Tanja-Carina Riedel:
Gleiches Recht für Frau und Mann.
Die bürgerliche Frauenbewegung und die Entstehung des BGB.
Köln u.a.: Böhlau-Verlag 2008.
547 Seiten, ISBN 978–3–412–20080–0, € 69,90
Abstract: Tanja-Carina Riedel hat mit ihrer veröffentlichten Dissertation Gleiches Recht für Frau und Mann ein Werk vorgelegt, das Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung verbindet, indem es die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) aus dem Blickwinkel der bürgerlichen Frauenbewegung betrachtet. Durch die beeindruckende Darstellung der oft nur schwer zugänglichen Quellen wird eine Seite des BGB erschlossen, die kaum bekannt ist.
Tanja-Carina Riedel zeichnet in ihrer Arbeit in chronologischer Darstellung den Weg der bürgerlichen Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts nach, die mit ihrer Pionierarbeit den Grundstein für die rechtliche Stellung der Frau in der Gegenwart gelegt hat. Die Autorin führt nicht nur die Vielfalt der Richtungen der Frauenbewegung an – und lässt ihre Vertreterinnen durch Originalquellen sprechen –, sondern verknüpft die Geschichte der bürgerlichen Frauenbewegung mit der Diskussion um die rechtliche Stellung der Frau im neuen Familienrecht des BGB von 1900; dabei kommen auch die Kritiker der männlichen Juristenwelt des 19. Jahrhunderts zu Wort. Alle von Riedel dargestellten Persönlichkeiten und ihre Aktivitäten aufzuzählen, würde den Rahmen der Rezension sprengen. Erwähnt seien etwa Bettina von Arnim, Luise Otto-Peters, Auguste Schmidt, Henriette Goldschmidt, Marie Stritt, Julius Weil, Hedwig Dohm, Gottlieb Planck, Otto Bähr, Otto Gierke, Marianne Weber, Anton Menger, Emilie Kempin, Carl Bulling, Marie Raschke und August Bebel. In ihren Anfangsjahren befasste sich die bürgerliche Frauenbewegung nur zögerlich mit der Rechtsstellung der Frau. Der Allgemeine Deutsche Frauenverein, der als Gründungsverein (1865) der bürgerlichen Frauenbewegung gilt, beschränkte sein Wirken zunächst auf Bildungs- und Erwerbsfragen, wie eindrücklich auch aus dem Gründungsnamen des Vereins –‚Frauenbildungsverein‘ – hervorgeht. Erst allmählich wandelte sich die Frauenbewegung hin zu einer – wenn auch hinsichtlich der juristischen Argumentationsweise laienhaften – Rechtsbewegung für die Verbesserung der (familien)rechtlichen Stellung der (Ehe)Frau.
Im Jahr 1869 wird zum ersten Mal die Stellung der Frau in der deutschen Gesellschaft rein rechtswissenschaftlich beleuchtet, und zwar durch Ludwig Wachler in seiner Broschüre Zur rechtlichen Stellung der Frau. Diese findet aber auf Seiten der Frauenbewegung noch wenig Beachtung;eine Ursache dafür ist sicherlich darin zu sehen, dass die sehr wissenschaftlich gehaltene Arbeit für Frauen des 19. Jahrhunderts, die gerade erst eine umfassende Schulbildung zugestanden bekommen hatten, nicht ohne Verständnisprobleme zu lesen gewesen sein wird. Einige Jahre später werden in der Zeitschrift Der Frauen-Anwalt den Frauen ihre Rechte „in Form belustigender Rollenspiele“ auf verständliche Weise erläutert (S. 60).
Ab 1872 setzt langsam in der bürgerlichen Frauenbewegung eine Entwicklung ein, die der Rechtsfrage mehr Gewicht zumisst. Zu diesem Zeitpunkt ist allerdings von einem Bürgerlichen Gesetzbuch für das gesamte deutsche Reich noch keine Rede. Erst Ende 1873 wird das Zivilrecht durch eine Verfassungsänderung der Kompetenz des Reiches unterstellt und so die Schaffung eines gesamtdeutschen Zivilgesetzbuches ermöglicht (S. 86). Der Allgemeine Deutsche Frauenverein richtet in der Folge 1876 einen Aufruf an Juristen aller deutschen Provinzen, einen rechtswissenschaftlichen Überblick zur jeweils in ihrer Provinz geltenden Rechtslage der Frau zu erstellen, damit „bei Abänderung der Civilgesetzgebung die Rechte der Frauen, besonders auch im Ehe- und Vormundschaftsrecht“ berücksichtigt werden können (S. 105). Die Hinzuziehung männlicher Juristen war zwingend notwendig, da es Frauen in Deutschland bis 1896 offiziell verboten ist, sich durch wissenschaftliche Studien die fachlichen Kenntnisse zu verschaffen, die sie in die Lage versetzt hätten, sich sachkundig mit der rechtlichen Stellung der Frau und dem in Arbeit befindlichen BGB befassen zu können (S. 105);das deutsche Universitätswesen befindet sich noch in einem „extrem hartnäckigen Widerstand gegen das Frauenstudium“ (S. 100). Ein maßgeblicher „männlicher juristischer Beistand“ war der Oldenburger Jurist Carl Bulling (S. 295 ff.), der 1895 ein Buch über die „deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch“ veröffentlichte.
In der Zeit nach diesem Aufruf wird die Rechtsstellung der Frau zum Hauptthema im Allgemeinen Deutschen Frauenverein. Dabei wird nicht nur die Gesetzgebung beobachtet, etwa der „Entwurf der allgemeinen Concursordnung“ oder die „Preußische Vormundschaftsordnung“ von 1876, sondern ebenso jene Rechtsprechungen, die im Zusammenhang mit der rechtlichen Stellung der Frau von Interesse sind, z.B. die Prozessfähigkeit der Frau (S. 109).
1877 schließlich übermittelt der Allgemeine Deutsche Frauenverein eine (nicht überlieferte) Petition an den Reichstag, „bei Abfassung des neuen Civilgesetzbuches auch mit Rücksicht zu nehmen auf die Stellung der Frauen im Familienrecht“ (S. 122). Eine Reaktion darauf bleibt aus. Als 1888 die erste Lesung des ersten Entwurfs des BGB im Druck erscheint, birgt dies eine schwere Enttäuschung für die Frauenbewegung, war doch an der „Unterordnung und teilweisen Rechtlosigkeit der Ehefrau festgehalten worden“ (S. 144). Dennoch führt dies nicht dazu, dass diese nun ihre Stimme umgehend laut erhoben hätte. Vielmehr läuft der Kampf der bürgerlichen Frauenbewegung für eine Verbesserung der Rechtsstellung der Frau nur schleppend an. Schließlich wird 1892 Emilie Kempin, die erste promovierte Juristin Europas, Doktor beider Rechte der Universität Zürich, damit beauftragt, eine Broschüre als Informationsquelle für die bürgerliche Frauenbewegung zu erstellen (S. 242).
Tanja-Carina Riedel zeichnet die weitere Ausarbeitung des BGB über den Entwurf nach zweiter Lesung (1894) und die Reaktion der bürgerlichen Frauenbewegung darauf sehr ausführlich nach. Sie behandelt auch einen wichtigen Punkt in der Strategie der Frauenbewegung im Kampf gegen den Gesetzesentwurf, nämlich die Mobilisierung der Frauen selbst, damit sie für ihre Rechte eintreten. Führende Frauen unternehmen „Propagandareisen“ und halten Vorträge zur Aufklärung über die geplanten Inhalte des BGB (S. 356). Im Kampf gegen das BGB wird die bürgerliche Frauenbewegung auch von Sozialistinnen wie Clara Zetkin unterstützt. Diese meint, dass der Kampf der bürgerlichen Frauenbewegung für die privatrechtliche Gleichstellung ein nicht zu vernachlässigendes politisches Moment auch im Sinne der sozialistischen Forderungen enthalten könnte (S. 359).
Der 1894 neu gegründete Bund Deutscher Frauenvereine legt dem Reichstag 1895 eine Petition vor, deren angeschlossene Begleitschrift detaillierte juristische Forderungen zum Familienrecht des BGB enthält. Gefordert wird insbesondere eine eigene Rechtspersönlichkeit der Ehefrau, die Anhebung des Ehemündigkeitsalters der Frau von 16 auf 18 Jahren, der Entfall des Entscheidungsrechts des Ehemannes zugunsten eines gegenseitigen Übereinkommens der Eheleute, die Einwilligung von Mutter und Vater zur Eheschließung anstelle der alleinigen Einwilligung des Vaters, das Recht der Ehefrau, nach Eheschließung ihren bisherigen Familiennamen als Doppelnamen weiterzuführen, die Streichung des Kündigungsrechts des Ehemannes über Erwerbs- und Dienstverhältnisse seiner Ehefrau, der Entfall der Eigentumsvermutung zugunsten des Ehemannes, die Abschaffung der gesetzlichen Gütergemeinschaft der Verwaltungsgemeinschaft, in der der Ehemann die Verwaltung und Nutznießung über das Vermögen der Frau innehat, etc.
Die Forderungen kommen allerdings zu einem Zeitpunkt, als die Gesetzgebungsarbeiten bereits mehr als zwanzig Jahre andauern. Somit war nicht damit zu rechnen, dass der Gesetzgeber ernsthaft darauf eingehen würde, wenngleich sich wichtige Persönlichkeiten unter den Reichstagsabgeordneten für die Forderungen der bürgerlichen Frauenbewegung aussprechen. Letztlich kam die kritische und nachhaltige Auseinandersetzung der bürgerlichen Frauenbewegung mit den die (Ehe)Frauen betreffenden Inhalten des BGB zu spät. Konsequenterweise wird in der Folge das Familienrecht des BGB von 1900 von der Frauenbewegung abgelehnt (S. 513 ff.), ausgenommen von Emilie Kempin, die auch auf Fortschritte in der Rechtsstellung der Frau hinwies (S. 522 ff.).
Die Autorin führt zu Recht an, dass ein Problem der bürgerlichen Frauenbewegung darin bestand, dass sie mangels ausgebildeter Juristinnen zunächst nur laienhaft an die Rechtsmaterie herangehen konnten und eher nach praxisorientierten Lösungsansätzen suchten, die den tatsächlichen Umständen ihrer Zeit gerecht wurden. Aufgrund der unterschiedlichen Herangehensweise war somit eine Gegnerschaft zwischen gesetzgebenden Juristen und der bürgerlichen Frauenbewegung zwangsläufig vorgegeben. Die von Riedel eingehend dargestellte Diskussion zeigt, dass die Argumentation der männlichen Juristen immer wieder von rein rechtlichen Erwägungen in Rechtfertigungen zur Beibehaltung des patriarchalischen Ehe- und Familienmodells übergeht. Allerdings hat das „Bollwerk männlicher Machtbestrebungen“ (S. 532) Lücken, unterstützen doch wichtige Persönlichkeiten wie August Bebel die Forderungen der Frauenbewegung.
Der Autorin ist die genaue Darstellung der Chronologie der Entstehung des Familienrechts des BGB von 1900 auf bemerkenswerte Weise gelungen – und besonders die Verknüpfung mit den Forderungen nach einer Verbesserung der Rechtsstellung der Frau, die durch die bürgerliche Frauenbewegung und ihre (männlichen) Unterstützer aufgestellt wurden.
Das Werk ist mit einem ausführlichen Literaturverzeichnis abgerundet, das auch die eindrucksvoll aufbereiteten Quellen enthält, deren Umfang beachtlich ist. Wermutstropfen ist, dass auf ein Sach- und Personenregister verzichtet wurde, das das Zurechtfinden in diesem umfangreichen Werk erleichtern würde. Das schmälert aber nicht Riedels Verdienst, hier eine grundlegende Arbeit vorgelegt zu haben, die ein wertvoller Beitrag zur Geschlechter-Rechtsgeschichte sowie zur Entstehungsgeschichte des BGB aus einem bisher wenig bekannten Blickwinkel ist.
URN urn:nbn:de:0114-qn093029
Ao.Univ.-Profin. Maga. Drin. Ulrike Aichhorn, MSc
Universität Salzburg
E-Mail: ulrike.aichhorn@sbg.ac.at
Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.