Frankfurter Frauenzimmer um 1800

Rezension von Gisela Engel

Ursula Kern (Hg.):

Blickwechsel.

Frankfurter Frauenzimmer um 1800.

Frankfurt am Main: Verlag Waldemar Kramer 2007.

333 Seiten, ISBN 978–3–7829–0572–5, € 24,00

Abstract: Der von Ursula Kern herausgegebene Sammelband dokumentiert mit acht wissenschaftlichen Essays und einem ausführlichen Katalogteil den gegenwärtigen Stand der Forschung zu bürgerlichen Frauen in Frankfurt am Main zwischen 1750 und 1820. Der Band veranschaulicht die kulturellen, sozialen und ökonomischen Handlungsspielräume von bürgerlichen Frauen innerhalb einer städtischen Kultur, die ihnen den Zugang zur politischen Macht verwehrte.

Die Essays

Blickwechsel. Frankfurter Frauenzimmer um 1800 ist weit mehr als ein Katalog zur gleichnamigen Ausstellung am Frankfurter Historischen Museum (23. August – 25. November 2007). Ursula Kern, Kuratorin am Historischen Museum und verantwortlich für die Konzeption und Realisierung dieser Ausstellung, hat einen überzeugenden, üppig bebilderten Sammelband herausgegeben.

Der Band beginnt mit acht Essays zur aktuellen Frankfurter Frauenforschung. Heide Wunder umreißt in ihrem einleitenden Beitrag die Lage der „Frauenzimmer in der Reichsstadt Frankfurt am Main“ und skizziert einen Vergleich zwischen der Hansestadt Frankfurt und der Messestadt Leipzig sowie der aufstrebenden Metropole Berlin, die ihrer Ansicht nach beide weit eher als die großen süddeutschen Reichsstädte für eine vergleichende Perspektive in Betracht kommen. Sie fordert zu weiteren intensiven Forschungen auf, damit die „als Folge der gesellschaftlichen Dynamik und des übergreifenden historischen Wandels im 18. Jahrhundert“ (S. 28) sich verändernden Lebensweisen der „Frauenzimmer“ auch im Städtevergleich deutlicher werden könnten. Heide Wunder weist darauf hin, dass „Frauenzimmer“ im damaligen Sprachgebrauch Personen weiblichen Geschlechts insgesamt, vor allem aber weibliche Personen „von gutem Stande“ meinte.

Den Grund dafür, dass Ausstellung und Buch sich auf die „Frauenzimmer“, d. h. also auf Frauen „von gutem Stande“ beziehen, gibt Ursula Kern in ihrem Vorwort an: „Ihre Hinterlassenschaften haben die Zeiten besser überdauert und sind dem Historischen Museum Frankfurt eher überlassen worden“ (S. 15). Aus der Zeit von ca. 1750 bis 1820 – der Zeit, die Ausstellung und Publikation abdecken, – liege zur Erforschung der Lage der „Frauenzimmer“ erstmals eine „dichte Überlieferung von Objekten und Schriftzeugnissen von Frauen“ (S. 11) vor.

Claudia Alexandra Schwaighöfer („‚Eine tüchtige, ihrem Gatten helfende Frau‘? – Die Grafikerin Maria Katharina Prestel“), Barbara Dölemeyer („Privatrechtliche Handlungsspielräume von Frauen im Frankfurt des 18. Jahrhunderts“), Inge Kaltwasser („Frankfurter Eheverträge im 18. Jahrhundert und ihre Folgen“), Jutta Taege-Bizer („Religiöse Frauenräume. Konfessionelle Kultur im Frankfurt des 18. Jahrhunderts“) sowie Henrik Halbleib und Ursula Kern („‚Amazonen‘ im Frankfurter Zunfthandwerk. Ein Werkstattbericht“) stellen in ihren Essays dar, welche Handlungsspielräume „Frauenzimmer“ hatten, die ja zwar sämtlich von der politischen Teilhabe an der Macht (am Rat der Stadt) ausgeschlossen waren, aber nicht von der Gestaltung des öffentlichen Lebens und nicht von Macht und Einfluss in einem städtischen System, das auf ‚Clans‘ basierte.

Unter diesen Beiträgen ist der von Henrik Halbleib und Ursula Kern besonders hervorzuheben. Sie untersuchten Handwerkerakten im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main und reagierten damit auf ein anlässlich der Tagung „Frauen in der Stadt – Frankfurt im 18. Jahrhundert“ (2002) formuliertes Forschungsdesiderat: das Fehlen eingehender Untersuchungen über die Situation der Frauen im Frankfurter Zunfthandwerk. Sie fragen nach den „Arbeits- und Lebensbedingungen von Ehefrauen, Witwen, Töchtern und Mägden, nach ihren Strategien bei der Betriebsübergabe, ihren Argumentationsweisen gegenüber den Handwerkergeschworenen und dem Rat der Stadt, aber auch nach dem Selbstbild der Frauen“ (S. 70). Der Werkstattbericht kommt zu dem Ergebnis: „Eine Verdrängung von Frauen aus dem zünftigen Handwerk ist für das 18. Jahrhundert keineswegs festzustellen“ (S. 76). Auch hier also bestätigt sich der Befund, dass im 18. Jahrhundert Frauen – bei Ausschluss von der politischen Macht – Handlungsspielräume hatten, die möglicherweise bei einer „neuen Polarisierung der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern“ (S. 76) im 19. Jahrhundert eingeschränkt wurden,wobei es zu einer restriktiveren Auffassung der Geschlechterrollen kam. Man kann gespannt sein auf weitere Ergebnisse des am Historischen Museum Frankfurt am Main angesiedelten Projekts.

Zwei Beiträge befassen sich mit Frauen der nicht privilegierten Schichten. Joachim Eibach („Arme Frauen – Rebellierende Frauen. Der Aufruhr gegen die Sachsenhäuser Bäcker im Jahre 1801“) durchleuchtet die Rolle der Sachsenhäuser Frauen in den Brotunruhen des Jahres 1801. Sachsenhausen war (anders als heutzutage) eine Vorstadt der armen Leute. Eibach zeigt, wie Sachsenhäuser Frauen um ihre Existenzsicherung, ihr Recht auf Nahrung kämpften, und sieht Parallelen zum Pariser Aufstand vom 5. Oktober 1789. Antje Freyh („Verdacht auf Kindsmord. Frauen aus der Frankfurter Judengasse vor Gericht“) untersucht den Aktenbestand der erfassten Strafrechtsfälle („Criminalia“ im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main) in Hinsicht auf Prozesse gegen jüdische Mägde, die wegen des Verdachts auf Kindsmord an unehelich geborenen Kindern angeklagt wurden. Sie stellt fest, dass in den Gerichtsverhandlungen die Frage, ob die Angeklagte eine Jüdin oder Christin war, für die Prozessführung, die Verteidigung und die Strafzumessung keine Rolle spielte: Es ging darum, generell den Frauen und nicht den Männern unzüchtiges Verhalten anzulasten und es zu ahnden (vgl. S. 96).

Der Katalogteil

Auf den Essayteil folgen der mehr als 200 Seiten umfassende Katalogteil, ein nützliches Glossar, ein sorgfältiges Literaturverzeichnis und eine Konkordanz der erwähnten Personen.

Der Katalogteil beginnt mit einem Prolog, der das herrschende Frauenbild anhand des weitverbreiteten Frauenzimmer-Lexicons von Gottlieb Siegmund Corvinus (zuerst Leipzig 1715) vorstellt. Sodann werden, nach Kapiteln geordnet, die Schätze präsentiert, die vornehmlich aus dem Bestand des Historischen Museums stammen: Frankfurter Frauenportraits; Frankfurter Künstlerinnen und Schriftstellerinnen; Stifterinnen; Frauen in Handwerk; weibliche Erwerbsarbeit in Handel und Bankwesen; Salonkultur, d. h. gesellschaftliche Nezwerke von Frauen; Mode, Luxus; Vielfalt und Veränderung. Der Abschnitt „Vielfalt und Veränderung. Frankfurt um 1800“ umreißt die Zeit zwischen 1750 und 1820 als eine Zeit, die „durch eine bis dahin in der Geschichte der Stadt einzigartige Dynamik“ (S. 295) geprägt war, und im letzten Beitrag des Katalogteils „Herrliche Lustgärten und Landhäuser. Bürgerliche Naturerfahrung in Frankfurt“, den man sich ausführlicher gewünscht hätte, skizziert Ursula Kern die Bedeutung von Gärten und Landhäusern für die bürgerliche Kultur Frankfurts in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Jedem Kapitel ist ein orientierender Einleitungsessay vorangestellt, alle Abbildungen sind durch kurze Texte erläutert. So wird aus dem Katalogteil ein vergnügliches und informatives Lese- und Bilderbuch zu den Frankfurter „Frauenzimmern“ und eine Geschichte der Stadt Frankfurt am Main aus dem Blick von Frauen.

Ursula Kern versteht Ausstellung und Buch als „einen Zwischenbericht im Prozeß des Forschens und Sammelns“ (S. 16). Dieser Zwischenbericht kann sich sehen lassen, und der Herausgeberin und Kuratorin ist zu wünschen, dass ihre Spurensuchen weitere so schöne Ergebnisse hervorbringen.

URN urn:nbn:de:0114-qn093148

Dr. Gisela Engel

Zentrum zur Erforschung der Frühen Neuzeit, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Homepage: http://www.zfn.uni-frankfurt.de/

E-Mail: g.engel@em.uni-frankfurt.de

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