Judith Stofer, Rifa’at Lenzin (Hg.):
Körperlichkeit – ein interreligiös-feministischer Dialog.
Zell am Main: Religion & Kultur Verlag 2007.
198 Seiten, ISBN 978-3-933891-18-1, € 19,90
Abstract: Körperlichkeit und Geschlechterrollen sind jene Themen, die im öffentlichen Diskurs um Religion, vor allem um die drei monotheistischen Religionen, am meisten kontrovers diskutiert werden. Wie sehr der weibliche Körper in der Auseinandersetzung mit Fragen von Macht und Amt, ‚Reinheit‘ und ‚Unreinheit‘, aber auch für das Gottesbild und das Sprechen über Gott eine Rolle spielt, zeigt der vorgestellte Sammelband. Die Autorinnen sind Angehörige des Judentums, Christentums und Islams und geben zu den genannten Themen ihre Perspektive wieder, gehen aber auch auf die jeweils anderen Blickwinkel ein, so dass sich ein überraschend vielschichtiges Bild ergibt. Das Buch stellt einen hochinteressanten Beitrag zur aktuellen Debatte um Religion, Geschlecht und Gesellschaft dar.
Judentum, Christentum und Islam werden gemeinhin als die drei monotheistischen Religionen bezeichnet, womit ihre auffälligste Gemeinsamkeit benannt ist: Sie lehren alle drei, dass es nur einen einzigen Gott gibt. Und dieser Gott ist in allen drei Religionen eigentlich (theologisch gedacht) nicht anthropomorph, sondern über alle menschlichen Eigenschaften erhaben. De facto sind die Heiligen Schriften aller drei Religionen aber voll von männlichen und patriarchalen Metaphern und Bildern für diesen Gott und sein Handeln am Menschen. Eine weitere Gemeinsamkeit aller drei Religionen ist schließlich, dass in ihnen die biologische wie soziale Verschiedenheit von Mann und Frau als in der Religion begründet angesehen wird und sich daher viele Normen und Tabus um die Geschlechterrollen und die weibliche Körperlichkeit drehen.
In dem von Judith Stofer und Rifa’at Lenzin herausgegebenen Sammelband nähern sich Frauen der drei Religionen all jenen Themenbereichen, die mit Körper, Geschlecht und Religion verbunden sind: vergeschlechtlichten Gottesbildern, der medial höchst präsenten Frage von Haaren und Schleier, Ambivalenzen im Frauenbild, den Normen und Tabus rund um die Menstruation, Ehe und Ehescheidung, schließlich Dienst und Amt von Frauen in Judentum, Christentum und Islam. Der Aufbau der einzelnen Kapitel folgt einem bestimmten Muster: Eine Darstellung aus der Perspektive einer Religion wird von zwei oder drei Repliken von Vertreterinnen der anderen beiden Religionen kommentiert. Die Verfasserinnen der einzelnen Beiträge kommen aus unterschiedlichen (Aus-)Bildungskontexten: Juristinnen, christliche Theologinnen, Religions-, Islam- und Medienwissenschaftlerinnen. Dementsprechend unterschiedlich sind auch die Blickwinkel auf die eigene Religion und die anderen Religionen. Auch die kritische Distanz zur eigenen religiösen Herkunft ist nicht immer gleich, allen drei Vertreterinnen ist aber die grundsätzliche Verbundenheit zur eigenen Religion gemeinsam. Dementsprechend ist der Sammelband auch ausdrücklich als ein Beitrag zum interreligiösen Dialog, nicht als ein religionswissenschaftlicher Vergleich zu lesen.
In den Kapiteln „Nicht männlich – nicht weiblich“ und „Zwischen Herabsetzung und Erhöhung“ wird deutlich, dass Sprechen über weibliche Körperlichkeit in allen drei Religionen immer auch metaphorisches Sprechen ist. Konkrete Formen weiblicher Körperlichkeit können zu Metaphern und Bildern für religiöse Ursprungserzählungen werden und darin ambivalente männliche Bedürfnisse spiegeln, dies zeigen u. a. das Paradigma von Hure und Madonna im Christentum, aber auch die jüdische talmudische Erzählung von Lilith und Eva und die islamische Geschichte von Yusuf und Zulaikha. Alle drei Beiträge zum Gottesbild sind von der Schwierigkeit gekennzeichnet, einerseits ein Sprechen in anthropologischen Metaphern zu vermeiden und die Göttlichkeit des monotheistischen Gottes dadurch herauszustellen, dass er weder männlich noch weiblich, jedenfalls aber unkörperlich ist, und andererseits aber den Wunsch, das Gottesbild um weibliche Aspekte zu ergänzen bzw. diese in der Tradition sichtbar zu machen.
Am stärksten kontrovers zu einem säkularen, postmodernen Geschlechterrollenbild sind jene Aussagen bzw. Texte in den Religionen, die sich unmittelbar mit dem weiblichen Körper beschäftigen. Tabus, die das Zeigen nackter Haut und die Menstruation betreffen, stoßen in der westlichen Welt auf Unverständnis und Irritation. Die Beiträge zu den Themen Haare, Schmuck und Schleier, Regel, Blut und weiblicher Zyklus machen einerseits die Gemeinsamkeiten in den zentralen Texten und deren kulturelle Herkunft deutlich (das Gebot, die weiblichen Haare zu bedecken, gibt es nicht nur im Koran, sondern auch im Talmud und beim Apostel Paulus). Andererseits zeigen sie auch den unterschiedlichen Umgang mit diesen Texten je nach Nähe oder Ferne zur westlichen, aufgeklärten Welt. Interessant ist insbesondere der christliche Versuch eines Bruchs mit den tradierten Regeln des Judentums, der nur unvollständig gelingt und alsbald wieder in eine Praxis von Tabus, vor allem aber in eine Fehlinterpretation der Menstruation als Unreinheit und damit als Sünde mündet. Als irritierend werden säkulare Leserinnen vermutlich die wohlwollende Nachsicht oder auch allzu zaghaft formulierte Kritik an der je eigenen religiösen Tradition der Autorinnen gerade zu diesem hochproblematischen Thema empfinden.
Insbesondere die beiden Kapitel „Ketten sprengen“ und „Dienen – laut und leise“ führen die Konsequenzen vor Augen, welche der männlich geprägte Blick auf Frauen in Judentum, Christentum und Islam hat. Das Scheidungsrecht ist bis heute in allen drei Religionen nur bedingt gleichberechtigend. Oft spiegeln sich hier eindeutig patriarchale Wert- und Besitzvorstellungen wider, die insbesondere in Gesellschaften, die kein ziviles Ehe- und Scheidungsrecht kennen, zu tragischen Frauenschicksalen führen können. Wie stark hier das Beharrungsvermögen und der Einfluss konservativer Kreise ist, hebt Tanja Kröni in ihrem Beitrag zum Judentum hervor, während Rifa’at Lenzin auch die günstigen Aspekte des muslimischen Scheidungsrechts betont und auf die Unterschiedlichkeiten verschiedener Länder bzw. Strömungen des Islams hinweist. Für das Christentum spricht hier mit Doris Brodbeck eine evangelische Pfarrerin; dadurch bleiben die besondere Problematik der Scheidungsunmöglichkeit im katholischen Christentum und deren moralische und religiöse wie teilweise noch gesellschaftliche Konsequenzen außen vor. Andererseits spricht Brodbeck als einzige auch die Frage nach der Möglichkeit von homosexuellen Ehen an – in allen drei Religionen ein großes Tabuthema.
Nicht weniger eng ist der Zusammenhang von gesellschaftlichen Rollenbildern und religiösen Texten in der Frage des Dienens. Hier werden Unterschiede deutlich: Im Christentum wurde das Dienen zu einem der drei christlichen Grundvollzüge erhoben (Diakonia) und ist dementsprechend mit einer religiösen Bedeutung aufgeladen, die sich auch in den Geschlechterrollen zeigt. Im Judentum stehen vor allem die Frage des Gottesdienstes und deren unterschiedliche Auslegung in den verschiedenen Traditionen des Judentums im Zentrum. Der Beitrag zum Islam verweist hingegen auf die sehr grundsätzlich gehaltenen Gebote zum Dienst hin, die wenig Geschlechtsspezifisches enthalten, allerdings auch ein weitgehendes Fehlen von internationalen karitativen Organisationen in der islamischen Welt zur Folge haben.
Ein besonderes Thema, in dem sich religionsbedingte Geschlechteranthropologie und Reinheitsvorstellungen in Theorie und Praxis treffen, ist die Frage nach der Amtsfähigkeit bzw. -würdigkeit von Frauen für religiöse Funktionen. Nicht selten unterscheiden sich verschiedene Traditionen oder Konfessionen einer Religion in der Frage, was Frauen erlaubt oder verboten ist. Insbesondere das Judentum und das katholische Christentum setzen hier eine Tradition fort, die zum Teil, wie etwa Judith Stofer aufzeigt, eigentlich unvereinbar ist mit den Ansprüchen von Menschenwürde und Menschenrechten. Dass der Weg zu einer Gleichberechtigung im Amt ein weiter und steiniger ist, machen die Beiträge zur Situation im evangelischen Bereich oder auch in reformorientierten Strömungen des Judentums deutlich. Gerade dieses Thema macht auch die Ambivalenz, um nicht zu sagen Doppelbödigkeit der Argumentationen religiöser Macht- und Funktionsträger deutlich: Zu Madonnen oder braven Hausfrauen stilisiert gelten Frauen als so schwach, dass ihnen die Bürden des Amtes von Männern abgenommen werden müssen. Umgekehrt sind Frauen, die diesen Dienst auch auf sich nehmen wollen, sehr schnell Rebellinnen gegen die gottgewollte Ordnung.
Der Sammelband Körperlichkeit – Ein interreligiöser feministischer Dialog stellt die neuralgischen Punkte in Sachen Frau und (monotheistische) Religion übersichtlich dar. Für wohl viele Leserinnen und Leser erstmals kommt hier die Innenperspektive von Frauen aus den jeweiligen Religionen zur Sprache. Irritierend mag für manche wirken, dass es bei aller Kritik an den zur jeweiligen Religion gehörenden konkreten Umgangsformen mit Frauen und deren Körperlichkeit doch ein fundamentales Zugehörigkeitsgefühl der Autorinnen zu ihrer eigenen Religion gibt. Hierin liegt auch ein – gewolltes? – methodisches Defizit des Buches: Das Verhältnis von Religion und Geschlecht wird hier nur aus der Innenperspektive gesehen, religionswissenschaftliche, soziologische oder kulturanthropologische Fragestellungen fehlen. Eine solche Darstellung ‚von außen‘ wäre eine sinnvolle Ergänzung gewesen, ebenso wie der Dialog mit dieser säkularen Perspektive.
Der Sammelband macht das Ringen von Frauen um ihren gerechten Platz in der eigenen Religion deutlich und das Bedürfnis, diese Religion auch für Frauen (wieder) zu einer spirituellen Heimat werden zu lassen. Frauen (und vielleicht auch Männer) aus einem areligiösen, säkularisierten Kontext werden manche ihrer Vorurteile über Religion bestätigt finden und sich fragen, warum frau sich überhaupt noch mit derartig archaischen Vorstellungen wie etwa den Reinheitstabus auseinandersetzen soll. Auch drängt sich die Frage auf, wie die westliche Gesellschaft mit all jenen umgehen soll, welche die genannten Vorstellungen zu Körperlichkeit und Weiblichkeit unreflektiert an ihre Töchter und Söhne weitergeben und mitunter sogar in Konflikt mit dem säkularen Rechtsstaat geraten (Stichwort Ehrenmorde) – reicht hier wirklich der interreligiöse Dialog zwischen hochgebildeten Vertreterinnen der drei Religionen?
Der vorliegende Sammelband bietet einige wichtige Klärungen, erweitert das Bild von Religion über manche Stereotypen hinaus – oder bestätigt diese auch. Jedenfalls aber finden die Leserinnen und Leser viele Anregungen zum Weiterdenken und -diskutieren zu einem Thema, das weit mehr als ein Randthema in Sachen Religion und Gesellschaft ist.
URN urn:nbn:de:0114-qn102133
Ao. Univ.-Prof.in DDr.in Theresia Heimerl
Universität Graz
geboren 1971 in Linz, Studium der Deutschen und Klassischen Philologie und der Katholischen Theologie in Graz und Würzburg; ao. Universitätsprofessorin für Religionswissenschaft an der Universität Graz, Arbeitsschwerpunkte: Körper-Geschlecht-Religion, europäische Religionsgeschichte, Religion und Film.
E-Mail: theresia.heimerl@uni-graz.at
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