Das politische Gewicht der Bilder

Rezension von Sahra Dornick

Lutz Hieber, Paula-Irene Villa:

Images von Gewicht.

Soziale Bewegungen, Queer Theory und Kunst in den USA.

Bielefeld: transcript-Verlag 2007.

260 Seiten, ISBN 978–3–89942–504–8, € 26,80

Abstract: Lutz Hieber und Paula-Irene Villa setzen sich sowohl aus soziologischer als auch aus kulturwissenschaftlicher und politischer Perspektive mit der Historie und Aktualität von Queer Theory auseinander. Grundlegende theoretische Debatten und Denkfiguren wie Postmodernismus, Feminismus in der Postmoderne oder auch Kritik von Identität und Normalisierung werden anschaulich dargestellt. Gleichzeitig werden gewinnbringende Akzente in Form von Analysen verschiedener Praxen von Politik, wie etwa der Politisierung von Kunst, gesetzt. Insgesamt werden auf gelungene Weise erstens spezifische Begriffe der Queer Theory in ihre jeweiligen Kontexte eingeordnet und erläutert und zweitens spezifische Formen und Möglichkeiten politischer Praxis dargelegt.

Lutz Hieber und Paula-Irene Villa leuchten den Zusammenhang zwischen Sozialen Bewegungen, Queer Theory und Kunst in den USA wissenschaftlich aus. Einer gemeinsam verfassten Einleitung folgen sechs einzeln von Hieber und Villa gezeichnete Kapitel. Den Abschluss bilden die von Hieber zusammengestellten Werkverzeichnisse der Künstlerkollektive Gran Fury, Fierce Pussy, DAM (Dyke Action Machine) und ACT UP Outreach Committee.

Wider die ‚großen Erzählungen‘

Die Anlehnung an den 1993 von Judith Butler veröffentlichten Text „Bodies that Matter“ (dt. „Körper von Gewicht“) lässt bereits erahnen, welchen theoretischen Hintergrund dabei Hieber und Villa wählen. Angetrieben von der Neugierde, verschiedene „Perspektiven und Wissensbestände in einen Dialog zu bringen“ (S. 7), begeben sich Hieber und Villa auf den lohnenswerten Weg, die Idee(n) des Postmodernismus in seinen politischen Entstehungskontexten nachzuzeichnen. Dabei, so zeigt Hieber, beginnt die Spurensuche vor der Haustür. Die avantgardistische Kunstszene im Deutschland der 20er Jahre wird zum narrativen Ausgangsort einer postmodernistischen Bewegung, der das vorrangige Ziel der politischen Wirksamkeit als konstitutives Moment beigegeben ist, ohne dass gleichzeitig eine ‚große Erzählung‘, wie Lyotard sie kritisiert, installiert wird. So beginnt die Subversion der konservativen Epocheneinteilung, die ein quasi-natürliches Entstehen und Vergehen der jeweiligen künstlerischen Strömung nahelegt, bereits in der historischen (Re)Kontextualisierung der avantgardistischen Strömungen, die Hieber vornimmt. Sichtbar wird so, dass der beispielsweise von Adorno beschiedene utopische Charakter und die damit einhergehende Unrealisierbarkeit des Jugendstils – einmal in ein Verhältnis mit den historischen Bedingungen des (Über)Lebens seiner Protagonist_innen gebracht – als ein Fehlurteil bezeichnet werden muss. Offensichtlich, so Hieber, führt(e) die Geschichtsblindheit mancher Theoretiker_innen dazu, „die dunklen Kapitel der europäischen Geschichte vorschnell zu entsorgen“ (S. 18). Er setzt dem Vorurteil, „dass die Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts wegen ihrer immanenten Mängel gescheitert seien“, entgegen, dass diese Bewegungen „anderswo Wurzeln geschlagen“ haben und „gewachsen und gediehen“ sind (ebd.). Dem Autor geht es mithin vordergründig auch darum, aufzuzeigen, dass „die historischen Avantgarden als Vorgeschichte spezifischer US-amerikanischer Kunstpraktiken“ (S.18) verstanden werden können, die dann bis zum Postmodernismus führen.

Die politische Macht der Bilder

Hieber und Villa gehen von der wissenssoziologischen Grundannahme aus, dass Bilder und Metaphern „enorm wirk- und realitätsmächtig“ (S. 9) sind, weil sie zum einen Bedeutungsspielräume freisetzen und zum anderen Bedeutungen versinn-bildlichen. Bilder bzw. Metaphern werden verstanden als Bestandteile des Wissensvorrates einer spezifischen historischen Formation und können vor diesem Hintergrund als ‚Episteme‘ soziologisch analysiert werden. Der Begriff der ‚Sichtbarkeit‘ gerinnt dabei zum „zentralen Thema“ (ebd.) der Überlegungen und stellt den Brückenschlag zwischen den Sphären Kunst und Queer Theory her. Das Innovative der postmodernistischen Bewegung sieht Hieber in der Politisierung der Kunst. Gerade der Verzicht auf die Idee eines autonomen Kunstwerks, so zeigt er anhand politischer Plakate der sozialen Bewegungen der USA seit den 50er Jahren, multipliziert den Bedeutungsspielraum der Bilder; macht diesen für die politische Sphäre verfügbar und ermöglicht mithin einen Wandel der alltagsweltlichen Deutungsmuster.

Das Zusammenspiel von politischer Praxis und Wissenschaft

Villa zeigt, an Hiebers Ausführungen anschließend, auf, in welcher Weise die reflexive Theoretisierung dieser Metonymien in einem chiastischen Zusammenhang mit queeren Lebensstilen und Wissenschaftsmodi gedacht werden kann. Anschaulich zeichnet sie die „Entwicklung“ der Queer-Theory sowohl systematisch anhand der Unterscheidung zwischen dekonstruktivistischen und konstruktivistischen Perspektiven als auch chronologisch, ausgehend von Simone de Beauvoir und der mit ihr verbundenen Kritik an der Naturhaftigkeit des Geschlechts nach. Villa konstatiert: „Sozial statt natürlich, gender statt sex: So lautet die Kurzfassung des politischen und analytischen Impetus in Frauenbewegung und Frauenforschung“ (S. 51). Hervorzuheben ist hierbei Villas Fähigkeit, die komplexen und zum Teil widerstreitenden theoretischen Ansätze auf ihre Kernthesen zurückzuführen und diese lesbar darzustellen. Dabei bemüht sich die Autorin in dem als Überblick konzipierten Text auch darum, Kritikmöglichkeiten an aktuellen theoretischen Wissensformationen anzudeuten.

Kunst und politische Aktion im produktiven Dialog

Ebenfalls hervorzuheben sind Hiebers gezielte Analysen der amerikanischen Kunstszene. Besonders gelungen ist ihm die Darstellung der „psychedelische[n] Kultur der Hippies“ als ein „wesentliches Moment der US-amerikanischen Counter Culture“ (S. 123). Er stellt ausführlich dar, dass die von den Avantgardisten in den 20er Jahren herausgearbeiteten künstlerischen Formen, Motive und Stoffe von dieser kritischen Gegenkultur in den 60er und 70er Jahren wieder aufgenommen und für die jeweiligen politischen Aktionen umgearbeitet wurden. Seine genaue Analyse von politischen Plakaten der Counter Culture zeichnet innerhalb der Plakatkultur verschiedene Phasen der Re-Konfigurationen der aufgenommenen Motive nach und kann so zeigen, dass das Zusammenspiel von Politik und Kunst nicht zwangsläufig oder natürlicherweise zu starrer Verhärtung der einen oder anderen Komponente führen muss, sondern dass vielmehr eine gegenseitige Bereicherung stattfinden kann.

Fazit

Villa und Hieber lösen den Anspruch einer Historisierung, die jenseits der ‚großen Erzählungen‘ funktioniert, gekonnt ein. Der Text verdeutlicht theoretisch fundiert und dabei anschaulich sowie unterhaltsam, dass die Idee(n) der historischen Avantgarde, wie Produktion von Vielstimmigkeit oder dekonstruierende und metonymische Verfahren, auf dem Weg von Europa nach Amerika nicht nur überlebt haben, sondern als konstitutiv für den postmodernen Diskursraum gelten können. In Anschluss an die Lektüre lässt sich mit Foucault fragen, inwiefern dem Postmodernismus damit auch zugesprochen werden kann, eine ‚neue‘ Ästhetik der Existenz hervorgebracht zu haben, welche sich beobachtbar in den Wissenschaftspraxen, beispielsweise der Queer Theory, reproduziert. Die vorliegende Publikation führt insofern die zentrale Rolle der Kunst und ihrer Werke sowie die gesellschaftliche Wirkmacht von Bildern und Metaphern vor Augen und zeigt deutlich: Images matter!

URN urn:nbn:de:0114-qn093121

Sahra Dornick

Universität Potsdam

E-Mail: sahra.dornick@googlemail.com

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