Weibliches Übersetzen als Chance und Herausforderung

Rezension von Rita Unfer Lukoschik

Brunhilde Wehinger, Hillary Brown (Hg.):

Übersetzungskultur im 18. Jahrhundert.

Übersetzerinnen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz.

Hannover: Wehrhahn Verlag 2008.

206 Seiten, ISBN 978-3-86525-212-8, € 20,00

Abstract: In sehr anregenden Porträts sowohl von heute noch berühmten als auch von völlig vergessenen Übersetzerinnen werden Schlaglichter auf dieses im 18. und 19. Jahrhundert für Frauen oft einzig mögliche literarische Betätigungsfeld geworfen. Für den Zeitraum zwischen 1730 und 1853 – eine nicht mit dem Titel des Buches in Einklang stehende Zeitspanne – wird gezeigt, wie die ausgewählten Autorinnen ihr oft unglaublich intensives Arbeitspensum im Spannungsfeld zwischen Übertragen und eigenem Schreiben, männlich dominierter Kulturpraxis, Anonymität und aufkeimendem Selbstbewusstsein, zwischen ökonomischen Zwängen und einem selbst gewählten bzw. oktroyierten Handeln im Verborgenen erledigten. Die im Buch nicht gestellte, doch durch das Dargebotene ausgelöste Frage geht an die zukünftige Forschung: Sind in der Transfer-Arbeit dieser Fleißigen und in der Regel Verkannten nicht doch auch Spuren einer Alterität zu finden, die sich in die dominante androzentrische Kultur einzuschreiben gewusst hat und Zeugnis von einem geschlechterspezifischen fruchtbaren Kulturtransfer ablegt?

„Je suis bien fâchée de ce que ma situation ne me permettra pas de devenir quelque chose de raisonnable. Il faudra que je me borne à traduire“, schrieb am 4. Februar 1769 die an sich sehr selbstbewusste und rührige Kulturvermittlerin Elisabetta Caminer Turra an den Wissenschaftler Lazzaro Spallanzani, der die hochbegabte junge Frau dazu aufgemuntert hatte, sich durch ein Studium in den Naturwissenschaften hervorzutun. Als Frau bürgerlicher und nicht sehr vermögender Herkunft würde sie sich, das war Elisabetta wohl bewusst, damit bescheiden, sich mit Übersetzungen (und vielleicht mit einigen Gedichten) in die literarische Republik einzubringen. Dies tat sie auch und in großem Stil, und die italienische Literatur verdankt ihr u. a. mehrere Bände mit Übersetzungen europäischer bürgerlicher Dramatik, die noch weit in das 19. Jahrhundert hinein die Spielpläne der Bühnen im ganzen Land mit Stücken versorgten.

Dass Frauen sich nicht mit ‚edlen‘ literarischen Gattungen wie Epos und Tragödie oder gar mit naturwissenschaftlichen Arbeiten, sondern lediglich mit den so genannten Kleingattungen beschäftigten, wurde von der Männerwelt geduldet, denn diese Tätigkeit ließ sich durchaus mit der eingefleischten Überzeugung der damaligen Zeiten von der physiologischen Schwäche des Frauengehirns vereinbaren – eine These, die unter vielen auch der Philosoph und Arzt Pierre Roussel 1775 in seinem (1786 auch ins Deutsche übertragenen) Système physique et moral de la femme vertrat. Im Medium der Übersetzung wurde es demnach Frauen, besonders im lesewütigen 18. Jahrhundert, möglich gemacht, sich aktiv am Kulturprozess zu beteiligen und den eigenen (biographischen und literarischen) Positionen eine eigene Stimme zu geben. Dabei gingen viele ihrer Übertragungen anonym oder unter einem Pseudonym in den Druck, und ihre Vorreden waren gespickt mit selbstreduktiven Äußerungen. Im Unterschied zu ähnlich vorkommenden Merkmalen männlicher Übersetzungspraxis diente solches Verhalten im Falle weiblicher Autorinnen vor allem dem Selbstschutz und war oft eher Ausdruck der eigenen Versagensängste als ein Rekurs auf die in der Männerwelt üblichen Bescheidenheitstopoi. Diese Haltung war Übersetzerinnen in ganz Europa gemeinsam. Dass sie trotz der vielen Minderwertigkeits- und Unfähigkeitsbeteuerungen doch in den Vorreden ihrer Übertragungen die Chance sahen – und konsequent ergriffen –, in nuce die Grundzüge einer eigenen Poetik zu entwerfen und sich über ihre Rolle als schreibende Frauen kritisch und polemisch zu äußern, macht die wissenschaftliche Beschäftigung mit Übersetzungen aus weiblicher Feder zu einem der aufregendsten Forschungsfelder der Kultur- und Literaturgeschichte und -wissenschaft überhaupt.

Spielarten weiblicher Übersetzungspraxis und -theorie in Europa zwischen Aufklärung und Romantik

Umso gespannter erwartet man das von Brunhilde Wehinger und Hillary Brown herausgegebene Buch Übersetzerinnen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz, das 2008 als 12. Band in der Reihe „Aufklärung und Moderne“ im Wehrhahn Verlag erschienen ist.

Ausgesuchte Übersetzerinnen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz werden aufgerufen, um für den Themenkomplex „Übersetzungskultur im 18. Jahrhundert“ Zeugnis abzulegen.

Mit Interesse liest man die aneinandergereihten Porträts und ist den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aufrichtig dankbar für Einblicke in die Werkstatt von mehr oder weniger bekannten Gelehrten wie Helene Unger, die Alexander Nebrig mit stupender Belesenheit und einem beeindruckenden Anmerkungsapparat in die wissenschaftliche Waagschale wirft, und Octavie Belot, die Alison E. Martin unter dem Aspekt der „Selbstpositionierung der weiblichen Übersetzungspraxis“ behandelt (S. 53). Suzan van Dijks Untersuchung geht den lohnenden und ertragreichen Weg, an Isabelle de Charrière aufzuzeigen, wie eine Schriftstellerin in der Rolle als Übersetzerin in fruchtbaren, wenn auch nicht immer konfliktfreien Dialog mit der eigenen Kreativität tritt. Während Sylvie le Moël bei Isabelle de Montolieu der Frage nach den ökonomischen Zwängen der Übersetzertätigkeit nachgeht, präsentiert Marie-Luise Spieckermann die besondere Leistung der Dorothea Margareta Liebeskind, die neben wissenschaftlichen Werken auch Unterhaltungsromane in erstaunlichen Mengen aus dem Englischen übertrug. Auch freut man sich, den zweiten Part des Hendiadyoins in der Übersetzungskultur des frühen deutschen 18. Jahrhunderts, Luise Gottsched, durch die Brille von Hillary Brown genauer zu betrachten; und nicht hoch genug schätzt man die Behandlung der Übersetzungen von Isaac Newtons naturwissenschaftlichen Schriften, einem von übersetzenden Frauen im 18. Jahrhundert weniger bespielten Feld, durch Voltaires und Algarottis Freundin Madame du Châtelets, die Ursula Winter ausführlich und einfühlsam vorstellt.

Die einzelnen Beiträge sind als Fallstudien konzipiert, die sich mit der Rolle weiblicher, weniger bekannter Übersetzungskultur befassen, und sind solide recherchiert. Obgleich untereinander nicht frei von Widersprüchen und in sich nicht immer stimmig, offerieren sie sehr anregende, weiterführende Betrachtungen. Bedauerlicherweise erschwert das Fehlen eines Namensverzeichnisses die notwendige Herstellung von Querbezügen, und der unverständliche Verzicht auf Abstracts in Französisch oder Englisch beschränkt den Wirkungsradius dieser den französisch-englisch-deutschen Kulturtransfer behandelnden Publikation beträchtlich.

Weibliches Übersetzen als geschlechterspezifischer Kulturtransfer?

Bei allen Vorzügen, die hier versammelt sind, kann man jedoch nicht umhin anzumerken, dass man gerne Näheres über die inhaltlichen Gründe erfahren hätte, die die Herausgeberinnen bewogen haben, ausgerechnet die anvisierten Kulturlandschaften innerhalb des europäischen Diskurses zu wählen und die im Titel angekündigte Festlegung des zu untersuchenden Zeitraums auf das 18. Jahrhundert bis weit in das 19. Jahrhundert hinein auszudehnen. Hier scheint in der Tat allein dem geneigten Publikum die Entscheidung überlassen zu werden, ob die Präsenz von Isabelle de Montolieu (1751–1832) und Dorothea Margareta Liebeskind (1765–1853) vielleicht dem Umstand zu verdanken ist, dass die Betrachtung ihres Wirkens in den Fluss der kulturellen Strömungen ihrer Zeit getaucht wurde und die Berücksichtigung ästhetisch-poetologischer Koordinaten den Ausschlag gegeben hat, sich also durch den Umstand erklären lässt, dass ihre Tätigkeit sich aus der Quelle einer verspäteten Aufklärung speist, die sich in ihrer empfindsamen Spielart bekanntlich bis weit in das 19. Jahrhundert lebhaft in ganz Europa prolongierte.

Wirklich verwirrend ist hingegen die Tatsache, dass man neben ‚Galionsfiguren‘ der weiblichen Übersetzungspraxis im 18. Jahrhundert auch die prominente Romantikerin Sophie Friederike Schubart, geschiedene Mereau, verheiratete Brentano findet (durch Britta Hannemann ausgezeichnet portraitiert) und die weniger bekannte Tochter des erfolgreichen romantischen Dichters Ludwig Tieck, die 1799 geborene und 1841 gestorbene Dorothea (von Anne Baillot empathetisch präsentiert). Beide Dames des Lettres waren zwar, wie ihre Vorgängerinnen, der eigentümlichen conditione feminina der Übersetzerinnen teilhaftig, doch gehörten übersetzende Frauen der Romantik einem poetologischen, ästhetischen und anthropologischen Mainstream an, der sich grundsätzlich von der Übersetzungskultur des 18. Jahrhunderts unterschied, in deren Kontext die älteren Kulturvermittlerinnen arbeiteten.

In allen, auch in den zeitlich etwas zu weit hinausragenden Beiträgen, erfährt man durchaus Nutzbringendes über die Art, wie diese gelehrten Damen ihre Arbeit verrichteten – z. B. „eng am Text selbständig, gut und präzise“ oder auch, oft zeitgleich, „bearbeitend […] und transformierend […] wie Sophie Mereau (S. 172 und 176). Willig und gelehrig folgt man auch dem in den einzelnen Beiträgen aufgezeigten Weg, den diese Literatinnen dank ihrer Übersetzungstätigkeit in der Regel gingen, um sich schließlich als Autorinnen, Verlegerinnen, Journalistinnen oder im weiten Sinne des Wortes Kulturschaffende zu bewähren. Es ist jener ‚lange Weg zur Mündigkeit‘, wie ihn Barbara Becker-Cantarino bereits 1987 nannte, auf dem diese Frauen die Anonymität mit der öffentlich bekannten Autorschaft vertauschten und auf dem die Übersetzung sehr oft eine maieutische Rolle bei der Geburt des eigenen Schreibens spielte.

Somit bilden die offerierten Studien zu Übersetzerinnen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz eine bemerkenswerte Leistung voller Anregungen und Stoff für weiterführende Beschäftigungen mit diesem Themenkomplex.

Wünschenswert wäre es, wenn sich daran Untersuchungen anschließen würden, die den spezifisch weiblichen Beitrag zu einem der „aktuellen Paradigmen der Kulturwissenschaft“ (Andreas Gipper, Susanne Klengel (Hg.): Kultur, Übersetzung, Lebenswelten. Beiträge zu aktuellen Paradigmen der Kulturwissenschaften. Würzburg 2008) ausleuchteten. Unter dieser Perspektive könnten die übersetzerischen Leistungen auf den genuin femininen Beitrag zu einem holistischen literarischen Konzept untersucht werden.

Was hier besonders im wachen und hellhörigen Beitrag von Alison E. Martin unter die Lupe genommen wird, könnte somit zu einem einschlägigen Baustein einer anderen Übersetzungsgeschichte werden, die in den Vorworten vieler Übersetzerinnen noch verschüttet liegt. Es ließe sich dann die Leistung der vielen, manchmal noch unbekannten Kulturvermittlerinnen nach dem Anteil an Subversivem in der gewählten Übersetzungsform abklopfen, was – nach der überzeugenden Definition von Susanne Hagemann – „einen dem Haupttext entgegenlaufenden Subtext des Ausgangstextes hervohebt“ und andere Töne zum Erklingen bringt (Susanne Hagemann: Subversives Übersetzen: Tolkiens Frauen, In: Rainer Kohlmayer; Wolfgang Pöckl (Hg.): Literarisches und mediales Übersetzen. Aufätze zu Theorie und Praxis einer gelehrten Kunst. Frankfurt am Main u. a. 2004, S. 57–72, hier S 57).

Denn nach der notwendigen und nicht hoch genug zu schätzenden pietätvollen Rekonstruktion der Leistungen so vieler im Verborgenen Tätigen ist es nunmehr ein dringendes Desiderat der Forschung, sich über das Potenzial an genuin ‚Anderem‘ im geleisteten Übersetzungspensum Klarheit zu verschaffen. Ob, wird man sich dann fragen, die Lebenswelten von Frauen im 18. Jahrhundert im Medium ihrer Adaptationen, Translationen und weiteren Transformationen nicht doch der dominanten androzentrischen Kultur eine kräftige Subdominante beizumischen gewusst haben, die Zeugnis auch eines fruchtbaren geschlechterspezifischen Kulturtransfers ablegt. Ob vielleicht bewusste (oder unbewusste) Entscheidungen weiblicher Übersetzender doch noch als translatorische Konsequenz eine Aufweichung, eine ‚Debrutalisierung‘ von männlich dominierter Sprache und Stil mit sich gebracht haben – wie sie Renate Kroll im Hinblick auf das Wirken der poésie précieuse bereits 1996 beobachtet hatte –, die sich dann in die allgemeine Literaturproduktion dauerhaft und unverkennbar einschrieb.

Durch diese Betrachtungsweise würde sich der wissenschaftliche Blick für eine Sicht auf jene von Frauen im 18. Jahrhundert geleistete wahrhaft revolutionäre Übersetzungsform öffnen und sich einer androzentrischen Betrachtung der Übersetzungskultur entledigen, wie sie in der heutigen Wissenschaft immer noch stark vertreten ist.

URN urn:nbn:de:0114-qn102232

Prof. Dr. Rita Unfer Lukoschik

Humboldt-Universität zu Berlin

Romanistische Literatur- und Kulturwissenschaft/Gender Studies

E-Mail: rita.unfer-lukoschik@romanistik.hu-berlin.de

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