Constance Ohms:
Das Fremde in mir.
Gewaltdynamiken in Liebesbeziehungen zwischen Frauen. Soziologische Perspektiven auf ein Tabuthema.
Bielefeld: transcript-Verlag 2008.
346 Seiten, ISBN 978–3–89942–948–0, € 29,80
Abstract: Ausgehend von der Multidimensionalität von gewalttätigen Beziehungsdynamiken untersucht Constance Ohms in ihrer Monographie häusliche Gewalt in Intimbeziehungen zwischen Frauen. Hierbei wird Gewalt nicht nur als unmittelbarer Ausdruck körperlicher An- und Übergriffe begriffen. Mit Hilfe qualitativer Interviews erstellt die Autorin eine Klassifikation von gewalttätigen Beziehungsdynamiken. Im Mittelpunkt der Analyse steht die weibliche Gewalttäterin. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass gesellschaftliche, subkulturelle und individuelle Einflussfaktoren und deren Wechselwirkung in Gewaltverhalten einfließen. Provokative Einsichten liefert Ohms Studie in zweierlei Hinsicht: zum einen wird die feministische Debatte um häusliche Gewalt, die Gewalttätigkeit mit Männlichkeit gleichsetzt, kritisiert, zum anderen wird gezeigt, dass das gängige Liebes-Ideal lesbischer Beziehungen in der Lesbenbewegung, das Thema Gewalt tabuisiert.
Die Autorin beleuchtet den aktuellen Stand der Gewaltdiskussion und plädiert, sich von einer „genuinen Soziologie der Gewalt“ (S. 21) abgrenzend, für einen erweiterten Gewaltbegriff. Die sogenannte genuine Gewaltforschung beruht auf einer Eingrenzung auf Körperlichkeit und fokussiert ausschließlich auf die Gewalthandlung. Den ausdifferenzierten und vertieften Gewaltbegriff kennzeichnet hingegen die Verknüpfung von individual-psychologischen mit soziologischen Ansätzen.
Insbesondere die interaktive Dimension wird Ohms zum Fundament eines erweiterten Gewaltbegriffs. Bezug nehmend auf die Moralforscherin Nunner-Winkler hebt die Autorin hervor, dass nur der physische Gewaltakt von einer Person alleine ausgeübt werden kann. Psychische Gewalt benötige die Interaktion, das heißt, sie beruht auf einem Prozess, der im Wesentlichen aus der verletzten Reaktion (Mitwirkung) des Gegenübers resultiert. Diesen Prozess kann eine genuine Gewaltakt-Analyse nicht entschlüsseln; Darüber hinaus sagt eine genuine Gewaltakt-Analyse auch nichts über den Entstehungsverlauf von gewalttätigen Beziehungen aus.
Für ihre Begriffs- und Funktionsbestimmung von Gewalt geht Constance Ohms auf die feministische Gewaltforschung ein. Seit den 1980er Jahren werden die etablierten Begriffe in den Diskursen zur Gewalt im sozialen Nahraum aus der Perspektive feministischer Wissenschaft kritisiert. Begriffe wie ‚familiäre Gewalt‘ oder ‚häusliche Gewalt‘ verdecken die Geschlechtsspezifik von Gewalt, so die patriarchatskritische Perspektive (S. 28); dadurch bleibe der Mann als gewalttätiger Akteur unsichtbar. In der Folge, so die Autorin, hat sich ein feministisches Erklärungsmodell etabliert, das Gewalt in Beziehungen in einen soziokulturellen Kontext einbettet und sie als Ausdruck hierarchischer Geschlechterverhältnisse zwischen Mann und Frau versteht. Gewalt gegen Frauen wird hier also weniger als individuell pathologisches Verhalten definiert, sondern als Ausdruck und Konsequenz von Geschlechterhierarchie. Ein strukturierendes Moment darin ist das gesellschaftlich abgesicherte Vorrecht des Mannes, sich gewalttätig verhalten zu dürfen; Männergewalt gegenüber Frauen stelle keine gesellschaftliche Normverletzung dar, sondern eine Normverlängerung. Das Täter/Opfer-Schema erhält somit eine klare geschlechtliche Zuordnung. Die Frau wird in den feministisch geprägten Debatten zum „Kollektivsubjekt Opfer“, wie der Mann zum „Kollektivsubjekt Täter“ (S. 36) wird. Ohms kritisiert daran, dass die Frau als aktiv handelndes Subjekt innerhalb dieses Settings nicht wahrgenommen wird – beispielsweise können Frauen eine gesellschaftliche Anerkennung durch die Opferrolle erhalten und damit ein Eigeninteresse am Weiterbestehen des Gewaltverhältnisses haben. In feministischen Theorien und Konzepten im Bereich häuslicher Gewalt dominiert also das Leitbild einer natürlich gedachten Geschlechterdifferenz, die Geschlechtlichkeit essentialisiert.
Zugleich wird deutlich, dass gegenwärtige Forschungsausrichtungen zur häuslichen Gewalt heteronormativ sind, da sie sich in ihrer großen Mehrheit auf gegengeschlechtliche Partnerschaften beziehen. Demgegenüber eröffnet der Blick auf Gewalt in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften die Möglichkeit, (lesbische) Frauen als Täterinnen sowie (schwule) Männer als Opfer zu betrachten, und hinterfragt damit Problematisierungsweisen, die von einer Geschlechtsspezifik von Tätern und Opfern ausgehen. Constanze Ohms schreibt dazu: „Die Darstellung der häuslichen Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen besitzt das Potential, das Grundaxiom des dominierenden Diskurses zu häuslicher Gewalt zu hinterfragen, nämlich die Annahme, dass das Geschlecht in seiner Kombination von sex und gender das dominierende Moment ist“ (S. 38). Gewalttätigkeit in gleichgeschlechtlichen Beziehungen stellt jedoch nicht nur Geschlecht als hegemoniales Ordnungs- und Erklärungsraster in Frage. Als soziales Phänomen lassen diese zudem eine Multidimensionalität an Faktoren vermuten, die zur Gewaltausübung führen.
In den von Ohms geführten Interviews von Frauen mit Erfahrungen in gewalttätigen gleichgeschlechtlichen Beziehungen wird die Multidimensionalität von Gewalt veranschaulicht. Maßgebliche Einflüsse auf Gewaltverhalten sind laut Ohms Homophobie, Tabuisierung von Gewaltbeziehungen in der lesbischen Subkultur sowie individuelle Verarbeitungsmuster von Ängsten. Im Vordergrund steht die Schilderung des Gewaltprozesses unter Einbeziehung der Perspektive der gewalttätigen Frau anhand der Auswertung von qualitativen Interviews.
Die Analyse der Interviews ermöglicht eine Klassifikation von Gewaltdynamiken in Intimbeziehungen zwischen Frauen. Die Autorin differenziert zwischen systematischen Misshandlungsbeziehungen und aggressivem Konfliktverhalten. Ebenso wird zwischen zwei verschiedenen Modellen gewalttätiger Beziehungsdynamiken unterschieden, die das klassische Täter/Opfer-Schema revidieren. Der Umgang mit Angst spielt hierbei eine wichtige Rolle. Wenn die Angst des Opfers die Dynamik der Partnerschaft bestimmt, dominiert eine Täter/Opfer-Dynamik; bei situativen Angstverläufen herrscht eine beidseitige Akteurinnen-Dynamik (S.143), in denen mitunter auch das Opfer gewalttätig wird. Es lässt sich also ein kontinuierlicher von einem diskontinuierlichen Gewaltverlauf separieren, sowie ein monodirektionalen Verlauf von einem bidirektionalen Verlauf der Gewaltausübung. Im letztgenannten Fall sind häufig beide Partnerinnen direkt und aktiv (gewalttätig) involviert.
Aus den Ergebnissen ihrer Interviews zieht Ohms die Bilanz, dass Gewalt in Liebesbeziehungen zwischen Frauen hauptsächlich das Ziel der Kontrolle hat. Darüber hinaus überwiegt bei lesbischen Paaren, im Vergleich zu heterosexuellen Paaren, eher gegenseitige Gewalttätigkeit mit einer diskontinuierlichen Verlaufsform. Dringlich, so der Schluss der Autorin, sei eine Neuausrichtung frauenspezifischer Einrichtungen, weil diese vor allem mit einer heteronormativen Opferperspektive arbeiteten.
Die Stärke der Monographie liegt darin, dass plastische Eindrücke in den Zusammenhang von gesellschaftlicher Ordnung und individuellem Verhalten vermittelt werden. Eine Schwäche stellt indes die Vielfalt der diskutierten theoretischen Bezüge und die dichte Darstellungsweise dar. Gleichwohl es ist Ohms zuzustimmen: Bei dem Buch handelt es sich um die bislang einzige Systematisierung zu Gewaltdynamiken in lesbischen Beziehungen in Deutschland. Angesichts der Datenlage und des Forschungsstands ist somit ein Forschungsdesiderat in feministischer, lesbischer und/oder queerer Forschung aufgetan. Insofern ist es das große Verdienst dieses Buches, eine längst überfällige Debatte anzustoßen. Vor allem bietet Constanze Ohms einen spannenden und empirisch fundierten Beitrag für die feministische Debatte zur (De)Konstruktion von Geschlecht.
URN urn:nbn:de:0114-qn093299
Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.