Justitia ist eine Frau

Rezension von Susanne Benöhr-Laqueur

Barbara Degen:

Justitia ist eine Frau.

Geschichte und Symbolik der Gerechtigkeit.

Opladen: Verlag Barbara Budrich 2008.

189 Seiten, ISBN 978–3–86649–142–7, € 16,90

Abstract: Das reich bebilderte Buch ist der Begleitkatalog zu der Wanderausstellung „Füllhorn, Waage, Schwert – Justitia ist eine Frau“. In zwölf Kapiteln – entsprechend den „Räumen der Gerechtigkeit“ – wird der Frage nachgegangen, warum Justitia von der Frühgeschichte bis in die Gegenwart in weiblicher Gestalt abgebildet wird. Die Juristin Barbara Degen verfolgt das Ziel, den Beweis dafür zu erbringen, dass Frauen und insbesondere Mütter die Kernelemente der Gerechtigkeit verkörpern.

Endgültig vorbei sind die Zeiten, in denen deutsche Gerichtssäle ausschließliche Männerbastionen waren. Gerichtsverhandlungen, in denen Richterinnen, Staatsanwältinnen und Rechtsanwältinnen auftreten, sind mittlerweile alltäglich. Annähernd die Hälfte aller Jurastudierenden sind Frauen. Da sie tendenziell die besseren Examen ablegen – und folglich die größeren Einstellungschancen haben – ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann zumindest die Justizverwaltung ‚weiblich dominiert‘ sein wird. Warum also konfrontiert Barbara Degen die Öffentlichkeit mit der Wanderausstellung „Justitia ist eine Frau“ sowie dem dazugehörenden Buch? Die Antwort der Autorin ist provozierend einfach: Frauen – und insbesondere Mütter – verkörpern die Kernelemente von Gerechtigkeit (vgl. S. 11). Für Kinder, Frauen und Männer bedeute Gerechtigkeit im Kern Mütterlichkeit, Weisheit und Liebe (vgl. S. 12). Gleichwohl seien biologische Unterschiede nicht zu negieren; infolgedessen blickten Frauen und Männer unterschiedlich auf die Gerechtigkeit (vgl. S. 15). Diese Thesen sind provokant, und gerade weil sie so herausfordernd kämpferisch sind, muss die wissenschaftliche Beweisführung stringent, präzise und jederzeit nachprüfbar sein.

Ausstellungsgang

Der Katalog folgt dem chronologischen Aufbau der Ausstellung, die von dem „Bonner Haus der Frauengeschichte e.V.“ ausgerichtet wird. Die zwölf Kapitel des Bandes entsprechen den 12 Tafeln der Ausstellung. Auf der ersten Doppelseite eines jeden Kapitels sind die Tafelbilder der Ausstellung mit dem Begleittext abgedruckt. Abgerundet wird jeder Abschnitt durch eine Zeittafel. Innerhalb der Kapitel findet man – farblich unterlegt – die diversen Texte zu den Tafelbildern der Ausstellung. Da diese, bedingt durch die räumlichen Vorgaben, nur wenige Sätze umfassen konnten, werden sie nunmehr nebst den dazugehörigen Tafelbildern ausführlich interpretiert sowie durch weitere Bilder ergänzt. Der übersichtliche und farblich attraktive Aufbau des Werkes ermöglicht es, dem Ausstellungsgang mühelos zu folgen. Die gute Papierqualität und das ansprechende Design tun ein Übriges.

Untersucht wird ein Zeitraum von ca. 23.000 Jahren. Er beginnt mit der matriarchal geprägten Frühzeit und endet in der Gegenwart. Analysiert wird die Geschichte und Symbolik der Gerechtigkeit des alten Ägypten, des antiken Griechenlands, des römischen Imperiums, des Mittelalters, der Aufklärung, der Französischen Revolution, der industriellen Revolution, des deutschen Faschismus und der jüngsten Gegenwart.

Frauen als Lehrmeisterinnen der Gerechtigkeit

Ausgehend von der These, dass die Gerechtigkeit weiblich ist, wird das Bild einer matriarchalen Grundordnung vorgestellt, in der die Frauen (in der Regel) die Lehrmeisterinnen der Gerechtigkeit waren und sind (vgl. S. 15). Leider ist eine Problemanalyse im Sinne von These-Antithese-Synthese nicht ersichtlich. Die Autorin stellt vielmehr ausschließlich ihre Sicht der Dinge vor. Um diese zu belegen, präsentiert die Autorin Beweise, die kritisch hinterfragt werden müssen.

Auffällig ist zunächst die für eine Präsentation zwar übersichtliche, allerdings für eine Veröffentlichung ungewöhnliche Art der Zitation: Wörtliche Zitate erscheinen in Kursivschrift nach dem Doppelpunkt, es fehlen die Anführungs- und Auslassungszeichen. Fußnoten sucht man vergebens. Die kurze Literaturliste ist offensichtlich nicht als Beleg gedacht, sondern als Lektüreempfehlung.

„Darum werde wieder du selbst, bediene dich wieder deines Verstandes…“ (Christine de Pizan) (S. 109)

Mit einigem Erstaunen stellt man fest, dass die Verfasserin in die Zeittafel zu Kapitel 3 „Die Natur der Gerechtigkeit – der geschützte Ort (Griechenland 3. Jh. v. Chr. – 3. Jh. n. Chr.)“ die Steinigung der Mutter von Alexander dem Großen aufnimmt (vgl. S. 55). Mag man noch darüber hinwegsehen, dass die Königin von Makedonien den Namen „Olympias“ und nicht, wie behauptet, „Olympia“ hatte, so fragt es sich, warum sie überhaupt der Erwähnung bedurfte. Olympias von Epirus war eine skrupellose und gewalttätige Herrscherin, die sich schließlich vor einem Militärtribunal wiederfand. Weder war sie eine gerechte Herrscherin noch dürfte das Urteil über sie als ungerecht zu qualifizieren sein.

Es bleibt auch das Geheimnis der Autorin, warum ausgerechnet Livia Drusilla, Gattin des Kaisers Augustus, dem Betrachtenden als kluge, gerechte und auf das Allgemeinwohl bedachte Politikerin folgendermaßen vorgestellt wird: „In der Realität lenkte sie aus ihrer Position den Kaiser und die Machtpolitik Roms“ (S. 58). In der Tat dürfte Livia, die über fünfzig Jahre mit Augustus verheiratet gewesen ist, einen nicht unerheblichen Einfluss auf ihn ausgeübt haben. Dennoch gilt es, ihre Rolle zu hinterfragen. Selbst wenn man Tacitus’ negative Bewertung ihrer Person außer Acht lässt, so lässt sich nicht leugnen, dass eine Reihe potentieller Thronfolger (plötzlich) starben und schlussendlich ihr leiblicher Sohn aus der Verbindung mit Tiberius Claudius Nero als Kaiser Tiberius den Thron bestieg. Fraglos hatte Augustus seine Frau von der Geschlechtsvormundschaft, der sogenannten „sacrosanctitas“, befreit (vgl. S. 58) – aber eben nicht nur sie, sondern in erster Linie seine Schwester Octavia Minor, um dieser eine verbesserte rechtliche Ausgangsbasis in der problematischen Ehe mit Marcus Antonius zu verschaffen.

Vollends unverständlich ist, dass die Autorin das „Hohelied Salomons“ mit dem „Hohelied der Liebe“ verwechselt und dabei völlig missinterpretiert. So heisst es: „Im Hohelied der Liebe findet sich auch das Bild vom Körper des Mädchens/ der Frau als einem Raum wieder, der gefährdet ist und durch eine Mauer geschützt werden muss“ (S. 75). Sodann folgen die Verse 8–10 – allerdings aus dem „Hohelied Salomons“ [sic!]. Das Hohe Lied der Liebe entstammt hingegen dem 1. Korintherbrief des Apostel Paulus (1 Kor 13, 13). Zwar haben die Zeilen Salomons einen unmissverständlich erotischen Bezug, die Christenheit sah darin allerdings immer ein Liebesgespräch Christi mit seiner Kirche. Der Autorin unterläuft somit in doppelter Hinsicht ein Fehler: Zum einen präsentiert sie das Hohe Lied Salomons als das Hohe Lied der Liebe, und zum anderen negiert sie völlig den Kontext, in dem die christliche Kirche die Verse auslegt.

„Die Frau, nicht der Mann repräsentieren [sic] den Menschen“ (S.115)

Damit enden durchaus nicht die vermeidbaren und überaus peinlichen Missinterpretationen. Auf der 8. Ausstellungstafel „Das Verdienst der Frauen – Frauen klären über Recht und Gerechtigkeit auf (15. – 18. Jh.)“ wird ein Bild präsentiert, das den Titel „Sternbild“ trägt (S. 112, 115). Es stammt aus der Handschrift Très riches heures des Jean Duc de Berry. Die Autorin erkennt in diesem Bild eine Frauengestalt und erklärt: „Das Bild steht in der ägyptischen, griechischen und römischen Tradition, Frauen mit Waage, hier auch mit zwei Palmzweigen, als Sternbilder zu deuten. Sie werden dem Leib der Frau, also ihrer Gebärfähigkeit und Sexualität, zugeordnet. Die Frau, nicht der Mann repräsentieren [sic] den Menschen“ (S. 115). Im Buch wird dem Tafelbild ein langer und interpretierender Absatz gewidmet: Die abgebildete Frau sei Astraia, die Sternengöttin mit Waage, deren nackte Unschuldigkeit auch jedem Vertragsschluss innewohne (vgl. S. 116). Bedauerlicherweise wird übersehen, was angesichts der schmalen Hüften eigentlich augenfällig ist: Bei der Abbildung handelt es sich um einen Mann (!). Das vorliegende Bild ist auch als „L’Homme anatomique“ oder als „Tierkreiszeichenmann“ bekannt und kann unter diesem Namen jederzeit im Internet recherchiert werden.

Es würde den Rahmen dieser Rezension sprengen, wollte man alle weiteren Unstimmigkeiten abschließend aufzählen. Indes ist die Bilanz ernüchternd: In parteiischer Art und Weise wurden vermeintliche Beweise aneinandergereiht, um zu beweisen, dass Frauen die Kernelemente von Gerechtigkeit verkörpern. Dieses Vorhaben ist gescheitert.

Fazit

Das Buch ist aus wissenschaftlicher Sicht keinesfalls zu empfehlen. Eventuell war es für den wissenschaftlichen Diskurs aber auch gar nicht gedacht?! Vielleicht verfolgte die Autorin und Ausstellungsinitiatorin lediglich die Absicht, Denkanstöße geben zu wollen?! Das ist legitim, es entbindet sie jedoch keinesfalls von der Verantwortung einer sorgfältigen Recherche. Dies nicht zuletzt insbesondere deshalb, weil die Ausstellung häufig in Gerichten gezeigt wird, wo mittlerweile ‚Justitias Töchter‘ erfolgreich wirken…

URN urn:nbn:de:0114-qn093040

Dr. jur. Susanne Benöhr-Laqueur

Bremerhaven/Rechtsanwältin, Homepage: http://www.sblq.de

E-Mail: dr_benoehr@web.de

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