Friederike Hassauer (Hg.):
Heißer Streit und kalte Ordnung.
Epochen der Querelle des femmes zwischen Mittelalter und Gegenwart.
Göttingen: Wallstein Verlag 2008.
435 Seiten, ISBN 978–3–8353–0124–5, € 49,00
Abstract: Der Sammelband umfasst 21 Beiträge zum Thema Querelle des Femmes. Ausgehend von der in Europa zwischen 1400 und 1700 geführten Auseinandersetzung um die Unterlegenheit, Überlegenheit oder Gleichheit der Geschlechter wird hier der Querelle-Prozess auf ein zeit- und raumentgrenztes Streiten und Debattieren zwischen den Geschlechtern erweitert. Der ins Uferlose geöffnete Begriff bringt es mit sich, dass die Beiträge nicht nur qualitativ unterschiedlich, sondern auch inhaltlich, thematisch und methodisch recht heterogen sind. Die wissenschaftliche Diskussion um das Querelle-Phänomen wird damit weitergetragen, wenn auch eine systematische Aufarbeitung des historischen Materials noch immer aussteht, vor allem weitere Spurensuche und die Sicherung von Strömen und Netzwerken.
Der unter der Mitarbeit von Kyra Waldner, Wolfram Aichinger, Annabell Lorenz und Nikolaos Katsivelaris herausgegebene Sammelband von Friederike Hassauer umfasst insgesamt 21 Beiträge zum Thema Querelle des Femmes. Im Unterschied zu den auf wenige Jahrzehnte begrenzten Querelle des Anciens et des Modernes, Querelle de Shakespeare oder Querelle des Sonnets gehört die Querelle des Femmes noch keineswegs zum (literatur-)geschichtlichen Kanon. Am ehesten ist sie historisch fassbar: als die in Europa zwischen 1400 und 1700 geführte Auseinandersetzung um die Unterlegenheit, Überlegenheit oder Gleichheit der Geschlechter. Ob man sie auch, wie im vorliegenden Sammelband, als ein zeit-, raum- und themen-entgrenztes Klagen, Streiten, Debattieren über die Geschlechterfrage sehen kann, bleibt zu fragen.
Mit der Etablierung der historischen Geschlechterforschung – bahnbrechende Arbeiten kamen von Joan Kelly (1982) und Elisabeth Gössmann (1988) – wurde gewissermaßen die Querelle des Femmes entdeckt: in Form der zahlreichen Schriften in der Nachfolge Christine de Pizans: von Moderata Fonte, Lucrezia Marinella bis zu Marie de Gournay und Poulain de la Barre. Fast ausschließlich wurden in den Auseinandersetzungen antike, biblische, mittelalterliche oder auch frühneuzeitliche Autoren zur eigenen Rechtfertigung herangezogen oder wurden bestritten und entkräftet.
Die Mehrzahl der Beiträge knüpft an diese historische Querelle an – in vergleichenden bzw. inhaltlich-thematisch und methodisch innovativen Ansätzen:
So weist Anita Traninger am Beispiel von Agrippa, Marinella und anderen feinsinnig nach, dass sich die frühneuzeitliche Querelle nicht – wie es den Anschein haben könnte – in topischen Formulierungen leerläuft. Trotz fleißiger Bedienung aus dem Normenkanon der Rhetorik lassen die Texte nicht nur die Beweglichkeit der Topik erkennen, sondern auch das produktive Spannungsverhältnis, in dem diese Texte stehen.
Ursula Jung wiederum liefert ein Paradebeispiel für eine kultur-, gattungs- und geschlechtsübergreifende re-escritura, wenn sie aus Maria de Zayas’ Novellistik nicht mehr nur die Um-Schreibung traditioneller Textmuster, sondern auch die Fortschreibung weiblicher Denkmuster erkennt. Mit der Zeichnung einer genealogischen Linie von Moderata Fonte über Teresa de Avila, Marguerite de Navarre bis hin zu Christine de Pizan macht die Verfasserin ein Forschungsdesiderat deutlich: den vielfältigen und komplexen Verbindungslinien innerhalb des europäischen literarischen Netzwerks nachzuspüren.
Margot Brink sieht frühaufklärerisches Egalitäts- und spätaufklärerisches Komplementaritätsdenken am Beispiel von Poulain de la Barre und Feijóo in einem sich gegenseitig erhellenden Dialog. Das Bezugsnetz (Maria de Zayas, Calderón de la Barca, Marie de Gournay, Mary Astell usw.) ist hier – leider – zugunsten der beiden „systematischen und philosophisch fundierten“ Ansätze ausgeklammert.
Einige Beiträge beziehen sich auf das Text-Gegentext-Verständnis, für das Christine de Pizans Widersprechung der misogynen Aussprache im Rosenroman das Modell liefert. Kurios ist hier eine Pseudo-imitatio der weiblichen Stimme, die als Gegenrede zur männlichen Rede konzipiert ist. Helàs: die weibliche Stimme passt sich nicht nur der männlichen an, bald wird sie in feuriger Rhetorik den (männlichen) mysogynen Ausdruck überbieten – wie ein Beitrag von Rebeca Sanmartín Bastida zu A. Martínez de Toledos Arcipreste de Talavera (1438) zeigt. Hier stellt die weibliche Stimme keinen Widerpart dar; sie wird für die Bekräftigung eines explosiven Frauenhasses vereinnahmt. Hier wird Geschlechterdifferenz aufgehoben, ironischerweise jene Geschlechterdifferenz, die die erzpriesterliche Stimme zu Anfang statuiert hatte. – Männliche und weibliche Stimmen können allerdings auch in einen konstruktiven Dialog kommen, so in der höfischen Lyrik Kastiliens im 15. Jahrhundert, wo Geschlechterdifferenz als Stimulans zur persönlichen Vervollkommnung wirksam wird – vgl. den Beitrag von Isabella Tomassetti.
Das frühneuzeitliche Frauenlob aus dem Munde der Männer gilt in der Forschung als suspekt, zu Recht, könnte es doch die Defizienz der ‚normalen’ Frauen unterstreichen oder auch der Etablierung von Verhaltensvorschriften dienen wollen. Ana Vargas Martínez legt in „Traktate von Männern zugunsten der Frauen“ dagegen überzeugend dar, dass die männliche Verteidigungsrede eine „bedeutsame Geste mit gesellschaftlichen Folgen“ bedeuten kann. Wie wichtig der Blick auf den historischen Kontext ist!
Und wer kennt schon einen Clemens Timpler? Den Gelehrten aus Sachsen (16./17. Jahrhundert), der durchaus die Stärken der Frauen anerkennt, aber auch die Notwendigkeit ihrer Unterordnung – ein Beitrag von Joseph S. Freedman stellt ihn vor.
Methodisch und inhaltlich hervorstechend ist der Beitrag von Mary Elisabeth Perry: „Worte und Schweigen im Spanien des Goldenen Zeitalters“. Aus den Aussagen von Juana, einer Morisco-Sklavin, vor Gericht, wie auch in Ana Jésus’ spiritueller Autobiographie lässt die Verfasserin erahnen, was diese beiden einfachen Frauen der bestehenden 'Ordnung' entgegenzusetzen hatten: Freiheitsliebe die eine und eine unbeugsame Kraft die andere. Ein erfolgversprechender Ansatz, wenn man – wie M. E. Perry – das Unausgesprochene mitzulesen weiß.
Leider kann hier nicht auf alle – aus vielfältigen Perspektiven spannenden und bereichernden – Beiträge eingegangen werden. So z. B. zu: „Sinne und Geschlecht bei Francesc Eiximenis“ (Wolfram Aichinger), zu den „Liebeslehren des katalanischen Facet um 1400 (Rosanna Cantavella), zu Teresa de Cartagena (Marfa-Milagros Rivera Garretas), zur Sátira de infelice e felice vida (Robert Folger), zu „Lateinkompetenz und Gender im 16. Jahrhundert“ (Eva Cescutti), Luisa Sigea (Susanne Thiemann), María de Zayas y Sotomayor (Vittoria Borsò), zum Diario de Lima (1790–1792) (Catherine Davies), zu „Sor María Gertrudis de la Cruz Hore“ (Frédérique Morand), zu den „Geschlechterdebatten im ausgehenden 18. Jahrhundert in den USA (Astrid M. Fellner), zu Amparo Amorós’ Quevediana (1993) (Susanne Dürr).
Heißer Streit und kalte Ordnung – der etwas polemische Titel suggeriert geschlechtsspezifische Polaritäten, die die Beiträge glücklicherweise so nicht herausstellen. Die Hitze-Kälte-Metapher wird zwar angesprochen, allerdings mit Bezug auf Aristoteles und in subtiler Logik. So demonstriert Margo Glantz an Sor Juana Ines de la Cruz’ (u. a. in der „Küche“ gewonnenem) Wissen, wie Polarisierungen auf Körper-Präsenz bezogen sind. Dementsprechend entzieht sich die Nonne der aristotelischen Doktrin von der naturgegebenen Schwäche der Frauen (ihnen fehle die vitale Hitze, die der schöpferischen Kraft [= Sperma] eigen sei) insofern, als sich ‚die Frau’ im Text unsichtbar zu machen versucht.
Um noch ein Beispiel aus der „Moderne“ zu nehmen: der Beitrag von Claudia Leitner zu Victoria Ocampo. Friederike Hassauer leitet im Vorwort – es sei auszugsweise zitiert – den Beitrag ein, der – ein überfälliges Forschungsdesiderat – Rolle und Bedeutung dieser argentinischen Autorin herausarbeitet. Nach Friederike Hassauer „repräsentiert“ Victoria Ocampo das „Dispositiv der Querelle“:
„Der Streit imprägniert die identitäre Gestalt dieses Selbst, er imprägniert die Ohnmacht der Autorin und die institutionelle Macht der Verlegerin als personifizierte Karrierestation […] Die Querelle imprägniert aber auch den gedimmten Schein des Halo rund um ‚la femme et I’oeuvre‘; und die Querelle imprägniert die gehemmte, erodierende Etablierung und Rezeption dieses Oeuvres der als Mediatorin ausgeschilderten Autorin. Die Querelle imprägniert nicht zuletzt auch noch den ostentativen Einsatz der aristokratischen ordo-Geste, die V.O. kompensatorisch gegen den Genus-Defekt setzt, gleichermaßen ostentativ eingefärbt mit dem geopolitischen Marker von Ethnizität und Kosmopolitismus ihrer Standorte: Querelles.“ (S. 39)
Reiht sich der Dialog zwischen Freunden – Ortega y Gasset und Victoria Ocampo – überhaupt in die Querelle-des-Femmes-Linie ein? Stets hat die Autorin das Gespräch mit den von ihr bewunderten Persönlichkeiten (u. a. Drieu la Rochelle, Caillois, Keyserling, Tagore etc.) gesucht. Gereichen Austausch und Verständigung schon zur „Eröffnung einer transatlantischen Querelle-Arena“? (S. 39)
Der vorliegende Sammelband, der auf gut 400 Seiten fünf Beiträge zum „Mittelalter“, zehn zu „Neue Zeiten“ und sechs zu „Aufklärung und Moderne“ umfasst, gibt die historische Sicht auf den Geschlechterstreit auf: „gestritten wird …, gestritten wird …, gestritten wird …“ (Vorwort, S. 15, 16) überall, zu jeder Zeit, an allen Orten, auf allen Schauplätzen. Die historische Ebene zu verlassen erscheint aber insofern problematisch, als die Öffnung ins Uferlose (die der Begriff ja trägt) der längst fälligen Kanonisierung der Querelle des Femmes entgegensteht. Die „modernen Fortsetzungen“ (sind es überhaupt Fortsetzungen?) verlangen nach präziseren Begriffen als „Moderne“; sie tragen andere charakteristische Merkmale, sind gekennzeichnet von jener Zäsur, die spätestens mit den Forderungen nach Gesetzesänderungen (Olympe de Gouges) anzusetzen ist. Geschlechterdebatten, Streit, Kampf, zu allen Zeiten, an allen Orten, und nicht nur in expliziten, sondern auch fiktionalen (verschwiegenen) Aussagen, sind noch viel weiter zu (er-)fassen. Heute wünschte man sich eine systematische Aufarbeitung des Materials von 1400–1700: Spurensuche, Sicherung von weiteren Argumenten, Methoden, Denkansätzen, Strömen und Netzwerken. Die Beiträge dieses Sammelbandes sind ein Weg dahin.
URN urn:nbn:de:0114-qn0101212
Prof. Dr. Renate Kroll
Romanistin/Literaturwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Frühe Neuzeit und Gender Studies. Veröffentlichungen (Bücher): zu Marie de France, Madeleine de Scudéry, Salon- und Preziösenkultur, Francoise de Graffigny, Metzler Lexikon Gender Studies, Frida Kahlo (zum Mal- und Tagebuch).
E-Mail: renate.kroll@uni-siegen.de
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