Seyran Ateş ist eine bekannte Berliner Rechtsanwältin, die sich für Migrantinnen einsetzt und sich im Kontext aktueller gesellschaftspolitischer Debatten öffentlich für ein Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit von Frauen engagiert. Sie studierte an der Freien Universität Berlin und wurde 2006 mit dem Margherita-von-Brentano-Preis der Freien Universität Berlin ausgezeichnet. Die Laudatio hielt Jutta Limbach.
Von 1997 bis 2006 habe ich durchgängig als Rechtsanwältin gearbeitet. Ich hatte eine eigene Kanzlei, mal mit anderen Kolleginnen zusammen, mal allein. Zuletzt habe ich als Einzelanwältin gearbeitet und mich auf die Rechtsgebiete Familienrecht und Strafrecht konzentriert. Schon zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn war klar und von mir auch so gewollt, dass insbesondere Menschen, die türkisch sprechen, meine Dienste in Anspruch nehmen werden. Und es war mir zudem ein ganz besonderes Bedürfnis, Frauen bei ihren Rechtsproblemen zu helfen. Denn schließlich war die Unterdrückung und Ungleichbehandlung von Frauen und ‚Ausländer/-innen‘ der Grund dafür, dass ich überhaupt Rechtswissenschaften studiert hatte. Im Ergebnis war es dann tatsächlich so, dass ein großer Teil meiner Mandant/-innen türkisch sprach bzw. einen so genannten Migrationshintergrund hatte. Sie kamen zu mir, weil ich die türkische Sprache beherrsche und mich aufgrund meiner eigenen Biographie in der türkischen Kultur auskenne. Ich wollte aber nie eine ‚Türken-Anwältin‘ werden. Deshalb war ich von Anfang an auch darauf bedacht, meine Rechtsgebiete so zu sortieren, dass sich durchaus auch ‚urdeutsche‘ Mandant/-innen und natürlich auch Mandant/-innen aus anderen Ländern von meiner Arbeit angesprochen fühlten. Um das zu gewährleisten, habe ich zunächst als ‚Wald-und-Wiesen-Anwältin‘ gearbeitet, während meine Kolleginnen sich auf das Familienrecht, Ausländer- und Asylrecht oder das Strafrecht konzentrierten. Bei meinen ersten Kolleginnen handelte es sich um ‚urdeutsche‘ Frauen. Später habe ich auch mit Deutschländerinnen (Deutschen mit Migrationshintergrund, Zuwanderungsgeschichte etc.) gearbeitet. Jede Anwältin und jeder Anwalt, die oder der türkisch spricht und aus dem türkischen Kulturkreis kommt, wird unausweichlich mit der Frage konfrontiert sein, ob er oder sie nur türkisch sprechende Mandant/-innen haben möchte oder nicht. Die (politische) Ausrichtung der Kanzlei und die Interessensschwerpunkte sind Faktoren, von denen es abhängig ist, ob man/frau einen heterogenen oder ethnisch weitgehend homogenen Mandant/-innenstamm hat.
Man kann sich das Klientel nicht immer aussuchen. Ein Kollege, der als Einzelanwalt arbeitete, beklagte, dass er nur türkisch sprechende Mandant/-innen habe. Er hatte als Einzelanwalt mit seinen Rechtsgebieten keine Einflussmöglichkeit. Er sagte, dass sich weder ‚Urdeutsche‘ noch andere Ethnien zu ihm verlaufen würden. Bei dem einen und anderen wird sich der Mandant/-innenstamm also von allein in diese Richtung entwickeln und schwer zu steuern sein. Ich hatte das Glück, aus verschiedenen Gründen eine Steuerungsmöglichkeit zu haben. Ich blickte auf viele Jahre politische Erfahrungen in verschiedensten Gruppen zurück und kannte viele Frauenprojekte aus eigener Anschauung. Deshalb hatten wir von Anfang an eine sehr heterogene Mandant/-innenschaft. Die einen kamen zu mir, weil ich eine türkisch sprechende Anwältin mit einem türkischen Namen war, die anderen kamen nicht zu mir, weil ich eine auch türkisch sprechende Anwältin mit einem türkischen Namen war. Die, die zu mir kamen und blieben, waren froh, dass sie auch türkisch mit mir sprechen konnten und/oder dass sie von einer Frau betreut wurden, die auch einen so genannten Migrationshintergrund hat. Die anderen dachten möglicherweise, dass eine ‚Ausländerin‘ sich im deutschen Recht bestimmt nicht so gut auskennt. Oder es handelte sich um Leute, die mit ‚Ausländern‘ sowieso nichts am Hut hatten. Eine ‚türkische‘ Mandantin (Pflichtverteidigung im Strafrecht) fragte mich mal, ob ich mir als Frau überhaupt vorstellen könne, den Fall zu bearbeiten. Ich sei eine Frau und dann auch noch eine Türkin. Sie wollte von mir Beweise dafür haben, dass ich mich im Strafrecht auskenne. Ein Mandat, das so beginnt, kann natürlich nie gut enden. Ich habe sie vertreten und sehr gute Erfahrungen dabei gesammelt. Unter anderem die, dass man/frau solch ein Mandat sofort kündigen oder nicht annehmen sollte, weil es keine Vertrauensgrundlage gibt.
Das Vertrauen in die Arbeit des Rechtsbeistands ist die wichtigste Voraussetzung für eine Mandatierung. So war es mir ganz wichtig, dass meine Mandant/-innen erkennen oder wissen, dass ich eine bestimmte politische Haltung habe. Ich hatte die Kanzlei mit der Überschrift „Anwältinnenbüro“ gegründet. Unsere Dienste sollten aber nicht nur von Frauen und Ausländern/innen in Anspruch genommen werden. Wir wollten offen sein für viele, aber nicht für alle. Wir haben uns in Punkto Gewalt und Rassismus ganz klar positioniert, da wir alle vier aus der Frauenprojektarbeit und einem linkspolitischen Kreis kamen. Wir wollten keine Menschen vertreten, die Gewalt gegen Frauen ausgeübt haben und/oder eine rassistische Position einnahmen. Das haben wir weitgehend auch geschafft. Ich kann nicht sagen, dass wir es zu 100% geschafft haben, weil wir nicht wissen, ob jemand, den wir in einem mietrechtlichen Fall als Mieter vertreten haben und der auf uns friedlich wirkte, zu Hause seine Frau schlug. Bei dem Thema Gewalt ist wichtig zu sagen, dass wir einen sehr weiten Gewalt Begriff verfolgten, also nicht nur die körperliche Gewalt meinen, sondern z. B. auch die Weigerung, Unterhalt zu zahlen, als eine Form von Gewalt ansehen. Entsprechende Mandate haben wir nicht angenommen. Diese Positionierung und politische Haltung vertrete ich nach wie vor.
Ja, auch als ich die letzten Jahre allein gearbeitet habe, bin ich keinen Zentimeter von diesem Prinzip abgewichen. Das machte und macht den Schwerpunkt meiner Arbeit als Frauenrechtlerin und Anwältin aus. Ich möchte keinen Menschen darin unterstützen, Frauen und Kindern Gewalt anzutun oder eine Gewalttat im Nachhinein zu verharmlosen. Ich möchte keinen Rassismus unterstützen. Damit war und ist natürlich ausgeschlossen, dass ich Menschen vor Gericht vertrete mit dem Ziel, dass sie für die Gewaltanwendung eine geringere Strafe bekommen. So hat sich im Grunde von selbst ergeben, dass gut 80 % meiner Mandant/-innen Frauen waren, die irgendwie von Gewalt betroffen waren. Mir kam es darauf an, nicht gegen eine Frau auftreten zu müssen. Ich hätte das mit meinem politischen Gewissen nicht vereinbaren können. Es kamen manchmal Männer zu mir, die unbedingt von mir vertreten werden wollten, weil sie gehört hatten, dass ich eine Feministin bin und mich für Menschenrechte einsetze. Wenn es also zu der Ausnahme kam, dass ich einen Mann gegen eine Frau vertrat, weil er mir glaubwürdig versicherte, dass es keine streitige Verhandlung wird, machte ich meinem Mandanten gleichwohl deutlich, dass ich mich niemals vor den Karren spannen lasse und das Mandat sofort kündige, wenn er im Laufe der Zeit doch eine gewisse Aggression gegen die Frau entwickelt und von mir entsprechende Rückendeckung fordert. Ich musste einige Männer, die mich gegen eine Frau beauftragen wollten, freundlich, aber bestimmt aus meiner Kanzlei weisen. Manchmal hörte ich dann den Satz: „Ich denke, sie setzen sich für Menschenrechte ein“, und dieser Satz klang fast immer wie eine Beschimpfung. Spätestens in diesem Moment wurden meine Zweifel über meine Prinzipien ausgelöscht, und ich wusste, dass ich richtig entschieden hatte. Damit sage ich nicht, dass Frauen per se die besseren Menschen sind. Nein, ich habe genug unmögliche Mandantinnen gehabt, wo die Männer auf der Gegenseite erträglicher waren. Frauen sind aber weltweit neben Kindern am meisten von Menschenrechtsverletzungen betroffen, so z. B. von häuslicher Gewalt, Zwangsverheiratung und Ehrenmorden. Es geht es mir als Frauenrechtlerin darum, ihnen zur Seite zu stehen und diejenigen zu vertreten, denen am meisten das ‚Recht‘ auf ein selbst bestimmtes, gewaltfreies und menschenwürdiges Leben verwehrt wird.
Sehr viele meiner Mandant/-innen waren von Zwangsheirat betroffen; schätzungsweise 40 %. Vielleicht waren es auch mehr. Eine richtige, überprüfbare Zahl zu nennen ist schwer, weil die Definitionen von Zwangsverheiratung sehr unterschiedlich sind. Ich habe bei familienrechtlichen Fällen immer gefragt, ob eine Zwangsheirat vorliegt. Die meisten sagten: „Nein, das war arrangiert, so wie es bei uns halt üblich ist. Das weißt du doch!“ Nur durch lange intensive Gespräche – und das war eine Besonderheit meiner Arbeit, dass ich mir wirklich Zeit für die Mandant/-innen nahm – erfuhr ich dann schließlich doch, dass es sich im Endeffekt um eine Zwangsheirat handelte. Ich hatte auch Männer, die Opfer dieser Tradition waren. Die Folgen einer Zwangsverheiratung sind für die Männer aber nicht annähernd so schlimm wie für Frauen. Das Thema Zwangsverheiratung verfolge ich seit 1980 besonders intensiv. Ich setze mich aktuell dafür ein, dass die Zwangsverheiratung ein eigener Straftatbestand wird. Es reicht nicht aus, dass es zurzeit als besonders schwerer Fall der Nötigung erfasst ist. Der eigene Straftatbestand würde unter anderem dazu führen, Zwangsehen gesellschaftlich zu ächten und das Unrechtsbewusstsein insbesondere der unmittelbar beteiligten Personen zu sensibilisieren. Jede Person, die an einer Zwangsehe mitgewirkt hat, wird erzählen, dass sie doch nichts Schlimmes getan habe. Man habe etwas Gutes tun wollen. Die Verheiratung gegen den Willen eines Menschen ist in einigen Familien so sehr verbreitet und in der Tradition so sehr verankert, dass eine Auflösung meiner Ansicht nach nur mit einer adäquaten Strafandrohung einhergehen kann, natürlich parallel zur präventiven Aufklärungsarbeit. So kann den Personen, die ganz selbstverständlich ihre Töchter verkaufen und in einem Zimmer nebenan sitzen, während ihre Töchter vergewaltigt werden, deutlich gemacht werden, dass sie an dem Mädchen/der Frau eine Straftat begehen. Es ist falsch und menschenverachtend zu denken, dass Traditionen geschützt werden müssen, wenn Menschenrechte verletzt werden. Ich schaue mir also genau an, wo Frauen und ‚Deutschländer‘ eine besondere Diskriminierung erfahren. Damit einhergehend habe ich selbstverständlich auch einen Blick für die Situation von Homosexuellen. Auch hier war ich, wenn auch sehr viel seltener, mit der Gewaltproblematik konfrontiert.
Mir war und ist es wichtig, neben der klassischen anwaltlichen Tätigkeit auch politisch aktiv zu sein und mich in die Integrationsdebatte einzumischen. Ich wollte nie nur Akten bearbeiten, mir war und ist es stets ein großes Anliegen gesellschaftliche Probleme, die sich in juristischen Fällen widerspiegeln, öffentlich zu machen und sich für Veränderungen/Verbesserungen einzusetzen. Aus diesem Grunde engagiere ich mich in verschiedenen Gremien bezüglich der Integrationsarbeit, wie zum Beispiel in der Islamkonferenz und in den Integrationsbeiräten. In diesem Sinne ist auch eine Zusammenarbeit mit den juristischen Fakultäten der Berliner Universitäten wünschenswert. Ich bin mir sicher, dass sich da noch einiges entwickeln wird.
URN urn:nbn:de:0114-qn092330
Seyran Ateş
Rechtanwältin und Autorin, Homepage: http://www.seyranates.de
E-Mail: post@seyranates.de
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