Bente Knoll, Elke Szalai:
Frauenwege – Männerwege.
Entwicklung von gendersensiblen Mobilitätserhebungen.
Wien: Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie 2008.
223 Seiten, ISBN 978-3-902428-51-6, € 20,00
Abstract: Der vorliegende Band ist typisch für Ressortforschung, bei der ein gesellschaftliches Interesse mit dem Handlungshorizont eines Ministeriums verknüpft wird. Über solch eine externe Beschränkung hinaus weist die Studie leider auch zahlreiche interne Einschränkungen infolge handwerklich schlecht eingesetzter Methoden oder unzureichender konzeptioneller Bezogenheit der verschiedenen Forschungsschritte auf. So überzeugt weder die transdisziplinäre Verknüpfung von Wissenschaft, Planung und Politik im Rahmenkonzept noch das interdisziplinäre Zusammenwirken der unterschiedlichen (Unter-) Auftragnehmerinnen für den eigentlichen Forschungszweck – die Entwicklung und Prüfung eines gendersensiblen Mobilitätsfragebogens – und auch die Präsentation der Studie erfüllt nicht die Mindeststandards.
Bei den „Forschungsarbeiten aus dem Verkehrswesen“ handelt es sich um eine Schriftenreihe des österreichischen Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT). Solche Schriftenreihen stellen Projekte der Ressortforschung vor, deren Analysen in erster Linie der Politikberatung dienen sollen. Aus diesem Anspruch folgt, dass wissenschaftliche, gesellschaftliche und politische Interessen stärker miteinander verknüpfen werden (müssen), als dies z. B. bei Grundlagenforschung üblich ist. Im Vergleich zu anderer angewandter Forschung verlangt die angestrebte Problemlösung zudem eine deutliche interdisziplinäre Ausrichtung. Und schließlich funktioniert Politikberatung nur, wenn das neu Erarbeitete für Politikerinnen und Politiker verständlich und anschaulich aufbereitet wird. Insofern ist auch eine gewisse Übersetzungsleistung gefragt.
Aus dieser Rahmung ergeben sich die spezifischen Beurteilungskriterien für die vorliegende Studie Frauenwege – Männerwege. Entwicklung von Methoden zur gendersensiblen Mobilitätserhebung. Sie wurde vom Büro „Knoll & Szalai oeg, Technisches Büro für Landschaftsplanung und Unternehmensberatung“ für das BMVIT erarbeitet und 2008 veröffentlicht. Die Studie beginnt mit einigen theoretischen Grundlegungen zur „Relevanz und Bedeutung von Gender in der Mobilitätsforschung und Verkehrsplanung“, widmet sich sodann im umfangreichsten Kapitel einer „Genderanalyse ausgewählter Mobilitätserhebungen“, stellt weiterhin die „Entwicklung eines gendergerechten Erhebungsdesigns“ vor und endet mit „Empfehlungen für Mobilitäts- und Verkehrserhebungen“.
Der vorliegende Forschungsbericht zielt auf das im BMVIT angesiedelte Themenfeld „Geschlecht und Verkehr“. Dazu gibt es in Europa seit mehr als 20 Jahren Forschungen, die belegen, dass sich Frauen und Männer außer Haus unterschiedlich bewegen, zu unterschiedlichen Zwecken, mit verschiedenen Verkehrsmitteln etc. Der Zweck der vorliegenden Studie ist die Erarbeitung eines Mobilitätsfragebogens, der die in den Instrumenten bisheriger Untersuchungen angelegte Geschlechterblindheit überwindet. Das Problem: Die diesem Zweck entsprechende Forschungskonzeption erschließt sich den Leserinnen und Lesern nur aus den Kapitelüberschriften. Das politische Interesse des Auftraggebers und die daraufhin entwickelten inhaltlichen Zuspitzungen und Arbeitsschritte werden nirgends deutlich benannt.
Als Einstieg gefällt die sehr kurze Aufarbeitung des Forschungsstandes (S. 10–21) als ein für das Politikfeld komprimiertes Exzerpt ganz gut – es wird daraus jedoch keine Fokussierung auf die möglichen Aspekte einer gendersensiblen Befragung abgeleitet. Ohne einen so theoretisch geschärften Blick führt die Genderanalyse bisheriger Mobilitätsbefragungen im zweiten Kapitel nur zu erwartbaren Resultaten – die im Handlungsfeld der Politik gleichwohl immer wieder betont werden müssen:
Mit der vorschnellen Beschränkung auf die unzureichend erfassten Wege von Betreuungspersonen und Pendlerinnen/Pendlern folgen die Autorinnen einem traditionellen Geschlechterstereotyp. Nur auf diese zu achten, reproduziert die Genderdifferenz nach bekanntem Muster. Verdecktere Beweggründe für geschlechterdifferente Raumnutzung bleiben verschlossen, obwohl sie gut mit dem Instrument einer Befragung zu verfolgen wären. Zum Beispiel fehlt jeder Hinweis auf die Bedeutung der Vergeschlechtlichung von Verkehrsmitteln oder auf geschlechterdifferente Sinnkonstruktionen von Öffentlichkeit, die mit entsprechend unterschiedlichen Wegezwecken einhergehen.
Die Probleme der theoretisch-konzeptionellen Fundierung der Studie setzen sich in der methodologischen Entwicklung des Themas fort. Die Auftragnehmerinnen beschränken sich auf die Erarbeitung eines Fragebogens, ohne auf das Design einer Mobilitätserhebung als Ganzes einzugehen. Weder Stichprobenziehung noch typische Stichprobenfehler und deren Konsequenzen für die Validität von Ergebnissen werden diskutiert.
Der modifizierte Fragebogen läuft schließlich (nach einem Pretest) in einem Kontrolldesign parallel zu dem umgearbeiteten aus dem Jahr 1995 stammenden Originalfragebogen, als schriftliche Befragung, in ausgewählten Regionen Österreichs. Die Fehler der Datenqualitätskontrolle, über die die Autorinnen berichten, sind üblich für derartige Datensätze und hätten von empirieerfahrenen Fachfrauen vorhergesehen werden können.
Weitere Fehler tauchen in der Veröffentlichung bei Abbildungen und den aus den Daten gezogenen Schlussfolgerungen auf, die wiederum auf wenig Erfahrung mit Auswertung und vor allem Interpretation von statistischem Material hindeuten. Zum Beispiel wird die Schlussfolgerung gezogen, dass „die angegebene Anzahl der Wege […] beim gendergerechten Fragebogen um einiges höher (ist) als beim gängigen Fragebogen, was den Schluss zulässt, dass […] Wege in ihrer tatsächlichen Ausprägung besser erfasst werden“ (S. 91). Die Autorinnen übersehen dabei allerdings, dass der modifizierte neue Fragebogen die Wege von 715 statt von 677 Personen (5,6 % mehr Befragte) erfasste – dann ist die Differenz von 3005 statt 2822 zurückgelegter Wege (6,5 % mehr Wege) nur als zufällige Abweichung anzusehen. Andere Folgerungen – z. B. dass die Frage nach den Begleitwegen wesentliche Aspekte des Mobilitätsverhaltens von Personen mit Betreuungspflichten erfasst – sind zwar plausibel, jedoch nicht eindeutig aus den dokumentierten Ergebnissen abgeleitet.
Die angesprochenen Defizite verweisen insgesamt auf geringe empirische Erfahrungen des mit der Studie beauftragten Planungsbüros und auf schlechte Kooperation mit den Unterauftragsnehmerinnen (Vorstudie, Datenerhebung). Die deutlichen Abstimmungs- und Analysemängel lassen zudem auf geringe Erfahrung mit interdisziplinärem Forschen schließen.
Im Vergleich zu anderen Ressortforschungsveröffentlichungen fällt vor allem die schlechte Grafik auf. So stört bei der Vorstellung vorhandener Fragebögen im zweiten Kapitel, dass die Abbildungen nicht durch Rahmung vom Text abgesetzt sind. Weiterhin enthalten Abbildungen und Tabellen einige Fehler: Im vierten Kapitel tauchen infolge von „Cut and Paste“ falsche Legenden in den Abbildungen auf (vgl. S. 85 und 86), Die Summen in einer Abbildung entsprechen nicht den zuvor in einer Tabelle genannten Zahlen (S. 87), in einer Tabelle stimmen die Summen nicht (S. 83) oder die Gesamtwegezahl ist nicht teilbar durch das jeweils aufsummierte Tagespensum (S. 72 oder S. 86). Für Fachfrauen und Fachmänner wirken solche Unsauberheiten irritierend – im schlimmsten Fall können die dokumentierten handwerklichen Fehler einen Vorwand dafür bieten, das in vielfacher Hinsicht relevante Anliegen der Studie, Fragebögen den tatsächlichen Lebensumständen entsprechend auch gendersensibel zu konzipieren, nicht ernst zu nehmen.
Für Politikerinnen und Politiker sind vor allem gut formulierte, plausibel erscheinende, umsetzungsfähige Aussagen und entsprechende Handlungsempfehlungen wichtig. Solche abschließenden Merkpunkte sind zumindest vorhanden. Die Reduktion bzw. Schwäche dieser Aussagen lässt sich nur nach Verstehen der zugrunde liegenden Forschung erkennen, was auch einem Fachpublikum eher schwer gemacht wird. All dies ist bedauerlich, denn auch in Zeiten eines politisch ermöglichten Gender Mainstreamings sind ministerielle Aufträge wie der hier zugrunde liegende eher selten.
URN urn:nbn:de:0114-qn103033
Dr. habil. Gabriele Sturm
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Bonn
Projektleiterin/Referentin im Referat I6 – Raum- und Stadtbeobachtung
E-Mail: gabriele.sturm@bbr.bund.de
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