Paula-Irene Villa (Hg.):
Schön normal.
Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst.
Bielefeld: transcript Verlag 2008.
282 Seiten, ISBN 978-3-89942-889-6, € 28,80
Abstract: Der Untersuchungsgegenstand dieses Sammelbandes ist die vielfältige Inszenierung der kosmetischen Chirurgie und anderer Eingriffe in den Körper als kulturelle Verfahrensweisen zur Herstellung von Subjektidentität. Im Zentrum steht dabei die Ambivalenz solcher Manipulationen zwischen Selbstermächtigung und Selbstunterwerfung aus geschlechtertheoretischer Perspektive. Über die Redundanz der Bezüge auf foucaultsche Perspektiven lässt sich aufgrund der interdisziplinären Quellenvielfalt leicht hinwegsehen.
In den 1990er Jahren sorgte Judith Butler mit ihren Werken Das Unbehagen der Geschlechter und Körper von Gewicht durch die Behauptung einer diskursiven Erzeugung von Körperlichkeit für heftige wissenschaftliche Kontroversen. Wie die einzelnen Beiträge zu der hier besprochenen Aufsatzsammlung Schön normal zeigen, braucht man sich heute nur das Vorabendprogramm im Privatfernsehen anzusehen, um im Sinne Butlers den Körper als Ergebnis kultureller Herstellungsprozesse zu begreifen. Und das nicht nur in einem diskursiven, sondern auch im somatischen Sinne: Die Arbeit am Selbst unzähliger Doku-Soap-Protagonistinnen, so die zentrale These des Bandes, findet eben gerade über optimierenden Eingriffe in den Körper statt. Durch Sendungen wie The Biggest Looser oder The Swan wird ein Dispositiv erzeugt, das nicht nur den Körper als Ergebnis von Willensstärke präsentiert, sondern vielmehr einen Zugang zum Selbst über den Köper verspricht. Die vielfältige Inszenierung der kosmetischen Chirurgie und anderer Eingriffe in den Körper als kulturelle Verfahrensweisen zur Herstellung der Subjektidentität sind Untersuchungsgegenstand dieses Sammelbandes. Im Zentrum steht dabei die Ambivalenz solcher Manipulationen zwischen Selbstermächtigung und Selbstunterwerfung.
Zwölf Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich, Schweiz, Kanada und den USA – etablierte Expertinnen auf dem Gebiet der soziokulturellen Betrachtung plastischer Chirurgie (z. B. Kathy Davis, Sabine Maasen) sowie kompetente Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler – steuerten zwölf Aufsätze bei (englischsprachige Beiträge wurden ins Deutsche übersetzt). Die verwendeten Quellen setzen sich aus qualitativen Fallstudien, Interviews mit Ärztinnen/-en und Patientinnen/-en, historischen Texte zur kosmetischen Chirurgie (Suzanne Noël: La chirugie esthéthique. Son rôle social. Paris 1926, dt. 1932), make-over Fernsehprogrammen (The Swan), literarischen Texte (Von Düffel: Ego) und künstlerischen Performances (Stelarc und Valerie Export, Orlan) zusammen. Die Untersuchung der in diesen Quellen sichtbar werdenden Debatten wird ergänzt durch die Ergebnisse der kritischen Auswertung von Internetforen und Chats zum Thema, Zeitungs- und Zeitschriftenschriftenartikel, Homepages diverser Institutionen und nicht zuletzt medizinischer Fachliteratur.
Dadurch ergibt sich eine Vielzahl von Perspektiven, neben der soziologischen bzw. sozialwissenschaftlichen auch eine literatur-, kultur-, und medienwissenschaftliche, die dem Band eine für die Geschlechterforschung typische Interdisziplinarität verleihen. Für Kohärenz sorgt die den meisten Beiträgen gemeinsame Untersuchungsmethode: eine foucaultsche Analyse der der Schönheitschirurgie innewohnenden Herrschaftstechniken durch Selbstregulierung. Wiederkehrende Schlüsselbegriffe der Argumentation sind Gouvernementalität, Selbst-Technologien, Körperpolitiken und Biomacht. Der Akzent liegt also weniger auf der ethisch-philosophische Diskussion als auf einer soziokulturellen Deutung der schönheitschirurgischen Praktiken, ihrer medialen Inszenierung und ihrer Normalisierung. Die versammelten Autorinnen und Autoren untersuchen dabei zum Teil minutiös die Konstruktionsprozesse an der Schnittstelle zwischen Körper und Selbst, anstatt es bei der Beschreibung der Ausprägungen des Phänomens und einer bloßen Konstatierung der Interdependenz von medialen Körperrepräsentationen und Prozessen der Selbstkonstitution zu belassen.
Aus feministischer Perspektive wurde kosmetische Chirurgie bisher zumeist als Symptom eines repressiven Schönheitsdispositivs verstanden, das den weiblichen Körper erst als korrekturbedürftig konstruiert. Zudem konzentrierte sich die Kritik auf ethisch-moralische Ansätze und auf den mit den Eingriffen verbundenen finanziellen Aufwand sowie die medizinischen Risiken. Die in den letzten Jahren erschienen Publikationen zum Thema greifen nun vermehrt die Komplexität des Phänomens auf. So z. B. Johann S. Ach und Arnd Pollmann (Hg.): no body is perfect. Baumaßnahmen am menschlichen Körper – Bioethische und ästhetische Aufrisse (2007), Barbara Orland (Hg.): Artifizielle Körper – Lebendige Technik. Technische Modellierungen des Körpers in historischer Perspektive (2005) oder Sigrid Graumann und Ingrid Schneider (Hg.): Verkörperte Technik – Entkörperte Frau. Biopolitik und Geschlecht (2003). Auch die Autor/-innen des vorliegenden Bandes positionieren sich gegen eine Beurteilung schönheitschirurgischer Eingriffe aus ethisch-moralischer Perspektive und gehen vielmehr einem cultural surgical turn (Sue Tait) nach, der die Manipulationen am Körper als Arbeit am Selbst verstanden haben will. Schönheitschirurgie wird hier als eine eben aufgrund ihrer Ambivalenz komplexe soziale Praxis behandelt, die nicht nur Fragen nach gender (der Großteil der Patientinnen ist weiblichen Geschlechts), sondern auch nach race (ethnische Chirurgie) und class (die Verfahren sind für viele potentielle Patientinnen nicht bezahlbar) aufwirft.
Es gehe – so das Fazit der meisten Beiträge – den Patient/-innen der kosmetischen Chirurgie nie um eine rein ästhetische Aufwertung ihres Körpers. Motiviert werden solche Eingriffe vor allem durch eine individuelle und gesellschaftliche Bewegungen verknüpfende Denormalisierungsangst (Jürgen Link), d. h. die Angst vor gesellschaftlicher Marginalisierung. Das Selbstmanagement des neoliberalen, unternehmerischen Selbst (Ulrich Bröckling) über körperliche Züchtigung hat eine klare gesellschaftspolitische Dimension. Denn: „Immerhin gilt es, der neoliberalen Gesellschaft Kosten durch einen Körper zu ersparen, dessen mangelnde Attraktivität, Vitalität, Leistungsbereitschaft etwa Chancen auf dem Beziehungsmarkt (Glück!) oder Arbeitsmarkt (Erfolg!) verringert oder gar zunichte macht. Aus gouvernementalitätstheoretischer Perspektive verweben sich Optimierungsmotiv (Selbstführung) und Gemeinwohl (Fremdführung) zum zentralen Movens für die Akzeptabilität schönheitschirurgischer Eingriffe“ (Maasen, S. 103). Schönheitschirurgie wird in der Perspektive der foucaultschen Analyse zur Herrschaftstechnikt neoliberaler Gesellschaften.
Paula-Irene Villa führt in ihrem abschließenden Beitrag die drei zentralen Erkenntnisse der Untersuchungen zusammen: Erstens wird Geschlechterdifferenz zunehmend nicht mehr als von Natur gegeben, sondern als arbeitsintensiv dargestellt. Es hat sich ein Paradigmenwechsel von als natürlich codierten Körpern zu Körpern als den Effekten eines Herstellungsprozesses vollzogen. Zweitens sind Selbstermächtigung und Selbstbeherrschung nicht länger voneinander zu trennen, wenn Patientinnen einerseits über ihren Körper verfügen können und dies unter Verwendung von Begriffen der Frauenbewegung der 1960er und 70er Jahre begründen, andererseits aber Opfer einer „erzwungenen Freiwilligkeit“ (Morgan, S. 152) werden. Und drittens muss Schönheitschirurgie in einem Kontinuum mit weniger invasiven Eingriffen in den Körper (von Botox-Injektionen bis zum Friseurbesuch) gesehen werden, denn all diese kulturellen Techniken dienen der Verkörperung von sozialen Positionen.
Der Naturalisierungsimperativ, und das ist eine der hervorstechenden Feststellungen des Sammelbandes, ist einem Optimierungsimperativ gewichen, und die Debatte über das Ermächtigungspotential der Körperarbeit wird nun auch mit dem politischen Begriffsarsenal des Feminismus und der Gender Studies geführt. Paradoxerweise kommt nun „[d]em an einer Schnittstelle von Medien und Medizin hergestellten Selbst […] eine höhere ‚Authentizität‘ zu als dem unbearbeiteten, ‚schicksalhaften‘ Selbst vor der Verwandlung“ (Seier/Surma, S. 191). Die von der kosmetischen Chirurgie ermöglichten normierten Weiblichkeitsentwürfe enthalten dabei das Versprechen einer gesteigerten Individualität und geschlechtlichen Natürlichkeit. So finden Frauen über chirurgische Eingriffe nicht nur zu sich selbst, sondern auch zu ihrer Weiblichkeit. Die Einübung des geschlechtlichen Selbst im butlerschen Sinne erscheint als hinter ihrer eigenen Sichtbarkeit versteckt.
Ist die sich zunehmend normalisierende Schönheitschirurgie nun also feministische Utopie oder neoliberales Disziplinierungsverfahren? In seiner konsequenten Kritik eines rein individuellen und apolitischen „Sich-schön-Machens“ (Degele, S. 68) tendiert der Band zu letzterem Schluss, bleibt jedoch in seinem Fazit der zu Beginn postulierten Ambivalenz verschrieben: „Es ist gerade aus einer geschlechtersoziologischen Perspektive wichtig, dass individuelle Körper-Entscheidungen wie die, sich die Nase, den Busen oder den Bauch operieren zu lassen, beides zugleich sind: souveräne Entscheidungen handlungsmächtiger Personen, die das Recht darauf haben, ihren Körper gemäß ihren eigenen Maßstäben zu verändern einerseits und eine Anpassung an vorherrschende Normen der ‚normalen‘ Geschlechtlichkeit andererseits“ (Villa, S. 268).
Die hier besprochene Publikation fügt sich ein in die forschungsaktuelle Debatte um technische Modellierungen des Körpers. Sie ist all jenen Wissenschaftler/-innen zu empfehlen, die an konkreten Analysen von Phänomenen körperlicher Manipulation – mit hauptsächlichem Focus auf der Schönheitschirurgie – interessiert sind. Für die versierte Foucaultleserin bieten die Aufsätze dieses Bandes keine neuen methodischen Erkenntnisse, im Zentrum steht vielmehr das breite Spektrum der Untersuchungsgegenstände.
URN urn:nbn:de:0114-qn102096
Zuzanna Jakubowski, M.A.
Universität Potsdam
wissenschaftliche Hilfskraft
Homepage: http://www.uni-potsdam.de/studiumplus/studiumplus_team_mitarbeiter_Jakubowski.html
E-Mail: zjakubow@uni-potsdam.de
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