Der Kampf um die Seele

Rezension von Rita Unfer Lukoschik

Marina Caffiero (Hg.):

Rubare le anime.

Diario di Anna del Monte ebrea romana.

Roma: Viella 2008.

192 Seiten, ISBN 9788883343186, € 22,00

Abstract: In den Akten des päpstlichen Staatsarchivs und der römischen jüdischen Gemeinde finden sich zeitgenössische Zeugnisse für die im päpstlichen Rom vom 16. bis zum 19. Jahrhundert nicht seltene Zwangskonvertierung jüdischer Mädchen und Frauen zum Katholizismus. Eines der wertvollsten Dokumente dieser Konversionspraxis liegt nunmehr in einer kommentierten Neuedition vor: das Tagebuch der 1749 sich erfolgreich der versuchten Zwangskonvertierung widersetzenden 18-jährigen Anna del Monte. In ihrer Einleitung ordnet die Herausgeberin Marina Caffiero dieses außergewöhliche Einzelschicksal in die zeitgleich und parallel laufenden Assimilations- und Emanzipationsprozesse ein, die sich in der mit aufklärerischem Gedankengut ‚infizierten‘ jüdischen Oberschicht Roms im 18. Jahrhundert abzeichneten.

Anna del Monte, einer knapp 18-jährigen römischen Jüdin aus vermögendem Haus, widerfuhr am 20. April 1749 ein zu dieser Zeit und in dieser Kulturlandschaft nicht seltenes Schicksal. Sie wurde zwecks Zwangskonvertierung von der katholischen Obrigkeit der Familie entrissen und mit Gewalt in ein Haus für Katechumenen eingesperrt, wo sich Erwachsene beiderlei Geschlechts und jeden Alters aufhielten, die sich für die Taufe vorzubereiten hatten. Das Haus diente schon seit 1543 dem ihm zugedachten Zweck, Andersgläubige, Muslime, Heiden und sonstige Ungläubige Italiens und Europas, aber vor allem Juden, an den katholischen Glauben heranzuführen. Es oblag der dortigen jüdischen Gemeinde, für sämtliche mit dem Haus und dessen ‚Gästen‘ verbundene Kosten aufzukommen. Man beherbergte mit großer Vorliebe Jüdinnen, von deren Zwangskonvertierung und anschließender Heirat mit Christen man sich viele im ‚rechten‘ Glauben erzogene Kinder erhoffte. Um eingewiesen zu werden, bedurfte es der tätigen Mithilfe Dritter, denn jene zu konvertierenden Erwachsenen wurden zu diesem Behufe der katholischen Kirche entweder von Vertretern der eigenen jüdischen Gemeinde (Eltern, Verwandte und Verlobte bzw. Ehemänner) ‚dargeboten‘, damit an ihnen die Konversion vorgenommen wurde, oder von anderen ‚denunziert‘, weil man meinte, von ihren Absichten zu konvertieren Kenntnis erlangt zu haben.

Dass diese Absichten oft gar nicht bestanden und die Opfer von missgünstigen Glaubensgenossen und -gegnern, im Falle von Frauen meist von abgelehnten Liebhabern oder heiratswilligen Christen, die eine dadurch erzwungene Verbindung eingehen wollten, denunziert worden waren, bildet die andere Seite dieser nicht rühmlichen Beziehung zwischen der christlichen und der jüdischen Gemeinschaft im päpstlichen Rom, die jahrhundertelang die Sprache der Intoleranz und der Prävarikation religiöser und gedanklicher Freiheit sprach.

Ganze 13 Tage verbrachte Anna Del Monte im Katechumenenhaus, Tage, in denen sie sich mit allen Kräften den dort unternommenen Versuchen widersetzte, ihr „die Seele zu stehlen“. Dank ihrer unbeugsamen Willenskraft, die sie in ihrem Schlachtruf ausdrückte: „Giudia son nata, e Giudia voglio morire“ [als Jüdin bin ich geboren, als Jüdin will ich sterben] (S. 79), und dank ihrer zu dieser Zeit bei Frauen mehr als seltenen Fähigkeit, auf die Argumente katholischer Theologen mit passenden klugen und gelehrten Antworten einzugehen, gelang es ihr auch, sich in ihrem Glauben zu bewähren, in die Freiheit entlassen zu werden und zu ihrer Familie zurückzukehren, die sie wie eine Heldin aufnahm und feierte.

Als Jüdin bin ich geboren als Jüdin will ich sterben

Ihre bewegende Geschichte vertraute sie einem in italienischer Sprache verfassten und mit Einschüben (ein Wort, aber auch ganze Sätze) auf Hebräisch und in römischem Dialekt durchsetzten Tagebuch an, dem ein nicht minder wechselvolles Schicksal zuteil wurde. Es ist in einer einzigen Abschrift überliefert, die der Bruder der jungen Jüdin, Tranquillo del Monte, angefertigt hatte, nachdem er – Jahre nach dem Tod der Schwester – auf abenteuerliche Weise des Manuskripts wieder habhaft werden konnte. Tranquillo, Stammhalter einer der angesehensten und wohlhabendsten jüdischen Familien Roms, berichtet in der Einführung zur seiner Abschrift, Anna habe unmittelbar nach ihrer Befreiung eigenhändig die aufwühlenden Ereignisse jener 13 Tage im Katechumenenhaus mit Hilfe des Rabbi Sabbato Mosè Mieli aufs Papier gebannt, sie sei aber so nachhaltig vom Erlebten gezeichnet worden, dass ihre Familie sie nie mehr auf ihre Schrift habe ansprechen können. Erfolglos sei die Suche nach dem Schriftstück nach ihrem Tod geblieben, und erst viele Jahre nach ihrem Ableben sei ein Straßenhändler mit dem Tagebuch und der poetischen Nachdichtung des Tagebuchs in Ottaverime durch Rabbi Mieli an ihn herangetreten. Er habe dann den Text gewissenhaft abgeschrieben, mit einer Einführung versehen und den Text des Rabbi hinzugefügt.

Das verlorene, wiedergefundene, dann erneut und unwiederbringlich verlorene Manuskript zirkulierte in Tranquillos Abschrift fast zwei Jahrhunderte lang, bis es Giuseppe Sermoneta 1989 edierte, in dessen Familienarchiv in Jerusalem sich die einzig überlieferte Abschrift, der Öffentlichkeit unzugänglich, immer noch befindet.

Es ist das Verdienst Marina Caffieros, mit Rubare le anime [„die Seelen stehlen“] das Zeugnis eines besonderen Frauenschicksals in einer ausgezeichnet von ihr eingeführten Neuedition der vergriffenen Ausgabe Sermonetas wieder zugänglich gemacht zu haben, die sowohl auf die bestehenden editorischen Probleme hinweist als auch die inhaltlichen und literarischen Besonderheiten dieser écriture feminine hinterfragt.

Zu viele Ungenauigkeiten und Unstimmigkeiten, auf die Caffiero in der Einführung akribisch eingeht, enthalten nämlich Tranquillos Abschrift und seine Ausführungen in der Einleitung zum Text der Schwester, um nicht die Frage zu stellen, ob man es hier mit einem authentischen Tagebuch oder eher mit einer zurechtgestutzten Fassung zu tun hat, und es drängt sich die grundsätzliche Frage auf, wer überhaupt der Autor dieses Tagebuchs letztendlich sei: Anna oder Tranquillo? Handelt es sich dabei um einen Tatsachenbericht oder nicht eher um eine paränetische bzw. zu apologetischen Zwecken verfasste, durch und durch fiktionale Schrift, die sich in ihrer Anklage gegen die christlichen Hierarchien richten will? Oder stellt der hier möglicherweise stattgefundene Prozess des Filterns einer weiblichen Handschrift durch einen gebildeten, rhetorisch geschulten und literarisch sehr versierten Mann nicht viel eher das ‚naive‘ und ‚natürliche‘ männliche Präparieren weiblicher Schrift im Einklang mit der (nicht nur) zu dieser Zeit gängigen Praxis dar?

Diese Fragen finden mangels Urschrift keine abschließende Antwort, sie tun jedoch, wie Caffiero überzeugend ausführt, der Bedeutung dieses Textes keinen Abbruch. Mit Rubare le anime setzt sich Marina Caffiero – Autorin des Standardwerks zum Thema der Zwangskonversionen in Rom: Battesimi forzati. Storie di ebrei, cristiani e convertiti nella Roma dei papi. Roma: Viella 2004 – das Ziel, nicht nur die eindrucksvolle, in ihrem historischen Kern wahre Geschichte einer jungen Giudia im päpstlichen Rom des frühen 18. Jahrhunderts wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. Über seinen Wert als Zeugnis jener Zwangkonversionen hinaus, die zum Alttag der jüdischen Gemeinde gehörten, legt der durch die Vermengung jüdischer italienischer und römischer Ausdrücke sprachgeschichtlich äußerst wertvoller Text Zeugnis ab für zwei gegenläufige, in jenen Jahren stattfindende Prozesse innerhalb der jüdischen Gemeinde Roms. Einerseits zeichnet sich in der Entscheidung Tranquillos, die privaten Memoiren eines Familienangehörigen vor dem Vergessen zu bewahren, jener Assimilationsprozess ab, den wohlhabende jüdische Familien Roms durchlebten, indem sie sich z. B. bemühten, ein Familienbuch in Anlehnung an jene Libri di Famiglia zu verfassen, in denen Christen die wichtigen ihre Familie betreffenden Ereignisse zu verzeichnen pflegten.

Anderseits erzählt die Schrift über Annas Leiden und ihren unbeugsamen Willen, am eigenen Glauben festzuhalten, zwischen den Zeilen auch die Geschichte jener Emanzipationsbemühungen, die im Italien jener Jahre – im Einklang mit der kulturellen Großwetterlage des aufgeklärten und aufzuklärenden Europas – die jüdische Gemeinschaft durchzogen. Sie erzählt in Filigran vom Streben nach Freiheit und nach religiöser Toleranz, aber auch vom Mut zur Auflehnung im Namen eigener Überzeugungen, und fordert in der Schilderung des geleisteten, mutigen und selbstbewussten Widerstandes Respekt vor den eigenen Rechten als Mensch – auch als Jude und auch als Frau – ein.

Somit wird der hier heraufbeschworene Mikrokosmos eines Einzelschicksals nicht nur zum Generalschlüssel, um den Zugang zum Makrokosmos der stets durch stärkste Spannungen gekennzeichneten ‚Konvivenz‘ von Juden und Christen im päpstlichen Rom zu erlangen – Spannungen, die im Lichte jüngster Entwicklungen noch nicht überwunden zu sein scheinen –, er wird vielmehr zum Lackmuspapier eines kulturellen Selbstfindungsprozesses. Was erstaunlich und bemerkenswert genug ist: All dies wird der Schilderung eines als exemplarisch dargestellten, heldenhaft ertragenen Frauenschicksals überantwortet.

URN urn:nbn:de:0114-qn102209

Prof. Dr. Rita Unfer Lukoschik

Humboldt-Universität zu Berlin

Romanistische Literatur- und Kulturwissenschaft/Gender Studies

E-Mail: rita.unfer-lukoschik@romanistik.hu-berlin.de


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