Kathrin Arioli, Michelle Cottier, Patricia Fahramand, Zita Küng (Hg.):
Wandel der Geschlechterverhältnisse durch Recht?
Zürich u.a.: Dike Verlag 2008.
347 Seiten, ISBN 978–3–03751–025–4, CHF 48,00
Abstract: Diese Dokumentation einer internationalen Tagung wartet mit sehr differenzierten Antworten zu der Frage auf, ob (auch) mit den Mitteln des Rechts jener Wandel initiiert werden kann, der notwendig ist, um die Geschlechterverhältnisse gerecht(er) zu gestalten. In den vielgestaltigen Beiträgen zu den Themenfeldern Arbeitswelt, Familie, Biopolitik und Einwanderungsgesellschaft wird deutlich, dass die Frage nach dem emanzipatorischen Potential von Recht zwar nur jeweils konkret beantwortet werden kann, der Austausch von Erfahrungen und Reflektionen jedoch unerlässlich ist für erfolgreiche feministische Rechtspolitiken.
„Verräterisch und unsicher und fremd und langsam ist das Recht. Es ist für Frauen nicht das Mittel der Wahl.“ Mit diesem Zitat von Catharine MacKinnon beginnt der vorliegende Sammelband, der aber nicht das Herrschaftsinstrument Recht pauschal verdammt, sondern dessen widersprüchliche Potentiale untersucht. Er dokumentiert den Kongress ‚Recht und Gender Studies‘, der am 15. und 16. September 2006 an der Universität Zürich stattfand und dessen internationaler Charakter sich in den Personen der Beitragenden, den Themen und der Mehrsprachigkeit des Bandes niederschlägt, wobei sehr schön ist, dass den Texten zweisprachige abstracts vorangestellt sind. Der auf dem Kongress so wunderbare Austausch zwischen Theorie und Praxis konnte naturgemäß nur begrenzt in die Tagungsdokumentation übertragen werden, klingt aber an in den drei Kommentaren von Praktikerinnen und den wechselnden Perspektiven der Beiträge selbst.
Der Sammelband bietet eine Auswahl: In Zürich trugen mehr als fünfzig Referent/-innen aus mehreren europäischen Ländern ihre Überlegungen zu einer Frage vor, die feministische Rechtswissenschaft und Rechtspraxis seit jeher brennend interessiert: Fungiert das Recht eher als Antrieb oder eher als Bremse beim Wandel der Geschlechterverhältnisse? Angesichts seiner vielfältigen und widersprüchlichen Effekte sowie des grundsätzlich eher konservativen Charakters von Recht kommen auch feministischen Jurist/-innen immer wieder Zweifel, ob Recht wirklich ein geeignetes Mittel zur Durchsetzung von Gleichstellung bzw. Geschlechtergerechtigkeit sein kann. Gleichzeitig gibt es aber einige sehr inspirierende Erfolgsgeschichten strategischer Rechtsnutzung.
Die beitragenden Theoretikerinnen und Praktikerinnen beziehen sich in ihren Antwortangeboten durchweg auf konkrete Beispiele. Aus guten Gründen: Das Recht selbst ist vielgestaltig, seine Ebenen der Entstehung, seine nationalen Ausgestaltungen, seine Institutionen, seine jeweilige Anwendung. Noch pluralistischer sind die Möglichkeiten der Perspektiven auf das Recht: als Normierungssystem, als Herrschaftsinstrument, als Mittel des Freiheitsschutzes, als kultureller Code. Die Rolle des Rechts untersuchen zu wollen, wirft zudem unweigerlich die Frage auf nach den Wechselwirkungen von Normierungen und normierter Wirklichkeit, aber auch von rechtlichen und (anderen) kulturellen Normen. Diese komplexen Interdependenzen produzieren jene oft unvorhersehbaren Effekte, die eine Befassung mit der Thematik zur Herausforderung machen. Umso mehr ist den Autorinnen zu danken, dass sie sich in dieses Dickicht gewagt haben – mit beachtlichen Erkenntnisgewinnen.
Der Band beginnt mit grundlegenden Erwägungen zum feministisch nutzbaren Potential des Rechts. In ihrem einführenden Beitrag stellt Elisabeth Holzleithner prägende Positionen feministischer Rechtswissenschaft anschaulich dar und legt den Schwerpunkt der Betrachtung auf die Gewährleistung von Autonomie. Maria Drakopoulou identifiziert als wesentliche Rahmenbedingung feministischer Rechtsreform die politische Subjektwerdung von Frauen im 19. Jahrhundert. Die fehlende Anerkennung der Schweizerin als Staatsbürgerin macht denn auch Isabel Miko Iso mit dafür verantwortlich, dass Anfang des 20. Jahrhunderts unter einem geschlechtsneutral formulierten Sterilisationsgesetz faktisch fast ausschließlich Frauen diese Eingriffe erleiden mussten. Gesine Fuchs betrachtet den demokratischen Rechtsstaat und seine Institutionen insgesamt als Voraussetzung für ein demokratisches Geschlechterverhältnis.
Wenn diese Institutionen gesellschaftliche Praktiken der Ungleichbehandlung verändern sollen, wird ihnen aber nicht selten ein Umsetzungsdefizit bescheint, so den schweizerischen Gerichten (Heidi Stutz, Elisabeth Freivogel und Marianne Schär Moser) sowie den Gerichten und dem Gesetzgeber in der Tschechischen Republik (Barbara Havelkova). Die Gründe sind vielfältig – und auch die Maßnahmen dagegen können nur als Bündel wirken (vgl. Leena Linnainmaa).
Zum schweizerischen Gleichstellungsrecht wird insbesondere kritisiert, dass die Last der Durchsetzung hauptsächlich bei den Betroffenen liegt, weil diese unter erheblichem persönlichen Risiko (Arbeitsplatzverlust) selbst die Verfahren in Gang setzen müssen, wie Stutz, Freivogel und Schär Moser (s.o.) sowie Natalie Imboden ausführen. Hier wäre eine Institution wie die österreichische Gleichbehandlungsanwaltschaft sicher eine Alternative. Insgesamt kann sich das herrschende individualrechtliche Denken als Hindernis von Gleichstellungspolitiken auswirken. Eva Kocher legt dar, wie eine proaktive Politik der Lohngleichheit am System der Individualrechte scheitern kann und zieht deren zeitweilige Suspendierung für diesen Bereich in Erwägung. Doch wieder ist Vorsicht vor allgemeinen Schlussfolgerungen geboten: Im Bereich des Sozial- und Steuerrechts ist es gerade die zwangsweise Erfassung als Paar, die nach Annegret Künzel und Maria Wersig zu gleichstellungshemmenden Effekten führt.
Priska Gisler, Sara Steinert Borella und Caroline Wiedmer befassen sich aus kulturwissenschaftlicher Perspektive mit dem Gesetz als Narration, die mit anderen gesellschaftlichen Narrationen in wechselseitiger Beeinflussung steht. Am Beispiel der Forderung nach väterlichen Sorgerechten beschreiben sie sehr schön, wie soziale Normen zu rechtlichen werden und wie aber auch andererseits das Recht auf soziale Vorstellungen einwirkt. Diese Wechselwirkungen sind eine der großen Herausforderungen feministischer Rechtspolitik.
Die Konstitution sozialer Normen durch Höchstgerichte zeigt Katja Sander anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum Schwangerschaftsabbruch, mit der ‚das schwangere Subjekt‘ ebenso konstruiert wird wie Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Behinderung‘. Beängstigend ist es, wenn die sogenannten Rechtsunterworfenen gar nicht wahrnehmen, dass ihre ‚privaten‘ Vorstellungen rechtlich vorgeprägt sein können, dazu Künzel und Wersig (s.o.). Umgekehrt zeigen die rechtlichen Akteur/innen eine gewisse Blindheit für ihre sozialen Determinationen. Birgit Stalder beschreibt, wie die Praxis der Gerichte in Bern und Freiburg zwischen 1876 und 1911 aufgrund unterschiedlicher religiös geprägter Vorverständnisse zu signifikant unterschiedlichen Scheidungsraten bei grundsätzlich vergleichbarer Sach- und Rechtslage führte.
Doch auch jede aktuelle rechtspolitische Forderung ist eine Reaktion auf die Wirklichkeit, wie wir sie wahrnehmen, und zugleich Ausdruck unserer feministischen Grundüberzeugungen. Nicht in allen Beiträgen werden diese (feministischen) Prämissen hinreichend reflektiert. Eine beeindruckende Ausnahme bildet der Beitrag von Karine Lempen, die ihr feministisches Theoriekonzept zum rechtlichen Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz differenziert darlegt – wobei der Bereich der Rechtsdogmatik vielleicht auch mehr als andere zu theoretischer Reflektion einlädt. Unerlässlich ist sie jedoch überall. Die von Susanne Baer angesichts der Herausforderungen modern gedachter Gleichstellung geforderte Dogmatik der Intersektionalität wird von Elisabeth Holzleithner anspruchsvoll und konsequent am Beispiel des Kopftuchverbots entwickelt. Die Frage, ob die damit verbundenen Spannungen gerade für feministische Überzeugungen erträglich sind, wirft mit voller Schärfe der nachfolgende Beitrag von Titia Loenen zum Verbot des Tragens von Burka oder Nikab auf. Umgekehrt wird in der Kommentierung von Anni Lanz deutlich, dass einige der von Titia Loenen abgelehnten Effekte durchaus bestimmten feministischen Positionen entsprechen können.
Einen anregenden Anlass für den Austausch von feministischen Positionen bildete auf dem Kongress die Ausstellung von Barbara Degen, die unter dem Kampfruf „Justitia ist eine Frau“ eine ikonographische Rückeroberung von Recht und Gerechtigkeit unternimmt. Auch im Tagungsband stellt ihr Beitrag mit einigen Abbildungen einen Augenschmaus zwischen den Texten dar.
Auf die Frage nach dem emanzipatorischen Potential des Rechts gibt es keine letztgültigen oder auch nur generellen Antworten. Die jeweilige Einschätzung bleibt ebenso von den Vorstellungen, was Emanzipation im Einzelfall bedeuten soll, abhängig wie von den in den Blick genommenen Realitäten und den umgebenden Normierungssystemen aus Kultur, Politik oder Religion beeinflusst. Erfreulicherweise versucht der Sammelband auch nicht, hier letzte Wahrheiten zu erzwingen. Stattdessen vermittelt er Erfahrungen aus diversen Arbeitsfeldern und Rechtsbereichen, wartet mit überraschenden Erkenntnissen auf und verdeutlicht die Notwendigkeit, über die Forderungen und Implikationen feministischer Rechtspolitik jeweils konkret im Gespräch zu bleiben.
URN urn:nbn:de:0114-qn093212
Dr.in iur. Ulrike Lembke
Feministisches Rechtsinstitut Hamburg, Homepage: http://www.feministisches-studienbuch.de
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