Geschlechter-Gehirne und die Krux mit der Emotion

Rezension von Sigrid Schmitz

Nicole C. Karafyllis, Gotling Ulshöfer:

Sexualized Brains.

Scientific Modeling of Emotional Intelligence from a Cultural Perspective.

Cambridge u.a.: MIT Press 2008.

429 Seiten, ISBN 978-0-262-11317-5, ₤ 32.95

Abstract: In der Auseinandersetzung um geschlechtliche Normierungen spielt die moderne Hirnforschung eine wirkmächtige und inzwischen disziplinenübergreifende Rolle. Nicole Karafyllis und Gotlind Ulshöfer stellen in diesem Sammelband mit Beiträgen aus Neurowissenschaft, Psychologie, Soziologie, Kulturwissenschaft und Philosophie ein multiperspektivisches Diskursfeld zu der Frage vor, ob die Emotionale Intelligenz (EI) als erstrebenswerte Fähigkeit die klassische Kodierung in männliche Rationalität bzw. weibliche Emotionalität dekonstruieren und ein emanzipatorisches Potential entgegen gesellschaftlichen Hierarchisierungen entfalten kann. Viele Aspekte, Verbindungen zwischen den Diskurssträngen und wechselseitige Beeinflussungen, aber auch disziplinäre Eingrenzungen werden sichtbar, die eine kritische Fortführung des hier angestoßenen Dialogs notwendig machen.

Die aktuelle Prominenz neurowissenschaftlicher Erklärungen für menschliches Verhalten und Denken, für Einstellungen und Identitäten prägt nicht nur die Naturwissenschaften, sondern verlagert sich zunehmend in sozial- und kulturwissenschaftliche, in philosophische und gesellschaftliche Diskurse. Das cerebrale Subjekt wird mehr und mehr zur zentralen Kategorie, wenn es um Fragen der individuellen Entwicklung, der Definitionen des Selbst, um gesellschaftliche Segregationsprozesse oder um ein zukünftiges Menschenbild geht.

Im Rahmen dieser Entwicklung spielen Verortungen von Geschlechterunterschieden im Gehirn – fundiert in einem grundsätzlich heteronormativen Verständnis von Geschlecht – eine prägende Rolle. Eine ständige Herausforderung genderkritischer Analysen liegt darin, einerseits die offensichtlichen deterministischen Zuschreibungen von Verhalten und Fähigkeiten zu dekonstruieren. Gleichzeitig gilt es andererseits, die häufig auf den ersten Blick nicht sichtbaren Geschlechtereinschreibungen und -normierungen im modernen cerebralen Subjekt freizulegen, um sie der kritischen Auseinandersetzung überhaupt zugänglich zu machen.

Gehirn, Geschlecht und Emotionale Intelligenz

In diesem Spannungsfeld haben Nicole Karafyllis und Gotlind Ulshöfer mit ihrem Sammelband Sexualized Brains. Scientific Modeling of Emotional Intelligence from a Cultural Perspectice den ebenso wichtigen wie auch schwierigen Versuch unternommen, die vielfältigen Einschreibungen und deren Auswirkungen in den Diskursen um Gehirn und Geschlecht unter dem Fokus der Emotionalen Intelligenz (EI) aufzudecken. Dieser Schwerpunkt nimmt damit einen scheinbaren Widerspruch in den Blick. Emotionen sind klassischerweise weiblich konnotiert und wurden in Bezug auf kognitive Fähigkeiten und Entscheidungsfindungen als untergeordnet, wenn nicht sogar als störend angesehen. In neueren psychologischen und gesellschaftlich-ökonomischen Diskursen wird EI jedoch als Fähigkeit behandelt, die erstens von allen erlernbar sei und mit der zweitens alle Menschen ihre Position sowohl in sozialen Interaktionen als auch am Arbeitsplatz verbessern könnten. Liegt hier nun eine Chance, Geschlechterhierarchien aufzulösen, oder werden diese fortgeführt, ja sogar erneut verfestigt?

Schon in ihrer ausführlichen Einleitung zeigen Karafyllis und Ulshöfer auf, dass Emotionen durch die Technologien des Neuroimaging im Gehirn nach wie vor geschlechterdifferent verortet werden. Wie tiefgreifend solche Vorstellungen die Diskussionen um emotionale Intelligenz im Spannungsfeld zwischen Natur und Kultur, Geist und Körper, Emotionalität und Rationalität prägen, wie stark das Konzept des cerebralen Subjekts als normative Instanz nicht nur die naturwissenschaftlichen, sondern auch die gesellschaftlich-kulturellen und philosophischen Diskurse formt und wie die disziplinären Auseinandersetzungen sich wechselseitig beeinflussen, arbeiten die Autorinnen auf beeindruckende Weise heraus. Zwingend ist ihre Schlussfolgerung, dass diese Prozesse nur in einem interdisziplinären Dialog zwischen Naturwissenschaft, Wissenschaftsforschung, Soziologie, Kulturwissenschaft und Philosophie zu bearbeiten sind. Die Herausgeberinnen haben hierzu einen Sammelband mit Beiträgen aus dem genannten Disziplinenspektrum zusammengestellt.

Eine Querschau unter verschiedenen disziplinären Perspektiven

Zur Strukturierung sind die Beiträge nach unterschiedlichen Perspektiven zusammengestellt: der Historie von Begrifflichkeiten und Definitionen sowie der Forschung in unterschiedlichen Disziplinen, der Methoden zur Messung und Repräsentation von Emotionen (insbesondere mit den bildgebenden Verfahren der Neurowissenschaften und den Testverfahren der Psychologie), der Einbindung in gesellschaftlich-wirtschaftliche Kontexte und schließlich der Diskurse zur emotionalen Intelligenz vor einem philosophisch-kulturellen Kontext. Eine Stärke dieses Buches liegt sicherlich in der Vielfalt der Aspekte, die hier aufgerollt werden. Hierzu nur einige Beispiele.

So lassen die Beiträge von Michael Hagner (unter historischer Perspektive) und Bärbel Hüsing (für die aktuelle Neuroimaging-Forschung) erkennen, dass durchgängig nach Biomarkern im Gehirn (S. 108) gesucht wurde, wodurch jeweils in enger Abhängigkeit von den disziplinären Technologien Differenzkategorisierungen lokalisiert, quantifiziert, begründet und legitimiert werden sollten. Die Beiträge von Myriam Bechtoldt sowie von Carolyn MacCann und Kollegen/-innen zeichnen in der Psychologie Verschiebungen in der Definition der emotionalen Dimension von einem allgemeinen Persönlichkeitsmerkmal zu einer Teildimension kognitiver Fähigkeiten nach, was ebenfalls eng mit der Entwicklung unterschiedlicher Testverfahren verbunden ist. Nicole Karafyllis arbeitet heraus, dass diese auch methodisch bedingte Rationalisierung der EI wiederum im Gehirn ihre Verortung erfährt und Geschlechterstereotype weiterhin mit sich trägt (S. 300).

Unter gesellschaftlich-wirtschaftlicher Perspektive zeigt Eva Illouz, wie die Verbindung von emotionaler Kompetenz (als personeller Konstante) und professioneller Kompetenz (als emotionalem Kapital im Sinne Bourdieus) einen neuen emotionalen Habitus für Führungskräfte charakterisiert, der mit veränderten Maskulinitätskonzepten einhergeht – denn der globale Manager kann nun seine Gefühle insbesondere auf dem globalen Arbeitsmarkt einsetzen. Obwohl das z. T. auch von feministischer Seite in Hinsicht auf Pluralisierung und Demokratisierung positiv bewertet wurde, verweist die Autorin dennoch auf die Gefahr der Ausbildung neuer Achsen sozialer Stratifikation, denn die sozialen Privilegien werden vorwiegend von Männern der Mittel- und Oberschicht auf dem Arbeitsmarkt verwendet. Carmen Baumeler erweitert diese Diskussion vor einem Foucault’schen Hintergrund: EI als Selbsttechnologie für den flexiblen Arbeitnehmer im modernen flexiblen Kapitalismus (Boltanski/Chiapello) löst Geschlechterhierarchien nur scheinbar auf, denn in dieser Diskussion werden die bestehenden Geschlechtersegregationen auf dem kapitalistischen Arbeitsmarkt ignoriert. Gotling Ulfhöfer deckt im emotional erweiterten homo oeconomicus der Neuroökonomie die immer noch inhärenten Biologisierungen zur Erklärung sozialer Entscheidungen und Beziehungen sowie gesellschaftlicher Strukturen auf.

Deutlich werden in den Beiträgen aber auch ganz unterschiedliche Umgangsweisen mit Geschlechterfragestellungen. Robert Nye beschäftigt sich mit der zunehmenden Durchmischung der Begriffe Sex und Gender in der biomedizinischen Forschung. Er entwickelt vor dem Hintergrund feministischer Diskurse sowie der Intersexualitäts- und Transsexualitätsdebatte die These, dass die Eingliederung von Gender in die Sex-Forschung die Gefahr einer Rebiologisierung berge, die den konstruktivistischen Gehalt von Gender aus dem Diskurs tilge. Dagegen übernehmen andere Beiträge erstaunlich unkritisch Geschlechterstereotype, so bspw., wenn Hüsing sich auf feststehende Kenntnisse über sexuelle Differenzen in Struktur und Funktion des Gehirns bezieht (S. 106) oder Kathrin Fahlenbach und Anne Bartsch in ihrer Medienanalyse das Erlernen emotionaler Fähigkeiten vorwiegend auf Frauen fokussieren. Auch wenn die Autorinnen solche Geschlechterzuschreibungen als sozialisiert und nicht biologisch determiniert ansehen, wird doch eine binäre Klassifizierung deutlich.

Ähnliches gilt hinsichtlich der kritischen Auseinandersetzung mit der Aussagekraft naturwissenschaftlicher Forschungsergebnisse. Hagner und Nye verweisen deutlich auf die Eingebundenheit neurowissenschaftlicher und biomedizinischer Forschungsmethoden und Erkenntnisprozesse in gesellschaftliche Transformationen. Dagegen bleiben insbesondere die Beiträge unter der methodischen Perspektive von Hüsing (Neurowissenschaften) sowie von MacCann und Kollegen/-innen (Psychologie) einem Kanon der Fortschrittsgeschichte der eigenen Disziplin verhaftet. Sie vertrauen auf die Entwicklung einer valideren oder rigoroseren Wissenschaft, da Verfälschungen hauptsächlich der unangemessenen Anwendung durch Nicht-Experten oder der Verzerrung der Ergebnisse durch populäre Medien angelastet werden könnten.

Fazit

Ein beeindruckendes Buch, das die vielen verschiedenen Fassetten des Diskurses um Geschlecht, Gehirn und Emotionaler Intelligenz zugänglich macht. Die Stärke der multidisziplinären Herangehensweise liegt darin, dass die konträren Diskurse innerhalb der Disziplinen – und teilweise auch über die Disziplinen hinweg – in den Einzelbeiträgen mit Tiefe herausgearbeitet werden. Doch es wird an einigen Beispielen auch deutlich, wie unterschiedlich die Argumentationen und Positionen noch aus einzelnen Disziplinen heraus vertreten werden, wodurch teilweise reflexive Komponenten und Wechselwirkungen in den Hintergrund treten. Das zeigt aber auch, dass der geforderte interdisziplinäre Dialog zwischen den Disziplinen und Wissenschaftskulturen noch intensiver zu entwickeln ist.

URN urn:nbn:de:0114-qn102148

HD Dr. Sigrid Schmitz

Institut für Informatik und Gesellschaft/Kompetenzforum [gin]

Hochschuldozentin für Mediatisierung der Naturwissenschaften und Gender Studies an der Universität Freiburg. Leiterin (zusammen mit Prof. Dr. Britta Schinzel) des Kompetenzforums „Genderforschung in Informatik und Naturwissenschaft [gin]“

Homepage: http://mod.iig.uni-freiburg.de/users/schmitz

E-Mail: schmitz@modell.iig.uni-freiburg.de

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