Barbara Zibell (Hg.):
Gender Building.
Sozialräumliche Qualitäten im öffentlichen Hochbau.
Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang Verlag 2009
217 Seiten, ISBN 978-3-631-56376-2, € 36,80
Abstract: Nachdem die Mitgliedstaaten der Europäischen Union begonnen hatten, die Vorgaben des Amsterdamer Vertrags von 1999 zur Förderung der Gleichstellung von Mann und Frau durch Gender Mainstreaming umzusetzen, sahen sich auch die öffentlichen Bauverwaltungen veranlasst, ihre Planungs- und Bauprojekte diesem Verfahren zu unterziehen. Beispiele verschiedener Sektoralbereiche des öffentlichen Hochbaus in vier europäischen Ländern werden in diesem Sammelband dokumentiert und die Verfahren des Gender Mainstreaming in der Praxis von Architektur und Städtebau vorgestellt. Ergebnis sind Kriterienkataloge und Anregungen für weitere Vorhaben. Der Band bietet einen erhellenden Einblick in das bisherige Prozedere dieser Top-down-Strategie bei Bauten der Öffentlichkeit.
Als vor gut dreißig Jahren die Frauenforschung Einzug in die räumlichen Disziplinen Architektur, Städtebau, Stadtentwicklung und Raumplanung hielt, widmete sie sich vorwiegend Fragen der Stadtstruktur und Wohnungsversorgung. Seither hat sich diese Forschung nicht nur diversifiziert und vielen Sektoralbereichen gewidmet, sie ist außerdem auf der theoretischen Ebene durch Gender Studies und auf der praktischen durch Gender Mainstreaming inspiriert und geprägt.
Nun liegt ein Buch vor, das sich Projekten des öffentlichen Hochbaus widmet. Die Herausgeberin Barbara Zibell, Stadt- und Regionalplanerin sowie Professorin für Architektursoziologie und Frauenforschung an der Universität Hannover, formuliert einleitend Absicht und theoretischen Ansatz dieser Aufsatzsammlung: Ausgehend von gender als sozialem Geschlecht erfordern Prozesse der Planung und Nutzung von Arbeits- und Dienstleistungsstätten ebenso wie das Wohnen geschlechtsdifferente Qualitätsstandards, die in diesem Sammelband präsentiert werden sollen.
Sieben Projekte in verschiedenen Städten in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Liechtenstein, bei denen Gender Mainstreaming während der Planungs- und zum Teil Bauphase angewandt wurde, werden anschließend dokumentiert. Das Spektrum der Funktionen dieser Hochbauprojekte ist breit: Es reicht von Gebäuden für die öffentliche Verwaltung über Bildungsstätten (Fachhochschule, Studienstiftung), ein Krankenhaus, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit bis zu einem Busbahnhof mit Tiefgarage. Die Projekte datieren in die Zeit zwischen 2001 und 2008. Zwei Autoren und sieben Autorinnen, bis auf drei alle Architekt/-innen oder Raumplaner/-innen, beschreiben, wann und wie es zum Auftrag kam, diese Projekte unter Genderaspekten zu überprüfen, sie benennen die Beteiligten und stellen die Herangehensweise und die Ergebnisse dar.
Den Hauptteil aller Berichte bilden Kriterienkataloge, die erstmalig für diese Funktionen erarbeitet und der Überprüfung zugrunde gelegt wurden. Da weder Vorlagen noch empirische Erhebungen beim jeweiligen Personal, bei Patient/-innen, Student/-innen oder Fahrgästen sowie bei Besucher/-innen existierten, leiteten die Genderexpert/-innen die Kriterien von „frauengerechten Erfordernissen“ für den Wohnungs- und Städtebau ab, die in den 1990er Jahren entwickelt wurden. Zumeist ging es um die Erreichbarkeit des Gebäudes und seine Umgebung, um Sicherheit, Orientierung und Erschließung, „Bedarfsgerechtigkeit“ und Ausstattung mit Pausen- und Hygieneräumen sowie Kommunikationsbereichen und eventueller Kinderbetreuung. Manche fügten den Kriterien Kategorien wie „Wohlbefinden“ oder „Unversehrtheit“ hinzu – was auch immer darunter zu verstehen ist. Oft verliert sich die Einsicht, was an solchen – als „soziale Bedürfnisse“ bezeichneten – Kategorien und Kriterien geschlechtsspezifisch ist.
Als konkrete baulich-räumliche Verbesserungsvorschläge für die mittels dieser Kategorien überprüften Planungen wurden – je nach Funktion des Gebäudes und aufgelisteten Bedürfnissen – flexible Nutzungsmöglichkeiten, Zwischen- und Begegnungsräume, transparente Treppenhäuser, videoüberwachte Lifte, gute Beleuchtungen von Korridoren und Tiefgaragen, leicht zugängliche Behindertentoiletten und Wickelräume sowie breite Bürgersteige und Sitzbänke vorgeschlagen. Auch hierbei fragt man sich oft nach der Geschlechtsspezifik. So enden denn auch etliche Beiträge mit dem Lob der Auftraggeber, dass die Kriterien des Gender Mainstreaming zu besseren Planungsresultaten und zu menschenwürdigerem Bauen führten, von dem Frauen und Männer gleichermaßen profitieren könnten.
Andere aber beenden ihre Berichte mit einer kritischen Bewertung der viel zu späten Einbeziehung von Genderexpert/-innen, der mangelnden Partizipation der Nutzer/-innen der verschiedenen Einrichtungen und der fehlenden empirischen Voruntersuchungen. Kritisiert wird auch, dass konkrete Anregungen wie gleiche Bürogrößen zum Abbau von Personalhierarchien oder Räume für Kinderbetreuung nicht umgesetzt wurden. Auch der Vorschlag der Auftragsvergabe an Baubetriebe mit hohem Frauenanteil oder Frauenförderrichtlinien scheiterte an den Finanziers des Projekts und an vorgeschobenen Richtlinien.
Barbara Zibell, die selbst an vier Projekten beteiligt war, nennt in ihrer Schlussbetrachtung drei Erfolge des bisherigen Gender Mainstreaming in Planungs- und Bauprozessen öffentlicher Bauten: 1. bauliche Verbesserungen an dem einen oder anderen Gebäude (Leitsysteme, Farbgebungen, Beleuchtungen oder die optimale Zuordnung von Frauen- und Behindertenparkplätzen zu den Treppenhäusern), 2. das Erstellen von Kriterienkatalogen und Checklisten für öffentliche Hochbauten, die zum Teil über Internet abrufbar sind, 3. die Sensibilisierung von Auftraggebern und Bauherren für Genderfragen und die daraus resultierenden Lernprozesse.
Das ist sicher das Wichtigste an dieser Top-down-Strategie, wenngleich in den Berichten deutlich wird, dass die Amtsleiter und „Führungskräfte“ gerne ihre Stellvertreter mit der Teilnahme an den Sitzungen des Gender Mainstreaming beauftragen, dass das untergebene Personal gegen Anweisungen von oben nörgelt und bei zusätzlicher Arbeitsbelastung bockt, dass die Architekten Mehraufwand bei der Planung, der nicht im Leistungskatalog der Honorarordnung vorkommt, ablehnen und dass alle zusammen die Anliegen ins Lächerliche kehren und die Verbesserungsvorschläge als „peanuts“ bezeichnen. Womit sie nicht ganz unrecht haben.
Das aber hat seinen Grund darin, dass nicht nur die empirische Grundlage fehlt, sondern auch bei fast allen Projekten die theoretische Ableitung der Genderkriterien. Theoretische Ableitungen und Begründungen aber wurden, wie in mehreren Berichten deutlich wird, von den Teilnehmern dezidiert abgelehnt. Eine ausschließlich pragmatische, auf das Objekt bezogene Vorgehensweise, deren Ende absehbar sein sollte, wurde gewünscht. So strebten in einem Fall die beteiligten Baumeister und Ingenieure einen Kriterienkatalog analog der „Richtlinien für behindertengerechtes Bauen“ an, in einem anderen Fall schlug der Architekt eine Ergänzung der Zielvereinbarungen über „Nachhaltiges Bauen im Bereich der Gesellschaft“ durch die Genderkriterien vor.
Die Erkenntnis der in solcher Praxis steckenden Beliebigkeit führt Henning von Bargen und Gabriele Schambach zur Schlussfolgerung, dass „die Entwicklung von Gender Kriterien vor der (bisher) ungelösten Aufgabe [steht], Geschlechterstereotype auflösen zu wollen, ohne geschlechterpolitische Zielsetzungen beliebig zu machen, und andererseits Ungleichheiten zu beseitigen, ohne die Stigmatisierung und Ausgrenzung zu (re)produzieren.“ (S. 99)
Die Kritik an der Theoriefeindlichkeit und fehlenden Begründung der Genderkriterien kann sich aber nicht nur an die Leiter der Institutionen, Investoren und Bauherren richten. Auch die Berichte über die Projekte entbehren weitgehend einer reflektorischen Einbindung in die historischen, philosophischen, soziologischen und politologischen oder planungswissenschaftlichen Ergebnisse zu Genderfragen. Eine Übertragung von Genderkriterien aus dem Wohnungs- oder Städtebau auf Bildungseinrichtungen, Verwaltungsgebäude, Busbahnhöfe oder Krankenhäuser ist in Anbetracht der höchst unterschiedlichen Funktionen und Zwecke der Bauvorhaben ein fragwürdiges Unterfangen und wirft die Frage nach der wissenschaftlichen Fundierung auf. So kann man den Band als praxisorientiertes Handbuch sehen für Genderexpertisen weiterer öffentlicher Hochbauten, die ja, wie zu lesen war, wenig Zeit und Geld kosten sollen.
Insgesamt bietet dieses Buch einen guten Einblick in das, was unter Gender Mainstreaming im Planungs- und Bauprozess verstanden und wie es gehandhabt wird, und es bietet einen umfangreichen Überblick über baulich-räumliche und organisatorische Vorschläge zum öffentlichen Hochbau, die in ihrer sozialen Sensibilität eine höhere Nutzungsqualität für alle bewirken können.
URN urn:nbn:de:0114-qn103069
Prof. Dr.-Ing. Kerstin Dörhöfer
Professorin für Architektur und Urbanistik an der Universität der Künste Berlin (1986-2008)
E-Mail: k.doerhoefer@t-online.de
Dieser Text steht unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz. Hinweise zur Nutzung dieses Textes finden Sie unter http://www.querelles-net.de/index.php/qn/pages/view/creativecommons.