Christine Wimbauer, Annette Henninger, Markus Gottwald (Hg.):
Die Gesellschaft als „institutionalisierte Anerkennungsordnung“.
Anerkennung und Ungleichheit in Paarbeziehungen, Arbeitsorganisationen und Sozialstaat.
Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich 2007.
191 Seiten, ISBN 978–3–86649–126–7, € 19,80
Abstract: Vor dem Hintergrund der Honneth’schen Stufentheorie der Anerkennung (von der Liebe in den Paar- und Nahbeziehungen über Achtung als Gleiche in den rechtlichen Bezügen des Staates, bis hin zur sozialen Wertschätzung von Leistung in der Wertegemeinschaft) werden Anerkennung und Ungleichheit in Paarbeziehungen, Arbeitsorganisationen und im Sozialstaat empirisch und/oder analytisch im vorliegenden Sammelband untersucht. Empirische und theoretische Studien zeigen, dass die Kategorie Anerkennung in der sozialen Ungleichheitsforschung neue Erkenntnisse möglich macht. Dies gilt jedoch auch umgekehrt: Die Einbeziehung von weiteren historisch-kulturell eingebetteten Kategorien der Ungleichheit kontextualisieren und differenzieren die Theorie der Anerkennung.
Nach dem einleitenden Beitrag zeigen drei empirische Arbeiten, dass die Honneth’scheAnerkennungstheorie sich als produktiv erweist und gleichzeitig nach Erweiterungen und Korrekturen verlangt.
Die Herausgeberinnen und der Herausgeber beschäftigen sich mit der Frage, ob die überkommene Anerkennungsordnung „sein Geld für ihre Liebe“ (S.21) bei Paaren, die beide eine berufliche Karriere machen, in egalisierte Formen der wechselseitigen Anerkennung für berufliche Leistungen und persönliche Fürsorge überführt wird. In der empirischen Untersuchung zeigt sich, dass sich die institutionell festgeschriebene Anerkennungsordnung, die die interaktive Anerkennung zwischen den Partnern und Partnerinnen rahmt, hin zu mehr Geschlechteregalität entwickelt hat. Andererseits fehlen aber Erleichterungen, um Familie und Beruf für beide Partner vereinbar zu machen. In den Paarbeziehungen erweise sich der berufliche Erfolg für die gegenseitige Anerkennung beider Partner als sehr wichtig. Hingegen bleibe ein großes Gefälle in der Wertschätzung zwischen Erwerbsarbeit und Familienarbeit auf der individuellen und sozialen Ebene. Die geringere Wertschätzung von Familienarbeit, die nach wie vor als Frauenarbeit gelte, biete auch in Doppelkarriere-Partnerschaften „Einfallstore für die (Re-)Produktion geschlechtsspezifischer Ungleichheiten“ (S. 63).
Kai-Olaf Maiwald stellt in seinem Beitrag „Die Liebe und der häusliche Alltag“ die These auf, dass die häusliche Arbeitsteilung ein Feld der Anerkennung darstellt, das über Liebe strukturiert werde (S. 70). Anerkennung wird hier als soziale Integration, als Fremd- und Selbstzuschreibung von Zugehörigkeit definiert. Die meist implizit bleibende Anerkennung werde im Paargeschehen in interaktiven Praktiken der Arbeitsteilung als geteilter Modus der Kooperation gelebt (S. 83), und der spezifische Kooperationsmodus werde zum Kennzeichen der Beziehungsstruktur. Nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer sei die Beziehungsstruktur Liebe heute durch den Spannungsbogen zwischen Symbiose und Individualität bzw. zwischen Solidarität/Fürsorge und Achtung für die Einzigartigkeit des Anderen markiert. Umso wichtiger würden die implizit ausgehandelten gemeinsamen Standards der Arbeitsteilung, die als Teil der Gemeinsamkeit, als das, „was man für das Paar tut“( S. 84), gelten. Individuelle Präferenzen blieben bestehen, könnten aber eingeklammert werden. Durch einen gemeinsamen Kooperationsmodus – auch bei fortbestehender ungleicher Arbeitsteilung – könne die gegenseitige Liebe/Anerkennung immer wieder neu auf Paarebene hergestellt werden.
Kai Dröge untersucht „Subjektivierte Anerkennung und Fallstricke ihrer Anerkennung“ vor dem Hintergrund einer empirischen Untersuchung. Das subjektivierte Leistungsverständnis setze einen authentischen Drang nach Selbstverwirklichung voraus (S. 101). Die Leistung, das Werk, werde zum Ausdruck des Selbst. Spontane Bewunderung als besondere gesellschaftliche Anerkennung subjektivierter Leistung trage hochqualifizierten Teilen der Mittelschichten Distinktionsgewinne ein, die bei anderen Anerkennungsformen – etwa der Anerkennung harter Arbeit – nicht erwartet werden könnten. Allerdings erweise sich die explizit geforderte Anerkennung subjektivierter Leistung als fast unmöglich, denn authentische Leistung könne nur mit spontaner Bewunderung und nicht mit der Würdigung des Beitrags zur kollektiven Leistung belohnt werden. Ein eingefordertes Lob entwerte sich daher von selbst. Subjektivierte Arbeit erfordere die Persönlichkeit von Monaden, die auf äußere Anerkennung nicht angewiesen seien. Aus diesen Ergebnissen zieht Dröge das Fazit: Da in der Honneth’schen Sphäre der gesellschaftlichen Wertschätzung die Kategorien Authentizität/Selbstverwirklichung und die Leistung eng miteinander verknüpft seien, sei die entworfene Anerkennungsordnung eng an bestimmte soziale Gruppen gebunden und sichere möglicherweise nur deren Privilegien ab.
Joachim Renns Themenschwerpunkt ist schon aus dem Titel seines Aufsatzes „Von der anerkannten Ungleichheit zur ungleichen Anerkennung – Multiple soziale Differenzierung und das Problem einer einheitlichen ‚Anerkennungsordnung‘“ abzulesen. Die Kritische Theorie – in Gestalt der Anerkennungstheorie Honneths – könne ihren universalistischen Anspruch angesichts der Fragmentierung und Differenzierung der sozialen Welten nicht aufrechterhalten, da sich durch die Anerkennung von multiplen kulturellen Identitäten auch die Deutungen von Ungleichheit vervielfältigten und nebeneinander bestünden oder miteinander konkurrierten. Hier entstehe das Problem, wie die Formen und Arten von Ungleichheiten sinnvoll zu vergleichen seien. Renn mahnt Vergleichskriterien an, die in den sozialen Anerkennungswelten verstanden werden. Probleme multipler Anerkennungsordnungen seien auch nicht durch die eine Kategorie der Toleranz gelöst, denn es bleibe als Frage, was zu tolerieren sei.
Stephan Lessenich beschäftigt sich in seinem Aufsatz „Die Grenzen der Anerkennung – Zum Wandel der moralischen Ökonomie des Wohlfahrtsstaates“ mit den Veränderungen gesellschaftlicher Vorstellungen und Erwartungen von Gegenseitigkeit nach den sozialstaatlichen Reformen in Deutschland. Zunächst problematisiert er zwei Vorannahmen der Honneth’schen Anerkennungstheorie. Erstens würden in einer Untersuchung des Sozialstaates rechtliche und solidarische Anerkennungsformen unzulässig getrennt. Beide Formen der Anerkennung seien gerade im Wohlfahrtsstaat in kulturell-historisch spezifischer Weise ineinander verknüpft. Zweitens könne die Stufentheorie der Anerkennung nicht als evolutionäres Modell gedacht werden, in der Anerkennung in allen Sphären unaufhaltsam zunehme. Z. B. seien bei den Grund- und Sozialrechten und daraus folgenden rechtlichen Ansprüchen Rückschritte zu beobachten: Beim Recht auf Bildung müsse inzwischen von einer ungleich stratifizierten Anerkennung und sozial gestuften Anerkennungsansprüchen ausgegangen werden.
Werden für die Analyse des Sozialstaates die rechtliche mit der solidarisch-wertschätzenden Anerkennungsordnung als moralischer Ökonomie verknüpft, macht Lessenich Wissensgewinne aus: Im gegenwärtigen Sozialstaat seien die sozialen Sicherungsansprüche mehrerer Generationen grundlegend enttäuscht. Anerkennungstheoretisch würden die verlorenen Ansprüche als Entrechtung, Entwertung von Statuspositionen und Verlust von Autonomiepotenzialen sichtbar und damit der Negativskala der Anerkennungsordnung zuzuorten. Gleichzeitig hätten sich die Reziprozitätserwartungen der sozialen Gruppen in der Gesellschaft gravierend verändert: Die soziale Mitte verweigere den Erwerbslosen Solidarität, und die Erwerbslosen reagierten mit Rückzug, nicht mit Protest. Lessenich schlägt vor, die gegenwärtigen Anerkennungsordnungen vor dem Hintergrund neuer sozialer Ungleichheiten mit dem Fokus der moralökonomischen Ordnung der Mittelschichten zu untersuchen.
Marion Möhle schließlich beschäftigt sich mit der Tauglichkeit des Honneth’schen Stufenmodells im internationalen Maßstab. Sie untersucht, ob die EU als institutionalisierte Anerkennungsordnung gelten kann, die das Geschlechterverhältnis mitstrukturiert. Sie bejaht diese Frage und kommt am Beispiel des Gender-Mainstreaming zu dem Schluss, dass diese hauptsächlich auf Verteilungsgerechtigkeit und weniger auf Anerkennung gerichtet sei.
Den Hauptertrag des Sammelbandes sehe ich darin, dass die Kategorie Anerkennung als ein wichtiges Ungleichheitskriterium in Theorien der sozialen Ungleichheit als intersektionelles Element eingebettet wird.
URN urn:nbn:de:0114-qn093161
Annegret Ergenzinger
Institut für Biographie- und Kulturanalyse e. V (fobika).
E-Mail: ergenzin@uni-bremen.de
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