Barbara Duden:
Der Frauenleib als öffentlicher Ort.
Vom Mißbrauch des Begriffs Leben.
Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag 2007.
137 Seiten, ISBN 978–3–938304–76–1, € 15,90
Abstract: Ergänzt durch ein Vorwort erschien 2007 die ansonsten unveränderte Neuauflage eines Klassikers der Frauen- und Geschlechterforschung: Barbara Dudens Der Frauenleib als öffentlicher Ort. Vom Mißbrauch des Begriffs Leben. Duden thematisiert den vielschichtigen gesellschaftlichen Wandel, der über einen Zeitraum von 300 Jahren zu einem spezifischen (Körper-)Erleben von Schwangerschaft heute geführt hat. Das zweite zentrale Interesse des Textes richtet sich auf die Prozesse – Wissenschafts- und Technikentwicklung, Bedeutungsverschiebungen in den Religionen und sich wandelnde juristische Begriffe – welche die Vorstellung eines Lebens im Mutterleib erst möglich machten.
Dass Körper nicht immer auf dieselbe Art erlebt wurden und werden, sondern historisch und kulturell spezifische Materialisierungen sind, ist in den Gender Studies mittlerweile fast schon ein Allgemeinplatz. Dudens Untersuchung zum Schwangerschaftserleben untermauert dieses Wissen mit wertvollen historischen Daten. Körperempfinden habe sich gewandelt, so Duden, von einer vorwiegend „haptischen Selbstwahrnehmung“ (S. 108) im 18. Jahrhundert, in der der Körper als „bewegungsbezogenes Orientierungserlebnis“ (S. 109) wahrgenommen wurde, hin zu einer stark durch visuelle Techniken vermittelten Körpererfahrung, die heutigen Schwangerschaften eigen sei und von Duden polemisch als „instrumentell [hergestellte] Scheinwirklichkeit“ (S. 13) charakterisiert wird. Zwar zeigt die Autorin überzeugend, wie die Entwicklung blickbildender Techniken vom Holzschnitt über den Kupferstich bis zum Ultraschall und sich weiterentwickelnden Mikroskopiertechniken zu diesem Wandel im Körpererleben beitrugen. Die ständig wiederkehrende Kritik am Verlust von sinnlicher Wahrnehmung gewinnt jedoch nicht an Überzeugungskraft dadurch, dass Duden sich weigert, Schwangere heute auf ihr Körpererleben hin zu befragen. Ihre Kritikperspektive wirkt so leider oft sehr statisch und empirielos gesetzt. „[Wahrnehmungsstiftende] praktische Rituale“ (S. 3), denen Duden im Vorwort eine große Bedeutung im Prozess der Wahrnehmungsbildung Schwangerer gibt, tauchen im weiteren Verlauf des Textes bedauernswerterweise eher am Rande auf und werden nicht genauer untersucht.
Das zweite Erkenntnisinteresse des Textes liegt in der wissenschaftlichen Konstruktion eines lebendigen Fötus. Duden zeichnet nach, wie rechtliche, religiöse und wissenschaftliche Diskurse und Praktiken ein Subjekt im Mutterleib herstellen, welches heute als „zum Götzen erhobenes populärwissenschaftliches Mißverständnis“ (S. 131) für den „Fortbestand von Lebensprozessen“ (ebd.) überhaupt stehe. Das auf diese Weise konstruierte „Leben“ fungiere als Ankerpunkt moralisch-ethischer Diskussionen um den Schwangerschaftsabbruch. Der Fötus werde als ein bedrohtes Immunsystem von Schwangeren einverleibt und erfahren, was sowohl zu einem historisch radikal anderen Schwangerschaftserleben führe als auch die Schwangere neu positioniere. An die Stelle der Frau, die wegen einer vermuteten Schwangerschaft den Arzt aufsucht, seien heute einerseits diagnostische Sicherheit und außerdem immer mindestens zwei Patient/-innen getreten, deren „Interessen“ es zu wahren gelte.
Was kann dieser Essay 15 Jahre nach seinem ursprünglichen Erscheinen heute für Fragen aufwerfen, und wie interveniert er in die Diskussion um Körper, vor allem in den Gender Studies? In poststrukturalistischer Theorie geschulte Leser/-innen könnten sicher sofort eine Reihe unterkomplexer Kategorien ausmachen und – zu Recht – kritisieren. Wie es vor allem vor den 1990er Jahren häufig und gerne in feministischer Theoriebildung vorkam, nimmt auch Duden auf die Frauen als kaum binnendifferenzierte, scheinbar homogene Gruppe und politischen Akteur Bezug, obwohl es ihr eigentlich doch um Schwangere geht. Auch ein argumentativ nicht überzeugend untermauerter Seitenhieb auf Haraway scheint nicht fehlen zu dürfen. Sieht man jedoch von reflexartiger Kritik solcher Art ab und liest Dudens Text produktiv auf seine Denkanstöße hin, ist er tatsächlich sehr spannend und noch immer aktuell.
Immer wieder beschreibt Duden die Problematik, historisches Körperempfinden aus heutiger Sicht nachvollziehen zu wollen. Vor dem Hintergrund eines tiefgreifenden Bedeutungswandels in den Begrifflichkeiten käme es leicht zu Fehlinterpretationen historischer Quellen. Wie also den „Forschungssubjekten“ und ihrer Körperlichkeit gerecht werden? Welche epistemologischen Konsequenzen knüpfen sich an diese ethische Fragestellung? Eindrucksvoll beschreibt Duden Reflexionsprozesse und Selbsttechniken, die ihrer Wissensproduktion zu Grunde liegen.
Der Blick in die Vergangenheit soll Autorin und Leser/-innen dazu dienen, Schwangerschaft heute zu verstehen. Dudens Analyse bietet, was viele Untersuchungen zu Schwangerschaft und Reproduktionsmedizin heute vermissen lassen: den Blick auf eine Vielzahl von Diskursen, vor allem auch auf die Rechtssprechung, welche am Entstehen neuer Kategorien (wie der des Fötus) und der Veränderung von Körpererfahrung mitwirken. Viele Aspekte, die Duden nur anreißt oder eher setzt als begründet – Probleme der Übersetzbarkeit von Begrifflichkeiten (ob über historische, kulturelle oder über fachliche Distanzen), bevölkerungspolitische Tendenzen oder Fragen nach politischer Handlungsfähigkeit – regen an zum produktiven Weiterdenken.
Wer bereit ist, über betroffen polemische Zwischenbemerkungen hinwegzulesen, und Dudens Abgrenzungen in feministische und wissenschaftskritische Debatten um die Materialität von Körpern einordnen kann, wird ihren Essay auch heute noch gewinnbringend lesen können. Das Beharren auf der (wenn auch vergangenen) Möglichkeit einer radikal anderen Körpererfahrung öffnet tatsächlich den Blick für die überaus reale und wirkmächtige Konstruktion von Körperlichkeit in ihrer aktuellen Spezifität.
URN urn:nbn:de:0114-qn092248
Carola Pohlen
Humboldt-Universität zu Berlin, Europäische Ethnologie
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