Daniela Klimke:
Wach- & Schließgesellschaft Deutschland.
Sicherheitsmentalitäten in der Spätmoderne.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008.
262 Seiten, ISBN 978–3–531–15828–0, € 34,90
Abstract: In ihrer grundlegenden Untersuchung zur Kriminalitätsbeurteilung und zum Sicherheitsbedürfnis in Deutschland gelingt es der Autorin, mit einigen Vorurteilen aufzuräumen, vor allem mit jenen, die eine Verbindung von Geschlecht mit der Sorge, Opfer einer Straftat zu werden, herstellen. Sie wirft einen kritischen Blick auf geschlechterstereotypisierende Datenerhebungen und stellt mit der Typologisierung von Sicherheitsmentalitäten ein neues Analyseinstrument vor, mit dem Befindlichkeiten in Bezug auf die Furcht vor Kriminalität erfasst werden können.
Die Dissertation der Soziologin Daniela Klimke ist im Forschungsfeld Kriminologie angesiedelt, einem interdisziplinären Fach, das sich mit Normen und Gesetzen und ihrem Bruch – dem Verbrechen – sowie den Reaktionen darauf beschäftigt. In den Blick genommen werden zum einen Institutionen, die für die Durchsetzung von Recht zuständig sind, zum anderen Opfer von Verbrechen. Innerhalb der Kriminologie verortet sich Klimke in der kritischen Kriminologie, einer Richtung, die eine eigene Theoriebildung und vor allem die Unabhängigkeit von Verwertbarkeitsforderungen anstrebt.
Themen der Arbeit sind u. a. die Sicherheitsbedürfnisse der bundesdeutschen Bevölkerung, private Schutzmaßnahmen sowie die Frage, wie Opfer von Verbrechen ihre Erfahrungen verarbeiten. Darüber hinaus untersucht Klimke die Konsequenzen, die sich aus den Forderungen von Bürger/-innen nach Kriminalitätskontrolle und -bearbeitung ergeben: Sie werden seitens der Politik mit einem „Programm der Inneren Sicherheit“ (S. 53) beantwortet, das auf eine Verschärfung der Sicherheitspolitik hinausläuft. In dieser Rezension sollen vor allem die Abschnitte aus den fünf Kapiteln des Buches besprochen werden, die für die Geschlechterforschung von Interesse sind.
Das erste Kapitel („Kriminalpolitische Tendenzen“) bietet zunächst einen knappen Überblick über die neuesten Entwicklungen der Kriminalpolitik in den USA, Großbritannien und Deutschland. Differenziert dargestellt wird die beunruhigende Erkenntnis, dass die „Sexualdelinquenz [...] endgültig zum Motor der Kriminalpolitik geworden“ ist. (S. 30) Der Überblick über die Gesetzesänderungen auf dem Gebiet der Sexualstraftaten in der Bundesrepublik liefert einen eindrucksvollen Beleg für diese These der Autorin: Auf der einen Seite „erweitern sich die Freiheitsgerade für die einen, z. B. für schwule und lesbische Lebensformen, hingegen zieht sich der moralische und strafrechtliche Strick um die anderen umso enger zusammen.“ (S. 41) Mit diesen Anderen sind z. B. Sexualstraftäter gemeint, die nach Verbüßung ihrer Strafe in Sicherheitsverwahrung verbleiben müssen. Die Autorin sieht den Feminismus an diesen restriktiven Veränderungen als nicht ganz unschuldig an und bilanziert (mit durchaus bitterem Unterton), dass mit der Aufnahme feministischer Forderungen in die Agenda der offiziellen Politik deren ursprünglich befreiender Impuls unter neoliberalen Vorzeichen gewendet worden sei – sie würden nunmehr zur Sicherung von Machtverhältnissen benutzt: „Die Kehrseite [der feministischen Forderungen, T. B.] ist jedoch in der Reaktualisierung überkommener Vorstellungen von männlicher Macht und weiblicher Ohnmacht zu besichtigen. Die Konstruktion von mächtiger und lüsterner Männlichkeit stempelt Frauen zu Opfern.“ (S. 38 f.)
Des Weiteren kritisiert die Autorin die Fokussierung der öffentlichen Diskurse der letzten Jahre auf Opfer bzw. Opfer-Erfahrungen als viktimistisch. Mit der Figur des ‚reinen und unschuldigen Opfers‘ sei eine Art moderner Heiligenfigur geschaffen worden, mit der unwidersprochen für Gesetzesverschärfungen argumentiert werden könne. In Verbindung damit stellt Klimke auch das Konzept der Vulnerabilität in Frage: Mit diesem würden bestimmte Bevölkerungsgruppen, z. B. Frauen und Kinder, als besonders verletzlich etikettiert, um dann mit Hilfe von Gesetzesänderungen (und damit recht preisgünstig) für ihren Schutz zu sorgen. Die Autorin sieht darin einen Baustein in der ‚governing through crime‘-Strategie, die in Zeiten eines geringen finanziellen Handlungsspielraums oder auch Handlungswillens den jeweiligen Regierungen den Anschein von Handlungsmacht verleiht.
Relevant für die Geschlechterforschung ist vor allem der zweite Teil der Arbeit. Unter der Überschrift „Wie viel Kriminalitätsfurcht braucht die Gesellschaft?“ dekonstruiert die Autorin den wissenschaftlichen Begriff der Kriminalitätsfurcht und kommt mittels einer ausgefeilten Analyse qualitativer Studien und quantitativen Daten dem „Kriminalitätsfurchtparadox“ auf die Spur. Dieses Paradox besteht darin, dass Bevölkerungsgruppen, die sowohl im Hell- als auch im Dunkelfeld ausgesprochen selten Opfer von kriminellen Handlungen werden, sich jedoch ungewöhnlich stark vor diesen fürchten: Dies sind vor allem Frauen und ältere Menschen.
Klimke seziert die im Feld der Kriminalitätsfurchtforschung benutzten Untersuchungspraktiken mit einem Blick, der – durch die Erkenntnisse der Genderforschung geschärft – die bisherigen Forschungsmethoden als nur sehr bedingt tauglich entlarvt. So steht die Standardfrage „Wie sicher fühlen Sie sich, wenn Sie abends allein durch die Straßen ihres Wohngebiets gehen?“ im Zentrum der bisherigen Untersuchungen. Bei dieser Frage haben Frauen weitaus höhere „Furchtwerte“ als Männer. (S. 110) Die Autorin argumentiert schlüssig, dass mit dieser Frage in erster Linie eine Anpassung an weibliche Rollenerwartung abgefragt wird und die Ergebnisse dann mit dem Etikett „Kriminalitätsfurcht“ versehen werden: Eine Frau, die den Rollenerwartungen entspricht, hat „abends“ und „allein“, ohne den Schutz eines Mannes, Angst – oder sie hat einen beschützenden Partner, mit dem sie die Abende verbringt und ist daher abends nicht allein unterwegs. Aus der Zustimmung zu der Standardfrage wird, so kritisiert Klimke, eine umfassende Kategorie – nämlich die Kriminalitätsfurcht – gebildet: „Die Furcht, sich autonom im öffentlichen Raum zu bewegen, scheint also eher als Vehikel, denn als befriedigende Erklärung, wenn Frauen Angst artikulieren und ihre Verhaltensfreiheit einschränken. Schließlich wäre die weibliche Zurückhaltung in der Karriereplanung auch nicht gut mit Begriffen einer Erfolgs- und Sozialfurcht zu erklären.“ (S. 122)
Im Kapitel „Erfahrungen mit Kriminalität“ analysiert Klimke, wie sich konkrete Erlebnisse mit Kriminalität auf das Leben der Menschen auswirken. Sie stellt nach der Auswertung verschiedener Studien (Boers 1991; Skogan 1993; Skogan/Maxfield 1981) überraschenderweise fest, dass die meisten Erfahrungen keine nachhaltigen Spuren im Leben der Adressat/-innen krimineller Handlungen hinterlassen haben. (S. 185) In Bezug auf die Frage, warum Opfer von Kriminalität einen Teil der Schuld bei sich selbst suchen, schlägt die Autorin eine interessante Interpretation vor: Die Übernahme einer Teilverantwortung eröffne den Opfern alternative Handlungs- und Kontrollmöglichkeiten für zukünftige kriminogene Situationen und sei daher nicht unbedingt als eine sekundäre Viktimisierung zu sehen, wie sie häufig im Zusammenhang mit Opfern sexualisierter Gewalt diskutiert wird.
In der Auswertung der im Jahre 2000 in Hamburg sechsundfünfzig durchgeführten Interviews entwickelt Klimke fünf Typen von Sicherheitsmentalitäten: den pragmatischen, den ängstlichen, den responsibilisierten und den anklagende Typ sowie den/die furchtlos Eingreifende/-n. (S. 224) Mit diesen Kategorisierungen überwindet die Autorin die traditionellen, geschlechtsdichotomen Deutungsmuster in der Kriminalitätsfurchtforschung und gibt Wissenschaftler/-innen ein geeignetes Instrumentarium an die Hand, um die Sicherheitsbefindlichkeiten der Bevölkerung genauer zu erforschen, als es bisher möglich gewesen ist.
Einige, der von Klimke verwendete Begriffe, wie z. B. „sexuelle Adressierung“ (S. 118), mögen bei der Lektüre zunächst irritieren, da sie den Gewaltaspekt de-thematisieren. Dies wird die Autorin möglicherweise von feministischer Seite her dem Vorwurf aussetzen, Opfererfahrungen zu negieren und dem Backlash zuzuarbeiten. Dieser sprachliche Zugriff ermöglicht jedoch m. E. einen nüchternen Zugang zu den jeweiligen Ereignissen und Handlungen und schafft dadurch ein Gegengewicht zu dem in feministischen wie neokonservativen Diskursen auffindbaren Habitus ‚rechtschaffener bürgerlicher Empörung‘. Es geht der Autorin darum, die Mechanismen der herrschenden Kriminalpolitik zu entlarven, die die Stimmungen und Ängste in der Bevölkerung in Bezug auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung als Vehikel zur Deliberalisierung der Straf- und Kriminalpolitik benutzt.
Dieses Buch eignet sich für Praktiker/-innen aus Politik und Polizei wie auch für Mitarbeiter/-innen von Opferberatungsstellen und Hilfseinrichtungen, die hier sowohl kritisch-konkrete Einsichten über generelle kriminalpolitische Tendenzen als auch durch die dargestellte neue Form der Typologisierung ein anderes Verständnis der ‚Erzählungen‘ von Kriminalität gewinnen können. Für den wissenschaftlichen Diskurs stellt diese Publikation eine Bereicherung dar, da es die neuesten Erkenntnisse auf dem Feld der Kriminologie kenntnisreich und knapp darstellt und mit der Bildung der fünf Typen von Sicherheitsmentalitäten einen neuen Schritt in der wissenschaftlich fundierten Erforschung von Befindlichkeiten im Zusammenhang von Sicherheit und Kriminalität macht. Kritisch anzumerken ist allerdings, dass Klimkes Bezugnahmen auf „den Feminismus“ zu pauschal ausfallen. Es wäre von einigem Gewinn für die Argumentation der Autorin gewesen, wenn sie deutlich gemacht hätte, auf welche feministischen Positionen sie sich bezieht.
URN urn:nbn:de:0114-qn0101135
Tatjana Beer
Diplom Visuelle Kommunikation, Stud. Kriminologie, Dozentin für Gewaltprävention
E-Mail: tatjana.beer@t-online.de
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