Mythos Qualifikation – Berufungsverfahren unter der gleichstellungspolitischen Lupe

Rezension von Eva Blome und Sandra Smykalla

Christine Färber, Ulrike Spangenberg:

Wie werden Professuren besetzt?

Chancengleichheit in Berufungsverfahren.

Frankfurt am Main: Campus Verlag 2008.

398 Seiten, ISBN 978–3–593–38584–6, € 34,90

Abstract: Auf der Grundlage von qualitativen Interviews und einer Vollerhebung aller Verfahrensregelungen liefert die Studie eine umfassende Analyse der Gestaltung von Berufungsverfahren aus gleichstellungspolitischer Perspektive. Aufgrund der ergänzenden konkreten Handlungsempfehlungen zum gleichstellungsorientierten Verfahrensmanagement verhilft die Untersuchung nicht nur zu einer empirisch fundierten Einsicht in die Diskriminierungsmechanismen an deutschen Hochschulen, sondern stellt zudem einen wichtigen Beitrag für die Integration von Gleichstellung in die aktuellen Reformen von Berufungsverfahren dar.

Aktuell streben Bund, Länder und einzelne Hochschulen eine Reform ihrer Berufungsverfahren an. So soll die Verfahrensdauer verkürzt werden, Berufungen ohne Ausschreibungen werden ermöglicht und Berufungsbeauftragte zum Management der Verfahren eingestellt. Gleichzeitig sind innovative Gleichstellungsbemühungen zu beobachten – nicht zuletzt initiiert durch die großen Wissenschaftsorganisationen (wie z. B. die Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards, die durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft [DFG] im Juli 2008 verabschiedet wurden). Doch laufen diese beiden Reformlinien bisher weitgehend aneinander vorbei, wie die vorliegende vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie gleich zu Beginn konstatiert (vgl. S. 49). Diesen Befund nehmen die Autorinnen Christine Färber, Politikwissenschaftlerin, und Ulrike Spangenberg, Juristin, zum Anlass, die praktische Gestaltung von Gleichstellung in Berufungsverfahren an deutschen Hochschulen einer umfassenden Analyse zu unterziehen. In einer qualitativen Interviewstudie wurden 43 Expert/-innen (Bewerber/-innen, Berufungskommissionsvorsitzende und Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte) befragt. Zudem wurde anhand einer Dokumentenanalyse die Verankerung von Gleichstellungszielen in sämtlichen Berufungsregelungen auf Bundes-, Landes- und Hochschulebene ermittelt.

Blick hinter die Kulissen

Die Interviewstudie kommt zu dem Gesamtergebnis, dass die Reform der Berufungsverfahren nicht systematisch auf Gleichstellung ausgerichtet ist: Intransparenz, ein hoher Grad an Informalität, männerbündische Netzwerke und ein vermeintlich geschlechtsneutraler Qualifikationsbegriff grenzen Frauen aus Berufungsverfahren aus und benachteiligen sie systematisch. „Persönliche Fähigkeiten“ werden etwa zu einem geschlechterdifferent interpretierten „Passfähigkeitskriterium“ (S. 230), und die Bedeutung des ‚Privaten‘ unterliegt einem deutlichen Genderbias. „Die Benachteiligungen liegen in einer Sexualisierung der Geschlechterverhältnisse, spezifischen Rollenstereotypen für Beruf und Privatleben, und in verdeckter oder offener Ablehnung von Frauen in der Wissenschaft. Frauen werden nach anderen Maßstäben beurteilt“ (S. 201 f.). Diese Erkenntnisse überraschen gleichstellungspolitisch Aktive an Hochschulen keineswegs – im Gegenteil: Es ist geteiltes Wissen von vielen Gleichstellungsbeauftragten, die über Jahre hinweg die Mechanismen der Marginalisierung von Frauen und die Ausgrenzung von Geschlechterforschung in Berufungsverfahren miterleben und dagegen vorgehen. Neu an dieser Studie ist jedoch, dass dieses informelle Wissen zum ersten Mal für den bundesdeutschen Raum empirisch belegt wird und zudem plastisch dargestellt ist, wie subtile und vielfältige Diskriminierungsmechanismen im gesamten Berufungsverfahren Ungleichheiten herstellen, reproduzieren und verfestigen. Die Untersuchung bildet insofern eine Argumentationsgrundlage, wie sie der professionellen Gleichstellungspolitik im Hochschulbereich bisher noch nicht zur Verfügung stand.

Dort, wo die Interpretation der Interviews zeitweilig die Deutungsebene verlässt und Empfehlungen zur Verbesserung von Berufungsverfahren ausspricht, fällt die ambivalente Bewertung aktueller Reformvorhaben auf. So wird die angestrebte Verkürzung von Berufungsverfahren nur dann als gleichstellungswirksam beurteilt, wenn eine transparente Verfahrensstrukturierung stattfinde und damit weniger Zeit für informelle Hintergrundgespräche und die Aktivierung männerdominierter Netzwerke bleibe. Allerdings dürften der Beschleunigung der Verfahren andererseits nicht gerade die Beteiligungsrechte der Gleichstellungsbeauftragten oder andere erprobte Strukturen zum Opfer fallen, die bisher die Durchsetzung von Gleichstellung befördert haben (vgl. S. 81). Ähnlich differenziert beurteilt die Studie die zunehmende aktive Rekrutierung von Bewerber/-innen: Headhunting verbunden mit einem gleichstellungspolitischen Willen, z. B. in Form einer Quotierung, kann definitiv zur Berufung von Frauen beitragen – ohne ein entsprechendes, zumeist top-down durchzusetzendes Gleichstellungsziel benachteiligen Verfahren ohne Ausschreibung Wissenschaftlerinnen hingegen in massiver Weise (vgl. S. 107). Hieran zeigt sich, was die Studie leider nur ansatzweise zu explizieren vermag, dass zu einem gewissen Teil nicht die Ausgestaltung der Verfahren über ein Mehr an Gleichstellung entscheidet, sondern vielmehr der politische Wille der Entscheidungsträger/-innen und die Genderkompetenz aller Beteiligten für eine gleichstellungsorientierte Berufungskultur relevant sind.

Gesetzeslücke Gleichstellung

Die Studie von Färber und Spangenberg zeigt jedoch nicht nur Verfahrensdefizite und Benachteiligungsmechanismen auf. Vielmehr leistet sie zudem durch die Vollerhebung der Gleichstellungsgesetze im Hochschulbereich, die Bestandsaufnahme von Berufungsregelungen zur Gleichstellung und eine Zusammenstellung von Rechten und Pflichten von Gleichstellungsbeauftragten (alle Dokumente übrigens vom Campus Verlag online zur Verfügung gestellt) und durch deren bundesweiten Vergleich einen essentiellen Beitrag zur Hochschulentwicklungsforschung. Die Dokumentenanalyse weist dabei nach, dass Gleichstellung bei der Gestaltung von Berufungsverfahren vielfach nicht ausreichend rechtlich verankert ist, insbesondere im Bereich Auswahl, Kriterien und Begutachtung. Auch finde keine systematische Integration von Gleichstellungsregelungen in die Grundordnungen, Leitfäden und Handreichungen statt (vgl. S. 370). Daher fehlten an vielen Hochschulen Maßgaben zur Einladung der gleichen Anzahl von Bewerberinnen und Bewerbern, zur Vermeidung unzulässiger diskriminierender Bewertungskriterien sowie zur bevorzugten Einstellung von Frauen bei gleicher Qualifikation (vgl. S. 372). Das führe vielfach dazu, dass die Gleichstellungsbeauftragten, die nur über begrenzte Rechte und geringe Ressourcen verfügen, in den Verfahren als ‚Einzelkämpferinnen‘ erscheinen.

Was folgt?

Das vierte Kapitel des Buches liefert konkrete Handlungsvorschläge zur Verbesserung von Berufungsverfahren. Einerseits geht es dabei um Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils bei den Berufungen und andererseits um eine diskriminierungsfreie Gestaltung der Verfahren für alle Beteiligten (vgl. S. 377). Transparenz und gleichstellungsorientiertes Qualitätsmanagement sind hier die Schlüsselworte. Als Instrumente werden u. a. integrierte Leitfäden vorgeschlagen, die nicht nur die hochschulinternen gesetzlichen Verfahrensgrundlagen, sondern auch weitere Regelungen (vom Gleichstellungsgesetz über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz bis zum Behindertenschutzgesetz) enthalten und die an die Struktur- und Entwicklungsplanung der Hochschule angebunden werden sollen (vgl. S. 378). Das fünfte Kapitel gibt einen Überblick über die relevanten Gleichstellungsaspekte im Ablauf von Berufungsverfahren und liefert Entscheidungsträger/-innen auf Bundes-, Landes- und Hochschulebene damit klar strukturierte Anregungen für eine zukünftige gleichstellungseffektive Gestaltung von Berufungsleitfäden an die Hand.

Fazit

Das von den Autorinnen herausgestellte Ziel, übergreifende Berufungsregelungen und Verfahrenspraxis in ihrer Verknüpfung zu betrachten, wird nur teilweise erreicht. Mögliche Verbindungen zwischen den Landesgesetzgebungen und der jeweiligen praktischen Gestaltung von Berufungsverfahren in den einzelnen Bundesländern erschließen sich kaum. Auch gerät nicht in den Blick, ob eine Abhängigkeit zwischen der zunehmenden Autonomie der Hochschulen und der Beachtung von Gleichstellung in den Verfahren besteht. Außerdem wären die verschränkten Dimensionen von Genderperspektiven wie ethnische Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung oder Behinderung ausführlicher zu betrachten, denn nach Färber/Spangenberg ist es für die befragten Frauen mitunter schwer zu trennen, ob sie aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit oder anderer Lebenslagen benachteiligt würden (vgl. S. 225). Aufbauend auf den Ergebnissen der Studie stellt sich des Weiteren die Frage, inwiefern auch bei Juniorprofessuren, die explizit nicht Bestandteil der Studie sind (vgl. S. 34), sowie auf anderen Nachwuchs- und Mitarbeitenden-Stellen die Mechanismen der Benachteiligung wirken und wie diese beseitigt werden können.

Insgesamt trägt das Buch zur Schließung einer wissenschaftlichen, wissenschaftspolitischen und argumentativen Lücke bei, die sich aufgrund der Spezifik des Untersuchungsfeldes und seiner praktisch-methodischen Grenzen – teilnehmende Bebachtung in Berufungsverfahren wird sich wohl nie realisieren lassen – nie gänzlich beseitigen lassen wird. Interessieren dürfte daher die Empirie der Studie all diejenigen, die hinter die Kulissen der bisher streng vertraulichen Berufungsprozesse blicken wollen. Das Buch lässt sich aber auch gezielt zur Schulung und Information zukünftiger Kommissionsvorsitzender und -mitglieder mit bisher wenig Berufungserfahrung einsetzen. Denn dass diese in Zukunft über eine umfassende Gleichstellungs- und Genderkompetenz verfügen müssen, daran kann nach der Lektüre dieser Studie kein Zweifel mehr bestehen.

URN urn:nbn:de:0114-qn093065

Dr. des. Eva Blome

Universität Konstanz, gleichstellung concret, Homepage: http://www.gleichstellung-concret.de

E-Mail: team@gleichstellung-concret.de

Sandra Smykalla

Humboldt-Universität, gleichstellung concret, Homepage: http://www.gleichstellung-concret.de

E-Mail: team@gleichstellung-concret.de

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