Kerstin Dörhöfer:
Shopping Malls und neue Einkaufszentren.
Urbaner Wandel in Berlin.
Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2008.
189 Seiten, ISBN 978–3–496–01384–6, € 29,90
Abstract: Die in den USA entstandene Shopping Mall ist aus den europäischen Stadtzentren nicht mehr wegzudenken. Kerstin Dörhöfer geht in ihrem Buch an ausgewählten Berliner Beispielen der Frage nach der Wirkung dieser vermeintlich homogenen baulichen ‚Monolithen‘ auf urbane Kultur und vor allem auf die Geschlechterverhältnisse nach. Die allmähliche Eroberung der Innenstädte durch die Shopping Mall ist – so das Fazit der lesenswerten Arbeit – kein Ausdruck einer verstärkten Teilhabe von Frauen am städtischen Leben. Vielmehr konterkariert der neue Innenraum im öffentlichen Stadtraum die mit Urbanität verbundene Vorstellung einer Aneignung städtischen Raums.
Große Einkaufszentren prägen mittlerweile nicht mehr nur das Bild von Autobahnausfahrten und großen Einfallstraßen in die Städte, vielmehr erobern sie als Shopping Center oder auch Shopping Malls seit Mitte der 1990er Jahre die Zentren der europäischen Städte. Begleitet wird dieser räumliche Konzentrationsprozess von Handel und Konsum in den Innenstädten von einer äußerst kontroversen Diskussion um die Bedeutung von Shopping Malls als öffentliche und/oder private Räume. Hierbei geht es um die mit ihnen verbundene Öffnung oder Schließung städtischer Räume für bestimmte gesellschaftliche Gruppen. Kerstin Dörhöfer konzentriert sich in diesem Zusammenhang mit ihrer Schwerpunktsetzung auf architektonische und städtebauliche Aspekte darauf, wie der neue Bautyp ‚Shopping Mall‘ auf die räumliche und bauliche Entwicklung der Städte sowie auf die urbane Kultur, verstanden als Ausdruck sozialer, kultureller, funktionaler und baulicher Vielfalt, wirkt. Mit der Frage „wen locken sie an?“ (S. 12) und der Untersuchung des möglichen emanzipatorischen Beitrags des neuen Bautypus erweitert sie diese Diskussion gleichzeitig um Aspekte des Geschlechterverhältnisses.
Zum Verständnis des Bautyps Shopping Mall zeichnet Dörhöfer zunächst die Entwicklungsgeschichte der räumlichen Konzentration des Handels seit Anfang des 19. Jahrhunderts nach. Passagen – in privatem Besitz und gleichzeitig der Öffentlichkeit zugänglich – lagen in attraktiver Umgebung im Zentrum der Stadt. Wurden Passagen vor allem von einem ausgewählten, privilegierten, meist männlichen Publikum – den Flaneuren – genutzt, dem in architektonisch aufwendig gestalteten städtischen Durchgangsräumen neue Formen des Konsums angeboten wurden, so richteten sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts die neuen Warenhäuser an breite Käuferschichten. Mit dem Konzept der Shopping Center und späteren Shopping Malls setzte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine neue Phase der ‚Demokratisierung‘ des Konsums ein. Zunächst an den städtischen Peripherien gelegen und mittlerweile wieder in den Innenstädten konzentriert, hat sich an den Grundprinzipien der Shopping Malls bis heute nichts verändert: Direkte Verkehrsanbindung, Ausrichtung auf Pkw, Innenraumorientierung und Abgeschlossenheit kennzeichnen die neuen Orte des Massenkonsums.
Shopping Malls sind verbunden mit der Vorstellung von Gleichförmigkeit. Dieser These geht Dörhöfer am Beispiel von 26 ausgewählten zwischen 1992 und 2003 innerhalb der Stadtgrenzen Berlins entstandenen Shopping Malls nach und überprüft sie anhand der Einbindung in die Umgebung, der Architektur (innen und außen) sowie anhand des Angebots und des sie frequentierenden Publikums. Die Autorin gibt einen detaillierten, reichhaltig durch Lagepläne und Fotos illustrierten Einblick in die doch nicht so homogenen „Monolithen“. Zwar zeigen sich – wie erwartet – große Übereinstimmungen im Angebot der Waren, in Werbung und adressiertem Kundenkreis, im organisatorischen Ablauf und in der Betriebsführung. „Doch städtebaulich und architektonisch sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Einrichtungen groß […]. Nimmt man die Kundinnen und Kunden, Verkäuferinnen und Verkäufer, Wachdienste und Putzleute hinzu, die sich in Malls aufhalten und durch ihre Art der Nutzung und Bewegung den Charakter des Raums prägen, so differieren sie in ihrer Erscheinung noch einmal“ (S. 65).
Dörhöfer beobachtet einerseits Tendenzen zur Homogenisierung der jeweiligen Umgebung, andererseits stellt sie der Vereinnahmung durch die großen Baublöcke und ihrer Abschottung zur Nachbarschaft eine erstaunliche Vielfältigkeit und urbane Lebendigkeit der einzelnen Malls gegenüber. Auch Baukörper und Außenansichten differieren deutlich mehr als erwartet und lassen unterschiedliche Typen erkennen. Immer ablesbar bleibt dennoch auch hier das Grundprinzip des Containers, in den das – mehrheitlich weibliche – Publikum hineingelockt werden soll, um sich dort möglichst lange aufzuhalten.
Die Frage nach der Homogenität untersucht Dörhöfer nicht nur mit Blick auf Außen- und Innenraum, sondern sie bezieht auch diejenigen mit ein, die sich in den Räumen bewegen und sie sich aneignen. Waren die Passagen in ihrer Blütezeit kein Raum für eigenständige weibliche Besucherinnen, so änderte sich dies mit den Warenhäusern, die sich – wie später auch die Shopping Malls – an die breite Masse richteten. Die Autorin konstatiert in ihren Beobachtungen ein in Outfit, Habitus und Grad der Aneignung vielfältiges Publikum unterschiedlichen Alters. Die hohe Zahl an Besucherinnen und vor allem solcher, die allein in den Shopping Malls unterwegs sind, machen diese zu einem „Frauenraum“ (S. 171), dessen Attraktivität Dörhöfer in mehreren Aspekten begründet sieht. Shopping Malls erleichtern auf der einen Seite die Reproduktionsarbeit und sprechen mit „Sicherheit, Sauberkeit, Service“ an „Kinder, Küche, Kirche“ geknüpfte Qualitäten an (S. 171). Wichtiger erscheint jedoch, dass die Shopping Mall als „Innenraum im städtischen Außenraum“ (S. 172) eine Teilnahme am öffentlichen Leben zu ermöglichen und zugleich einen gewissen Schutz vor unliebsamen Begegnungen zu bieten scheint.
Mit dieser Beobachtung erhält der Beitrag des neuen Bautyps Shopping Mall zu einer urbanen Lebensweise auch eine geschlechtsspezifische Gewichtung. Dörhöfer fragt, ob es mit einem Wandel des Geschlechterverhältnisses verbunden ist, dass dieser „Frauenraum“ aus der suburbanen Peripherie in die Mitte gerückt ist. Ihre Antwort fällt ernüchternd aus: So tragen die in Shopping Malls geschaffenen künstlichen Welten dazu bei, „Stereotype, die mit den Geschlechtern verbunden sind, zu bestätigen und zu perpetuieren und somit das traditionelle Geschlechterverhältnis […] aufrechtzuerhalten“ (S. 174). Von einem urbanen Raum mit emanzipatorischem Gehalt könne nicht gesprochen werden. Die Konsumentinnen erhalten zwar einen groß dimensionierten, zentral gelegenen Raum zur Nutzung, doch die Verfügungsgewalt über diesen Raum haben andere inne. Die privatwirtschaftliche, aber scheinbar öffentliche Sphäre der Shopping Mall dient nur als Verlockung in eine andere Privatheit als die des Heims. Versagt bleiben jedoch die Voraussetzungen zur Selbstbestimmung und somit zu einer urbanen Kultur, zu denen Dörhöfer Offenheit, Heterogenität und Wahlfreiheit zählt.
In ihrer angenehm zu lesenden und anschaulich bebilderten Untersuchung erweitert Dörhöfer die Diskussion um Shopping Malls als neue Orte des Handels und Konsums zwischen öffentlich und privat um die Frage nach deren Beitrag zu einer urbanen Stadtkultur, die Emanzipation als Leitbild umfasst. Auch wenn das Buch ein größeres Interesse an Architektur und Gestaltungsfragen voraussetzt und manche der Differenzierungen für Nicht-Architektinnen schwerer nachzuvollziehen sind, machen die lebendigen Beschreibungen des Alltags in den Malls neugierig auf weitere Untersuchungen zur geschlechterkonnotierten Attraktivität dieses neuen Bautypus.
URN urn:nbn:de:0114-qn093079
Dr. Stephanie Bock
Berlin, Deutsches Institut für Urbanistik, Homepage: http://www.difu.de
E-Mail: bock@difu.de
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