschaftlicher Traditionen und Veränderungen bei.
URN urn:nbn:de:0114-qn092057
Stefanie Bietz
E-Mail: bietz@uni-leipzig.de
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