Andrea Geier, Ursula Kocher (Hg.):
Wider die Frau.
Zu Geschichte und Funktion misogyner Rede.
Köln: Böhlau-Verlag 2008.
378 Seiten, ISBN 978–3–412–15304–5, € 39,90
Abstract: Der Sammelband Wider die Frau – Zu Geschichte und Funktion misogyner Rede widmet sich dem Phänomen der Misogynie in den unterschiedlichsten Diskursen. In sechzehn Beiträgen werden Beschaffenheit und Funktion frauenfeindlicher Aussagen im jeweiligen historischen Kontext – vom 12. bis 20. Jahrhundert – beschrieben, in einigen auch nach Auswirkungen und Gegenstrategien gefragt. Der Band bietet viele interessante Einzelanalysen, Auswahl und Gliederung erscheinen allerdings etwas beliebig.
„Misogynie ist out“ (S. 7), konstatieren die Herausgeberinnen in ihrer Einleitung. Als Forschungsthema sei sie gemeinsam mit dem Paradigma Patriarchat still in der Versenkung verschwunden. Nun gelte es, das Thema wieder zu beleben und den in den 1960er und 1970er Jahren verbreiteten „ahistorischen und entkontextualisierten Begriff“ (S. 8) von Misogynie zu ersetzen durch eine genaue Analyse der „Bandbreite an Funktionen“ (S. 3), die die Misogynie zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Diskursen erfüllte. Entsprechend dieser Prämissen versammelt der Band eine Reihe von sehr detailgenauen Analysen frauenfeindlicher Rede hauptsächlich in der Literatur, aber auch in Kunst, Musik und Massenmedien. Die Beispiele reichen von Exempelromanen des 12. Jahrhunderts bis zu den Medien- und Alltagsdiskursen des 20. Jahrhunderts, wobei sich allerdings von sechzehn Beiträgen nur drei mit der Gegenwart befassen.
Den ersten Teil, „Grenzziehungen“, eröffnet Claudia Opitz mit einem Beitrag, der nach der Funktion des Gendering in einem dämonologischen Traktat des französischen Philosophen Jean Bodin aus dem Jahr 1580 fragt. Sie arbeitet heraus, dass die Feminisierung des Teufelswahns zwar auch der Abwertung des Weiblichen, vor allem aber dem Kampf um „den Erhalt der göttlichen und weltlichen Ordnung“ (S. 36) diente – eine Funktion, die so oder ähnlich auch in einigen weiteren Beiträgen auftaucht.
Zwei Aufsätze widmen sich der misogynen Rede vor dem Hintergrund der im 18. Jahrhundert stattfindenden „Polarisierung der Geschlechtscharaktere“ (Karen Olsen, S. 43). Rebecca Grotjahn untersucht Mozarts „Zauberflöte“ und kommt zu dem Schluss, dass die Oper eine deutlich propagandistische Funktion für das neue Frauenbild erfüllt, mit Pamina als der idealen Frau, deren einziges Handlungsmotiv die Liebe ist. Mit der Verarbeitung des Pygmalion-Motivs im 18. und 19. Jahrhundert befasst sich der Text von Eva Kormann. Sie stellt die Frage, inwieweit Literatur dazu beiträgt, entsprechende Weiblichkeitsbilder einerseits zu formulieren, anderseits zu problematisieren oder sogar zu entlarven und kommt zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass die Pygmalion-Texte beides tun.
Geradezu programmatisch ist die Misogynie nach Ansicht von Urte Helduser bei den Autoren der literarischen Moderne um 1900. In Abgrenzung von der als trivial entwerteten Frauenliteratur versuchen sie ihren Status als autonome Künstler zu etablieren. Die Abwehr richtet sich dabei auch gegen die entstehende emanzipative Frauenliteratur und deren „blaustrümpfigen Dilettantismus“ (S. 85). Misogynie verweist hier also zum einen auf „einen ‚realen‘ Geschlechterkampf innerhalb des Literaturbetriebs“ (S. 91), zum anderen wird sie zur Metapher für ein ästhetisches Konzept: eine stolze „literarische Männlichkeit“ (S. 76) positioniert sich gegen eine Frauenliteratur für „höhere Töchter“ und „alte Weiber“ (S. 75). Ganz unbekannt sind derartige Abwehrstrategien auch heute nicht. Die 2003 in der Welt erschienene Polemik des Schriftstellers Hans Christoph Buch argumentiert nicht nur nach dem gleichen Muster gegen die „weibliche Hegemonie“ im Literaturbetrieb an, er wütet auch bis in die Formulierungen hinein verblüffend ähnlich gegen „das weibliche Artikulationsverbot“, das „männlich besetzte Themen wie Krieg und Gewalt“ verdränge zugunsten einer „von Frauen produzierten Wohlfühl-Literatur“.
Buch wettert in seinem Artikel auch gegen das Feindbild der „political correctness“ und bestätigt damit die These des Beitrags von Simon Möller im Abschnitt über „Kulturelle Ordnungen“. Dieser arbeitet heraus, wie die Mainstreammedien in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts durch eine geschickte Inszenierung längst überwunden geglaubte sexistische Positionen verbreiten konnten. Es wurde ein Popanz aufgebaut aus einem „hegemonialen Feminismus“ (S. 201), der, gestützt durch die vermeintlich alles beherrschende Ideologie der „political correctness“, angeblich Meinungsfreiheit und sexuelle Selbstbestimmung einschränke. Im Kampf gegen diese als übermächtig konstruierten Instanzen war es dann ein Leichtes, emanzipative Positionen zu diffamieren. Durch die diskursive Verschiebung feministischer Themen auf andere Bedeutungsfelder, durch Moralisierung oder Trivialisierung von Problemen wie sexuellem Missbrauch oder sexueller Belästigung gelang es, reale gesellschaftliche Probleme zu leugnen und frauenfeindliche Klischees wiederzubeleben.
Der dritte Teil beginnt mit dem Beitrag von Bea Lundt zum „Tod der bösen Frau“ in einem Exempelroman aus dem 12. Jahrhundert. Auch hier geht es schon um die Abwehr „auftauchender Frauenansprüche gegen den vorherrschenden Männerdiskurs“ (S. 255). Ein zunächst völlig gegensätzlich erscheinendes Phänomen untersucht der sich anschließende Text von Jan Rüdiger: die „Philogynie“ (S. 260) der laienaristokratischen Lyrik im hochmittelalterlichen Okzitanien. Rüdiger sieht zwar durchaus auch das Disziplinierungspotential des höfischen Frauenlobs, hält die Frage nach den konkreten lebensweltlichen Konsequenzen jedoch für „kollateral“ (S. 278). Wesen und Funktion der trobadoresken Philogynie sieht er darin, dass die „Frau als diskursive Figur“ (S. 278) beitrug zur Etablierung einer spezifischen, ausgefeilten Sozial- und Werteordnung.
Der letzte, leider kurze Teil widmet sich den Strategien, mit denen Frauen zu verschiedenen Zeiten auf Frauenfeindlichkeit reagierten. Der Aufsatz von Annett Volmer analysiert einen Text von Lucrezia Marinella von 1600, mit dem diese auf ein zeitgenössisches misogynes Traktat antwortet. Indem sie sich derselben Autoren als Quellen bedient, diese aber als Belege für die „Höherwertigkeit“ der Frau liest, dekonstruiert sie den misogynen Diskurs als haltlos.
Der abschließende Text von Corinna Heipcke befasst sich mit der Strategie der Selbstverharmlosung von Schriftstellerinnen des 18. Jahrhunderts. Beschwichtigende Romanhandlungen oder die Berufung auf den rein emotionalen, persönlichen Antrieb und Gehalt eigenen Schreibens entwarfen ein Bild weiblicher Autorschaft, das nicht allzu sehr von dem sich gerade massiv durchsetzenden bürgerlichen Frauenideal abwich. Offen bleibt allerdings, inwieweit derartige Strategien erfolgreich waren oder ob nicht vielmehr die scheinbare Bestätigung misogyner Vorstellungen fatale Konsequenzen gehabt hat – und noch immer hat. Der klassische misogyne Zirkelschluss funktioniert schließlich bis heute: was Frauen schreiben, ist weniger wert als das, was Männer schreiben, eben weil es immer nur um ‚Frauenthemen‘ geht und nicht ums große Ganze.
Diese Frage nach dem Wert weiblichen Redens und Schreibens zieht sich durch die Jahrhunderte, taucht auch in verschiedenen Beiträgen des Sammelbandes auf, genauso wie einige andere Themenkomplexe, etwa der Zusammenhang von Frauenfeindlichkeit mit gesellschaftlichen Umbrüchen und mit der Bedrohung durch plötzliche auftauchende weibliche Konkurrenz. In der Vielfalt der Funktionen misogyner Rede lassen sich doch Konstanten oder zumindest Kontinuitäten und wiederkehrende Muster entdecken. Der vorgestellte Sammelband gibt viele, zum Teil sehr interessante und genau analysierende Einzelantworten auf Fragen nach der Erscheinungsform und Funktion von Frauenfeindlichkeit in den unterschiedlichsten Diskursen.
So etwas wie eine Verknüpfung fehlt aber fast völlig. Gliederung und Reihenfolge sind nicht wirklich überzeugend, beim Lesen stellt sich eine Art Wundertüteneffekt ein. Die Herausgeberinnen geben sich explizit wertneutral und enthalten sich jedweder Schlussfolgerung, für die die im Band versammelten Texte erst eine Grundlage schaffen sollen. Lediglich darauf, dass die misogyne Rede immer ein Machtmittel sei, legen sie sich fest – diese Erkenntnis ist nun aber wirklich nicht neu. Vermissen muss man weitgehend auch den aktuellen Bezug. Abgesehen davon, dass nur wenige Texte sich mit gegenwärtigen Phänomenen befassen, wird auch die Frage nicht vertieft, warum denn die Beschäftigung mit Misogynie „out“ ist – auch im Alltagsdiskurs –, ob sich nicht beispielsweise in der Tatsache, dass Kommentare zur Frauenfeindlichkeit heute eher verpönt sind, eine Folge misogyner Rede zeigt, die feministische Anliegen so negativ konnotiert hat, dass sie vielen als peinlich gelten.
URN urn:nbn:de:0114-qn093256
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