Gleichstellungsrecht, Gleichstellungspolitik und Gender-Justice: Historische Sichtweisen einer Feministischen Rechtswissenschaft

Regina Harzer

Zwischen der „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ von Olympe de Gouges aus dem Jahre 1791 und der Grundgesetzänderung des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG[1] von 1994 und den sich anschließenden Gleichstellungsgesetzen liegen gut 200 Jahre. Wenn Jutta Limbach weite Phasen dieser Zeitspanne in die „Geschichte der enttäuschungsreichen Kämpfe um die Rechtsgleichheit von Frauen und Männern“[2] integriert und Judith Butler bekanntlich sogar „zeitgenössische feministische Debatten über die Bedeutungen der Geschlechteridentität“ mit einem „gewissen Gefühl des Unbehagens“[3] in Verbindung bringt, dann liegen diesen beiden Diagnosen zwar ganz unterschiedliche Positionen zugrunde, deren gemeinsamer Inhalt aber springt ins Auge: Das Bemühen um Gender-Justice. Dieses Bemühen geht weiter und in der Frauenrechtsgeschichte ist bei weitem noch nicht das erreicht, was einer geschlechtergerechten und an der Vielfalt von Lebensformen ausgerichteten sozialen Gesellschaft entsprechen würde. Die Erklärung von Olympe de Gouges als konstituierende Begründung feministischer politischer Philosophie und diese als Ausgangspunkt einer modernen Frauenrechtspolitik zu nehmen, bedeutet, auch gegenwärtiges Gleichstellungsrecht und gleichstellungspolitische Diskurse in einen größeren historischen Zusammenhang zu stellen. Damit ließe sich verdeutlichen, dass auch gegenwärtige Enttäuschungen ihre Wurzeln haben, und dass Umsetzungsdefizite auf dem Gebiet der Gleichstellungspolitik durchaus aktuelles Unbehagen hervorzurufen geeignet sind. In welcher Situation befindet sich das gegenwärtige Gleichstellungsrecht? Wie verlaufen gleichstellungspolitische Umsetzungsprozesse in Hochschulen und auf kommunaler Ebene? Was können Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte tun, um die Umsetzung der rechtlichen Gleichstellung in praxi zu forcieren? Und in welchem Licht betrachtet Feministische Rechtswissenschaft als Teilbereich der Frauen- und Geschlechterforschung gleichstellungspolitische Vorgänge? Mit diesem Fragenkomplex beschäftigt sich der Beitrag unter Bezugnahme auf historische ‚Highlights‘ in Sachen Gleichstellung. Es wird sich zeigen, ob das eine oder andere ‚Lowlight‘ dabei ist.

Erstes ‚Highlight‘: Die Kausalität von Bildungschancen, Wahlrecht und Gleichberechtigung

Wer gleiche Berechtigung einfordert, bedarf zunächst der Einsicht in die Rechtsqualität dieser Forderung, und um dieser Forderung praktischen Nachdruck verleihen zu können, müssen darüber hinaus entsprechende Umsetzungsbedingungen existieren. Deshalb sind die politischen Grundentscheidungen, Frauen den Zugang zu allen Bildungseinrichtungen zu gewähren, einschließlich des Zugangs zur Universität durch das im Jahre 1900 erstmals eingeräumte Immatrikulationsrecht, als historisch bedeutsame Ausgangspunkte und das 1918 später eingeräumte Wahlrecht für Frauen als deren notwendige kausale Folge anzusehen. Auf diesen beiden Säulen historischer Kontinuität (Bildungszugang und Wahlrecht) beruhte die vor allem von Elisabeth Selbert geführte und schließlich gewonnene Auseinandersetzung um die Einfügung des Gleichberechtigungsartikels im Grundgesetz von 1949. Freilich müssten wir diesen Kausalverlauf zeitlich weit vordatieren, denn bereits dem Bildungszugang für Frauen waren bedeutende Entwicklungen nationaler und internationaler Frauenbewegungen vorausgegangen, die jeweils äquivalente Bedingungen für alles weitere Geschehen um die Rechtsgleichheit darstellten. Einen wesentlichen Beitrag zur Konkretisierung und Würdigung dieses historischen Kausalzusammenhangs hat der von Ute Gerhard 1997 herausgegebene Sammelband Frauen in der Geschichte des Rechts geleistet. An dieser Stelle soll lediglich der Hinweis auf die Eckpfeiler der umgesetzten Gleichberechtigungsidee in Deutschland genügen. Diese Eckpfeiler stellen in der Tat ein historisches ‚Gesamt-Highlight‘ in der Geschichte des Frauenrechts dar. Auf dieser Basis konnte weitergehenden Forderungen nach gleicher Behandlung der Frauen innerhalb der Gesellschaft Ausdruck verliehen werden.

Zweites ‚Highlight‘: Gleichbehandlung als gesellschaftliche Perspektive für Frauen

Mit der Festschreibung des Gleichberechtigungsgrundsatzes wurde die Erwartung verknüpft, zukünftig einer veränderten Gesellschaft anzugehören. Erhoffte Veränderungen richteten sich auf die Besserstellung von Frauen im weitesten Sinne, konkreter: auf ganz praktische Wirklichkeiten von Familie und Berufsperspektiven, aber auch auf die Perspektiven von selbständigem Bewusstsein, auf theoretische Auseinandersetzungen in allen gesellschaftlichen Bereichen, um neue Begründungen der Autonomie des weiblichen Subjekts in den Blick zu nehmen und einem öffentlichen Diskurs zuzuführen. Insofern wurde eine Konzeption favorisiert, in der es bereits im Ansatz um das Verhältnis der Beteiligten gehen sollte. Die Vorstellung, die ‚Behandlung‘ aller als gleiche Rechtspersonen sei der entscheidende Zugriff, stand im Vordergrund. Wer allerdings auf Behandlungsgleichheit gesetzt hatte, musste schon deshalb schwer enttäuscht werden, weil jede Behandlung einen vorsätzlichen Willensakt voraussetzt. Gleichbehandlungsvorsatz war aber in den 1950er und 1960er Jahren kaum Gegenstand des realen Zusammenlebens. Prototypisches Beispiel bildet die bis heute nicht praktizierte Gleichbehandlung in Sachen ‚Lohnforderung‘. Inzwischen sind 50 Jahre seit den Verträgen zur Gründung der EWG im Jahre 1957 vergangen, als der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ mit der Maßgabe verabschiedete wurde, das Lohngleichheitsgebot bis 1961 in den Mitgliedsstaaten zu verwirklichen. Derartige Anfangsbetrachtungen erhoffter gesellschaftlicher Veränderungen können nur scheinbar als Beginn gleichstellungsrechtlicher Vorstellungen bezeichnet werden, sie basierten aber in Wahrheit auf einem Konzept der Gleichbehandlung, das erneut auf schrittweise politische Reformen abstellen musste und sich gleichzeitig konfrontiert sah mit dem Goodwill einer androzentristischen bürgerlichen Gesellschaft. Da wir weiterhin – um im Beispiel zu bleiben – auf die Realisierung des Lohngleichheitsgebots warten, muss festgestellt werden, dass der erste Umsetzungsversuch durch ein Gleichbehandlungskonzept vollkommen erfolglos geblieben war und ist. Frauenpolitische Reformbemühungen waren zweifellos vorhanden, aber zwei Jahrzehnte Nachkriegsära der Bundesrepublik entpuppten sich in der Tat als ‚Lowlight‘, bloß als „politische Leitvokabel“[4] im Diskurs um frauenrechtliche Fortschritte.

Drittes ‚Highlight‘: Der neue Ansatz frauenfördernder Gleichstellung

So konnte es nicht weitergehen. Zu den Bezeichnungen „Gleichberechtigung“ und „Gleichbehandlung“ gesellte sich eine weitere Wortschöpfung. Das Zauberwort lautete aus juristischer Sicht nunmehr Gleichstellungsrecht. Frauenförderung und Gleichstellung wurden zunächst als Schwestern begriffen. Die politische Konzeption der Frauenförderung muss aber inzwischen als ‚Vorläuferin‘ einer Gleichstellungspolitik betrachtet werden, deren Ziel in der rechtlichen Festschreibung der Gleichstellungsidee bestand. Die Gleichstellungsförderung als in der Verfassung abgesichertes Ziel avancierte so zur Grundlage einer bedeutenden Verfassungsänderung. Bevor die Modifikation des Art. 3 Abs. 2 GG allerdings nach langen Debatten 1994 verabschiedet werden konnte, wurden in einzelnen Bundesländern – insbesondere in Nordrhein-Westfalen – zahlreiche Frauenförderkonzepte ins Leben gerufen, mit durchaus nachhaltigen Wirkungen. Zunächst waren harte Quoten als Frauenfördermaßnahmen angedacht, was allerdings dazu führte, die neue Verfassungsregelung zurückhaltender zu formulieren, als dies durchaus möglich gewesen wäre. Der neue Satz 2 des Art. 3 Abs. 2 GG stellt insgesamt einen Kompromiss dar zwischen einer historischen Übergangsphase quotierter Frauenförderung und einer Gleichstellung, die sich dem Kernproblem bestehender Unterrepräsentanz[5] von Frauen erneut entziehen konnte. In dieser Hinsicht kann die Verfassungsänderung zumindest rückblickend als Beginn dafür angesehen werden, Frauenförderung schrittweise durch sogenannte innovative Konzepte der Gleichstellungspolitik zu ersetzen. ‚Reine‘ Frauenförderung konnte eigentlich gar nicht mehr gedacht werden, ohne gegen den neuen Verfassungsgrundsatz der „Gleichstellung von Frauen und Männern“ zu verstoßen. Insofern ist die verfassungsrechtliche Umsetzung frauenpolitischer Positionierungen begrüßenswert und kann als wirkliches ‚Highlight‘ im positiven Gleichstellungsrecht verstanden werden. Gedämpft wird dieses Licht demgegenüber allerdings, wenn sich die Bedeutung der Frauenförderung verliert und politische Konzepte mit allen Auslegungsmöglichkeiten favorisiert werden.

Viertes ‚Highlight‘: Gleichstellungspolitik und vorbereitende Umsetzungsstrategien

Um den gegenwärtigen Zustand des Gleichstellungsrechts verstehen zu können, bedarf es einer genaueren Analyse, was sich eigentlich nach dem Inkrafttreten des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG abgespielt hat. Zunächst mussten folgerichtig alle Bundesländer den Verfassungsauftrag zur Gleichstellung von Frauen und Männern in entsprechende Regelungen umsetzen. Begleitet wurden diese Phasen der Ländergesetzgebung von zwei wesentlichen Aspekten: Zum einen gab es Bundesländer, die auf einen umfangreichen Erfahrungsschatz frauenfördernder Regelungen und frauenpolitischer Empfehlungen aus den 1980er Jahren zurückgreifen konnten; es handelte sich um Bundesländer, denen in gewisser Weise eine Art Führungsrolle in frauen- und gleichstellungspolitischer Hinsicht zugesprochen wurde (etwa Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Hessen, später auch Berlin). Zum anderen registrierten selbst lokale Verwaltungseinheiten bereits im Vorfeld der Verfassungsänderung eine Atmosphäre der Internationalisierung des Gleichstellungsgedankens und eine Atmosphäre des interdisziplinären Diskurses in der Frauen- und Geschlechterforschung. Sowohl der internationale, europäische Druck als auch die zunehmende Bereitschaft der Akademisierung der woman question haben nicht unbedeutenden Einfluss auf weitere Entwicklungslinien der Gleichstellungspolitik der Bundesländer genommen. Gleichstellungspolitik und gender waren auf einmal in aller Munde; es wurde landauf, landab diskutiert und gestritten, Genderpositionen wurden untermauert oder aufgehoben, alte Zweifel an Männergesellschaften neu aufgerollt, heteronormative Vorstellungen kritisiert, Geschlechterstereotypen und unausgewogene Geschlechterverhältnisse ausfindig gemacht, neue Lebensformen und Vielfalt propagiert und Frauen-Netzwerke gegründet. All diese Aktivitäten bildeten ein Konglomerat für eine mächtige, auf fundierter Gesellschaftskritik beruhende und nicht zu unterschätzende Bewusstseinsänderung. Während die Aufbruchstimmung der 1970er Jahre gekennzeichnet war durch das Verhältnis ‚Privatheit‘ und ‚Öffentlichkeit‘, fasste die erneute und wiederbelebte Aufbruchstimmung der 1980er und 1990er Jahre alle bedeutsamen Aspekte zur Beantwortung der ‚Frauenfrage‘ zusammen: Feminismus, Frauenbewegung, Frauenforschung, Gleichberechtigung, Gleichstellung und autonome Lebensformen. Zusammenfassend lässt sich ohne Zweifel feststellen, dass diese Phase als das große ‚Highlight‘ in der Geschichte des Gleichstellungsrechts und der Gleichstellungspolitik bezeichnet werden kann.

Fünftes ‚Highlight‘: Gender Mainstreaming & Co.

Erst als sich die Mitwirkenden des vierten ‚Highlights‘ über die Komplexität ihres Diskursgegenstandes Klarheit verschafft hatten, zeichnete sich ab, was kommen musste: Trennung von Wissenschaft und Praxis, Entsolidarisierungsprozesse, Lokalisierungstendenzen, Verrechtlichung, Überbetonung ökonomischer Wirklichkeiten, Radikalisierungen. Der fortschrittliche Bewusstseinsprozess wurde abgelöst durch die Dominanz immer konkreter werdender gleichstellungspolitischer Konzeptionen, die positiv-rechtliche Umsetzungsbemühungen maßgeblich beeinflussten. Erstaunlich war und ist, dass diese Konkretisierungen gleichzeitig nach Verallgemeinerung strebten und damit eine Entwicklung in Gang setzten, die scheinbar nicht mehr aufzuhalten war. Die Geburt des Gender Mainstreaming signalisierte Zeitgeist und verkörperte in gewisser Weise absolute Souveränität. Wer Kritik äußerte, war ‚out‘ oder musste sich – trotz bleibender Zweifel – den neuen Offenbarungen beugen. Dennoch blieb das Feld des ‚Gender‘ im Mainstreaming den Frauen zunächst vorbehalten. Je mehr allerdings einfache klassische und traditionell individuelle Frauenförderung durch ein Plädoyer für ‚gegenderte‘ Strukturen ersetzt werden konnte, desto mehr trat die Frage der Effektivität gleichstellungspolitischer Maßnahmen in den Vordergrund und der übergeordnete Frauendiskurs verblasste. Dieser Zusammenhang hatte Auswirkungen auf die Ländergesetzgebungen. In Landesgleichstellungsgesetzen konnten Umsetzungsregeln entworfen werden, mit deren Hilfe das Alltagshandeln in Behörden, Hochschulen, Kommunen weiterhin flexibel gehandhabt werden konnte. Selbst Frauenbeauftragte, die sich später Gleichstellungsbeauftragte nannten und deren Stellen einzurichten die verschiedenen Verwaltungsebenen gesetzlich verpflichtet wurden, waren Teil dieser gewollten Flexibilität. Welche Verwaltung muss sich vor einer neuen Beauftragten fürchten, deren Tätigkeit so gut wie folgenlos gehalten werden kann? Positiv-rechtlich betrachtet sind die Landesgleichstellungsgesetze technisch solides Handwerkszeug; rechtspolitisch betrachtet sind sie Meisterwerke der Täuschung. Geregelt werden Gleichstellungsaspekte für Kommunen und Hochschulen; gewollt ist, dass diese Umsetzungsregelungen untaugliche Versuche für eine effektive Frauenförderung bleiben[6]. Wird das konkrete Strategiekonzept des Gender Mainstreaming weiter konkretisiert und differenziert und auf die Grundlage eines Diversity Management gestellt, stellen Radikalität und Ökonomisierung nicht mehr bloß harmlose Handlungsalternativen dar, sondern bilden eine konsequente gleichstellungspolitische Einheit in dieser globalisierten Wirklichkeit. Werden ferner Gender Budgeting, Gender Controlling und Gender Planning hinzugenommen, verflacht die Frauenfrage gänzlich zur Berechenbarkeit von Humankapital. Zu vermuten bleibt, dass sich diese gleichstellungspolitischen Ressortfelder weiter vertiefen und verästeln werden und dabei die ursprünglich erstrebte Bewusstseinsveränderung mit Blick auf eine geschlechtergerechte Gesellschaft auf der Strecke bleibt. Gender Mainstreaming & Co. wären dann echte ‚Lowlights‘. Dass das schade wäre, muss nicht gesondert betont werden.

Sechstes ‚Highlight‘: Gender-Justice und Feministische Rechtswissenschaft

Eine wesentliche Entwicklungslinie im gegenwärtigen Gleichstellungsdiskurs muss noch berücksichtigt werden. Dabei geht es um Entstehung und Konsolidierung der „Feministischen Rechtswissenschaft“, deren Vorläuferinnen bereits entstanden, als an „Gleichstellung“ bzw. an deren rechtliche Formulierung noch nicht zu denken war. Diese Entwicklung nahm erneut ihren Anfang durch die Institutionalisierung rechtspolitischer Positionen von Frauen. Der bereits 1948 gegründete Deutsche Juristinnenbund hatte sich zum Ziel gesetzt, u. a. zur Verwirklichung von Frauenrechten beizutragen. Zu Beginn der 1970er Jahre gründeten sich juristische Frauengruppen, deren Sicht auf das Recht deutlich davon geprägt war, die Frauenfrage grundlegend in das Zentrum rechtlicher Auseinandersetzung zu rücken. Aus den Reihen der in der Praxis tätigen Juristinnen, vor allem der Rechtsanwältinnen, wurde der Feministische Juristinnentag (FJT) gegründet, der seit 1978 bis heute jährlich stattfindet. Der FJT setzte sich nicht nur mit theoretischen und praktischen Rechtsfragen auseinander, um einzelne Rechtspositionen von Frauen zu stärken und weitere Forderungen auszubauen, sondern reflektiert und kommuniziert auch die tägliche Arbeit von Juristinnen in einer Juristenwelt. In diesen Zusammenhang gehört ebenfalls die Gründung der Feministischen Rechtszeitschrift STREIT, die seit 1983 erscheint. Es bestand ferner seitens der juristischen Praktikerinnen das Bedürfnis, das Recht unter besonderer Berücksichtigung der gesellschaftlichen Stellung der Frauen innerhalb der juristischen Ausbildung zu integrieren und zu verankern. Folge war, dass sich auch Jura-Studentinnen an dem öffentlichen kritischen Diskurs über den eigenen Gegenstand des Studiums beteiligten. Nachdem die ersten Jura-Professorinnen an deutsche Universitäten berufen wurden, konnten für die Frage eines „FrauenRechts“ weitere berufliche Tätigkeitsfelder angeworben werden. Während das positive Recht (vor allem Ehe- und Familienrecht, Arbeits- und Sozialrecht, aber auch Themen wie sexualisierte Gewalt gegen Frauen) anfänglich einen weiten thematischen Raum einnahm, mehrte sich das Interesse zunehmend an grundlegenden Problemstellungen, so dass interdisziplinäre Ansätze mehr und mehr in den Rechtsdiskurs über Geschlechterverhältnisse Eingang finden konnten. Insofern lag es nahe, Recht auch als neue Wissenschaft zu hinterfragen und neben politisch für Frauen bedeutsamen und drängenden Rechtsfragen auch den Weg für einen rechtswissenschaftlichen feministischen Diskurs zu öffnen. Freilich werden diesem Kontext unterschiedliche Bezeichnungen und Richtungen zugeordnet, die bestimmte Vorlieben signalisieren: Die Rede ist von der „Frauenrechtswissenschaft“[7], von „weiblicher Jurisprudenz“[8], von „Feministischer Rechtswissenschaft“[9], von „Feministischer Rechtsphilosophie und -theorie“[10], und in der strafrechtlichen Teildisziplin „Kriminologie“ entwickelt sich Interesse an „Feministischer Kriminologie“[11]. Insgesamt zeigen diese Beispiele, dass sich ein öffentlicher wissenschaftlich geführter Rechtsdiskurs entwickelt hat, der aus der Jurisprudenz nicht mehr wegzudenken ist. Und dieser Diskurs hat die aktuellen Debatten um Gleichstellung und Gender Mainstreaming längst erreicht. Gleichstellungspolitik kann nur davon profitieren, wenn das Recht, das inzwischen ihre Grundlage bildet, selbst hinterfragt wird, wenn das Bewusstsein dafür gebildet wird, dass ein Frauenrecht die rechtliche Verdunkelung der Geschlechterverhältnisse aufzuhellen in der Lage ist. Gender-Justice im kleinen lokalen wie im übergeordneten Zusammenhang zu denken, bereitet rechtliches Handeln für eine geschlechtergerechte Gesellschaft vor[12]. Darauf, dass dies mit Schwierigkeiten verbunden ist und sein wird, hat Ute Gerhard hingewiesen: „Gleichheit ohne Angleichung“ impliziere Gewaltlosigkeit und doch kämpfendes Engagement, Rechtskritik ohne separatistische Praxen sowie rechtliche Vereinbarungen ohne eigene Rechts-Positionen preiszugeben[13]. Und dass Gender-Justice zu fordern, gutes Recht ist, stellt eine Einsicht dar, die als gegenwärtiges ‚Highlight‘ viele weitere Hoffnungen und Erwartungen in sich trägt. Schau’n wir mal!

Anmerkungen

[1]: Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG lautet: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

[2]: Jutta Limbach 1997, S. 9.

[3]: Judith Butler 1991, S. 7.

[4]: Vgl. Karin Böke 1996, S. 211 ff. (insbes. S. 235 ff.).

[5]: Vgl. Sabine Berghahn 2004, S. 59; Berghahn gibt zahlreiche Beispiele für diese Unterrepräsentanz.

[6]: Der kritischen Lehre von Susanne Baer ist es zu verdanken, diese Zusammenhänge aufgedeckt zu haben; folgender Satz markiert einen Meilenstein kritischen Gleichstellungsrechts: „Im Feld des Gleichstellungsrechts bedeutet mehr Recht nicht unbedingt mehr Gleichstellung, denn zahlreiche Regelungen werden nicht nur nicht umgesetzt, sondern dienen auch dazu, weitere Forderungen abzuwehren.“ (Susanne Baer 2003, S.66 ff. (S. 68)).

[7]: Tove Stang Dahl 1986, S. 115 und 1992.

[8]: Vgl. Ute Gerhard 1993, S. 123 ff. (auf S. 125 spricht Gerhard vom Gegensatz einer „männlichen Jurisprudenz“).

[9]: Susanne Baer 1995, S. 3 ff. und 1997, S. 153 ff.; Ute Sacksofsky 2001, S. 412 ff.; Ulrike Lembke 2005, S. 256 ff.; Tanja Nitschke 2006, S. 10 f.; Lena Foljanty/Ulrike Lembke 2006.

[10]: Vgl. Wolfgang Naucke/Regina Harzer 2005, Rn. 253; Regina Harzer 2007, S. 37 ff.; Monika Frommel 1993, S. 164 ff.; Sarah Elsuni 2006, S. 163 ff.

[11]: Vgl. Monika Frommel, 2007, S. 108 ff.; Michelle Cottier 2006; Anina Mischau 2003.

[12]: Vgl. dazu im Einzelnen: Regina Harzer 2006, S. 33 ff.

[13]: Vgl. Ute Gerhard 1990, S. 12.

Literatur

Baer, Susanne: Radikalität, Fortschritt und Gender Mainstreaming, zum Stand feministischer Rechtspolitik heute, in: STREIT – Feministische Rechtszeitschrift 2003, S. 66 ff.

Baer, Susanne, Feministische Ansätze in der Rechtswissenschaft. Zur großen Unbekannten im deutschen rechtswissenschaftlichen Diskurs, in: Ursula Rust (Hg.), Juristinnen an den Hochschulen, 1997, S. 153 ff.

Baer, Susanne, Feministische Rechtswissenschaft und juristische Ausbildung, in: Ursula Floßmann (Hg.), Feministische Blicke und Skizzen, Linz 1995, S. 3 ff.

Berghahn, Sabine: Der Ritt auf der Schnecke – Rechtliche Gleichstellung in der Bundesrepublik, in: Mechthild Koreuber/Ute Mager (Hg.), Recht und Geschlecht, Baden-Baden 2004, S. 59 ff.

Böke, Karin: Das Doppel-Leben der Frau: natürlich anders und rechtlich gleich – Frauenpolitische Leitvokabeln, in: Böke/Liedtke/Wengeler, Politische Leitvokabeln in der Adenauer-Ära, 1996, S. 211 ff.

Böke, Karin; Liedtke, Frank; Wengeler, Martin, Politische Leitvokabeln in der Adenauer-Ära, Berlin, New York 1996.

Buckel, Sonja; Christensen, Ralph; Fischer-Lescano, Andreas (Hg.), Neue Theorien des Rechts, Frankfurt am Main 2006.

Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main 1991 (Original: Gender Trouble, 1990).

Cottier, Michelle: Subjekt oder Objekt? Die Partizipation von Kindern in Jugendstraf- und zivilrechtlichen Kindesschutzverfahren. Eine rechtssoziologische Untersuchung aus der Geschlechterperspektive, Bern 2006.

Dahl, Tove Stang: Frauen zum Ausgangspunkt nehmen: der Aufbau eines Frauenrechts, in: STREIT – Feministische Rechtszeitschrift 1986, S. 115 ff.

Dahl, Tove Stang: FrauenRecht. Eine Einführung in feministisches Recht, Bielefeld 1992 (Original: Womans‘ Law. An Introduction to Feminist Jurisprudence, Oslo 1987).

Elsuni, Sarah: Feministische Rechtstheorie, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hg.), Neue Theorien des Rechts, Frankfurt am Main 2006, S. 163 ff.

Foljanty, Lena/Lembke, Ulrike (Hg.), Feministische Rechtswissenschaft. Ein Studienbuch, Baden-Baden 2006.

Frommel, Monika: Feministische Kriminologie, in: Karlhans Liebl (Hg.), Kriminologie im 21. Jahrhundert, Wiesbaden 2007, S. 108 ff.

Frommel, Monika: Feministische Rechtskritik und Rechtssoziologie, in: Kritische Justiz 1993, S. 164 ff.

Gerhard, Ute (Hg.): Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997.

Gerhard, Ute: Für Frauenrecht – (nicht nur) als Disziplin, in: STREIT – Feministische Rechtszeitschrift 1993, S. 123 ff.

Harzer, Regina: The Clash of Gender-Justice – Kampf um Geschlechtergerechtigkeit. Feministische Rechtstheorien, Gleichstellungspolitik und „Gender-Bewegungen“, in: Zeitschrift des Interdisziplinären Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung (IFF), Jg. 23, Nr. 32, 2006, S. 33 ff.

Harzer, Regina: Rechtsphilosophie – Eine Einführung, in: JA-Sonderheft 2007, S. 37 ff.

Koreuber, Mechthild; Mager, Ute (Hg.): Recht und Geschlecht. Zwischen Gleichberechtigung, Gleichstellung und Differenz, Baden-Baden 2004.

Lembke, Ulrike: Stand und Gegenstand feministischer Rechtswissenschaft, in: Juristische Ausbildung 2005, S. 256 ff.

Limbach, Jutta: Geleitwort zu: Frauen in der Geschichte des Rechts, hg. von Ute Gerhard, München 1997.

Naucke, Wolfgang/Harzer, Regina: Rechtsphilosophische Grundbegriffe, 5. Aufl., München 2005.

Nitschke, Tanja: Feministische Rechtswissenschaft, in: Forum Recht Heft 5, 2006 (Sonderausgabe).

Sacksofsky, Ute: Was ist feministische Rechtswissenschaft?, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 2001, S. 412 ff.

URN urn:nbn:de:0114-qn092356

Prof.’in Dr. Regina Harzer

Universität Bielefeld, Fakultät für Rechtswissenschaft, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie; Vorstandsmitglied Interdisziplinäres Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung (IFF), Homepage: http://www.jura.uni-bielefeld.de/Lehrstuehle/Harzer/index.html

E-Mail: regina.harzer@uni-bielefeld.de

Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.