Uta Felten, Tanja Schwan (Hg.):
Frida Kahlo.
Körper, Gender, Performance.
Berlin: edition tranvía – Verlag Walter Frey 2008.
168 Seiten, ISBN 978-3-938944-15-8, € 17,80
Abstract: Im vorliegenden Sammelband bemühen sich die Autor/-innen um eine Neubewertung des Werks der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo (1907–1954) im Kontext aktueller theoretischer Debatten und stellen die Frage nach der Verortung der Künstlerin in der zeitgenössischen mexikanischen und europäischen Kunstszene. Unter der Verwendung von theoretischen Ansätzen aus der Erforschung von Intermedialität, Gender, Performanz und Hybridität sowie Inspirationen aus der postkolonialen Theorie analysieren die Autoren/-innen das Zusammenspiel von Leben, Werk und Rezeption der Künstlerin. Das Interesse an der Inszenierung des fragmentierten weiblichen Körpers im Kontext kultureller Hybridität verbindet die einzelnen Aufsätze – was leider im Titel des Bandes nicht ganz deutlich wird.
Das Werk der mexikanischen Malerin Frida Kahlo (1907–1954) erfreut sich ebenso wie die Biographie der Künstlerin auch nunmehr 55 Jahre nach ihrem Tod einer ungebrochenen Aktualität. Diese zeigt sich zum einen in einer Fülle von Ausstellungen, Bildbänden und wissenschaftlichen Debatten um ihr Werk und zum anderen in einer Ikonisierung der Künstlerin, die mit Julie Taymors Hollywood-Film Frida im Jahr 2002 einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Heute findet sich Kahlos Konterfei auch über die Grenzen Mexikos hinaus nicht nur auf zahlreichen Postkarten, sondern ebenso auf T-Shirts und Tragetaschen, in Form von Schmuck und als dekoratives Element zahlreicher mexikanischer Restaurants. Längst wurde die Künstlerin, die vor allem durch Darstellungen ihres eigenen verstümmelten Körpers Bekanntheit erlangt hat, auch außerhalb Mexikos zu einem Symbol mexikanischer Kultur, zur Repräsentantin einer in sich brüchigen mexikanischen Weiblichkeit. Die von Uta Felten und Tanja Schwan herausgegebene Aufsatzsammlung Frida Kahlo: Körper, Gender, Performance nimmt diese „Fridomania“ zum Anlass, sich um eine Neubewertung des Werks Kahlos im Kontext aktueller theoretischer Debatten zu bemühen und die Frage nach der Verortung der Künstlerin in der zeitgenössischen mexikanischen und europäischen Kunstszene zu stellen. Unter der Verwendung von theoretischen Ansätzen aus der Erforschung von Intermedialität, Gender, Performanz und Hybridität sowie Inspirationen aus der postkolonialen Theorie analysieren die Autoren/-innen das Zusammenspiel von Leben, Werk und Rezeption der Künstlerin. Die Auseinandersetzung mit der Inszenierung des fragmentierten weiblichen Körpers im Kontext kultureller Hybridität bildet hierbei einen Schwerpunkt.
Besonderes Anliegen des Bandes ist eine Abkehr von der Suche nach einem „mit sich selbst identifizierten weiblichen Ich“ (S. 15) oder einer authentischen mexikanischen Identität in den Werken Kahlos, wie sie den Herausgeberinnen zufolge für die bisherige theoretische Auseinandersetzung mit Kahlos Œuvre prägend ist. Identität wird in Anlehnung an Jacques Lacan vielmehr als ein „Maskenspiel mit ständig wechselnden Identitäten“ verstanden, das bei Frida Kahlo von einem „Durchspielen mythenbesetzter Imaginationen des Weiblichen aus dem kollektiven Gedächtnis Mexikos“ geprägt ist (S. 15). Dementsprechend verstehen die Herausgeberinnen des Bandes Frida Kahlos Werk als Inszenierung des Selbst, des Körpers und des Geschlechts. Diese Inszenierung fokussiere sich unter Rückgriff auf eine komplexe Vielfalt an Mythen auf den Körper „in Momenten des Verfalls, der Verwandlung, der Zerstückelung und der Auflösung“ (S. 8). Die zahlreichen Selbstportraits Frida Kahlos werden dementsprechend nicht als „Darstellung biographischer Immanenz“, sondern als „Herstellung und Ausstellung stets unabgeschlossener Autopoeisis“ (S. 22) verstanden. Die für die bisherige Kahlo-Forschung prägende Suche nach einer biographischen Wahrheit hinter den Bildern erscheint unter dem Aspekts der performativen Selbstinszenierung nur begrenzt sinnvoll (vgl. S. 16). Der fragmentierte Körper Frida Kahlos wird in deren künstlerischem Werk vielmehr zum Konstruktionsschauplatz, an dem die Brüchigkeit essentialistischer Geschlechter- und Kulturkonzepte sichtbar wird.
Einen Schwerpunkt der Auseinandersetzung mit dem Werk Kahlos bildet die Untersuchung von Inter- bzw. Transmedialität. Claudia Gronemann beschreibt z. B. Kahlos in Text und Bild verfasstes Tagebuch in ihrem Beitrag zu transmedialen und transkulturellen Strategien als „Medium einer autofiktionalen, sich selbst fortlaufend überschreibenden transmedialen Schrift zwischen bildender Kunst und Literatur.“ Mit dieser entwerfe Kahlo eine Körperschrift, mit der sie ihr Selbst sowie den Akt der Verfertigung einer Repräsentation des Selbst performativ umsetze (S. 71). Dementsprechend seien Kahlos Aufzeichnungen nicht im Sinne einer am Ideal der Wirklichkeit verifizierten Authentizität autobiographisch, sondern als Inszenierung der visuellen und textuellen Repräsentation des Ich als Entwerfen immer neuer und umgeschriebener Versionen und Biographeme zu verstehen. Damit verortet sie Kahlos Tagebuch jenseits von Autobiographie, Tagebuch und Fiktion. Es sei vielmehr eine polyphone androgyne Schrift im ästhetischen Sinne, die weder der Privatheit noch der Öffentlichkeit verpflichtet sei und zugleich die Räume des Ontologischen und der Repräsentation umfasse (vgl. S. 74).
Der Aspekt der Selbstinszenierung Frida Kahlos innerhalb ihrer zahlreichen zumeist mit Hilfe eines Spiegels angefertigten Selbstportraits bildet einen weiteren Schwerpunkt der Aufsatzsammlung. Claudio Cifuentes-Aldunate schlägt in seinen Betrachtungen zweier Selbstbildnisse Kahlos vor, Künstlerin und Werk nicht als miteinander identisch zu betrachten, sondern die Selbstportraits Kahlos vielmehr als unvollendete und im ständigen Wandel begriffene Präsentationen ihrer Sicht auf sich selbst zu verstehen. Durch die Verwendung christlicher und indigener Mythen in der Darstellung ihres eigenen leidenden Körpers schaffe Kahlo einen Mythos ihrer selbst, der nicht selten durch Ähnlichkeiten ihrer Werke mit christlichen Märtyrerdarstellungen genährt wird.
Hieran knüpft Andrea Stahl an, die die Selbstportraits Kahlos als „Produkte performativer Körperentwürfe“ und als künstlerischen Raum der Identitätskonstruktion, der auf offene, unabgeschlossene und wechselnde Inszenierungen angelegt sei, versteht (vgl. S. 90). In ihrem Beitrag zu fotografischen Darstellungen Kahlos untersucht Stahl den Aspekt der Selbstdarstellung der Künstlerin im Zusammenspiel von Fotograf, Künstlerin und Bertrachter/-innen. Die fotografischen Bildnisse Kahlos machen nach Stahl „immer nur die Realität einer inszenierten Identitätskonstruktion sichtbar“ (S. 99) und sind daher ebenso in einem Interstitium von Realität und Fiktion anzusiedeln wie die gemalten Selbstportraits der Künstlerin.
Ähnlich wie Stahl und Cifuentes-Aldunate versteht auch René Ceballos die Selbstbildnisse Frida Kahlos als eine kontinuierliche Neuerfindung ihrer selbst, an der die Grenzen zwischen dem Realen und dem Erfundenen immer wieder verschwimmen (vgl. S. 158). Hierbei deutet er den Schaffensprozess dieser Portraits als lautes Nachdenken über sich selbst im Spannungsfeld eines zerstörten Körpers und der dennoch vorhandenen Lust am Leben (vgl. S. 157). Durch die kontinuierliche, in vielerlei Hinsicht von Brüchen geprägte Neuerfindung ihrer selbst in einer Epoche der Neukonsolidierung der mexikanischen Gesellschaft habe Frida Kahlo den Grundstein für ihre eigene Ikonisierung gelegt, die heute in einer vielfältigen Rezeption der Künstlerin innerhalb von Corridos, Performance und Modedesign neue Blüten schlägt.
Wie sich an Barbara Dröschers Beitrag „Frida Kahlo in double exposures“ zeigt, werden Kahlos Interventionen bis in die Gegenwart auch über die Grenzen Mexikos hinaus rezipiert. Dröscher untersucht unter Rückgriffen auf Mieke Bals Konzept der Kulturanalyse die Ausstellungspraxis im Umgang mit Werken Kahlos in Deutschland. Besondere Aufmerksamkeit kommt hierbei den diskursiven Dynamiken zwischen Ausstellungsmacher/-innen, Ausstellungsobjekt und Betrachter/-innen zu. Dröscher kritisiert, dass dem Eigensinn der Exponate in den jeweiligen Ausstellungen durch die oft ungekennzeichnet bleibenden Positionierungen der Ausstellungsmacher/-innen zu wenig Raum gelassen werde.
In ihrem Beitrag „Mestizaje vs. Differenz“ interpretiert Cornelia Sieber Kahlos Werk „Vier Bewohner der Stadt Mexiko“ (1938) als bildliche Antwort auf José Vasconselos Konzept der kosmischen Rasse (1925). Siebers Analyse legt nahe, dass Kahlos Werk einerseits als Kritik an der Vereinheitlichung kultureller Diversität zu einer kosmischen Rasse zu verstehen ist und andererseits durch eine Umschreibung des Konzepts zugunsten einer „potentiellen Unendlichkeit an immer wieder neuen und schöneren Formen, die sich durch Vermischung ergeben werden“ (S. 153) fruchtbar macht. Diese Abwandlung von Vasconselos Konzept erfolgt, so schlägt Sieber vor, durch die Verwendung von Symbolen aus der „synkretischen mexikanischen Volkskultur“, die in einen Kontext persönlicher Erfahrungen der Künstlerin gestellt werden (S. 153).
Die von Uta Felten und Tanja Schwan herausgegebene Aufsatzsammlung ermöglicht durch ihren interdisziplinären Charakter einerseits und durch ihre Konzentration auf Brüche in Leben, Werk und Rezeption Frida Kahlos andererseits einen kaleidoskopischen Einblick, der dem vielfältigen und in sich immer wieder brüchigen Œvre Kahlos durchaus gerecht wird. Die vorgenommenen Reinterpretationen des Werks Frida Kahlos unter Berücksichtigung aktueller theoretischer Ansätze aus Kulturwissenschaften, Kunstgeschichte und Geschlechterforschung sind mehrheitlich überzeugend, eine Konzentration auf die Inszenierung des fragmentierten weiblichen Körpers im Kontext kultureller Hybridität erscheint dem Gegenstand des Buches durchaus angemessen. Lediglich der Titel des Buches mag irreführend wirken, da es weniger um Performance-Kunst als solche geht, als dass in einigen Beiträgen der Aspekt der Performativität im Kontext Frida Kahlos in die Betrachtungen einbezogen wird. Die Artikel selbst sind größtenteils ausgesprochen lesenswert und auch über eine Neubewertung des Werks Frida Kahlos hinaus inspirierend. Einzig Michaela Frankes und Georg Sedlaks Beitrag zum Zusammenspiel von Augen und Händen in Kahlos Tagebuch sowie Isabel Maurer Queipos Vorschlag der mexikanischen Dichterin Sor Juana Inés de la Cruz als barockes Vorbild Frida Kahlos wirken trotz spannender Ansätze argumentativ etwas blass. Für das uneingeschränkte Verständnis der Texte durch einen breiteren Leser/-innenkreis wäre es darüber hinaus sicherlich hilfreich gewesen, spanischsprachige Beiträge sowie italienisch- und französischsprachige Zitate ins Deutsche zu übersetzen. Zudem wäre eine intensivere Auseinandersetzung mit den Aspekten Androgynie und Homoerotik in Kahlos Werk wünschenswert gewesen. Beide Aspekte werden innerhalb des Bandes leider lediglich oberflächlich tangiert. Diese Kritikpunkte sind jedoch angesichts der Fülle an Inspirationen, die diese Aufsatzsammlung bereit hält, durchaus zu verschmerzen.
URN urn:nbn:de:0114-qn102103
Tabea Huth
Freie Universität Berlin
ZI Lateinamerika-Institut Berlin, Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung
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E-Mail: tabea_huth@hotmail.de
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