Wege der Wissensproduktion in feministischen Geographien

Rezension von Katharina Fleischmann

Pamela Moss, Karen Falconer Al-Hindi (Hg.):

Feminisms in Geography.

Rethinking Space, Place, and Knowledges.

Lanham u.a.: Rowman & Littlefield Publishers 2008.

270 Seiten, ISBN 978-0-7425-3829-0, € 24,99

Abstract: Im Mittelpunkt des Sammelbandes steht die Produktion und Formation feministisch-geographischen Wissens im internationalen Kontext. Um dies nachzuzeichnen, versammeln die Herausgeberinnen einerseits Nachdrucke ausgewählter Artikel und andererseits aktuelle Beiträge internationaler Wissenschaftlerinnen, die die theoretische und inhaltliche Bandbreite feministischer Geographien erkennen lassen. Thematisiert werden dabei feministische Interventionen in der Geographie, hegemoniale Strukturen innerhalb feministischer Geographien und feministisch-geographische Praxis.

Feministische Geographien sind ein vielstimmiges, weit verzweigtes, äußerst disperses und z. T. auch widersprüchliches Projekt, das im internationalen Vergleich sehr unterschiedlich beschaffen ist. Spiegelt sich dies im deutschsprachigen Raum im Bezeichnungswirrwarr wie Frauen-, Geschlechter- oder feministische Forschung in der Geographie wider, scheint es im englischsprachigen Raum (gender studies oder feminist geographies) ‚einfacher‘ zu sein. Dieser Schein trügt jedoch, denn auch hier ist die Forschungslandschaft eine höchst unterschiedliche, nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Disziplingeschichten und -kulturen. Dem ‚Problem‘ dieser Vielfalt haben sich all jene zu stellen, die den Versuch unternehmen, feministische Geographien in (linearer) Buchform darzustellen. Pamela Moss (Kanada) und Karen Falconer Al-Hindi (USA) haben diese Herausforderung angenommen und mit Feminisms in Geography. Rethinking Space, Place, and Knowledges einen Sammelband herausgebracht, der dieser Vielfalt gerecht zu werden sucht. Unterstützen ließen sich die beiden Herausgeberinnen dabei von einem international besetzten Beirat bestehend aus 36 feministischen Geographinnen, der folgendes vermeiden soll: „designating a set of previously published works as „must-reads“ and implicitly legitimating ourselves as authorities on feminist geographical knowledges“ (S. 8 f.). Dementsprechend stellen die Herausgeberinnen ihren Sammelband als „Anti-Anthology“ vor: „And, our goal became the production of an anthology that, through its presentation, actually challenged the very purpose of an anthology“ (S. 8).

Von der Idee zur Umsetzung

Was zeichnet nun diese besondere Form der Präsentation aus? Die Struktur des Bandes bewegt sich im Rahmen des Üblichen: Eine Einführung und ein abschließender Artikel der Herausgeberinnen umrahmen drei Kapitel zu den Themen „Women, Geography, and Feminist Interventions“, „Against Hegemony within Feminist Geography“ und „Spaces for Feminist Praxis“, denen jeweils wiederum kurze Einführungen vorangestellt sind. Die einzelnen Kapitel versammeln diverse Artikel internationaler Autorinnen, teilweise Nachdrucke von Artikeln, aktuell kommentiert von ihren Autorinnen. Aus dem Rahmen des Üblichen fällt jedoch zweierlei: zum einen mehrere alternative Gliederungen des Buches, zum anderen zwei Artikel in Deutsch bzw. Hindustani in dem sonst englischsprachigen Band. Letztere, dem Kapitel „Against Hegemony within Feminist Geography“ zugeordnet, verstehen Pamela Moss und Karen Falconer Al-Hindi als mikropolitischen Akt, die Dominanz der englischen Sprache in feministischen Geographien zu unterminieren: „An English-speaking student who has never come across an article written in a language other than English is moved to think again about the role of language in the production of knowledge“ (S. 17). Auch den Autorinnen ist bewusst, dass es sich bei dieser sprachpolitischen Entscheidung um kaum mehr als eine Geste handelt. So scheint der Band – allen internationalisierenden Praktiken zum Trotz – in erster Linie für die englischsprachige und erst in zweiter Linie für eine internationale Szene gedacht zu sein.

Dem ursprünglichen Inhaltsverzeichnis sind zwei Alternativen angefügt, welche die einzelnen Beiträge in andere inhaltliche Zusammenhänge setzen: Während eine Variante in drei Kapiteln das Selbst, feministische Geographien sowie Macht und Wissen jeweils „as Subject“ in den Mittelpunkt setzt, fokussiert die andere Variante „Feminist Becomings“ von Geograph/-innen und „Becomings within Feminist Geographies“ in je einem Kapitel und fasst in einem dritten alle Artikel-Nachdrucke zusammen. Die Herausgeberinnen ergänzen: „We invite you to read the book according to your interest, engage at your will, perhaps all one go, maybe in bits and pieces“ (S. 19).

Diese Empfehlung ist ernst zu nehmen, vor allem von jenen Leser/-innen, die über diesen Sammelband in Erstkontakt zu feministischen Geographien treten. Denn der Schwerpunkt der Herausgeberinnen liegt – anders als der Titel des Bandes nahelegt – in der Auseinandersetzung mit der Produktion und Formation von Wissen in feministischen Geographien. Dieser rote Faden zieht sich durch sämtliche einführenden und abschließenden Texte der Herausgeberinnen. Die derart angetragene Lesart des Bandes rückt – die Absichtserklärung, Dominanzen hinterfragen zu wollen, karikierend – bisweilen derart in den Vordergrund, dass es schwerfällt, die Metaebene der Wissensproduktion zu verlassen und sich auf die Inhalte der jeweiligen Artikel einzulassen. So wird der rote Faden, der eigentlich nur den inhaltlichen Strang der einzelnen Beiträge zusammenbinden soll, eher zur Stolperfalle denn zum Halteseil. Insofern wäre es sinnvoll gewesen, den Schwerpunkt des Bandes schon in seiner Betitelung offensichtlich(er) zu machen: Zwar handelt der Band (implizit) selbstredend auch von ‚Space‘ und ‚Place‘, im Vordergrund aber steht, auf welche Weise(n) Wissen in feministischen Geographien erzeugt wird -– für eine erste Beschäftigung mit feministischen Geographien für ‚Anfänger/-innen‘ nur sehr bedingt, für ‚Fortgeschrittene‘ jedoch gut geeignet.

Von Interventionen, Hegemonien und der Praxis feministischer Geographien

Jenseits dieser Kritik stellt der Band mit seinen 20 inhaltlichen Essays (davon sechs Nachdrucke) jedoch einen fundierten und inspirierenden Beitrag zur Produktion feministisch-geographischen Wissens dar. Im Fokus des Kapitels „Women, Geography, and Feminist Interventions“ stehen „women (as practioners as well as subjects of research) and feminisms (in forms of calls to be feminist in geography) within geography via English-language publications“ (S. 15). Hier geht das Konzept von Nachdruck und aktueller Kommentierung durch die Autorinnen gut auf: Neben dem Artikel von Janice Monk und Susan Hanson aus dem Jahr 1982, der als einer der ersten im US-amerikanischen Kontext den „sexist bias“ der Humangeographie offenlegt und einem breiten geographischen Publikum zu vermitteln sucht, geht es Geraldine Pratt in ihrem Artikel von 1993 darum, aufzuzeigen, dass und auf welche Weise poststrukturalistische Ansätze einen konstruktiven Gegenpart zu feministischen Theorien darstellen können. Machen allein schon die unterschiedlichen Konzepte von Geschlecht und Identität in diesen beiden Artikeln eine rasante Entwicklung deutlich, so geben die Kommentare ihrer Autorinnen zu Entstehungszusammenhängen, zu Reaktionen und Missverständnissen der Aufsätze einen vertieften Einblick in die Entwicklung feministischer Geographien von damals bis heute. Auch Joos Droogleever Fortuijn stellt im Blick zurück die universitären Wirklichkeiten und (Un-)Möglichkeiten feministischer Geographien in den Niederlanden dar und thematisiert dabei das Dilemma zahlreicher feministischer Geographinnen, sich zwischen „margin and mainstream“ zu befinden. Eine sehr persönliche Erzählung zum Werden einer feministischen Geographin ist jene von Amy Trauger, für die sich – im kursorischen Rückblick auf ihren bisherigen Lebensweg – in ihrer Tätigkeit als feministische Geographin und politische Aktivistin in der Weiterbildung von Farmerinnen im ländlichen Raum der USA ein Kreis schließt.

Den Schwerpunkt des Kapitels „Against Hegemony within Feminist Geography“ umreißen die Herausgeberinnen so: „examples of work that contest the production of feminist geographical knowledge. Each focuses on a different mechanism of dominance […] to make specific arguments about how orthodoxy emerges and solidifies into a dominant positioning“ (S.16). Eine derartige Deutung der einzelnen Beiträge ist jedoch nur bedingt nachvollziehbar und trifft für den (deutschsprachigen) Nachdruck von Anne-Françoise Gilberts Aufsatz zum institutionellen und inhaltlichen Stand deutschsprachiger feministischer Geographien von 1993 sowie dessen ‚Aktualisierung‘ durch Sybille Bauriedl kaum zu. Inwiefern der Artikel der Sangtin Writers in Hindustani derartige Dominanzmechanismen in den Blick nimmt, lässt sich aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse der Rezensentin nicht benennen. Der (vermutlich) als eine Art Kommentierung gedachte Artikel von Richa Nagar, die sich mit der wirkungsmächtigen Rolle von Sprache und Übersetzung im Rahmen von Wissensproduktionen in akademischen und lebensalltäglichen Kontexten auseinandersetzt, legt dies jedoch nahe. Eine andere Form der Dominanz thematisiert Kath Browne, die den Blick auf heteronormative Praktiken der Wissensproduktionen in feministischen Geographien lenkt und zu kritischer Reflexion von Machtstrukturen auch innerhalb feministischer Geographien aufruft.

Im dritten und umfangreichsten Kapitel „Spaces for Feminist Praxis“ soll die Bandbreite der Praxis feministischer Geographien aufgezeigt werden. Den Anfang machen hier zwei ‚Gespanne‘ aus Nachdruck und Kommentar: Im Jahr 2000 zeigen Audrey Kobayashi und Linda Peake am Beispiel des Amoklaufes an der Columbine High School die Funktionsweisen von Rassismus auf und weisen (auch) in ihrer Kommentierung auf die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit „Geographies of Whiteness“ und „racialised landscapes“ im Kontext feministischer Geographien hin. Kim England und Bernadette Stiell legen in ihrem Essay von 1997 die vielschichtigen Konstruktionsweisen von Fremd- und Selbstbildern von Hausangestellten mit Migrationshintergrund in Toronto offen und vertiefen in der Kommentierung den Aspekt von „localness“ als einem Teil feministisch-geographischer Praxis. In ihren Einsichten in die griechische Wissenschaftslandschaft thematisiert Dina Vaiou Akademia als einen Ort für Feminismus und arbeitet deren (Un-)Möglichkeiten für feministische Geographien. Dies wird kontrastiert durch den Artikel von Ann M. Oberhauser, die die Potentiale feministischer Pädagogik für die Geographie reflektiert. Dass und auf welche Weise eine reflektierte Theoriebildung feministisch-geographische Praxis sein kann, stellen Pravati Raghuram und Clare Madge in ihrem Beitrag dar. Sie verweisen darauf, dass ein derartiges Theoretisieren dazu beitragen kann, „dualities and hierarchies of knowledge formation“ (S. 226) zu destabilisieren. Wiederum institutionelle Aspekte feministisch-geographischer Praxis beleuchtet Ellen R. Hansen, indem sie ihren Versuch, verschiedene Frauengruppen und -gremien einer staatlichen Universität in den USA zu konstruktiver Zusammenarbeit zu bringen, beschreibt. Den Abschluß des Kapitels bildet schließlich der Artikel von Melissa R. Gilbert und Michele Masucci, die (ihre) Ko-Autorinnenschaft als eine Strategie, den üblichen universitären (Macht-)Strukturen auf eine in mehrerer Hinsicht profitable Weise zu begegnen, vorstellen.

Von den Potentialen feministischer Geographien

Das Verdienst dieses Sammelbandes ist es, die inhaltliche und methodische Bandbreite feministischer Geographien auf anregende Weise offensichtlich werden zu lassen. Für deutschsprachige feministische Geographien, die sich u. a. durch eine Gleichzeitigkeit sehr unterschiedlicher Konzeptionen von Geschlecht und entsprechender Forschung auszeichnen, werden hier zahlreiche anschlussfähige Ideen für feministische Forschung und Diskussionen in der Geographie formuliert. So gesehen erreicht der Band sein Ziel in vollem Umfang: „to provide examples of possibilities, ones that open up thinking so as to bring about more inquiry, creating spaces for generative thinking and creative practices“ (S. 19).

URN urn:nbn:de:0114-qn103022

Dr. Katharina Fleischmann

Brandenburgische Technische Universität Cottbus

akademische Mitarbeiterin, Lehrstuhl Theorie der Architektur, Fakultät Architektur, Bauingenieurwesen und Stadtplanung

Homepage: http://www.tu-cottbus.de/BTU/Fak2/TheoArch/Lehrstuhl/deu/fleischmann.html

E-Mail: fleischmann@tu-cottbus.de

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