Zukunftsvisionen

Rezension von Nadja Sennewald

Karola Maltry, Barbara Holland-Cunz, Nina Köllhofer, Rolf Löchel, Susanne Maurer (Hg.):

GenderZukunft.

Zur Transformation feministischer Visionen in der Science Fiction.

Königstein im Taunus: Ulrike Helmer Verlag 2008.

238 Seiten, ISBN 978-3-89741-234-7, € 19,90

Abstract: Der Sammelband leistet eine Bestandsaufnahme feministischer Science-Fiction-Literatur der letzten zwei Jahrzehnte. Die besondere Aufmerksamkeit liegt auf Romanen, die neue Geschlechterkonstruktionen und veränderte Geschlechterverhältnisse zum Thema haben. Die Analysen bereichern den deutschsprachigen Diskurs, versäumen es aber zum Teil, sich auf den angelsächsischen Stand der Forschung zu beziehen. Hervorzuheben sind eine sehr detaillierte Zusammenfassung zum Stand der Diskussion über feministische Science Fiction von Nina Köllhofer, ein origineller Beitrag von Dagmar Fink zu queeren Femmes im Allgemeinen und in der Science Fiction im Speziellen sowie Ausführungen von Jutta Weber zum ‚emotional turn‘ in der Technoscience der Robotik.

Der vorliegende Band ist die bereits zweite Publikation des Arbeitskreises Zukunft im Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung der Philipps-Universität Marburg. Die Mitglieder haben verschiedene geistes- oder sozialwissenschaftliche Hintergründe, gemeinsam ist ihnen ein Interessens- und Forschungsschwerpunkt in den Gender Studies und in Feministischer Theorie. Die Textsammlung will eine Bestandsaufnahme feministischer Science-Fiction-Literatur der letzten zwei Jahrzehnte leisten. Besonders sollen neue Geschlechterkonstruktionen und veränderte Geschlechterverhältnisse herausgearbeitet werden, verbunden mit der Fragestellung, inwiefern diese inspirierend auf feministische Theorie und Praxis wirken können oder sogar neue (utopische) Zukunftswege andeuten. Science Fiction, so die grundlegende Annahme, arbeitet mit kognitiver Verfremdung, die im besten Falle der Erkenntnis dient. Die jeweilige gesellschaftliche Realität wird narrativ durch eine Verschiebung von Raum und Zeit so transformiert, dass die in unserer Kultur verankerten normativen (Geschlechter-)Vorstellungen sichtbar gemacht, überschritten und im erweitert werden können (vgl. S. 26 f.).

Bilder des Anderen

Als Kennerin der Materie erweist sich Nina Köllhofer, die im ersten Beitrag einen breiten Überblick über „Bilder des Anderen gibt. Die Autorin führt in die feministische Science-Fiction-Literatur ein, fasst den Stand der Forschung zusammen und zeigt die wechselseitige Beeinflussung von feministischer Theorie und Science Fiction auf. Sie geht dabei insbesondere auf die Figuren des „Aliens“ und des/der „Cyborg“ ein, die sie versteht als zentrale „Projektionsflächen im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung mit Herrschaft und Dominanz in sexuellen, technologischen, kulturellen und politischen Beziehungen“ (S. 38). Köllhofer bewegt sich souverän und kundig von den Anfängen der Science-Fiction-Theorie (z. B. Darko Suvin 1979, Sarah Lefanu 1988) über A Cyborg Manifesto (Donna Haraway 1985) bis hin zu neueren Diskursen (z. B. John Clute, Randi Gunzenhäuser).

Bekanntes und Neues

Auf diesen sehr dichten Einstieg ins Thema folgen die Analysen ausgewählter Science-Fiction-Werke: der Xenogenesis-Trilogie (Octavia Butler 1987, 1988, 1989), Halfway Human (Carolyn Ives Gilman 1998), Oryx und Crake (Margaret Atwood 2003), Maul (Tricia Sullivan 2003), Norma Desmond (Marlene Streeruwitz 2002) und Trouble and Her Friends (Melissa Scott 1994). Unter den Beitragenden befinden sich deutlich merkbar sowohl Expert/-innen feministischer Science Fiction als auch begeisterte Neulinge, was sich in einigen Fällen auf die Originalität der Texte auswirkt. Tatsächlich wiederholen viele der Analysen, was aus dem angelsächsischen Stand der feministischen Science-Fiction-Forschung bekannt ist. Erwähnt sei an dieser Stelle die seit 1973 existierende US-amerikanische Zeitschrift Science Fiction Studies, auf deren Analysefundus keine/r der Autor/-innen zurückgreift. Sollte die Intention des Arbeitskreis Zukunft jedoch gewesen sein, den deutschsprachigen Horizont um Schlüsselwerke feministischer Science Fiction zu bereichern, die leider immer noch nicht ins Deutsche übersetzt wurden, so ist dies gelungen (zu nennen wären hier Halfway Human, Trouble and Her Friends, Maul).

Die Analysen sind nichtsdestotrotz interessant, haken jedoch oft nur die ersten zwei Zielsetzungen des Bandes ab: Beispiele neuer Geschlechterkonstruktionen und veränderter Geschlechterverhältnisse werden aufgezeigt. Nicht eingegangen wird meist auf das visionäre Moment, das weiterführend in den feministischen Diskurs eingespeist werden könnte. Diese Zurückhaltung wird den Primärtexten nicht gerecht, die ja in der Tat zum Teil bahnbrechende neue Geschlechterkonzepte entwickeln, z. B. das der Oankali in Xenogenesis. In dieser neuen menschlich/alienesken Spezies gibt es nicht weniger als fünf Geschlechter, die sich für soziale, emotionale und reproduktive Zwecke zusammenschließen.

Femmes: visionäre Weiblichkeiten

Zwei Beiträge, die sich tatsächlich in unerforschte Gefilde des unendlichen Raums der Theorie begeben, stammen von Dagmar Fink und Jutta Weber. Fink verknüpft theoretische Überlegungen zu „Femmes“ mit einer Analyse von Melissa Scotts queer-feministischem Cyberpunk-Roman Trouble and Her Friends (1994). Femme-Sein wird dabei verstanden als kritische Aneignung von (weiblicher) ‚Weiblichkeit‘ und als dezidiert queeres Geschlecht. Zeichen (hetero-)normativer Weiblichkeit werden umgearbeitet, ‚Weiblichkeit‘ resignifiziert. Als Beispiel dient Cerise, die Hauptfigur in Scotts Roman. Cerise, versierte Hackerin und Diva, versteht es, sich mit Femininitäts-Attributen in Szene zu setzen (z. B. schrillen Farben oder offensiv sexualisierter Körpersprache). Ihr Handeln wird als Inszenierung kenntlich, sie ist die „Regisseurin der Zeichen“, sie „dirigiert die Effekte, die sie bei ihrem Gegenüber zu erzielen gedenkt“, (S. 181) auf eine kontrollierte und selbst-ermächtigende Art und Weise. Gelobt sei Finks gute wissenschaftliche Praxis, in einer Fußnote einen kleinen Überblick an Sekundärliteratur zum Thema „Femme“ zu nennen, was in so neuen Forschungsfeldern unbedingt zur Nachahmung empfohlen sei!

Cyborgs: reaktionäre Weiblichkeiten

Einem ganz anderen Thema wendet sich Jutta Weber zu: Sie stellt einen „emotional turn“ (S. 194) in der real existierenden Robotik fest: Lag bis vor Kurzem der Fokus auf der Entwicklung effektiver, funktionaler Maschinen, hat sich inzwischen ein Forschungszweig auf Dienstleistungsroboter spezialisiert. Diese, so die Vision, sollen als Assistent/-in, therapeutische Hilfe, Sekretär/-in oder Sexspielzeug nutzbar sein, als ‚soziale Roboter‘ für den alltäglichen Gebrauch. Dementsprechend humanoid werden sie gestaltet. Die Fähigkeit zu Sozialität und Emotionalität soll von diesen Androiden nicht nur nachgeahmt, sondern in ihre Algorithmen eingeschrieben werden. Ein Roboter wird nicht mehr als künstliches Gerät betrachtet, sondern als künstliche Kreatur. Diese Kreaturen werden jedoch massiv geschlechter-stereotypisiert, wie Weber am Beispiel des geplanten kommerziellen Robotik-Projekts Valerie, a domestic android aufzeigt. Dieser Roboter ist von weiblicher Gestalt, weil laut Ansicht des Entwicklers eine Frau weniger bedrohlich erscheine als ein ausgewachsener Mann (vgl. S. 197). Valerie ist aber nicht etwa eine Matrone mit Kittelschürze, sondern eine dunkelhaarige Schönheit in tiefrotem Kleid, eine femme fatale, die eher die Phantasie einer immer verfügbaren Liebesdienerin bedient als die einer Haushaltshilfe. Einziges Manko des Textes: Hier wären kurze Fußnoten nützlich gewesen, damit Leser/-innen, die mit dem Genre der Science Fiction nicht so vertraut sind, die zahlreich genannten Filmtitel besser kontextualisieren können.

Die Erkenntniskraft des Trivialen

Der Band verschafft einen Überblick über aktuellere feministische Science-Fiction-Literatur, fasst den Stand der Forschung zusammen und leistet einige neue Beiträge zur Diskussion. Durch die Gedankenexperimente in der Science Fiction wirkt die „Erkenntniskraft des Trivialen“ (Andrea Geier, S. 159), denn ein Experiment ist immer eine Untersuchungsanordnung (und sei sie noch so fiktional), aus der neue Erkenntnisse gewonnen werden. Zu pessimistisch ist da das Fazit von Karola Maltry: „Es fehlt […] sowohl an konkreten Visionen, wie eine geschlechtergerechte Gesellschaft aussehen könnte, als auch an strategischen Konzepten, die Anlass zur berechtigten Hoffnung geben könnten, dieses Ziel in absehbarer Zeit zu erreichen.“ (S. 13) Zeigen doch gerade die vielfältigen Beiträge, dass eine Chance darin liegt, Geschlecht nicht als ‚zwei‘ zu denken, Binaritäten aufzulösen und Zuschreibungen ad absurdum zu führen. Cerise, die Cyborg und die Oankali lassen grüßen.

URN urn:nbn:de:0114-qn102245

Dr. Nadja Sennewald

Promovierte Kulturwissenschaftlerin und freie Autorin in Berlin

E-Mail: sennewald@runrabbitrun.tv

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