Sylvia Pritsch:
Rhetorik des Subjekts.
Zur textuellen Konstruktion des Subjekts in feministischen und anderen postmodernen Diskursen.
Bielefeld: transcript Verlag 2008.
510 Seiten, ISBN 978-3-89942-756-1, € 39,80
Abstract: Das vorliegende Buch ermöglicht einen, wenn auch streckenweise langwierigen, so doch umfangreichen Zugang zu postmodernen und feministischen Texten, die sich mit dem Signifikant ‚Subjekt‘ auseinandersetzen. Zentrale theoretische Texte französischer Poststrukturalisten (Lacan, Derrida, Foucault) über Vertreterinnen des „french feminism“ (Cixous, Irigaray, Kristeva) und deutscher Kulturwissenschaftlerinnen (Weigel Großmaß, Schmerl) sowie postfeministischer und postkolonialistischer Autorinnen (Butler, Haraway, Minh-ha) werden vorgestellt und in ihre theoretischen Kontexte eingeordnet.
Die „generative Vorstellung, daß der Text durch ein ständiges Flechten entsteht und sich selbst bearbeitet“ und sich „in diesem Gewebe – dieser Textur, [...] das Subjekt [auflöst] wie eine Spinne, die selbst in die konstruktiven Sekretionen ihres Netzes“ aufgeht, wie Roland Barthes 1974 in die „Lust am Text“ beschreibt, liegt in verwandtschaftlicher Nähe zu Sylvia Pritschs Text- und Subjektverständnis in „Rhetorik des Subjekts“. Pritsch führt aus: „Die Frage nach dem Subjekt lässt sich […] nicht mehr stellen, ohne zugleich die Art und Weise seiner Repräsentation in den Blick zu nehmen, die es hervorbringt und ihm Wirklichkeit und Legitimität verleiht“ (S. 23). Daran anschließend eröffnet sich ein weites Forschungsfeld, das die Autorin in verschiedenen Kapiteln bearbeiten möchte. So fragt sie neben dem Verhältnis von ‚Text‘ und ‚Subjekt‘, nach dem Verhältnis von feministischer und nicht-feministischer Subjektkritik und nach deren intertextuellen Befruchtungen. Neben der Darstellung der Postmoderne-Kritik an der Eindeutigkeit von Repräsentationsmodellen und der Auflösung der Kategorie ‚Frau‘ über die Metapher des Weiblichen, widmet sich Pritsch einer Ergänzung des Aspektes des Performativen um die Dimension einer produktiven Indexikalität. Auf diese Weise hofft Pritsch die Reichweite gender-orientierter Ansätze als Wissenschaftskritik sichtbar machen zu können.
Pritsch geht dem „spannungsvollen Verhältnis zwischen ‚Subjekt‘ und ‚Text‘ in einem diachronischen Verfahren nach. Um ihre Untersuchung theoretisch zu situieren, wirft sie einführend Schlaglichter auf die klassischen Subjektphilosophien von Aristoteles, Kant, Hegel und Nietzsche. Angesichts der hegemonialen Stellung dieser philosophischen Denktraditionen mutet die Auswahl der Sekundärtexte, die teils den Eindruck erwecken, sie seien eher zu Rate als zur kritischen Infragestellung herangezogen, hier etwas willkürlich an, wie bereits an anderer Stelle ausführlich kritisiert worden ist (vgl. die Rezension von Rolf Löchel im Rezensionsforum Literaturkritik Ausgabe 06/2008). Da jedoch die Diskussionen poststrukturalistischer Texte aller Couleur das Hauptaugenmerk des Forschungsprojekts bilden, scheinen theoretische Schwächen im Bereich der Klassiker verzeihlich. Pritsch beschäftigt sich, an die knappen Erläuterungen der philosophischen Klassiker anschließend, ausführlich mit den psychoanalytischen Annahmen des Seins und des Mangels bei Jaques Lacan, der Dekonstruktion Jaques Derridas und den Selbsttechniken bei Michel Foucault. Nach textnahen Beschreibungen der einzelnen theoretischen Konzepte werden diese später unter verschiedenen thematischen Perspektiven quer zueinander verhandelt. Dabei arbeitet Pritsch gründlich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen postmodernen Denkern heraus. Im Zusammenhang mit der in der Untersuchung verfolgten These der Textförmigkeit des Subjekts findet auch die Erläuterung der an die hegemonialen Theorien anknüpfenden rhetorischen Strategien, wie die der Metonymie, Metapher und in deren Gefolge die des Dritten Raumes, verbunden mit Vorstellungen des Subjektes als Karte oder Netz in diesem Abschnitt, Platz. Die Suche nach dem eigenständigen Forschungsgehalt Pritschs bleibt hier aber, aufgrund einer fehlenden Darstellung der Analyseergebnisse in Form einer Explikation der rhetorischen Formierung des ‚Subjektes‘ etwa, erfolglos.
Nach diesen Vorarbeiten gelangt Pritsch zu dem eigentlichen Herzstück ihres Projekts: den „verschiedenen ‚Verortungen‘ und Verschiebungen eines weiblichen bzw. vergeschlechtlichten Subjekts“ (S. 167). Als Textgrundlagen dienen hauptsächlich die weitgehend auch über feministische und gender-orientierte Zusammenhänge hinaus bekannten Autorinnen Helene Cixous, Luce Irigaray, Julia Kristeva und Teresa de Lauretis. Mit Bezugnahme auf korrespondierende Texte und anschließende Diskussionen widmet sich Pritsch ausführlich der Lektüre der theoretischen Konzepte und fügt diese in einer Narration der Entwicklung zusammen. Dies begünstigt einerseits das Verständnis der Aufeinander-Bezogenheit der Texte und Konzepte untereinander, verhindert jedoch andererseits die Einsicht in das feministische Forschungsfeld als eines der „[d]issidenten Partizipation“, wie es Sabine Hark bereits 2005 aufzeigen konnte.
Als eine wesentliche Stärke aber auch Schwäche der postmodernen Verfahren legt Pritsch immer wieder das Begehren nach Öffnung der theoretischen Horizonte dar. Zum einen werden über rhetorische Strategien, wie Verschiebung, Verwirrung und Dekonstruktion starre Begriffe und Kontexte umgearbeitet, verändert oder in seltenen Fällen sogar gesprengt. Zum anderen ergibt sich durch das Freiwerden von Bedeutungsspielräumen das ethische Problem der Neubesetzung. Da im politischen Aushandlungskampf vor allem kollektive Subjekte Wirkmächtigkeit erlangen, stellt sich vor dem Hintergrund des feministischen Projekts die Frage, wie ein solches kollektives Subjekt für den Feminismus zu konstruieren wäre.
Dazu nimmt Pritsch als Endpunkt ihres Theoriedurchgangs eine intensive Lektüre der Texte von Judith Butler, Trinh T. Minh-ha und Donna Haraway vor. Das Aufgreifen von Trinh T. Minh-ha überrascht angesichts der Fokussierung Pritschs auf hegemonial wirkmächtige Autor/-innen, stellt aber ein herausragendes Detail der Untersuchung dar. Pritsch wirbt anschließend an ihre Lektüre für die „Repräsentation des Subjekts“ innerhalb eines offenen, „formal ausgerichtet[en] Konzepts des Dritten Raums nach dem Vorbild des postkolonialen Hybrids“ (S. 13). Mit dem Begriff des Hybrids, so hofft sie mit Rita Felski, „können eben jene essentialisierenden Festschreibungen umgangen und die jeweiligen politischen Kontexte miteinbezogen werden“ (S. 360). Die postkolonialistische Strategiefigur des Hybrids entfaltet, zusammengebracht mit der Figur des inappropriated other ein ethisches Potential, das durch Sichtbarmachung der Konstruktion von Unterschieden gekennzeichnet ist und damit Möglichkeiten zur (Rück-)Erlangung von Handlungsfähigkeit im Butlerschen Sinne leisten kann. Aber auch Haraways Strategie der Umarbeitung des Subjekt-Objekt-Dualismus mittels ironischen und verwirrenden Verfahren findet Eingang in Pritschs Darstellung. Sie konzentriert sich vor allem auf die radikalen Lektürestrategien Haraways und arbeitet diese als produktiven Anknüpfungspunkt heraus. Auch wenn Pritsch hier wieder eine recht umfassende Textarbeit leistet, wird ihre Auswahl der thematischen Fokussierungen bei den einzelnen Theoretikerinnen ein weiteres Mal kaum beleuchtet. So wird nicht deutlich, warum beispielsweise Haraways Konzept der companion species oder Butlers Kritik der Verwandtschaft, welche ebenfalls vor dem Hintergrund der Frage nach dem ethischen Potenzial feministischer Interventionen verhandelt werden, von der Darstellung Pritschs ausgeschlossen sind.
Obwohl die hier vorgestellte Arbeit eine gründliche Bearbeitung der Primärliteratur und damit spannende Einsichten in die ausgewählten Texte bietet, fällt das Gesamturteil eher zwiespältig aus. Zu sehr leidet die Untersuchung über weite Strecken an einer argumentativen Orientierungslosigkeit, die Pritsch auch in ihrem knappen Schlusskapitel nicht aufzulösen mag. Zu selten gelingt es der Autorin, abstrahierende Schlüsse aus ihren Textanalysen zu ziehen, die erkennen lassen, mit welchem Zweck dieselben in einer solch ausufernden Weise durchgeführt werden. Die konsequentere Verknüpfung der bisweilen disparaten Textarbeiten mittels stringenter Verfolgung der Forschungsfrage und einer detaillierten Erörterung der Untersuchungsergebnisse hätte das Versprechen des Titels, sich mit der „Rhetorik des Subjekts“ vor dem Hintergrund seiner „textuellen Konstruktion“ auseinanderzusetzen, wohl eher eingelöst. Trotzdem erhalten diejenigen Leserinnen, welche sich wohlwollend durch den rund 500 Seiten starken, teilweise sperrigen Text vorbei an den unzähligen Tippfehlern arbeiten einen recht guten Überblick über die Schlüsselfragen der Literatur- und Kulturwissenschaften und der Gender Studies. Neben der Darlegung postmoderner und feministischer Haupttexte werden auch deutschsprachige Diskursstränge in die Darstellung miteinbezogen und weiterführende Konzepte erwähnt. Der Text von Pritsch zeigt so: Feministisches Denken hat einen wesentlichen Anteil an einer Neubestimmung des Subjekts in den Geistes- und Kulturwissenschaften. Und dies kann angesichts aktueller Debatten um die Legitimität des Feminismus nicht hoch genug bewertet werden.
URN urn:nbn:de:0114-qn102224
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